Längere Zeit ist vergangen seit der letzten ausführlicheren Presseschau. Aber seit die Gespräche zwischen Ungarn und IWF/EU über neuerliche Staatshilfen ins Stocken geraten sind, springt die internationale Presse buchstäblich mit dem Fallschirm auf Ungarn ab. Vieles wird behauptet.
Was war passiert? Ungarn war im Jahre 2008 von IWF und EU durch Milliardenhilfen vor dem Staatbankrott gerettet worden. Von mehreren geplanten Tranchen hatte Ungarn eine erste abgerufen. Die von den ungarischen Sozialisten gestützte Regierung Bajnai hatte – nach Rücktritt von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány – erhebliche Einsparungen vorgenommen, um den kurzfristigen Vorgaben der beiden internationalen Institutionen zu entsprechen. In Anbetracht der für das Frühjahr 2010 zu erwartenden Wahlniederlage musste auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung keine Rücksicht mehr genommen werden, was sich auch darin geäußert hat, dass die Regierung einen Großteil der Haushaltsgelder für das Jahr 2010 bereits bis März 2010 aufgebraucht hatte.
Der neu gewählte Ministerpräsident Orbán hat nun die Pflicht, die nicht von ihm vereinbarten Kreditkonditionen einzuhalten, die Darlehen zu tilgen und seinen Regierungsplan mit den beiden Institutionen in Einklang zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich zeigt: Der IWF fordert weterhin radikale Sparmaßnahmen und kritisiert die Kassenlage. Die Regierung ist jedoch nicht bereit, die Regierungspolitik allein auf das Defizitziel auszurichten. Stattdessen soll der Mittelstand gefördert, die Wirtschaft modernisiert und die Steuern gesenkt werden. Als Finanzierungsbeitrag plant Ungarn – neben Sparanstrengungen – eine auf 3 Jahre befristete Bankensteuer. Orbán plant somit Maßnahmen, die das Wachstum und die Stabilität der Zukunft sicherstellen sollen und weigert sich, das Land „totzusparen“.
Der IWF hat die Pläne kritisiert und – ob gewollt oder nicht – einseitig Partei für die Finanzinstitute ergriffen, welche die schwere wirtschaftliche Lage Ungarns durch eine expansive Kreditvergabepolitik und die Vergabe von hochriskanten Fremdwährungskrediten mitverursacht haben. Die ablehnende Haltung und die Meinung der Regierung, es sei letztlich nicht Aufgabe des IWF, die Haushaltspolitik Ungarns zu kritisieren, so lange Ungarn das vereinbarte Defizitziel halte, wird von der Finanzwelt seitdem heftig kritisiert. Man spricht von „Nationalismus“, stets tauchen in Wirtschaftspublikationen auch die Rechtsradikalen („Jobbik“) auf.
In der FTD (Financial Times Deutschland) Online-Ausgabe vom 22.07.2010 (HIER) schreibt Christian Höller nun einen längeren Artikel über Ungarn mit dem Titel „Ungarns rechter Weg in die Pleite„. Der Stil des Artikels ist – wie man es von Journalisten gewohnt ist, die ihre Informationen ausschließlich aus MSZP-nahen Kreisen informieren (die Begründung für diese Annahme folgt sogleich) – der eines erhobenen Zeigefigers. Zusätzlich freut sich die österreichische Bankenlobby über den Artikel.
