Das Ungarische Verfassungsgericht hat am 13.11.2012 diverse Bußgeldtatbestände, die insbesondere das „Wohnen im öffentlichen Raum“ durch Obdachlose sanktioniert hatten, für nichtig erklärt.
Das Normenkontrollverfahren wurde vom Ombudsmann für Grundrechte eingeleitet.
Hintergrund: Die ungarische Regierung hatte dem Wohnen im öffentlichen Raum den Kampf angesagt. Obdachlose, die – trotz Vorhandensein ausreichender Notunkerkünfte – im Freien lebten, begingen eine Ordnungswidrigkeit. Diese Regelung wurde nun vom Gericht gekippt: Weder das Bestreben des Staates, Obdachlose aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, noch die Absicht, sie zur Inanspruchnahme von sozialen Leistungen (Wohnen in Notunterkünften) zu ermuntern, seien ausreichend gewichtige Gründe, um das Nächtigen im Freien zur Ordnungswidrigkeit zu erklären. Obdachlosigkeit sei ein soziales Problem, welches nicht mit Strafmaßnahmen bekämpft werden dürfe. Die Regelungen seien auch zu unbestimmt.
So sehr man Teilen der Begründung zustimmen mag, bewirkt das Urteil eine bemerkenswerte Rechtsfolge: In Ungarn erleiden Jahr für Jahr Obdachlose in den Wintermonaten den Erfrierungstod. Das Verfassungsgericht hat – bewusst oder unbewusst – durch Betonung der Freiheit, im öffentlichen Raum zu nächtigen, das fragwürdige „Grundrecht auf Erfrierungstod“ gestärkt. Die gekippten Regelungen sahen nämlich Bußgelder insbesondere für die Fälle vor, in denen Obdachlose trotz Vorhandenseins von Unterkünften lieber im Freien verweilten – was viele wegen des in den Notunterkünften geltenden Alkoholverbots taten. Ob dies als Fortschritt zu bewerten ist, sei dahingestellt. Ebenso wie die Antwort auf die Frage, wie das soziale Problem Obdachlosigkeit bei Betroffenen bekämpft werden soll, die selbst nicht willens sind, an ihrer Situation etwas zu ändern und Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. In solchen Konstellationen fällt der Ansatz des Gerichts, soziale Probleme mit Sozialleistungen zu lösen, in sich zusammen.
Hoffen wir im Interesse der Obdachlosen auf einen milden Winter.