Drohungen gegen Richter: „Demokratie“ à la MSZP ante portas?

Der MSZP-Abgeordnete Gergely Bárándy hat laut Bericht des Internetportals Index.hu  in einer am Freitag herausgegebenen Mitteilung verkündet, seine Partei werde „nach dem Scheitern der Orbán-Regierung alle ihre Kraft, ihren Einfluss und ihr Wissen dafür einsetzen, die an die Spitze und die Leitung unabhängiger Einrichtungen delegierten „Parteikommissare“ von ihren Posten entfernt werden, egal wie lange ihre Mandate offiziell auch lauten mögen; wer seine Tätigkeit nachweislich auf politische Anweisung hin vollbringe, werde zur Verantwortung gezogen werden.

Ähnliche Drohungen hatte auch Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány bei seiner Einvernahme in der Sukoró-Affäre gegenüber den ermittelnden Staatsanwälten ausgesprochen.

Die Ungarische Richtervereinigung (Mabie) reagierte auf die Wort Bárándys wie folgt: „Es ist ein in mehr als 20 Jahren Demokratie in Ungarn  beispielloser Vorgang, dass ein Parlamentsabgeordneter, ein Mitglied des Rechtsausschusses, unter dem Vorwand der Verteidigung der Justiz Richter, die nur dem Gesetz unterworfen sind, als Politkommissare bezeichnet und ihnen droht, man werde sie zur Verantwortung ziehen.“

Die Richtervereinigung rief die Partei auf, man solle Bárándy zur Ordnung rufen und dafür sorgen, dass er künftig von Stimmungsmache gegen die Richterschaft Abstand nimmt.

Werbung

11 Kommentare zu “Drohungen gegen Richter: „Demokratie“ à la MSZP ante portas?

  1. Die Worte Bárándys sind alles andere als hilfreich und die o.g. Richtervereinigung sagt mir leider nichts. Ich fürchte nur, dass auch die Richterschaft in Ungarn nicht ganz frei vom Lagerdenken ist.
    Sagen wir mal so: Wenn eine politische Kraft in einem extrem polarisierten politischen Klima wie dem in Ungarn nahezu alle Führungspositionen im Staat wie in den staatsnahen, von öffentlichen Geldern abhängigen Bereichen neu besetzt, trägt das nun mal dazu bei, dass die Oppositionsparteien und ihre marginaliserte Klientel den Wunsch entwickeln, dies möglichst rückgängig zu machen.
    Da dreht sich eine Spirale genährt von Sendungsbewusstsein auf der einen Seite und Ohnmachtsgefühlen auf der anderen Seite. Dem kann Ungarn nur entrinnen, wenn die neuen Spitzen in der Judikative, bei der Medienbehörde usw. sich über einen längeren Zeitraum als wirklich unabhängig gegenüber politischen Einflüssen erweisen und wenn mögliche künftige Regierungen anderer Färbung die Größe haben, dies anzuerkennen.
    Meine These ist inzwischen, dass die Schärfe der politischen Auseinandersetzung in Ungarn sehr viel damit zu tun hat, dass es um mehr geht, als um politische Programme. Es geht im großen Stil um Posten, Prestige, Zugang zu Subventionen und damit um Karrieren, Lebenschancen, mitunter sogar um Existenzen. Die für das Funktionieren der Demokratie unerlässliche gegenseitige Rücksichtnahme von Mehrheiten und Minderheiten wird dadurch stark beeinträchtigt.

    • Lieber Ungarnfreund,
      es ist – und das seit 20 Jahren – offenkundig, dass es in keinster Weise mehr um „politische Programme“ geht. In den maßgeblichen Fragen bestand zwischen Fidesz und MSZP über Jahre hinweg kein allzu großer Unterschied.

      Selbstverständlich geht es hier, wie viele es zutreffend schreiben, um den Kampf der Eliten, oder anders: die politische und wirtschaftliche Führung des Landes nebst einer ungeheuren Zahl von Mitläufern und Speichelleckern. Die unterschiedliche Weltanschauung erscheint mir oft nur als Mittel zum Zweck, möglichst viele Menschen um sich herum zu scharen. Warum klappt das? Weil Teile der ungarischen Gesellschaft ihr eigenes Schicksal an der Couleur der politischen Führung festmachen. Der politische Gegner ist Feind, weil er die eigene Existenz bedroht.