Hier nun – wie gewohnt – das „Best of“:
Höller beginnt seinen Beitrag mit einem erschreckenden Bild:
„Gleich bei der Ankunft am Budapester Westbahnhof fallen sie auf: die Jobbtaxis, im Volksmund „Nationaltaxis“ genannt. Auf den Autotüren prangen die Stephanskrone, das ungarische Nationalsymbol, und eine Karte mit den Grenzen der Monarchie vor 1920.Wegen der niedrigen Tarife erfreuen sich die Nationaltaxis, die für ein Unternehmen aus dem Umfeld der rechtsextremen Partei Jobbik fahren, großer Beliebtheit. Geschäftsleute und Touristen finden nichts dabei, sich von den Ultrarechten chauffieren zu lassen, die bei den Parlamentswahlen im April mit knapp 17 Prozent zur drittstärksten Kraft im Land aufgestiegen sind.“
Ein bemerkenswerter Einstieg in den Artikel einer Wirtschaftstageszeitung. Der Verfasser des Blogs reist regelmäßig selbst nach Budapest und hat bislang ein einziges dieser „Jobbtaxis“ gesehen. Es handelt sich um ein kleines Unternehmen, das auf peinliche Weise versucht, mit der „Rechtsgerichtetheit“ Marketing zu betreiben. Dies sagt weder etwas über den Zustand eines gesamten Landes aus, noch hat es etwas in der FTD zu suchen. Immerhin wird gleich im ersten Absatz klar, in welche Wasser und Höller steuern wird. Es versteht sich übrigens von selbst, dass diese Taxis schon vor der Regierungsübernahme existierten…
„Zwei Monate nach der Machtübernahme durch Orbans Partei Fidesz ist Ungarn wieder zu einem der größten Sorgenkinder Europas geworden. Vor zwei Jahren stand das Land schon einmal am Abgrund, damals wurde es vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU mit 20 Mrd. Euro gestützt – und schien auf einem Weg der Besserung.“
Ja, so ist die Lesart der Sozialistischen Partei Ungarns. Kaum wurde sie vom Wähler abgestraft, wird Ungarn – quasi über Nacht – zum Sorgenkind. Wehe dem, der auf die katastrophale Politik der vergangenen 8 Jahre verweist, die Ungarn im Jahre 2008 erst in die Situation gebracht hat, auf IWF- und EU-Hilfen angewiesen zu sein. Erwähnt wird nur das „glorreiche“ Jahr des MP Bajnai.
„Doch Ministerpräsident Orban, der am Mittwoch zu Besuch in Deutschland weilte, schaltet auf stur. Er werde es nicht zulassen, dass sich EU und IWF in die Politik seines Landes einmischen. „Die Märkte reagieren, wie sie eben reagieren“, sagte Orban rotzig und beschwor einen „ungarischen Ausweg“ aus der Krise. Auf seinen Antrag soll das Parlament am Donnerstag eine saftige Bankensteuer beschließen – mit der der Haushalt saniert werden soll. Die Abstimmung gilt angesichts der Zweidrittelmehrheit von Fidesz als reine Formsache. Gegen die Steuer, die 0,45 Prozent der Bilanzsumme betragen soll, läuft die Finanzbranche Sturm. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist es die höchste Bankenabgabe der Welt: 700 Mio. Euro soll sie jährlich einbringen. Die Banken müssen die erste Tranche bereits im September zahlen.“
So what! Ungarn beteilgt – wie übrigens auch Österreich es will – die Banken an den Kosten der „Aufräumarbeiten“, die die Krise notwendig gemacht hat. Höller übersieht, dass die ungarischen Kreditinstitute diejenigen sind, die europaweit mit die höchsten Renditen vereinnahmen konnten. Und es stimmt, dass der Haushalt von gewählten Abgeordneten, nicht vom IWF bestimmt wird. Der IWF hat nur insoweit berechtigte Einwände geltend zu machen, als die Rückzahlung der Kredite gefährdet ist. Tatsächlich geriert sich der Fonds als Sprachrohr der Banken. Das größte Institut des Landes, OTP, zweifelt übrigens daran, dass die Abgabe die von vielen beschworenen negativen Auswirkungen auf die Kreditvergabepolitik hat; und selbst eine Abwälzung auf die Verbraucher bezweifelt deren Generaldirektor. Die Aufregung kommt insbesondere aus Österreich, denn die dortigen Banken sind über ihre Tochtergesellschaften (Erste Bank, Bank Austria, Raiffeisen) überproportional am ungarischen Markt tätig. Die höheren Margen in Ungarn waren es, welche die „üblichen“ Margen am Heimatmarkt aufrundeten. Dass dieser Zusatzverdienst nun ein wenig verringert werden könnte, löst befremdliche Reaktionen aus: Selbst der österreichische Wirtschaftsminister kritisirt die Einführung einer Bankensteuer, obwohl seine eigene Regierung eine solche in Österreich plant.
