Die SPD-Bundestagsfraktion versucht, sich im Zusammenhang mit dem Treffen zwischen Angela Merkel und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu profilieren. Sie gab heute eine umfangreiche Pressemeldung heraus, in der Orbáns „Rapport“ bei Merkel angesprochen und die deutsche Kanzlerin aufgefordert wurde, ihren ungarischen Amtskollegen im Zusammenhang mit Mediengesetz und Verfassung zu kritisieren. Freilich machte die SPD-Fraktion keinen Hehl daraus, dass sie entweder keine Kritik erwarte oder diese ihr ohnenhin nicht ausreichen werde. Zudem betont der europapolitische Sprecher, dass das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Mitgliedstaats in der EU nicht gelte. In Ungarn liege einiges im Argen.
Die Pressemeldung im Wortlaut:
„05.05.11 – 524
Merkel muss Orbán kritisieren
AG Angelegenheiten der Europäischen Union
Anlässlich des Besuchs des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Deutschland erklärt der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Michael Roth:
Der selbsternannte ungarische Revolutionär, Ministerpräsident Viktor Orbán, meldet sich heute bei Bundeskanzlerin Merkel zum Rapport. Ob nun die Verfassungsänderung, das Mediengesetz oder die Beschneidung des Verfassungsgerichtes, Orbán wird wohl auch dieses Mal von seiner EVP-Parteifreundin Angela Merkel keine kritischen Worte zu hören bekommen. Die sind aber dringend nötig.
Die rechtskonservative Politik Orbáns ist geprägt von einer übereilten, forschen Gesetzgebung, die auch bei grundlegenden Fragen der Politik kein ernsthaftes Interesse zeigt, die Opposition und kritische Teile der Zivilgesellschaft einzubeziehen. Besonders bedenklich waren aus unserer Sicht die Mediengesetzgebung und der Verfassungsgebungsprozess. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes gilt in der EU dezidiert nicht. Im Gegenteil: es gibt die Pflicht zur Einmischung. Insbesondere dann, wenn ein befreundetes Partnerland den Vorsitz in der Europäischen Union innehat.
In Ungarn liegt einiges im Argen. Wir schließen uns ausdrücklich Staatsminister Werner Hoyer (FDP) an, der sich wiederholt kritisch zu Entscheidungen der Orban-Regierung geäußert hat. Aus Hoyers Sicht ist die Vereinbarkeit von Teilen der Verfassung mit EU Prinzipien zweifelhaft. Recht hat er. Ein „Glaubensbekenntnis“ gehört in die Kirche, aber nicht an den Anfang einer Verfassung. Zumal dort viel vom Heiligen König und der Heiligen Krone, aber wenig von Ungarns Zukunft in einem vereinten Europa die Rede ist. Die rückwärtsgewandte Ideologie einer Partei und ihres nationalkonservativen Milieus wird zum Leitgedanken einer Verfassung erhoben. Diese Verfassung spaltet, sie versöhnt nicht. Und letzteres wäre in Ungarn dringend nötig. Durch die Neuerungen kommt aber nicht nur der europäische Gedanke unter die Räder, sondern mit ihm werden auch große Bevölkerungsgruppen, wie etwa Alleinerziehende, Nicht-Christen, Intellektuelle oder Homosexuelle faktisch an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Nicht zu vergessen die Pressefreiheit, deren Einschränkung der Auslöser der europaweiten Kritik war.
Ungarn ist leider kein Einzelfall: Die Erosion von Demokratie und europäischen Grundwerten ist auch andernorts zu beobachten. Auch in anderen EU-Staaten werden Minderheiten diskriminiert. In Italien geht es der Berlusconi-Regierung schon lange nicht mehr um Politik, sondern um den Machterhalt einzelner Cliquen. Die Wahlgewinne von Rechtspopulisten in vielen Partnerländern, jüngst in Finnland, geben Anlass zu großer Sorge. Daher wären deutliche Worte und konkrete Taten der Kanzlerin überfällig. Wir fordern sie dazu auf.“
http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,56689,00.html