In der aktuellen Ausgabe der linken Wochenzeitung Jungle World berichtet Magdalena Marsovszky in einem längeren Beitrag (HIER) über „Ungarns völkische Wende„. Wer die Autorin kennt, weiß, dass sie sich bereits in der ersten Regierungszeit Viktor Orbáns (1998-2002) als eine der schärfsten KritikerInnen des Fidesz profiliert und Orbán mit völkischen, nationalistischen und teilweise sogar antisemitischen Gedanken in Verbindung gebracht hat. Wie der neuerliche Artikel zeigt, bleibt Marsovszky ihrem Ungarnbild treu und verbreitet dieses in der deutschsprachigen Presse.
Hier einige Auszüge:
„Die völkische Partei Fidesz-MPSZ, die bis jetzt in der Opposition war, wird voraussichtlich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit als stärkste Kraft daraus hervorgehen.“
Der Vorwurf des „Völkischen“ ist aus der Jungle World bekannt. Keiner der Autoren definiert jedoch genauer, was er unter diesem Begriff des „Völkischen“ genau versteht. Da das Wort vorwurfsvoll verwendet wird, kann kaum von der eher harmlosen Bedeutung „auf das Volk bezogen“ die Rede sein. Wahrscheinlicher ist – insbesondere im Hinblick auf die weiteren Ausführungen – ein Verständnis im Sinne von „national, nationalistisch, rassistsch“, eventuell soll der Bezug zu den rassistisch-antisemitischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts hergestellt werden. Ohne dies allerdings klar auszusprechen, geschweige denn zu erläutern.
Die Gesamtpartei Fidesz als nationalistisch-rassistisch zu bezeichnen, entbehrt jedoch einer sachlichen Grundlage – auch wenn es Bemerkungen von Parteimitgliedern gab, die durchaus verurteilenswürdig waren. Ebenso wie es solche Äußerungen u.a. bei der deutschen CDU gab, deren Ministerpräsidenten Koch und Rüttgers einst mit Unterschriftenkampagnen gegen die doppelte Staatsangehörigkeit („Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“) und unsäglichen Slogans wie „Kinder statt Inder“ Wahlkampf betrieben; niemand wäre auf die Idee gekommen, die CDU geschlossen als rassistische Partei zu diffamieren. Auch Fidesz wird mehrheitlich als konservative oder rechtskonservative Partei angesehen und ist Mitglied der EVP.
„Im Jahr 2002, als die Fidesz-MPSZ die Parlamentswahlen gegen die sozialliberale Koalition verlor, begann sich der völkisch-nationalistische »Widerstand« vorwiegend in sogenannten Bürgerkreisen zu organisieren, zu deren Gründung der Oppositionsführer Viktor Orbán aufgerufen hatte. Zu dem von Orbán selbst angeführten Bürgerkreis wurde auch der spätere Parteichef von Jobbik, Gábor Vona, eingeladen.“
Die Bürgerkreise wurden nach dem Wahlerfolg von MSZP und SZDSZ im Jahre 2002 gegründet, um das konservative Lager zusammen zu halten. Der Vorwurf von links, es handle sich um eine „scheindemokratische“ Veranstaltung, kam prompt und ist bis heute – insbesondere aus Wien – hörbar. Tatsächlich genießt die Koalitionsfreiheit Verfassungsrang, weshalb es keinem Politiker zum Vorwurf gemacht werden kann, Gleichgesinnte in „Bürgerkreisen“ zu organisieren und zu treffen. Offenbar sind basisdemokratische Bestrebungen für manch einen Autor jedoch nur glaubhaft, wenn sie von links kommen. Gábor Vona, Vorsitzender der rechtsextremen Jobbik, war tatsächlich (vor der Gründung der Partei Jobbik) eines der Mitglieder in Orbáns Bürgerkreis, jedoch hat er vor seinem Austritt keinerlei Handlungen vorgenommen, die auf eine antidemokratische oder gar antisemitisch-rassistische Sichtweise hätten schließen lassen.
Übrigens hat die MSZP bereits angekündigt, in der Opposition das „zivile Netzwerk“ – nichts anderes als ein „linker Bürgerkreis“ – wieder zu aktivieren. Mal sehen, ob der Aufschrei aus Wien hier ebenso groß sein wird.
„Wir bräuchten eine Partei rechts von uns“, soll István Stumpf, Orbáns vormaliger Kanzleramtsminister, Ende 2002 gesagt haben, »die sich Meinungen erlaubt, die einer seriösen Partei nicht gestattet sind, die jedoch gleichzeitig der Mutterpartei nicht schaden.« Jobbik sollte also als Sprachrohr für alles fungieren, was offiziell tabuisiert ist, was aber viele denken.“
Mit Verlaub, ist das seriöser Journalismus? Man nehme ein Gerücht, setze es als wahr voraus und verwende es sodann als Vorwurf gegen eine Volkspartei. „Soll gesagt haben“…
Die Fidesz, die ethnisch-biologistisch denkt, versteht unter »Nation« eine blutmäßige Abstammungsgemeinschaft. Nach ihrer revanchistischen Meinung umfasst das »Magyarentum« nicht nur die innerhalb der Landesgrenzen lebende Bevölkerung, sondern auch die »Auslandsungarn« in dern Nachbarländern.
