Die Süddeutsche Zeitung über den „Antidemokraten“ Orbán

Wir haben lange darauf warten müssen, die Erwartung war entsprechend hoch, nun ist es endlich soweit: Michael Frank, SZ-Berichterstatter aus Wien und Budapest, hat – drei Tage vor der Wahl – eine erste journalistische Kostprobe (HIER) dafür gegeben, mit welcher Art von Presse die neue Fidesz-Regierung in den kommenden vier Jahren in der Süddeutschen zu rechnen hat.

Schon in der Einleitung von „Orbán kehrt zurück“ (wer Frank kennt, spürt unweigerlich die Parallele zu „Das Imperrium schlägt zurück“) verweist der Autor auf die angeblich undemokratische – und natürlich nationalistische – Grundeinstellung Orbáns („Er bewundert Silvio Berlusconi und verachtet das Parlament„). Orbán wird dem Leser somit – wie bereits 1998-2002 als Gefahr für Mitteleuropa, als Darth Vader, dargestellt. Der Artikel ist insoweit ein „echter“ Frank.

Das inhaltliche „Best of„:

Das geht doch nicht, dass die Heimat in die Opposition muss!‘‘ Die ganze Entrüstung, die Viktor Orbán vor acht Jahren in diesen Ausruf legte, unterteilt unmissverständlich die Welt: Hier er selbst, Heimattreue und Volksliebe, Wahrhaftigkeit und Reinheit; dort die vaterlandslosen Gesellen, deren Liebe zur Heimat in äußerstem Zweifel steht.

Der Satz, wie ihn Frank zitiert, ist so nicht gefallen. Er ist einerseits aus dem Zusammenhang gerissen, andererseits falsch übersetzt. „Die ganze Entrüstung“ Orbáns gab es nicht, sondern eine Rede im Mai 2002, die dazu bestimmt war, die Anhänger von Fidesz nach der Wahlniederlage (es fehlten nur einige tausend Stimmen zur Wiederwahl) zu motivieren, sich nicht verzagt in die Hinterzimmer zurück zu ziehen.

„Städtische Liberale und Intellektuelle blicken furchtsam in die Zukunft, denn niemand weiß, was Orbán wirklich vorhat.“

Das hier verwendete Stilmittel ist aus Franks Artikeln bekannt. Bereits in seinem Beitrag vom 16.06.2009 (HIER) in der SZ mit dem Titel „Unheil in Ungarn“ behauptete der Autor, „bekenntnisstarke Demokraten, die besser nicht genannt werden sollten“ beschwerten sich über die Untätigkeit der Polizei gegen rechte Gewalt. Ferner seien „Kritische Intellektuelle auf offener Straße angegriffen und niedergeschlagen, Wohnungen verwüstet worden„. Wie schon im Jahre 2009, ist Frank nicht in der Lage oder willens, Ross und Reiter zu nennen, sondern beruft sich auf angeblich angsterfüllte anonyme Personen aus bestimmten Kreisen. Die SZ-Leserschaft verfasste seinerzeit einige kritische Leserbriefe, in denen u.a. zutreffend darauf hingewiesen wurde, dass die von Frank behaupteten Übergriffe und Verwüstungen nie stattgefunden hatten: Jedenfalls hatte die ungarische Presse nicht darüber berichtet. Nun müssen eben die „städtischen Liberalen“, wer auch immer dies sein soll, für den MSZP-Wahlkampf herhalten.

Orbán, trotz grauer Strähnen im dunklen Haar noch immer eine Tatkraft suggerierende jugendliche Gestalt, will die Übeltäter in Handschellen vorführen, auch wenn manches faule Geschäft bis in seine erste Regierungszeit zurückreicht.

In Anbetracht der Korruption (erst letzte Woche wurde ein MSZP-Politiker zu 8 1/2 Jahren Haft wegen illegaler Parteienfinanzierung verurteilt), ist auch die strafrechtliche Aufarbeitung der MSZP-Ära zwingend notwendig. Was genau Frank daran stört, bleibt offen. Dass insoweit Vorwürfe erhoben werden, überrascht und wirkt bigott: Frank hat nach der Machtübernahme der MSZP/SZDSZ im Jahre 2002 nämlich kein einziges Mal empört über den damaligen Staatssekretär im Finanzministerium, László Keller, berichtet, der eine beispiellose ud demokratische Grenzen überschreitende Schmutz- und Strafanzeigenkampagne gegen die Mitglieder der Orbán-Regierung begann. Sämtliche Strafanzeigen verliefen damals  im Sande. Keller war zudem in der sog. Abhöraffäre verstrickt, deren Ziel es war, „belastendes Material“ gegen Orbán zu beschaffen. Berichtenswert war all das für Herrn Frank nicht. Die Behauptung, „manch faules Geschäft“ gehe noch auf seine Regierungszeit zurück, entspricht dem MSZP-Wahlkampfslogan „Ihr seid auch nicht besser“; leider kann der Autor keinen Beleg für seine gravierende Beschuldigung anführen.

