HVG.hu: Interview mit Verfassungsgerichtspräsident Péter Paczolay

Die ungarische Wochenzeitung HVG veröffentlicht in ihrer Online-Ausgabe ein längeres Interview mit Verfassungsgerichtspräsident Péter Paczolay:

http://hvg.hu/itthon/20120102_Paczolay_Alkotmanybirosag_interju

„Das Verfassungsgericht geriet in Anbetracht der im Parlament bestehenden 2/3-Mehrheit in eine völlig neue Situation, die in den Jahren 2010 und 2011 mehrmals die Arbeit des Gremiums erschwerte, es gab sogar eine Phase, in der es um die Unabhängigkeit und die Existenz des Gremiums ging. Die Arbeit des Parlaments zeigte in den vergangenen eineinhalb Jahren das Fehlen einer Verfassungskultur auf, und diese drang sogar durch die Wände des VerfG in dieses hinein. Der Präsident hätte es befürwortet, wenn man die Frage der Rentenverstaatlichung noch im Jahr 2011 hätte abschließen können, im Gericht gab es für eine solche Entscheidung jedoch keine Mehrheit: das auf 15 Mitglieder erweiterte Gremium entscheidet auch in anderen Fragen schwerfälliger. Péter Paczolay gibt nach mehr als einem halben Jahr erstmals wieder ein Interview, er spricht mit hvg.hu über seine Enttäuschungen, seine Hoffnung und über Erfolge.“

Leider fehlt mir im Moment die Zeit für eine Übersetzung des sehr langen Beitrags, der ungarisch Lesende sollte sich den Beitrag aber in keinem Fall entgehen lassen.

Eine Ausnahme, aus fachlichen Gründen, aufgrund der hier im Blog geführten Diskussion zur angeblich „verschlossenen Tür zum Verfassungsgericht“ ein kurzer Ausschnitt zum Thema „actio popularis“:

hvg.hu: Der erste Präsident des Verfassungsgerichts, László Sólyom sagte, dass er sogar über einen Antrag entscheiden würde, der auf einem Stück Käseverpackung stehen würde. Sie hatten im vergangenen Jahr der Kommission zur Vorbereitung der Verfassung vorgeschlagen, man solle die Beschränkung der Antragsmöglichkeiten erwägen, die jedermann offen stehen. Warum haben Sie sich für die Einschränkung der Poplarklage eingesetzt?

P. P.: Ich halte die Einführung der Verfassungsbeschwerde und die parallele Beschränkung der Popularklage keinesfalls für eine Beschränkung der Kompetenzen des Gerichts, eher für eine Umgestaltung – diesen Standpunjkt vertrete ich schon seit Jahren. Die Möglichkeit, Anträge zu stellen, obwohl man in keiner Weise betroffen oder in seinen Rechten verletzt ist, ist weltweit einzigartig. Obwohl die Popularklage als solche in sechs Ländern existiert, ist ihre Reichweite geringer, als bei uns. Wesentlich ist, dass das Verfasungsgericht bei Vorbereitung der Verfassung den Standpunkt vertreten hatte, dass Anträge nur bei Bestehen eines persönlichen Rechtsschutzbedürfnisses möglich sein sollten, es ging nicht um die vollständige Abschaffung der Popularklage. Das Gremium hat selbst darüber beraten, aber die Mehrheit entschied sich gegen die so weit reichende Beschränkung der Antragsteller (der Gesezentwurf häte nur der Regierung und einem Viertel der Abgeordneten des Parlaments ein Antragsrecht zugestanden, d.Red.). Am Ende wurde – auf Vorschlag der Venedig-Kommission – Gesetz, dass auch der Grundrechtbeauftragte eine Normenkontrolle beantragen darf. Die Verfassungsbeschwerde wird uns bei Vorliegen einer individuellen Rechtsverletzung vorgelegt werden, auch hierbei handelt es sich um eine Normenkontrolle, d.h. sie kann zur Nichtigerklärung eines Paragraphen führen. Es ist sehr wichtig, das nach dem neuen Gesetz das Verfassungsgericht selbst dann angerufen werden kann, wenn kein Gerichtsverfahren voranging (Anm. HV: Paczolay spricht hier von der Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde).“

 

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2 Kommentare zu “HVG.hu: Interview mit Verfassungsgerichtspräsident Péter Paczolay

    • 🙂 Ich habe das Thema „actio popularis“ übersetzt. Ich dachte, das stünde oben auf Ihrem Wunschzettel…

      Paczolay äußert sich zu Pokol im Wesentlichen so: Pokol sei seit 20 Jahren als Vertreter eines „radikalen demokratischen“ Ansatzes bekannt, dies schon aus seinen Publikationen und – seit seiner Mitgliedschaft im VerfG – durch seine Sondervoten. Pokol vertrete den Ansatz des „Primats des Parlaments“.

      Meine Einschätzung: Pokol ist mit diesem Ansatz ein Einzelkämpfer und wird dies auch bleiben. Nichtsdestotrotz ist er ein bekannter Verfassungsrechtler.

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