Das Schüssel-Interview im ungarischen Fernsehen

Das ungarische Fernsehen hat das mit Wolfgang Schüssel gefertigte Interview online gestellt:

http://premier.mtv.hu/Hirek/2012/06/01/08/Exkluziv_interju_Wolgang_Schussel_volt_osztrak_kancellarral.aspx

Wie bereits anklang, fand Schüssel nicht nur lobende Worte für Maßnahmen der ungarischen Regierung, sondern schlug auch kritische Töne an: Er kritisierte den Umgang Ungarns mit ausländischen Investoren, mahnte „Großmut“ an, wie ihn sich eine so große parlamentarische Mehrheit leisten könne. Zudem merkte der Politiker an, die Maßnahmen der EU-Kommission seien als rechtliche Prüfungen anzusehen, die jedes Mitgliedsland früher oder einmal treffen könnten. Hier müsse man auf fundierte Kritik der Kommission reagieren und Ruhe bewahren.

Der ORF hatte die Anwesenheit Wolfgang Schüssels auf dem Fidesz-Kongress zur Halbzeit der Orbán-Regierung zu einem internationalen Eklat hochstilisiert.

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Reinhard Olt kommentiert die feindseligen Reaktionen auf Aussagen Wolfgang Schüssels in Ungarn

Der FAZ-Korrespondent Reinhard Olt kommentiert den „Chor der Empörten“ über die Worte von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel zur Halbzeitbilanz der ungarischen Regierung:

http://derstandard.at/1338558466109/Reinhard-Olt-Schuessel-Orban-und-die-mediale-Reflexzonenmassage

 

 

Kleine Nachtpolemik: Schüssel-Lob für Orbán, ORF schießt sich auf Ex-Kanzler ein

Der staatliche Österreichische Rundfunk (ORF) hat eine in Budapest gehaltene Rede von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel genutzt, den Politiker scharf zu kritisieren. Die Berichte des Abends gerieten zu einem Anti-Schüssel-Tribunal. Die üblichen Experten inklusive.

In der Sendung ZIB 2 vom 31.05.2012 wird Schüssels Lob für Viktor Orbán – seine Rede wird natürlich nur in ganz kleinen, aus dem Zusammenhang gerissenen Fragmenten gezeigt – zu einem Verriss des Politikers genutzt. Paul Lendvai zeigt sich „enttäuscht“ und „entsetzt“ darüber, dass man Viktor Orbán einen „Persilschein“ ausstelle. Ferner spricht die Nachrichtensendung von der bekanntermaßen „fehlenden Trittsicherheit“ Schüssels.

http://tvthek.orf.at/programs/1211-ZIB-2/episodes/4115647-ZIB-2

Der ORF setzt die Darstellung des Schüssel-Auftritts fort mit der Aussage, dass von Ungarn ja sonst nicht so viel gehalten werde, Demonstrationen gegen die Regierung seien „an der Tagesordnung“ und die EU-Kommission habe Ungarn sogar „geklagt“, Gründe dafür seien „demokratiegefährdende Änderungen bei den Medien, aber auch bei der Zentralbank oder der Justiz.“ Drei Schuss, ein Treffer, meine Damen und Herren vom ORF. Die Kommission hat nämlich weder im Zusammenhang mit dem Mediengesetz noch mit der Zentralbank „geklagt“. Vertragsverletzungsverfahren laufen derzeit wegen a) der angeblich fehlenden Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, b) wegen der kritikwürdigen Zwangspensionierung von Richtern und c) seit längerem wegen der Sondersteuern für Telekomunternehmen.

Der Zuseher erfährt auch, weshalb (Zitat) „sich ein Wolfgang Schüssel für ein solches Lob überhaupt hergibt“. Es handele sich um eine Dankbarkeitsgeste Schüssels gegenüber Orbán, der ihn während der (man will anmerken: völlig rechtswidrigen und undemokratischen) Sanktionen gegen Österreich im Jahr 2000 empfangen und es gewagt hatte, die Phalanx der EU-Politiker zu verlassen.

Lendvai gibt sich trotzdem enttäuscht. Er werde ganz sicher viele Briefe bekommen, weil „jeder weiß“, dass er auch während der Regierung Schüssel Lob gefunden habe, auch in seinen Büchern. Der Zusammenhang zwischen Lendvais Büchern und Schüssels Rede verstehe, wer mag. Mir ist das zu hoch.

Am Ende doch noch ein klitzekleines Plätzchen für Schüssel: Der war zu einem Interview mit dem ORF nicht bereit (er ahnte wohl diesen für einen staatlichen Sender unerträglichen Tonfall), gab aber bekannt, er habe in Budapest auch kritische Punkte angesprochen. Aber wen interessiert das schon.

