Jobbik-Veranstaltung: EU-Fahne verbrannt

Auf einer Veranstaltung der im Parlament vertretenen rechtsradikalen Partei Jobbik wurde heute in Budapest eine EU-Fahne verbrannt. Auf der Veranstaltung sprachen unter anderem der im EU-Parlament sitzende (!) Jobbik-Abgeordnete Csanád Szegedi, der ungarische Parlamentsabgeordnete Elöd Novák sowie der Parteivorsitzende Gábor Vona.

Die Funktionäre bezeichneten insbesondere die Ermahnung der EU, im Zuge des laufenden Defizitverfahrens gegen Ungarn könnten auch EU-Fördergelder gestrichen werden, als feindlichen Akt und forderen ein Referendum über den Austritt aus der Union.

Die Polizei leitete wegen der Fahnenverbrennung Ermittlungen ein.

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LMP: András Schiffer gibt Fraktionsvorsitz ab

Der Vorsitzende der grün-alternativen LMP-Fraktion im ungarischen Parlament, András Schiffer, ist heute überraschend von sämtlichen Parteifunktionen und dem Fraktionsvorsitz zurückgetreten.

Schiffer begründete seinen Schritt damit, in der Fraktion gebe es keine ausreichende Unterstützung für „eigenständige politische Positionen“ . Zudem seien in den vergangenen Tagen mehrfach Interna nach außen getragen worden, was eine Vertrauenskrise hervorgerufen habe.

Schiffer will sein Parlamentsmandat weitr ausfüllen, jedoch seine Auftrite in der Öffentlichkeit auf ein Minimum beschränken.

http://hvg.hu/itthon/20120114_schiffer_lemondas

 

Ex-Notenbankchef Zsigmond Járai im Interview: Deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung

Zsigmond Járai, ehemaliger ungarischer Notenbankchef (2001-2007), wurde von der ungarischen Wirtschaftszeitung Világgazdaság interviewt. Járai war in der vergangenen Woche von seinem Posten als Vorsitzender des neu geschaffenen Haushaltsrates zurückgetreten. Járai übt Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung und fordert – mittelbar – die Ablösung von Wirtschaftsminister György Matolcsy.

http://www.vg.hu/gazdasag/gazdasagpolitika/jarai-szemelyi-valtozasokat-is-igenyel-egy-uj-gazdasagpolitika-366598

 

Jarai: Ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik verlangt auch personelle Umbesetzungen

Zsigmond Járai, Vorsitzender des Aufsichtsrates der ungarischen Notenbank, vertritt die Auffassung, dass das Land nur mit einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik aus der jetzigen Situation herauskommen kann. Er meint, das Land müsse 150 Prozent mit den EU-Vorschriften konform gehen, das Steuersystem müsse reformiert werden, zudem solle man die Notenbank trotz aller ihrer Fehler arbeiten lassen.

– Warum sind Sie vom Vorsitz des Haushaltsrates zurückgetreten?
– Wegen Inkompatibilität. Das neue Recht überträgt dem Haushaltsrat neue Aufgaben, und damit verträgt sich weder meine Tätigkeit im Aufsichtsrat der Notenbank, noch meine Arbeit im privaten Sektor. Der Haushaltsrat hat nun deutlich gewichtigere Aufgaben, als früher.

– Unter Ihrer Leitung votierte der Haushaltsrat für den Haushalt, dieser musste jedoch kurz vor seiner Verabschiedung doch noch einmal geändert werden. Was war los?
– Ich glaube noch immer, dass das Budget den Kriterien entspricht, gerade im Hinblick auf die aktuelle europäische und internationale Wirtschaftslage, ich würde sogar eine Wette darauf abschließen, dass das Defizit unter 3,0 % liegt. Die äußeren Einflüsse könnten sich noch verschlechtern, aber ich sehe, dass die Regierung verstanden hat: das Defizitziel von weniger als 3% muss gehalten werden, egal was passiert – ich hoffe aber, die Lage wird nicht noch schlechter.

