Proteste gegen Widerruf des Privilegs der Frührente

Die Tagesschau berichtet über Proteste gegen die ungarische Regierung. Tausende machten ihre Ablehnung gegen die Pläne der Regierung kund, die weitreichenden Frühverrentungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst rückwirkend zu entziehen. Die Regierung plant durch die umstrittenen Maßnahmen, die Beschäftigungsquote in Ungarn, die deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt, zu steigern.

http://www.tagesschau.de/ausland/ungarn258.html

An den Demonstrationen nahmen auch rechtsradikale Gruppen, die der Oppositionspartei „Jobbik“ (Bewegung für ein besseres/rechteres Ungarn) nahe sthen, teil. Die Organisatoren der Proteste hatten es abgelehnt, sich von rechtsradikalen Teilnehmern zu distanzieren.

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Gyöngyöspata: Verurteilungen bringen oppositionelle Kreise in Rage

Tamás Eszes, Chef der selbsternannten Bürgerwehr „Véderö“ (Wehrmacht), die vor einigen Wochen durch ihr Auftreten im Ort Gyöngyöspata für Angst in der Romabevölkerung und internationales Aufsehen gesorgt hatte, wurde laut Presseberichten von einem Gericht in Gyöngyös wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Eszes habe während seiner Festnahme Polizeibeamte beleidigt und geschlagen. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit beträgt vier Jahre. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Nach dem oben verlinkten Bericht des Pester Lloyd wertete das Gericht mehrere Vorstrafen von Eszes (Körperverletzung, Verleumdung und Steuerhinterziehung) als strafschärfend.

Die schon wenige Wochen nach der Tat ausgesprochene Verurteilung wirft ein grundsätzlich positives Licht auf das zuständige Gericht. Es wurde eine Haftstrafe ausgesprochen, dies noch dazu in recht kurzer Zeit. Gleichwohl wird der Sachverhalt von oppositionellen Kreisen zum Anlass genommen, erneut das Bild einer „Zwei-Klassen-Justiz“ zu zeichnen .

Der Pester Lloyd greift in diesem Zusammenhang einen empörten Blogbericht auf, demzufolge die bislang unbescholtene Angehörige der Roma-Minderheit in Gyöngyöspata nun wegen eines Zwischenfalls in Haft müsse („Zwei Urteile: Bewährung für vorbestraften Nazi, Haft für unbescholtene Roma„).

Was war geschehen? Im Zuge der angespannten Situation in Gyöngyöspata hatte die Romni eine Frau tätlich angegriffen, die sich – so der Pester Lloyd – abwertend über Roma geäußert habe.

Das zuständige Gericht verurteilte die Romni im Mai 2011 u.a. wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe. Deren Höhe soll nach obigem Bericht (inkl. Verfahrenskosten) 380.000 Forint (ca. 1.400 EUR) betragen. Die Strafe selbst beträgt 250.000 Forint, also ca. 900 EUR. Die Angeklagte nahm das Urteil an, sodass es rechtskräftig wurde. Sie ist jedoch offenbar nicht in der Lage, den Zahlungsauflagen rechtzeitig nachzukommen, weshalb sie – so der Pester Lloyd und der o.g. Blog – nun eine so genannte  „Ersatzfreiheitsstrafe“ antreten müsse. Beide Medien empören sich nun über den Umstand, dass eine bislang unbescholtene Romni in Haft müsse, ein vorbestrafter Neonazi jedoch Bewährung erhalte, ergo: auf freiem Fuß bleibe. Der Pester Llloyd: „Wir halten es für unerträglich, den Neonazis die Genugtuung zu Teil werden zu lassen, eine Roma wegen ihrer Überreaktion auf deren abscheuliche Aktion im Gefängnis zu sehen, während ihr Anführer quasi ungeschoren davon gekommen ist.“

Offenbar wird derzeit Geld für die Verurteilte gesammelt, um ihr die Ersatzhaft zu ersparen.