      Bereits der nationale Runde Tisch hat den Anfang gemacht. Da ging es scheinbar um Ausgleich, doch eben auch darum, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Wem das gelang, ist kein Geheimnis. Leider hat sich die Lage nicht entspannt, sondern durch das Verhalten aller politischen Akteure immzu nur verschärft.

      Dass eine 2/3-Mehrheit so weitermacht, ist bitter. Aussagen wie die obigen zeigen aber, dass man von der MSZP nicht viel mehr zu erwarten hat. Das wiederum interessiert hierzulande niemanden. Für das Ausland ist all das ein bloßer Kampf der Weltanschauungen, und da sind Linke einfach sympathischer als Rechte – weil sie sich europäischer geben, aber nicht „sind“.

      • sehr verehrter hv,

        „Aussagen wie die obigen zeigen aber, dass man von der MSZP nicht viel
        mehr zu erwarten hat.“

        diese beschreibung stößt bei mir auf etwas unbehagen. derart formuliert
        nehmen sie nun die ganze mszp in sippenhaft und erschweren somit
        natürlich eine mögliche annäherung, was, soweit ich dies zu beurteilen
        überhaupt in der lage bin, nicht im sinne dieses blogs liegen dürfte.

        das a b b a u e n globalisierter feindbilder wäre der sache bestimmt
        dienlicher.
        —————————————————————-
        http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppennarzissmus
        —————————————————————–
        betrachtet man bei folg. interview den körperlichen ausdruck des
        interviewten, kann man feststellen, welche anspannung in kreisen der
        fidesz herrscht und herrschte. ich befürchte leider die allgemeine lage
        lässt – mangels bereitschaft das lagerdenken aufzugeben – nicht so
        schnell ändern.

        http://atv.hu/cikk/video-20120104_deutsch_tamas


        Aristoteles: „Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave.“

      • Die Aufregung von Tamás Deutsch halte ich für berechtigt. Er wurde wegen seiner vulgären Ausdrucksweise auf Twitter von der Moderatorin Olga Kálmán zu Recht gerügt und sogar ziemlich „überfahren“. Das, was dieser EU-Abgeordnete tut, ist peinlich, beschämend. Wie er sich dazu erklärt, ist erbärmlich. Deutsch ist der personifizierte Beleg für den erbärmlichen Zustand des politischen Diskurses in Ungarn. Nicht der einzige, jedenfalls aber der vulgärste.

        Kennen Sie den ehemaligen Berater von Ferenc Gyurcsány, Zsolt Gréczy? Wer sich über Unversöhnlichkeit der beiden Lager unterhält, kommt an ihm nicht vorbei.

    • Das ist ein wichtiger Punkt, der mich auch seit längerer Zeit beschäftigt. Vielleicht gibt es ja eine spezielle „politische Soziologie kleiner, zentralistischer Länder“. In Deutschland können Eliten zirkulieren, von der Landes- in die Bundespolitik und umgekehrt, wenn Wahlen verloren gehen. Dass heißt, dass beim wechseln der Regierung die Verlierer nicht unbedingt vor dem Verlust ihrer Existenz stehen und die Politik damit zum Nullsummenspiel wird. Ungarn ist zwar klein, aber auch Österreich ist ein Bundesstaat. Natürlich ist der Vorschlag einer Föderalisierung Ungarns völlig utopisch – die meisten Ungarn sind vermutlich dagegen – aber immerhin ein interessantes Gedankenspiel. Zudem: Das Berufsbeamtentum wird oft geschmäht, bedeutet aber in diesem Zusammenhang eine bestimmte Pazifizierung von Regierungswechseln.