Denkt Fidesz wirklich ethnisch-biologisch? Zweifel sind angebracht. Historisch gesehen hat sich die „Ungarische Nation“ mehrheitlich weniger als ethnisch-biologistische, d.h. rassische Einheit definiert, sondern vielmehr kulturell. Für die Diktatur der Pfeilkreuzler und die Horty-Ära galt freilich etwas anderes. Im größten Teil der ungarischen Historie galt derjenige, der sich zum Magyarentum bekannt hat, als Ungar. Hierzu gehören bedeutende „Magyaren“ wie etwa der Dichter Sándor Petöfi, der als Alexander Petrovics geboren wurde. Verbindungsglied der Nation war vor allem die Sprache und die Kultur, aus diesem Grund gehören die bekennenden Auslandsungarn, die ihre Staatsangehörigkeit ohne ihr Zutun durch den Frieden von Trianon im Jahre 1920 verloren haben, mit guten Argumenten noch heute zur Nation. Dass sie Staatsbürger eines anderen Landes sind, ist hingegen eine staatsrechtliche Frage: Das Nation und Staatsvolk keine zwingende Einheit sind, dürfte bekannt sein. Die Auslandsungarn als zur Nation gehörig anzusehen, ist folglich nicht zwingend Nationalismus, sondern der Versuch, sich um Minderheiten in den Nachbarländern zu kümmern, die dort allzu oft als unerwünschte Störenfriede angesehen werden; hier tut sich die Slowakei durch anachronistische Versuche der sprachlichen Assimilation (Sprachengesetz 2009) derzeit besonders negativ hervor.
„Die Partei bedient seit etwa Mitte der neunziger Jahre, als sie den national turn vollzog, permanent die antisemitischen Streotype des »jüdischen Bolschewismus« und des »jüdischen Kommunismus«. Die heutigen »Fremden« bzw. »Landesverräter« – im Klartext: »die Juden« – seien in Ungarn die Sozialisten, die »Nachfolger der Kommunisten«, wie Orbán und die Mitglieder der Fidesz immer wieder betonen.“
Dieser Vorwurf taucht bei Marsovszky immer wieder auf. Konkrete Beispiele für Aussagen Orbáns, die antisemitische Züge haben, fehlen. Zwar ist der sog. „kodierte Antisemitismus“ in Ungarn (und anderen Ländern) durchaus real, allerdings hat Orbán nie gegen „jüdische Bolschewisten“ gehetzt. Ungarn als ganz normale „junge Demokratie“ und einem aktuell großen Protestwählerpotenzial anzusehen, fällt Frau Marsovszky sichtlich schwer.
„Ungarn ist mittlerweile zu einem gefährlichen rassistischen Land geworden. Allein im Jahr 2009 sind im Land neun Roma ermordet worden, in Budapest werden Juden immer wieder auf offener Straße angegriffen. Vor einigen Wochen, als eine jüdische Gemeinschaft den Seder feierte, wurden die Fenster des Rabbiners mit Steinen eingeworfen. Ein Polizist meinte dazu, es sei in Budapest nicht ratsam, mit Kippa unterwegs zu sein.“
In Anbetracht derartiger Aussagen verwundert es kaum, dass man in Ungarn mitunter von einer Schmähkampagne gegen das Land berichtet und sich herabgesetzt fühlt. Ungarn ist – was rassistische Gewalt angeht – nicht weniger gefährlich oder ungefährlich als andere EU-Länder. Und (nochmals) mit Verlaub: Was ein Polizist gesagt haben soll, ist für eine objektive Situationsbeschreibung völlig irrelevant – Budapest hat eine wachsende und sehr aktive jüdische Gemeinde, die sich nicht verstecken muss. Und das auch keineswegs sollte.
Zwar existiert in Ungarn rechtsextreme Gewalt. Das Land als „gefährlich rassistisch“ zu bezeichnen, geht jedoch deutlich zu weit.
Es überrascht nicht, dass Frau Marsovszky kein einziges Wort zu den möglichen Ursachen des Rechtsrucks verliert: Offenbar fällt es der Autorin schwer, ihre Seelenverwandten von MSZP und SZDSZ für ihren Entwicklungsbeitrag in den letzten 8 Jahren zu kritisieren. Übrigens gab es in der Zeit der ersten Orbán-Regierung nur eine rechtsextreme Partei (MIÉP), die sich bei EU-durchschnittlichen maximal 5% aufhielt.