– Die EU bezweifelt, dass die 3%-Grenze im Jahr 2013 gehalten wird.
– Aus gutem Grund, denn auf Grundlage der aktuellen Geschehnisse würde sie nicht gehalten werden, d.h. bis dahin wären neue Maßnahmen zu ergreifen. Die Schlüsselfrage in der ungarischen Wirtschaftspolitik wird sein: Den Haushalt in Ordnung bringen. Und ich glaube, man müsste eine grundlegende Änderung der Wirtschaftspolitik vollziehen, dies hat wohl schon begonnen. Ein Zeichen in diese Richtung ist die Anfrage an den Internationalen Währungsfonds, die andere, dass im verabschiedeten Haushalt eine Kürzung bei den Ausgaben von 4,5 % des BIP enthalten ist. Ich sehe, dass die Haushaltsphilosophie geändert wurde, man schreckt nicht vor Aufräumarbeiten zurück, genau das muss künftig fortgesetzt werden. Mehr als das, was für dieses Jahr bereits verabschiedet wurde, kann man meines Erachtens nicht erwarten, selbst das fortzuführen, wird schwierig. Für eine Erneuerung bedürfte es weiterer Dinge, welche die Regierung entweder selbst anstößt, oder aber zu denen sie von den internationalen Kapitalmärkten und internationaen Organisationen gezwungen werden wird.

– Was sind diese weiteren Schritte?
– Meiner Meinung nach muss der Haushalt strukturell in Ordnung gebracht und die Ausgaben auf rund 40 % des BIP gesenkt werden, und zwar so, dass sich zugleich das Gleichgewicht wiederherstellen lässt. Nur so wird die Finanzierung aufrecht zu erhalten sein. Ich halte einen neuen  gesellschaftlichen und ökonomischen Ausgleich für erforderlich, der mehrere Kernpunkte umfassen müsste. Hierzu gehört z.B. die Einigung mit den Betroffenen, die Konsultation geplanter Gesetzgebungsvorhaben, die die Wirtschaft betreffen, ein verbaler und faktischer Ausgleich mit ausländischen Unternehmern. Es lohnt sich nicht, diese anders zu behandeln als ungarische. Man muss ein investorenfreundliches Klima schaffen, in dem die Rechtssicherheit, die Vorhersehbarkeit, die Berechenbarkeit bestimmend sind. Das Notenbankgesetz ist entsprechend der Erwartungen (Anm.: der EU und des IWF) zu modifizieren, man muss die Nationalbank arbeiten lassen, wenn man auch mit einigen ihrer Schritte nicht einverstanden ist. Das Steuersystem muss geändert werden, es ist zu kompliziert geworden. Eine solche Wirtschaftspolitik braucht institutionelle und auch personelle Veränderungen, ich denke, man braucht im Bereich der Finanzierung der Wirtschaft mehr Spielräume, zugleich sollte man die Politik aus diesem Feld zurückdrängen. Die Sondersteuern sollten schnellstmöglich auslaufen, die administrativen Hürden für inländische Unternehmen gesenkt werden. Die Finanzinstitute, d.h. die Banken und die Börse, müssen reaktiviert werden, ihnen ist eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Unter den genannten Maßnahmen gibt es Punkte, die man innerhalb weniger Tage, und solche, die man innerhalb einiger Monate lösen kann.

– Denken Sie an die Wiedereinrichtung eines Finanzministeriums?
– Diese Frage gehört in den Zuständigkeitsbereich des Ministerpräsidenten.

– Stünden Sie als Minister zur Verfügung?
– Nein. Ich bewerbe mich um keine Machtposition mehr, um keine Funktion, aber ich helfe gerne mit Ratschlägen, sollte man mich fragen.