„Die Mehrheit der Magyaren ist überzeugt, dass Orban das Land aus der Misere herausholen wird. Wegen seiner harten Haltung gegen den IWF wird er als Held gefeiert. Der Ministerpräsident schlägt auch in der Außenpolitik neue Töne an. „Er pflegt das Ungarntum, tritt aggressiv gegenüber den Nachbarländern und der EU auf und baut seine Macht aus“, sagt Janos Molnar, Politologe der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Seit der Machtübernahme hat Fidesz im Schnellverfahren mehr als 50 neue Gesetze durchgepeitscht, mit denen die nationale Identität gestärkt werden soll.“
Die Aggressivität gegenüber den Nachbarstaaten ist ein Mythos. Zwar kam es zu Spannungen zwischen der Slowakei und Ungarn wegen der von Ungarn – im Einklang mit internationalen Vorschriften stehenden – eingeführten Möglichkeit für ungarischstämmige Bürger der Nachbarländer, die ungarische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Hauptgrund der Auseinandersetzung war jedoch der slowakische Wahlkampf, seitdem dieser – mit der Abwahl der bisherigen Regierung aus Sozialisten und Rechtsradikalen – beendet ist, ist es ruhiger geworden. Der Versuch der alten slowakischen Regierung, mit Ressentiments gegen Ungarn Wahlkampf zu betreiben, ist gescheitert – ebenso wie die nationalistischen Tendenzen der bisher als Sprachrohr der slowakischen Ungarn geltenden „Ungarischen Koalitionspartei„. Der „Einzelfall Slowakei“ zeigt sich übrigens daran, dass weder Österreich, noch Kroatien, Serbien oder Rumänien die doppelte Staatsangehörigkeit kritisiert haben. Gerade das suggeriert Höller mit senem Hinweis auf die „Nachbarländer„. Was vermeintliche Aggressivität gegenüber der EU angeht, so hat Orbán unverzüglich nach seiner Wahl betont, mit der EU kooperieren zu wollen. Und „50 Gesetze, mit denen die nationale Identität gestärkt werden soll„, gibt es nur in der Phantasie des Herrn Höller: Dass ein Trianon-Gedenktag eingeführt wurde, trifft zu. Gemeinsam mit dem Gesetz über die doppelte Staatsangehörigkeit zähle ich „zwei“ Gesetze. Wo sind die 48 weiteren?
„Für Zündstoff sorgt auch eine von Orban verfasste „Erklärung zur nationalen Zusammenarbeit“. Anfang Juli trat sie in Kraft, laut einer Verordnung muss die Erklärung eingerahmt, in „würdiger Druckqualität“ und gut sichtbar in allen öffentlichen Gebäuden aufgehängt werden. Darin heißt es, dass sich in Ungarn an den Wahlurnen eine Revolution vollzogen habe. Das alte System sei gestürzt worden, die Nation habe das Recht auf Selbstbestimmung zurückerobert. Laut Orban soll „jeder Beamte jeden Tag das Dokument“ sehen. „Kein Staatsbediensteter soll glauben, dass es so weitergeht wie in den vergangenen acht Jahren.“
Hier ist Höller im Grundsatz Recht zu geben. Die plakative Bezugnahme auf den „nationalen Zusammenhalt“ in Form eines gedruckten Dokuments wirkt befremdlich. Orbán versucht auf diese Weise wohl, an das Zusammengehörigkeitsgefühl zu appellieren. Ein alberner Versuch, mehr nicht.
„In Ungarn ist eine Art Stalin-Diktatur im Kommen“, befürchtet der sozialistische Abgeordnete Csaba Molnar. Das ungarische Verfassungsgericht weigert sich, Orbans Erklärung anzubringen. Widerstand kommt auch von der Richtervereinigung.“
Hier möchte ich auf meine obige Bemerkung zurückkommen, wonach Höller offenbar einer der Journalisten ist, die sich partout nur aus einer politischen Richtung informieren. Der von ihm genannte Csaba Molnár kann als einer der größten verbliebenen Gyurcsány-Propagandisten bezeichnet werden. Er war u.a. Kanzleramtsminister unter Ferenc Gyurcsány und hat insoweit als enger Berater die jetzige Misere des Landes durchaus mitverantwortet. Dass man solche Menschen überhaupt noch um ihre Meinung bittet, wenn man einen seriösen Artikel verassen möchte, ist mehr als verwunderlich.
„Orban inszeniert sich als großer Aufräumer. Er gibt der Vorgängerregierung die Schuld am Niedergang des Landes. Deswegen tauscht er im Eiltempo die Führung von staatlichen Unternehmen und Organisationen aus, vom Rechnungshof über die Polizeipräfekten in den Provinzen bis zu den Forstverwaltungen.“
Der Austausch von Führungspersonal gehört in Ungarn wegen der Zerstrittenheit der Lager zu jedem Regierungswechsel. Während die Regierungen Antall (ab 1990), Horn (1994-98) und selbst Orbán (1998-2002) relativ wenige Personalmaßnahmen in der Top-Ebene vollzogen, war der bislang größte Kehraus übrigens der im Jahre 2002, der Machtübernahme der Sozialisten. Der größte Unterschied zum jetzigen Stühlerücken liegt somit darin, dass die Höllers, Franks, Odenahls und Gregor Mayers es damals nicht für „berichtenswert“ erachtet haben. Nach 2002 folgte übrigens die Zeit des Staatssekretärs László Keller (MSZP), der verantwortliche Personen der 1. Regierung Orbán mit Strafanzeigen überzog – keines der Verfahren führte zu einer Verurteilung. Dieses unsägliche Vorgehen brachte Keller den Spitznamen „Staatssekretär für Strafanzeigen“ ein.
„Das rabiate Vorgehen gemahnt mitunter an einen Staatsstreich – wie zuletzt bei der staatlichen Wirtschaftsagentur ITD Hungary. Ohne Vorwarnung verschafften sich Orbans Leute Zugang zu der Behörde, alle leitenden Angestellten mussten ihre Mobiltelefone und Laptops abgeben. Auch die Dienstwagen wurden einkassiert. Die Vorstände wurden gekündigt und mussten sofort die Büros verlassen.“
Wir haben richtig gehört: Christian Höller bezeichnet das Vorgehen als einem „Staatsstreich“ ähnlich. Hingegen berichtet selbst der Pester Lloyd, die liberale deutschprachige Wochenzeitung Ungarns, dass die Führung des ITD bereits von der Vorgängerregierung abgesetzt worden sei. Grund waren nicht nachvollziehbare Ausgabenpositionen.
„Einer, der noch Widerstand leistet, ist Andras Simor, der Chef der Zentralbank. Er weigert sich, den Rücktrittsaufforderungen nachzukommen. Nun will ihm die Regierung das Gehalt um 75 Prozent kürzen. Dagegen hat die Europäische Zentralbank (EZB) protestiert. Die Maßnahme würde die Unabhängigkeit der ungarischen Nationalbank einschränken.“
Die Rücktrittsforderungen beruhen auf moralischen Erwägungen – denen man zustimmen kann oder auch nicht. Simor bezieht ein Gehalt von monatlich 8,5 Mio. Forint, was über 30.000 EUR entspricht. Er hat einen Teil seines Vermögens in zypriotischen Offshore-Fonds angelegt, um in Ungarn keine Steuern entrichten zu müssen. Ob ein solches Verhalten – wenn auch gesetzmäßig – für einen vom Steuerzahler vergüteten Notenbankpräsidenten angemessen ist, ist jedenfalls diskussionswürdig. Und in Anbetracht der in der Vergangenheit geführten heftigsten Angriffe der MSZP-Politik gegen „Fidesz“-nahe Personen, z.B. den Vorsitzenden der Finanzaufsicht Károly Szász, sollte sich die MSZP hier nicht so dünnhäutig zeigen. Und auch die Frage nach dem Gehalt des Notenbankpräsidenten ist keine der Unabhängigkeit der Zentralbank: Die Gehaltskürzungen betreffen den gesamten öffentlichen Bereich – eine Deckelung auf 2 Mio. Forint pro Monat (etwa 8.000 EUR) ist geplant.
„Der einzige ernst zu nehmende Gegner von Orban war bisher Staatspräsident Laszlo Solyom. Dieser weigerte sich standhaft, viele Gesetze zu unterzeichnen. Doch Anfang August endet Solyoms Amtszeit, er wird von Pal Schmitt abgelöst. Der von Fidesz nominierte Kandidat wurde Ende Juni vom Parlament gewählt.“
Ja, wir hören wieder richtig. Der konservative und von Fidesz (!) selbst für die vergangene Amtseriode vorgeschlagene László Sólyom ist plötzlich dessen „einzig ernst zu nehmender Gegner„. Warum? Weil sich Fidesz entschieden hat, nun einen neuen Kandidaten zu unterstützen. Zuvor hatten die Berichterstatter vom Schlage eines Christian Höller stets die „nationalistische Einstellung“ Sólyoms kritisiert. Der Mann wurde bislang nie lobenswert erwähnt. Hingegen kommt er, wie jeder andere Politiker, als Beleg für die Untragbarkeit Orbáns nun eben wie gerufen. Der Vorwurf, Orbán wolle eine Republik nach US-Vorbild errichten, hat dieser übrigens bislang stets dementiert.