Die Empörung der beiden Medien über die scheinbare Zweiklassenjustiz ist unbegründet. Zunächst ist festzuhalten, dass im direkten Vergleich der Rechtsfolgen der Véderö-„Anführer“ Eszes – zu Recht – mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten keineswegs „ungeschoren davonkam“, sondern die deutlich härtere Strafe erhielt als die Romni, die lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.  An dieser Tatsache kann auch der Umstand nichts ändern, dass  bei Nichtzahlung einer rechtskräftig verhängten Geldstrafe diese in „Ersatzhaft“ umgewandelt wird. Dies ist – jedenfalls in der gesamten EU – nichts Außergewöhnliches (zur Rechtslage in Deutschland vgl. hier). Nicht durchsetzbare Geldstrafen müssen von den Verurteilten im Wege der Haft abgebüßt werden, dies freilich nur, wenn – wie es im Regelfall erfolgen wird – keine Ratenzahlung gewährt wird und der Verurteilte mehreren Aufforderungen, die Geldstrafe zu tilgen, ohne Entschuldigung nicht nachkommt. Ob die Romni überhaupt Ratenzahlung beantragt hat, teilt der Pester Lloyd jedoch nicht mit – die Hysterie wäre bestenfalls dann gerechtfertigt, wenn man ein entsprechendes Gesuch grundlos abgelehnt hätte.

Der in obigen Berichten erweckte Eindruck von (so ein Kommentator im o.g. Blog) „Zwei-Rassen-Justiz“ ist folglich böswillig und falsch. Es versteht sich europaweit von selbst, dass Geldstrafen, wenn sie ohne Entschuldigung nicht bezahlt werden, zu einer Ersatzhaft führen. Dies sieht die ungarische Presse offenbar ähnlich: Soweit ersichtlich, widmet sie dem vermeintlichen „Justizskandal“ bis heute keine gesteigerte Aufmerksamkeit. Sollte man auf Ersatzhaft verzichten, wären Geldstrafen bei Mittellosen oder – was öfter vorkommt – Zahlungsunwilligen wirkungslos, es könnten nur die härteren Freiheitsstrafen verhängt werden. Das Gericht hätte also offenbar, um dem Gerechtigkeitsempfinden des Pester Lloyd gerecht zu werden, die bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Romni zu einer (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe verurteilen müssen. Dies wäre – aus juristischer Sicht – jedoch überzogen und hätte zweifellos ebenfalls zu einem Aufruhr der oppositionellen Presse geführt. Leichte Körperverletzungen werden bei Ersttätern kaum mit Freiheitsstrafen geahndet.

Nachtrag vom 19.06.2011:

Zwischenzeitlich hat sich der Verteidiger, Dr. Péter Dániel, zu Wort gemeldet. In einer längeren Notiz via Facebook (abrufbar über die Gruppe „Százezren Gyöngyöspatáért“) rechnet der betont regierungskritische Dániel, der seit 2009 auch eine politische Karriere anstrebt, mit den Beteiligten des Strafverfahrens, der Polizei und der ungarischen Regierung ab. Man habe seine Mandantin in Handschellen abgeführt, obwohl sie keinen Widerstand geleistet habe. Die Familienmitglieder seien durch Polizeihunde verletzt worden. Danach habe man der Beschuldigten zu Beginn der polizeilichen Vernehmung das Recht auf einen Anwalt verweigert. Dem Staatsanwalt wirft Péter „rassistische Bemerkungen“ während der Verhandlung vor, die nur „auf ausdrücklichen Wunsch“ des Verteidigers in das Protokoll aufgenommen worden seien. Man habe überdies versucht, die Anwesenheit der Familie der Angeklagten durch Polizeihunde zu verhindern. Der Anklagevorwurf habe sich – so der Anwalt – nicht zweifelsfrei bestätigt, das Opfer selbst hätte zugegeben, dass es nur auf die Bitte der (so Dániel) „rechten Schmutzmedien“ eine „Komödie“ gespielt habe.

Trotz allem sei das „unbegründete und rechtsverletzende Urteil“ auf ausdrücklichen Wunsch seiner Mandantin und ihrer Familie akzeptiert worden.