  2. Herr Boulanger, das ganze Schlamassel ist ja entstanden, weil in Ungarn eine „Säuberung“ auf allen Ebenen stattfindet.
    Und mit Österreich kann man Ungarn nicht vergleichen.
    Nach der Wende 2000 hatte ich als recherchierender Journalist mit dem Sprecher des FPÖ Justizministers zu tun und kann mich erinnern, keinen Unterschied zu seinen Vorgängern gemerkt zu haben. D.h. die Arbeit ging weiter wie zuvor. In Ungarn hat eine „Wahlkabinenrevolution“ stattgefunden und da wurden sehr viele fähige Leute aus der Administration herausgeschmissen, nicht nur bei den staatlichen Medien.
    Wenn man bemerkt, wie in Ungarn die Richter über 62 in die Rente geschickt werden, dann sieht man den Unterschied zu Österreich.
    Und in Österreich werden jetzt nur ganz wenige Beamte pragmatisiert, die meisten sind Vertragsbedienstete.

    HV der dajtstomi ist der Pausenclown von Fidesz und als solcher wurde er nach Brüssel abgeschoben. Daraus, dass seine Kumpanen sich nicht von ihm distanzieren, kann man schliessen auf die Mentalität von Orbán & Co. Und wie ich schon anderswo schrieb ist er auch nützlich, denn man kann ja immer auf ihn verweisen und der dajtstomi ist ja auch ein gefälliger Kerl, er wieder liefert Orbáns gutem Freund dem „Fäkalantisemiten“ Zsolt Bayer einen Persilschein.
    Armes Land.

  3. g.stillt
    Natürlich könnte es ein reiches Land sein, aber im Moment ist es ein sehr armes. Man muss nur anschauen wie Ungarn ihr Geld hier deponieren, um zu sehen welche wirtschaftliche und politische Krise das Land im Griff hält.
    Wie schon der schweizer Historiker Karl Jakob Burckhardt sagte man soll das beste hoffen aber auf das schlimmste vorbereitet sein.

  4. @ Christian Boulanger: Zweifellos könnte ein Berufsbeamtentum langfristig zur Pazifizierung beitragen. Aber könnte man das unter den gegebenen Umständen friktionslos einführen? Man müsste die Unkündbarkeit und quasi-automatische Karrieren im öffentlichen Dienst gesetzlich festschreiben. Was wäre wohl derzeit die Antwort der Opposition? Es würde heißen: da werden wieder die Verhältnisse einbetoniert; Fidesz macht seine eigenen Leute unkündbar und sichert seine Macht auf Dauer. Das Problem ist strukturell dem der Wahl von Amtsträgern mit 2/3-Mehrheit durch das Parlament vergleichbar. Unter normalen Verhältnissen bietet dieses Quorum – kombiniert mit langen Amtszeiten von 9-12 Jahren die Gewähr dafür, dass sich Regierung und Opposition einigen müssen und die gewählten Amtsinhaber einigermaßen unabhängig agieren. Nur haben wir in Ungarn derzeit keine „normalen Verhältnisse“, sondern eine Sondersituation, in der alle Macht bei einer politischen Kraft liegt und die Opposition die Personalpolitik der Regierung nur von massivem Misstrauen begleitet, ohnmächtig beobachten kann.

  5. @Ungarnfreund: Das war jetzt kein Versuch von mir, die Einführung des Berufsbeamtentums in Ungarn zu bewerben 😉 Mein Interesse ist hier rein soziologisch, d.h. ich versuche zu verstehen, wie man unterschiedliche Entwicklungen in Verschiedenen Ländern erklären kann, mit Blick auf das weiter oben gemachte Argument, dass es in Ungarn nicht nur oder nicht einmal in erster Linie um ideologische Unterschiede, sondern (auch) – eine eigentlich banale Einsicht – um Posten, Lebenschancen und Machtstreben geht – wie überall übrigens. Deswegen sind klug gestaltete Institutionen und Regeln so wichtig, dass sie nämlich den menschlichen Eigennutz zumindest teilweise in Richtung Allgemeinwohl lenken. Wie sie richtig feststellen, können aber die selben Regeln vor unterschiedlichem politischem Hintergrund sehr unterschiedlich wirken. Wir hatten dazu ja schon eine Debatte anlässlich der Einschränkung der Zugangsmöglichkeiten zum Verfassungsgericht.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s