– Wird sich das Land mit dem IWF einigen?
– Ja. Ich glaube, die Einigung mit der EU im Bezug auf die Einhaltung des europäischen Rechts wird schwieriger. Diese Regelungen muss man nicht nur 100-prozentig, sondern zu 150% einhalten. In einer so schwierigen Situation wie der aktuellen kann es nicht sein, dass wir den Erwartungen nicht voll und ganz entsprechen. Wir müssen einen friedvolleren, offeneren Tonfall anschlagen.

– Wie kann es sein, dass sich das tatsächliche Defizit innerhalb von zwei Wochen so stark gegenüber dem von Ende 2011 verändert?
– Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber es zeigt, dass man den gesamten Staatsapparat auf solidere Füße stellen muss. Es könnte im konkreten Fall ein Prognosefehler sein, ich will das nicht schönreden, aber ich erinnere mich, dass sowas schön früher passiert ist. Wir brauchen auch deshalb eine neue Wirtschaftspolitik, weil mit den aktuell hohen Zinssätzen die Staatsfinanzierung auf Dauer nicht zu halten sein wird. Die Aufschläge sind so hoch, dass sie die Wirtschaft in eine Negativspirale hineinziehen könnten, und das darf man nicht zulassen. Am Beispiel Italiens: Dort gelang es, die Zinsaufschläge  innerhalb weniger Monate von 7% auf 3% zu senken. Letzteres entspricht etwa dem Stand in der Türkei oder in Polen.

(…)

– Verstehen Sie das italienische Beispiel so, dass man auch den Regierungschef abwechselt?
– Nein, ich wollte nur darauf hinweisen, dass ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik bei den Zinsaufschlägen zeitnah zu Ergebnissen führen kann. Hierzu könnten grundlegende institutionelle und personelle Änderungen erforderlich sein. Die Verhandlungen mit IWF und EU könnten hier für Schwung sorgen, aber es wäre noch besser, wenn wir nicht abwarten würden, was man uns diktiert, sondern wenn wir selbst den richtigen Weg beschreiten würden. Ich bin mir sicher, dass es dafür noch nicht zu spät ist, und wir aus eigener Kraft wieder aufstehen können. Mit einer guten Wirtschaftspolitik kann man einen Schuldenstand von 80% des BIP managen, ganz anders als fast 200 Prozent, wie in Griechenland.

– Was glauben Sie, weshalb die Finanzierungskosten so stark anseigen? Sind wir vom Staatsbankrott bedroht?
– Hierfür ist zum einen das äußere Umfeld verantwortlich, aber für uns ist es noch viel wichtiger, dass man kein Vertrauen in die bisherige Wirtschaftspolitik hat. Dafür gibt es mehrere Anzeichen, und die Kosten sind auf Dauer nicht auszuhalten. Allerdings droht vorläufig kein Staatsbankrott. Die Leistungsbilanz ist beispielweise positiv, obwohl der Preis dafür der Rückgang des ohnehin geringen inländischen Konsums ist. Im Haushalt gibt es auf Dauer nicht haltbare Elemente, aber die Grundtendenz stimmt, und die Reserven des Landes sind hoch. Die schlechte Risikoeinschätzung ist eindeutig auf die Vertauenskrise zurückzuführen.

– Wie schlau ist es, die Verwendung der Währungsreserven auf die Tagesordnung zu setzen?
– Es ist überhaupt nicht schlau, man sollte es der Nationalbank überlassen, ob und in welcher Höhe die Reserven benötigt werden. Natürlich trifft es zu, dass die Finanzierung der Reserven teuer ist, was man auch am Ergebnis der Notenbank sieht. Das aktuelle Niveau bietet, so ist meine Meinung, Sicherheit.

– Haben Sie Ihre Ersparnisse nach Österreich gebracht?
– Ich hörte, dass viele Menschen so gehandelt haben, ich selbstverständlich nicht. Ich rechne damit, dass die Wirtschaftspoitik modifiziert wird, die notwendigen Schritte eingeleitet werden, denn wenn wir es nicht selbst tun, dann wird man uns dazu zwingen. Der Schuldenstand von 80% des BIP ist bei guter Wirtschaftspolitik finanzierbar.

