Pressemitteilung der EU-Kommission:
„Brüssel, 29. September 2011 – Die Europäische Kommission hat Ungarn aufgefordert, eine spezielle Umsatzsteuer für Telekom-Betreiber abzuschaffen, die im Oktober 2010 eingeführt worden war. Nach Auffassung der Kommission verstößt diese Steuer gegen das Telekommunikationsrecht der EU, da diese Steuereinnahmen in den Gesamthaushalt fließen und nicht zur Deckung der Kosten für die Regulierung des Telekom-Sektors eingesetzt werden.
Weiter ist Ungarn auch nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, die interessierten Parteien in geeigneter Weise zu allen Änderungen der den Telekom-Betreibern auferlegten Abgaben zu hören.
Die Abgabensätze für Telekom-Betreiber liegen, je nach dem Gesamtumsatz (ohne Mehrwertsteuer), zwischen 0 % and 6,5 %.
Die Aufforderung der Kommission an Ungarn, die Telekom-Steuern abzuschaffen, ergeht in Form einer „mit Gründen versehenen Stellungnahme“ im Rahmen des EU-Vertragsverletzungsverfahrens. Ungarn hat jetzt zwei Monate Zeit, um der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen es zur Einhaltung der EU-Telekommunikationsvorschriften getroffen hat. Andernfalls kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen.
Hintergrund
Die Kommission leitete im März 2011 wegen der Telekom-Steuer ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein (siehe IP/11/308).
Die EU-Vorschriften im Telekommunikationsbereich, insbesondere Artikel 12 der „Genehmigungsrichtlinie“ (2002/20/EG), sehen präzise Regeln für Verwaltungsabgaben vor, die Mitgliedstaaten zugelassenen Betreibern von Telekommunikationsdiensten oder Telekommunikationsnetzen auferlegen können. Telekom-Betreibern dürfen nur Abgaben zur Deckung bestimmter administrativer und mit der Regulierung zusammenhängender Kosten auferlegt werden. Diese müssen objektiv, transparent und verhältnismäßig sein und gegebenenfalls angepasst werden. Ferner müssen alle interessierten Parteien in geeigneter Weise zu Änderungen der Abgaben gehört werden.
Im März 2011 verklagte die Kommission Spanien und Frankreich vor dem Gerichtshof der EU, weil sie Abgaben von Telekom-Betreibern erheben, die gegen das Telekommunikationsrecht der EU verstoßen (IP/11/309).“
HV, ich geniesse die juristische Kompetenz, die in Ihren Zeilen mitschwingt – aber wie bewerten Sie die bereits erfolgte Reaktion von Fidesz, es auf ein Verfahren ankommen lassen zu wollen? Hat das Chancen – warum überhaupt ist diese EU-Abgabenregelung so gestaltet worden – wie vergleicht sich der ungarische Fall mit dem spanischen und französischen?
@ Kálnoky: Ich möchte nur ungern den Ruhm einheimsen, der anderen gebührt. Die Zeilen stammen direkt aus der Pressemeldung der Kommission.
Die Reaktion von Fidesz halte ich für nachvollziehbar. Die Kommission erhebt viele Klagen, manchmal bekommt sie Recht, manchmal nicht. Es gibt nur wenige Fälle, in denen Mitgliedstaaten im Rahmen des Vorverfahrens „nachgeben“, zumeist lassen sie es auf ein Verfahren ankommen. Was die Rechtsfrage berifft: Ich weiß nicht so recht, was ich von der Auffassung der Kommission halten soll. Art. 12 der besagten Richtlinie 2002/20/EG sieht zwar vor, dass „Verwaltungsabgaben“ zweckgebunden dem Telekombereich zugute kommen müssen. Die Kernfrage wird also sein, ob „Verwaltungsabgaben“ in diesem Sinne auch Steuern sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass man diese Frage auch verneinen kann…denn die Steuerhoheit ist bei den Mitgliedstaaten. Nach der Logik der Kommission dürften Telekomunternehmen nicht besteuert werden. Eine so große Reichweite der RL 2002/20/EG würde mich verwundern. Auch die Erwägungsgründe sehen für mich eher so aus, als seien mit „Verwaltungsabgaben“ die Kosten für die Zulassung zum Telekommunikationsmarkt bzw. zu den Netzen gemeint. Dafür spricht ggf. auch, dass die Verwaltungsabgaben in Art. 12 im Zusammenhang mit den „Regulierungsbehörden“ genannt werden.
Art. 12 der Richtlinie im Wortlaut:
„Verwaltungsabgaben
(1) Verwaltungsabgaben, die von Unternehmen verlangt werden, die aufgrund einer Allgemeingenehmigung einen Dienst oder ein Netz bereitstellen oder denen ein Nutzungsrecht
gewährt wurde,
a) dienen insgesamt lediglich zur Deckung der administrativen Kosten für die Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung von Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten sowie der in Artikel 6 Absatz 2 genannten besonderen Verpflichtungen, die die Kosten für internationale Zusammenarbeit, Harmonisierung und Normung, Marktanalyse, Überwachung der Einhaltung und andere Marktkontrollmechanismen sowie für Regulierungstätigkeiten zur Ausarbeitung und Durchsetzung des abgeleiteten Rechts und von Verwaltungsbeschlüssen, beispielsweise von Beschlüssen über den Zugang und die Zusammenschaltung, einschließen können,
und
b) werden den einzelnen Unternehmen in einer objektiven, verhältnismäßigen und transparenten Weise auferlegt, bei der die zusätzlichen Verwaltungskosten und zugehörigen Aufwendungen auf ein Mindestmaß reduziert werden.
(2) Erheben die nationalen Regulierungsbehörden Verwaltungsabgaben, so veröffentlichen sie einen jährlichen Überblick über ihre Verwaltungskosten und die insgesamt eingenommenen Abgaben. Entsprechend der Differenz der Gesamtsumme der Abgaben und der Verwaltungskosten werden entsprechende Berichtigungen vorgenommen.„