Als Orbán dann 1998 Premier in Budapest wurde, hatte er einen krassen Schwenk hinter sich: Er war längst dem magyarischen Trauma von Trianon erlegen, jenes Vertrages, der nach dem Ersten Weltkrieg Ungarns Territorium dezimierte und Teile des Volkes zu Minderheiten in anderen Staaten machte. Auch Orbán kultivierte nun die These von der Bedrohung eines kulturell isolierten Volkes. Bitterkeit darüber, dass Ungarn als Avantgarde-Staat von Demokratisierung und Marktwirtschaft seinen Vorsprung wieder verspielt hatte und ins Hintertreffen geraten war, sollte ein aggressiver Kult am „reinen, echten Ungarntum“ kompensieren.

Eine interessante Analyse: Frank spricht von 1998 und in diesem Zusammenhang darüber, Nationalismus habe sich als Ergebnis der damaligen Enttäuschung über wirtschaftliche Misserfolge des Landes entwickelt. Nur schade, dass Ungarn in der Phase von 1998-2002 noch recht solide Wachstumsraten aufwies und als „Musterknabe“ galt. Sogar der ehemalige Regierungschef Peter Medgyessy hat jüngst eingestanden, dass das Versagen der Regierung Gyurcsány für das Erstarken des Rechtsextremismus (Jobbik) mitverantwortlich war.

Seinen schwersten Schlag führte Orbán gegen den Parlamentarismus an sich. Er war die vergangenen acht Jahre Oppositionsführer, hat aber manches Jahr praktisch nie das Parlament betreten, geschweige denn im Plenum das Wort ergriffen.

Diese Aussage war bereits Teil der MSZP-Wahlkampagne 2006 (Wahlspot: „Wo ist Viktor Orbán“ bzw. „Hová tünt Orbán Viktor?“) und hat offenbar gerade deshalb einen festen Platz in der journalistischen Gedankenwelt Franks verdient. Der Leser möge beurteilen, was von einem Autor zu halten ist, der ausländische Qualitätsblätter mit Parteipropaganda füllt. Dass Orbán in manch einem Jahr „das Parlament praktisch nie betreten hätte“, wird durch ständiges Wiederholen nicht wahrer. Tatsächlich hat Orbán, der nicht Fraktionsvorsitzender war, in der Legislaturperiode 2002-2006 8-mal das Wort ergriffen, in der aktuellen Periode 12-mal. Hinzu kommen insgesamt 16 eigene bzw. gemeinsam mit anderen eingereichte Vorschläge für Gesetzesvorhaben seit 2006. Insgesamt zwar keine quantitative Glanzleistung, allerdings hat auch der ehemalige MP Ferenc Gyurcsány seit 14.04.2009 (seiner Abwahl) kein einziges Mal das Wort im Parlament ergriffen und keinen einzigen Vorschlag eingereicht. Offenbar ist es also der politische Stil in Ungarn, sich als ehemaliger MP etwas im Hintergrund zu halten – gerade wenn andere die Fraktionsführung innehaben. Probleme hiermit hat man aber bei der SZ wohl nur, wenn es um Orbán geht.

Den Schaden, den er selbst am Sinn für den Parlamentarismus angerichtet hat, wird er nicht wieder gutzumachen können. Doch will er das überhaupt? Pessimistische Historiker beschwören schon die Zeiten des Reichsverwesers Miklós Horthy zwischen den Weltkriegen, mit der „weichen Diktatur“ einer autoritären nationalen Rechten und einer Art Scheinparlament als Legitimation.“

Jaja, der Schaden, den Orbán verursacht hat. Wir haben es schon zu oft gehört. Der Vergleich zur Horthy-Ära dürfte aber selbst für die großzügigen Maßstäbe der SZ etwas zu weit gehen.

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Századvég-Umfrage: Jobbik fällt zurück, LMP an der 5%-Grenze

Das Meinungsforschungsinstitut Századvég bescheinigt in seiner April-Umfrage (Zusammenfassung HIER) der konservativen Oppositionspartei Fidesz einen voraussichtlichen Stimmenanteil von 59%, die Sozialisten liegen mt 18% auf Platz zwei, gefolgt von Jobbik mit 15%. Auch der Einzug der neuen Gruppierung LMP („Politik kann anders sein“) scheint möglich, sie käme auf ca. 5%. MDF und SZDSZ verfehlen den Einzug ins Parlament.