Abermals kann sich der Eurovision Song Contest der Debatte um die ungarische Politik nicht entziehen. Welche Stilblüten der fehlende Sachverstand, gepaart mit dem Drang, seine (frei nach Georg Schramm) „intellektuelle Notdurft“ zu verrichten und um jeden Preis sein tagesaktuelles Statement abzugeben, wieder einmal hervorbringt, sieht man hier:
Ein must see. Zwei von außenpolitischem Wissen nur so strotzende junge Damen stellen den ungarischen Beitrag für Baku vor und äußern sich über die mutmaßliche „Einflussnahme“ der Politik auf die Wahl des Kandidaten Compact Disco („Sound of our Hearts„). Und natürlich über die eingeschränkte Pressefreiheit.
Bernadette Hirschfelder (MDR) ist die Expertin im Studio. Sie erläutert, dass das ungarische Publikum nur bis zum Halbfinale ein Mitbestimmungsrecht gehabt habe. Der Finalist sei dann allerdings von einer Fachjury, bestehend aus vier (man höre und staune) „Menschen“, bestimmt worden. Zusatzinfo: die Bewerbung der „vier Zackelschafe“, der „vier Graurinder“ und „vier Mangalica-Schweine“ um die begehrten Versorgungsposten in der Jury wurde durch ein im Alleingang durchgeboxtes Ministerialdekret in letzter Minute verworfen.
Auf den Vorhalt, dass die Pressefreiheit in Ungarn „ja etwas eingegrenzt sei“ sowie die Frage, inwieweit die Regierung denn auf den Ausgang „Einfluss nehmen“ konnte, führt die Expertin weiter aus: Sie wisse zwar nicht, ob die Regierung überhaupt Einfluss genommen habe. Wenn man aber die „Fakten“ auf den Tisch lege, könne man es „leicht vermuten“. Schließlich habe Ministerpräsident Viktor Orbán so viel Geld wie nie zuvor in den Contest investiert (was wohl der IWF dazu sagt?). Und da die Fachjury die Entscheidung treffen konnte, sei doch zu vermuten, dass „die Politik die Finger im Spiel“ gehabt habe. Aber man wisse es natürlich nicht.
Doch dann die Überraschung: Unabhängig von der Politik findet Frau Hirschfelder den Song „großartig“ und gibt ihm 12 Punkte. Denn sie habe erwartet, dass ein paar Leute in Trachten auf die Bühne kommen und „irgendwas ungarisches“ singen, vielleicht noch „Gulasch hinterher“…
Was lernen wir daraus? Der „Zensor“ (Zitat des ZDF-Chefredakteurs) Viktor Orbán beschränkt zwar die Pressefreiheit und schickt „vier Menschen“, um die Kandidaten zu bestimmen. Aber da Orbán ja nach den Vorstellungen vieler ohnehin alles selbst bestimmt, hatte er womöglich auch hier selbst die Finger im Spiel. Und dennoch läuft scheinbar alles, jedenfalls im Polit-Mikrokosmos ESC. Statt Gulasch und Trachten machen die Menschen von Compact Disco gute Musik. Und das auch noch auf englisch.
Ich wünsche mir Achim Mentzel zurück und Frau Hirschfelder an dieser Stelle viel Erfolg als Chefin der außenpolitischen Redaktion des MDR, zu der sie zweifellos alsbald berufen werden dürfte. Bis sie das Alter von Peter Frey (ZDF) erreicht, wird sie das nötige Wissen hinzugewinnen, um ebenso flammend gegen den „Ernstfall Ungarn“ zu Felde zu ziehen.
Und bevor ich es vergesse: Diese – und viele andere – niveauvolle Sendungen finanziert wieder einmal der deutsche Zwangsgebührenzahler. Und als Entschuldigung für unsere ungarischen Leser: So denkt bei weitem nicht jeder Deutsche.
Und weil es so schön war, hier noch einmal das Lied ohne das Politgekreische von Pseudo-MTV: