Die ZEIT vom 24.02.2011 enthält einen Beitrag von Alice Bota zum ungarischen Mediengesetz. Die Autorin kritisiert diesmal nicht Ungarn (so schreibt sie jedenfalls), sondern die EU. Dort seien mit den Konservativen „Ungarns Komplizen“ am Werk gewesen, habe man sich doch mit kleineren Änderungen des Mediengesetzes zufrieden gegeben und damit Werte der Union „verraten“.
http://www.zeit.de/2011/09/P-Ungarn-Mediengesetz?page=1
Der Beitrag fasst die Regelungen wie folgt zusammen:
„Die Nachrichtenagentur wurde zentralisiert, Journalisten müssen »ausgewogen berichten«, andernfalls drohen harte Sanktionen; eine Medienbehörde, deren Vorsitzende direkt vom Ministerpräsidenten Viktor Orbán ernannt wird, wacht darüber.“
Es fällt auf, dass Bota behauptet, es drohten „harte Sanktionen“, wenn Medien nicht ausgewogen berichteten. Welche „harten Sanktionen“ dies sein sollen, teilt die Autorin dem Leser jedoch nicht mit. Die Beobachter der Auseinandersetzung um die angeblichen Geldstrafen, die bei Verstößen gegen das Gebot der Ausgewogenheit verhängt werden sollten, wissen freilich seit Anfang Januar 2011, dass es solche „harten Sanktionen“ in Form finanzieller Konsequenzen überhaupt nicht gibt. Diejenigen, die dies seit Ende 2010 behauptet hatten, wollten von ihrer Mitverantwortung an der Verbreitung von Falschmeldungen jedoch nichts wissen und bezichtigten ungarische Politiker bis zuletzt sogar der Lüge, anstatt sich durch Lektüre des § 181 des Mediengesetzes von dessen Inhalt zu überzeugen: Tatsächlich erfassen die im Gesetz vorgesehenen Strafvorschriften das Ausgewogenheitsgebot nämlich gerade nicht. Die „harten Sanktionen“ beschränken sich vielmehr darauf, dass ein Anspruch auf Gegendarstellung geltend gemacht werden kann. So heftig die (Falsch)Meldung – u.a. durch die Deutsche Presseagentur – in die Welt getragen wurde, so gering ist der Eifer, die gemachten Fehler zu berichtigen. Alles – natürlich – im Namen der Pressefreiheit.
Dass das Ausgewogenheitsgebot auch (z.B.) aus dem deutschen Rundfunkstaatsvertrag bekannt ist und somit nichts Diabolisches sein muss, erwähnt die ZEIT-Autorin nicht. Stattdessen wird behauptet, die EU habe ihre eigenen Werte verraten. Dabei hat die Kommission bei nüchterner Betrachtung das getan, was sie im Rahmen ihrer Kompetenzen, die ihr durch die EU-Verträge zugewiesen sind, erreichen konnte. Die „Hütern der Verträge“ ist – zum Leidwesen der Sozialisten, Liberalen und Grünen auf EU-Ebene – keine mit Generalkompetenzen versehene „politische Aufsichtsbehörde“, die Mitgliedstaaten vorführt. Sie ist auf juristische Kritik beschränkt und hatte die Möglichkeit, Verstöße Ungarns gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zu rügen (und hätte insoweit auch ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnen können). Sie hat diese Aufgabe erfüllt. Diejenigen, die laut Sanktionen gegen Ungarn gefordert haben, stammen – wie etwa der österreichische Sozialist Swoboda – übrigens aus Ländern, deren öffentlich-rechtliche Medien nur allzu stark von politischen Interessen durchsetzt sind. So viel zu den „europäischen Werten“.
Dass die deutsche Sozialdemokratie, deren Wortführer Martin Schulz maßgeblich daran mitwirkte, das EU-Parlaments zu einem Volkstribunal gegen die ungarische Regierung zu machen, Miteigentümer eines großen Verlagskonglomerates ist und dort sogar versucht haben soll, auf Inhalte Einfluss zu nehmen, stört diejenigen wenig, die sich über vermeintliche „rechte“ Übermacht in der ungarischen Presse mokieren. Am wenigsten die SPD-Politiker.
Österreich war – wie Deutschland – übrigens eines derjenigen (25!) EU-Länder, die sich im Rahmen der AVMD-Richtlinie gegen den Vorschlag der Kommission, politisch unabhängige Medienbehörden zu schaffen, ausgesprochen hat. Nochmals: So viel zu den europäischen Werten. Politische Einflussnahme scheint für die heutigen Mahner wohl insbesondere deshalb ein Problem zu sein, weil sie von der „falschen“ Richtung ausgeübt werden kann. Inwieweit sich das ungarische Mediengesetz bis heute auf die freie Meinungsäußerung ausgewirkt haben soll, verrät man uns übrigens nicht. An den Inhalten der Pressorgane ist jedenfalls keine Änderung festzustellen.