Index.hu hat heute eine Statistik über die Rolle des amtierenden ungarischen Staatspräsidenten Pál Schmitt (offiziell auch weiterhin: „Präsident der Republik“) veröffentlicht. Hiernach bestätigt sich die von Beginn an bei Kritikern vorherrschende Befürchtung, Schmitt werde keine aktiv korrigierende Funktion bei der Gesetzgebung übernehmen, voll und ganz.
Binnen seiner nunmehr etwa eineinhalbjährigen Amtszeit unterschrieb Schmitt 319 Gesetze. Kein einziges wurde von ihm im Rahmen seiner Befugnisse an das Parlament zurückgeschickt (zur erneuten Debatte), auch leitete Schmitt keine einzige Vorab-Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht ein.
Die Bilanz Schmitts ist damit vor allem gegenüber seinem unmittelbaren Vorgänger, dem früheren Präsidenten des Verfassungsgerichts, László Sólyom, bemerkenswert ernüchternd. Während Sólyom die Legislative mit wachem Auge begleitete (31 Gesetze an das Parlament zurückgesendet, 16 initiierte Kontrollen durch das Verfassungsgericht) und sich damit weder bei den Regierungen Gyurcsány, noch Bajnai oder Orbán besonders beliebt machte, wirkt die Tätigkeit Schmitts lethargisch, ideologisch durchsetzt und stromlinienförmiger als jede andere Präsidentschaft zuvor: Kein Ausscheren aus der eigenen Reihe erwünscht.
Die Konsequenz: So lange Schmitt Präsident ist, wird das Mittel der präventiven Normenkontrolle von Gesetzen (d.h. deren Prüfung vor der Verkündung) kein praktisch relevantes Mittel zur Kontrolle der Gesetzgebung mehr darstellen. Zwar sieht das Grundgesetz eine solche Möglichkeit vor, die „normative Kraft des Faktischen“, die diesbezügliche Untätigkeit des Präsidenten, wird sich jedoch nicht überwinden lassen.
Im Rückblick wirft die Lethargie Schmitts kein fachlich gutes Bild auf ihn: Einige der Gesetze, die er unterschrieb – unter anderem das im In- und Ausland vielkritisierte Mediengesetz, die rückwirkende Besteuerung von Abfindungen, die Strafprozessreform u.a. – wurden vom Verfassungsgericht zwischenzeitlich ganz oder teilweise kassiert. Selbst die Beschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts im Haushaltsbereich (keine Prüfung am Maßstab des wichtigsten Grundrechts, der Eigentumsgarantie) war ihm keine kritische Betrachtung wert.
Zwar kann kein Präsident (auch nicht der Bundespräsident der BRD) dazu gezwungen werden, dem Prüfungsmonopol des Verfassungsgerichts vorzugreifen, es hätte ihm und der ungarischen Demokratie aber sehr gut zu Gesicht gestanden, die in allen o.g. Fällen öffentlich und heftig geäußerte Kritik zum Anlass eigener Prüfung zu nehmen. Auch das Bild eines von Demokratieabbau bestimmten Landes hätte sich damit gegebenenfalls abmildern lassen.
Es ist, gerade bei einer bestehenden 2/3 Regierungsmehrheit und die damit – letztlich vom Wähler selbst gewollte – Beschränkung der Rolle der Opposition im Sinne von „checks & balances“ wünschenswert, wenn sich der Präsident als reifer Gestalter und Korrektiv, nicht als Öl im Getriebe einer auf Hochtouren laufenden Gesetzgebungsmaschine versteht. Die von Schmitt schon bei seinem Antritt sich selbst zugeschriebene Rolle (er wollte keine „Hürde“ für die Gesetzgebung sein, sondern „Motor“) macht eine Änderung der Verhältnisse unwahrscheinlich.
http://index.hu/belfold/2012/01/07/schmitt_pal_allja_a_szavat/
Nachtrag:
Auch hier wieder „Merkwürdigkeiten“ bei der Öffentlichkeitsarbeit. Seit einiger Zeit ist die Unterzeichnungspraxis von Mádl, Sólyom und Schmitt von der Parlamentsseite verschwunden. Nur noch die „Bilanz“ von Árpád Göncz ist sichtbar.