Jedenfalls nicht den berufsmäßigen Antifaschisten Bernhard Odehnal vom Tagesanzeiger (Schweiz). Der durfte in der ZIB 24 um 00:12 Uhr (es war also noch später als fünf vor oder gar fünf nach Zwölf) nachlegen und in sichtlicher Erregung darüber philosophieren, dass Orbán den Staat der Zwischenkriegszeit wieder restaurieren wolle, eine (Zitat) „Quasidiktatur  mit ganz starkem Antisemitismus und Chauvinismus“. Nein, wir haben uns nicht verhört: Orbán will eine „Quasidiktatur mit starkem Antisemitismus“ wieder errichten. Laut Odehnal ist das „wirklich“ so. Und ich habe keine Zweifel, dass er selbst daran glaubt. Auch aus diesem Grund haben Odehnal und sein Kollege, Herr Gregor Mayer von der dpa, der deutschsprachige Zeitungen mit Ungarn-Berichten versorgt und sich nebenbei via Facebook über „Orbánistan“ auskotzt, auch ein ganzes Buch über rechte Umtriebe in Osteuropa verfasst.

Das Drehbuch geht weiter, auch die Kritik an der EVP (Konservative sind bekanntlich verkappte Nazis) darf natürlich nicht fehlen, die – so Odehnal – „keinerlei Kritik an Orbán zulässt“. Offenbar hat sich der Gast hier nicht mit der Frontfrau österreichischer Ungarnkritik, Frau Ulrike Lunacek von den Grünen, abgesprochen: Die erachtet nämlich Schüssels Worte gerade deshalb für so empörend, weil auch die Konservativen im EU-Parlament Fidesz kritisiert hätten. Na was denn nun?

Odehnal, der in Budapest und Wien lebt, erzählt von enttäuschten Menschen, auch Freunden, die Fidesz gewählt haben (pfui, Herr Odehnal!), und greift die Anekdote von Sybille Hamann wieder auf, dass „an jedem zweiten Haus“ eine Immobilie zum Verkauf angepriesen werde (Hamann in der Presse: „In den Straßen von Budapest fallen an jedem zweiten Haus Plakate auf, die Wohnungen zum Kauf anbieten.“). Die beiden Erfahrungsberichte Odehnals und Hamanns sind so aufeinander abgestimmt (Horthy und Antisemitismus als Stichworte inklusive), man wird den Eindruck nicht los, als käme alles aus einer Feder, oder aber beide Herrschaften wären Hand in Hand durch die  Budapester Stadtbezirke spaziert. Romantisch. Wobei man ja in der ungarischen Hauptstadt angeblich seines Lebens nicht mehr sicher sein soll…

Der Immobilienmarkt sei, so Odehnal, „zusammengebrochen“. Die Menschen hätten alle Kredite, die sie nicht bedienen könnten – was zutrifft, nur ist dieser Umstand kaum der heutigen Regierung in die Schuhe zu schieben, sondern eher der Politik der Notenbank unter jenem Präsidenten András Simor, gerade enormen Rückhalt aus Brüssel genießt: institutionell gesehen völlig korrekt, persönlich gesehen diskussionswürdig. Un ein weiteres Detail vergisst Odehnal geflissentlich: Dass die Regierung Orbán seit Jahren durch Moratorien verhindert, dass die Banken die Menschen aus ihren Häusern vertreiben. Sollte einem, der für die Armen Partei ergreift, letztlich gefallen. Aber kein Wort dazu.

Nun erfahren wir noch, es gebe eine „Belastungspolitik“, der kleine Mann „bekommt die Steuern aufgebrummt“, während sich die Familie von Orbán und einige Oligarchen bedienten. Die wohl im EU-Vergleich mit am niedrigsten ausfallende Einkommensteuer ist Odehnal, der nur die sehr hohe Mehrwersteuer erwähnt, keine Erwähnung wert. Die Flat Tax ist zwar ebenfalls diskussionswürdig und kommt in Anbetracht der Wirtschaftslage wohl zum falschen Zeitpunkt, sie ist aber ein Zeichen einer Umbaus des Steuersystems: Direkte Steuern runter, indirekte Steurn rauf. Jedenfalls in den Auswirkungen zu komplex für plakative Statements zwischen Horthy, Antisemitismus und Schüssel, will man meinen. In einer Sache hat Odehnal allerdings Recht: Die Korruption und die Selbstbedienungsmentalität in Ungarn war, ist und bleibt unerträglich. Ich wünschte allerdings, das wäre Odehnal schon früher aufgefallen…

http://tvthek.orf.at/programs/1225-ZIB-24/episodes/4115779-ZIB-24

Hoffentlich ist der Herr Professor Lendvai mit dem Auftritt Bernhard Odehnals zufriedener als mit dem Schüssels.