– Was halten Sie von der Möglichkeit, Nationalbank und Finanzaufsicht zu fusionieren?
– Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor. Ich sage seit Jahren, dass die Zusammenlegung für sich genommen logisch und richtig wäre, viele Gründe sprächen dafür. Die Mittel zur Vermeidung einer Bankenkrise befinden sich bei der Notenbank, die hierfür notwendigen Informationen sind aber bei der Finanzaufsicht. Die vorgesehene Durchführung war schlecht, man kann in solchen Dingen nicht einfach ein Gesetz im beschleunigten Verfahren verabschieden, ohne sich vorab zu einigen. So etwas muss mit der Notenbank, der Aufsicht und der EU abgesprochen werden.

– Bei welchen Forint-Kurs wäre die Wirtschaft am ehesten zu stützen?
– Die Wirtschaft funktioniert bei jedem Währungskurs, jedenfalls langfristig. Die Frage ist die Wirtschaftspolitik – beides hängt voneinander ab. Ein stabilisierender Schritt wäre wohl sofort mit einer Stärkung des Fornt verbunden. Mittlerweile steht aber fest, dass die Märkte die sogenannte „unorthodoxe Wirtschaftspolitik“ nicht weiter tolerieren.

 

 

Politanalyst Gábor Török im ungarischen Fernsehen

Der bekannte ungarische Politanalyst und Blogger Gábor Török wurde im staatlichen ungarischen Fernsehen zur aktuellen Lage interviewt:

http://videotar.mtv.hu/Videok/2012/01/13/22/Politikai_elemzes_Torok_Gabortol.aspx

Török sieht die ungarische Regierung in einer schwierigen Lage, müsse sie sich doch zwischen den beiden Optionen „irgendeine Form von Staatsbankrott“ einerseits und der „Vormundschaft“ anderseits entscheiden. Sollte Ungarn den Forderngen von IWF und EU nachgeben und in Richtung Einigung bewegen, so wäre dies noch nicht das Ende der innenpolitischen Auseinandersetzungen in diesen Punkten. Die unmittelbaren Folgen einer Einigung seien schwer abschätzbar, die bislang erfolgreiche Regierungskommunikation könnte dann durch die vom IWF und der EU geforderten Maßnahmen eingetrübt werden.

Eine riesige Zahl von 84% der Befragten meint laut einer im Januar durchgeführten Umfrage, die Dinge „liefen in Ungarn in die falsche Richtung“. Zugleich habe Fidesz einen großen Teil seiner Wählerbasis verloren, er betrage noch etwa die Hälfte der im Jahr 2010 erreichten Werte. Zugleich sei Fidesz aber immer noch diejenige Partei mit der breitesten Unterstützung in der ungarischen Politik. Die Opposition hat keine Zuwächse erzielt, es sei schwer zu prognostizieren, wie sich die Lage im Jahr 2014 darstellen könne.

Zu dem jüngst wieder als Kritiker der Regierung auf die politische Bühne zurückgekehrten Ex-Ministerpräsidenten Gordn Bajnai sagte Török, seine Rolle hänge davon ab, ob es ihm gelinge, sich als die glaubwürdige Person an der Spitze einer ggf. einheitlichen Oppositinsbewegung zu präsentieren. Auf die Frage, ob es ihm gelingen könne, das große Lager der Unentschlossenen oder der Nichtwähler für sich zu gewinnen, antwortete Török: Die heutigen Umfragen zeigten nicht, dass die ungarischen Wähler auf Bajnai warteten. Er sei aktuell nicht beliebter als Viktor Orbán, wobei letzterer seit eineinhalb Jahren „im Gefecht“ stehe und teils harte Kritik aus dem In- und Ausland auszuhalten habe. Bajnai hingegen könne die Situation aus einer „beschönigenden Distanz“ verfolgen. In zwei Jahren könnte sich jedoch einiges bewegen.

Zu den Plagiatsvorwürfen gegen Staatspräsident Pál Schmitt vertritt Török die Auffasung, dass für den Fall, dass sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, er wohl nicht mehr zu halten sei. Fidesz könnte in diesem Fall selbst Interesse daran haben, Schmitt zum Rücktritt zu bewegen, um ggf. einen neuen, dann bis 2017 amtierenden neuen Präsidenten zu wählen – dieser könne dann über die Wahlen 2017 hinaus ein „Gegengewicht“selbst nach einem Regierungswechsel 2014 werden. Letztlich sei es sogar im Interesse der Opposition, wenn Pál Schmitt weiter im Amt bliebe und nicht durch einen neuen, ggf. starken und repräsentativeren Staatspräsidenten ersetzt würde.

Daily Telegraph: MEP Daniel Hannan schreibt über Ungarn

Die konservative britische Tageszeitung Daily Telegraph publiziert einen Beitrag des Europaabgeordneten Daniel Hannan zur Lage in Ungarn:

http://blogs.telegraph.co.uk/news/danielhannan/100129483/there-are-worrying-developments-in-hungary-but-there-is-nothing-wrong-with-subjecting-state-institutions-to-democratic-control/

 

 

 

Pianist András Schiff zeichnet Schreckensbild und verlangt von Europa „mehr Druck“ gegenüber Ungarn

„Das Gerede von Großungarn, der Chauvinismus, der Fremdenhass – all das ist unglaublich.“ Der weltberühmte Pianist András Schiff tritt in seiner Heimat Ungarn nicht mehr auf. Ein Gespräch über Boykott, Antisemitismus und Viktor Orbans rechtspopulistische Regierung, die die Medien an die Kette legt“

So die einleitenden Worte eines Tagesspiegel-Interviews mit dem in Florenz lebenden Pianisten András Schiff, einem der heftigsten Kritiker der Regierung Orbán. Und das Interview hält, was die Ouvertüre verspricht. Schiff zeichnet, nach seinem Leserbrief an die Washington Post und mehreren Interviews im Jahr 2011 für deutsche Zeitungen, abermals das Bild eines rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Ungarn und betont, die EU müsse gegenüber dem Land „Druck machen“.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/rechtsruck-in-ungarn-europa-muss-endlich-druck-machen/6065504.html

Es folgt ein Gewitter von Schlagworten, freilich ohne verständnisfördernde Details (wie ist das genau mit Verfassung, Mediengesetz, Klubradio, dem Wahlrecht?). Das Interview lebt von der Berühmtheit eines Künstlers, seiner kritischen Einstellung gegenüber Orbán, vermeintlichem Sachverstand und Glaubwürdigkeit. Warum etwa das neue Wahlrecht, welches die seit zwei Jahrzehnten bestehenden Ungleichgewichte zwischen einzelnen Wahlkreisen – entsprechend den Vorgaben des Verfassungsgerichts – endlich beseitigt und in etwa gleich große Wahlkreise schafft, die Macht von Fidesz „zementiert“ und Wahlen in der Zukunft zur „Formalität“ machen soll, bleibt unklar. Ob Schiff zwischen seinen Konzertauftritten wohl das Wahlgesetz studiert hat?

Klubradio: Wenn eine Sendefrequenz – was in regelmäßigen Abständen in Ungarn passiert – öffentlich ausgeschrieben wird, Klubrádió das niedrigste Lizenzentgelt aller fünf verbliebenen Bewerber bietet und deswegen um einen Punkt gegenüber einem anderen Sender unterliegt, wo genau liegt hier das Problem? Dass Schiff Klubrádió für das „einzige interessante Radio“ in Ungarn hält, ist noch kein Grund, diesem Sender den Vortritt in einer Ausschreibung zu geben. Seine Worte sprechen indes Bände: Ebenso interessant wie Schiff findet den defizitären Sender auch die   Sozialistische Partei, die ihn über eine parteinahe Stiftung mit 10 Mio. Forint unterstützt hat. Zeitweise moderiert Gyurcsány mittlereeile sogar Radioshows mit politischem Inhalt.

Behauptungen ohne jede Substanz, ohne Nachfragen des Reporters. Journalisten als Stichwortgeber der ungarischen Opposition und den ihr nahestehenden Bedenkenträgern, wie es bei Ungarn schon fast zur Regel geworden ist. Die Botschaft steht fest, man sucht sich nur noch ihren Überbringer. Sogar Aussagen wie „Die Ungarn hatten immer einen Hang zur anonymen Denunziation„, die nicht allein auf die Regierung, sondern ausdrücklich auf ein ganzes Volk abzielen (wir erinnern uns an die Aussagen von Ákos Kertész, die Ungarn seien „genetisch zum Untetan geboren„) , dürfen unkommentiert bleiben.

Dass Freedom House Ungarn trotz gewisser Kritik an den Bestrebungen der Regierung Orbán immer noch auf Stufe „1“ sowohl bei den politischen Rechten, als auch den Freiheitsrechten einordnet und das Land somit gleichauf mit Deutschland liegt, dem Land, in dem der Tagesspiegel erscheint,interessiert – wie immer – nicht.

Und natürlich darf auch die pseudo-psychologische Ferndiagnose, die Ungarn müssten endlich „ihr Selbstmitleid“ überwinden, nicht fehlen.

Es fällt schwer, solche Worte anders zu verstehen als einen verbalen Angriff gegen ein ganzes Volk. Paradoxer Weise kommen solche Worte in Zeiten, in denen Tausende Menschen gegen die Regierung Orbán friedlich auf die Straße gehen und demonstrieren. Diese Demos würdigt Schiff zwar, unterlässt aber gleichwohl seine tiefenpsychologischen Seitenhiebe nicht.

Besonders bemerkenswert ist folgende Aussage:

Aber es ist auch ein moralisches Problem. Es gab und gibt offene Pogrome gegen Roma, die von der Polizei und der Justiz überhaupt nicht oder nur sehr schwach geahndet werden. Die bewaffneten Garden der Jobbik-Partei zünden Roma-Siedlungen an und die Polizei greift nicht ein. Ein Vater kommt mit seinem kleinen Kind auf dem Arm aus einem brennenden Haus und wird von den Jobbik-Leuten mit Maschinenpistolen niedergeschossen. Solche Dinge sind schon vor ein paar Jahren geschehen, es ist ungeheuerlich.“

Richtig, Herr Schiff! Die Morde an Roma sind bereits vor einigen Jahren geschehen, genaugesagt in den Jahren 2008 und 2009. Damals gab es regelmäßige Aufmärsche der sog. „ungarischen Garde“ in den von Roma bewohnten Ortschaften. Warum haben Sie sich seinerzeit, im Jahr 2008/2009, als diese schrecklichen Taten und Umtriebe geschahen, nicht gemeldet und so eindrucksvoll wie jetzt „Druck“ gegen die damalige Regierung gefordert? Lag es eventuell an der Tatsache, dass sie seinerzeit noch nicht den Namen Orbáns trug? Ihre Stimme war erst zum Jahreswechsel 2010/2011 zu hören, pünktlich zur Übernahme der Ratspräsidentschaft durch die heutige Regierung. Welch Zufall! Und auch Gábor Demszky, Ágnes Heller und György Konrád äußerten sich erst ab April 2010. Herr Schiff, was taugen moralische Aufrufe, wenn sie von der Couleur der Regierung abhängen?

Die Genialität Schiffs als Pianist in Zweifel zu ziehen, würde ich mir nicht erlauben. Was ich mir gestatte, ist folgende Fage: Wer hat eigentlich die Regel aufgestellt, dass ein genialer Pianist auch mit seiner politischen Einschätzung Recht haben muss?

Weil es gut zum Thema passt: Der als regierungsnah geltende private Nachrichtensender HírTV strahlte heute die Sendung „Célpont“ aus, in der die Berichterstattung über Ungarn thematisiert wird:

http://mno.hu/celpont/aggodok-1043517