Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beantwortet den Luxemburger Richterspruch von gestern, in dem die Zwangspensionierung ungarischer Richter als unverhältnismäßige Altersdiskriminierung und damit als Verstoß gegen EU-Recht bezeichnet wurde, mit Spott. Der Richterspruch gleiche einem „Tritt gegen einen toten Hund“. Hintergrund für die Aussage Orbáns ist der Umstand, dass das ungarische Verfassungsgericht die Regelung bereits vor einigen Monaten für nichtig erklärt hatte. Orbán sprach davon, dass der EuGH ein Urteil über eine Rechtsnorm gefällt habe, die es nicht gebe.
Diese Beurteilung ist freilich juristisch unzutreffend. Der EuGH entscheidet über die Frage, ob Maßnahmen der Mitgliedstaaten EU-Recht verletzen, die Aufhebung von
Gesetzen steht ihm nicht zu. Ist eine Maßnahme – hier: Richterpensionierung – in ihren Wirkungen noch präsent (was im Hinblick auf die noch ausstehende Wiederbeschäftigung der verrenteten Richter der Fall ist), besteht sie fort und kann in jedem Fall Prüfungsgegenstand vor dem EuGH sein, der Rechtsstreit hat sich nicht erledigt. Darüber hinaus ist die Vertragsverletzungsklage eine Feststellungsklage, die selbst bei Rückgängigmachung der gerügten Maßnahmen aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig wäre.
Die Verärgerung Orbáns ist letztlich – geht man von seinem Standpunkt aus – menschlich verständlich: Die Justizreform war eine der wichtigen Handlungen der Regierung, ihr Scheitern ist allein der fehlenden Professionalität (v.a. dem Fehlen von Übergangsfristen) geschuldet und fällt unmittelbar auf Orbán zurück. Zu Recht, denn das Scheitern vor dem Verfassungsgericht und die Rüge des EuGH war absehbar.
Anstatt in Abwehrreflexe zu verfallen, sollten Fehler wie diese künftig vermieden werden. Ein gesundes Maß an Bescheidenheit wäre hierbei gewiss hilfreich.