Verkauft E.ON das ungarische Gasgeschäft an MVM?

Wie der Nachrichtensender n-tv berichtet, steht der deutsche Energiekonzern E.ON womöglich vor dem Verkauf des ungarischen Gasgeschäfts an die staatliche Energieholding MVM.

http://www.n-tv.de/ticker/Verkauf-von-Gas-Geschaeft-in-Ungarn-womoeglich-noch-in-diesem-Jahr-article9635966.html

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte kürzlich in Aussicht gestellt, das Gasgeschäft von E.ON übernehmen zu wollen. Der Staat verfügt über eine Option.

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2006: József Debreczeni schreibt Geschichte (um)

József Debreczeni ist Publizist. Er ist eine der bevorzugten Quellen der Regierungskritiker im In- und Ausland. Er gibt sich als nüchterner Beobachter, spricht mit ruhiger Stimme, wählt seine Worte wohl.

Debreczeni ist aber auch ehemaliger Berater von Viktor Orbán, war Mitglied im Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), in den letzten Jahren legte er nach einem Schwenk in Richtung Sozialisten am Hafen „Demokratische Koalition“ von Ferenc Gyurcsány an. Heute ist er stellvertretender Parteivorsitzender der DK und enger Berater des Ex-Regierungschefs. Ein „Garant“ für nüchterne Betrachtung der ungarischen Politik, weshalb das Buch „Mein verspieltes Land“ von Paul Lendvai auch voller Bezugnahmen auf ihn ist. Trotz oder gerade weil er auch mal den Begriff der Wahrheit ein wenig überdehnt, wenn er die juristische Qualifikation von neu gewählten Verfassungsrichtern in Zweifel zieht.

Als Früchte seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Verfassen politischer Bücher, gelangten Werke wie Orbán Viktor (Osiris, 2003) und Arcmás (Noran Libro Verlag, 2009), beides Leib- und Magen-Publikationen der Gegner des Fidesz-Politikers, sowie (2006) eine Lobeshymne über den damaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány (seinerzeit MSZP) an die Öffentlichkeit.

Nun hat Debreczeni wieder zugeschlagen. Sein neuestes Werk trägt den Namen „Der Herbst von 2006“ („A 2006-os ösz“).

Der Inhalt des Buches entspricht der politischen Agenda sowohl der Sozialisten als auch der DK, deren Vorsitzender in 2006 Ministerpräsident war, vor der Wahl sein Volk belog, nach der Wahl eine vielbeachtete und später noch öfter interpretierte „Lügenrede“ hielt und als Chef der Exekutive jedenfalls politische Verantwortung für viele unschuldige Verletzte bei den Unruhen in Budapest vom 23. Oktober 2006 trug.

Verantwortung für Geschehnisse an einem Tag, den der Verfasser dieser Zeilen ausschnittsweise mit eigenen Augen erleben durfte, einen Tag, an dem er als nichtsahnender Passant auf der Andrássy út in Richtung Bajcsy-Zsilinszky út plötzlich mit weiblichen Familienmitgliedern in einer Tränengaswolke stand. Verantwortung für einen Tag, an dem friedliche Demonstranten auf einer Fidesz-Kundgebung plötzlich von Gummigeschossen, Wasserwerfern und Knüppeln getroffen, Menschen in Bars von vermummten Polizisten auf die Straße gezerrt und verprügelt wurden. Verantwortung für einen Tag, an dem die Staatsmacht zeigen wollte, wer der „Herr im Haus“ ist. Und in dessen Nachgang der Polizechef von Budapest, Péter Gergényi, den Einsatz verbotener Schlagstöcke trotz Videobeweisen abstritt (neudeutsch: das Blaue vom Himmel herunter log) und Witze über die Geschehnisse machte, die so gut gewesen sein müssen, dass ein hoher Politiker der Menschenrechtspartei SZDSZ, der Budapester Oberbürgermeister Gábor Demszky, ihn dafür mit einem Orden auszeichnete…

Ein Tag, dessen Geschehnisse bis heute von linken Politikern und Journalisten salopp unter Verweis auf die tatsächlich rabiat und gewalttätig auftretenden Hooligans und rechtsradikalen Demonstranten gerechtfertigt werden, die von der so „professionell“ auftretenden Polizei exakt in die friedliche Fidesz-Kundgebung hineingeschoben wurden (an der auch der damalige EU-Parlamentspräsident Pöttering teilnahm). Als wären rechtsradikale Gewalttäter, die am Ort A randalieren, Grund genug, auch gleich mit „bösen Konservativen“, den sich in der Nähe an Ort B aufhaltenden Kundgebungsteilnehmern, abzurechnen. Bilder von den Auswüchsen sind zu genüge gezeigt worden, sie belegen übelste Polizeigewalt. Und zeigen Polizisten, die sich gegenseitig zurufen „Vorsicht, eine Kamera“:

Doch Debreczeni ist die Speerspitze der 2006-Rechtfertiger und neben Ágnes Heller („auf niemanden wurde geschossen, niemand wurde gefoltert“) einer der wenigen, die ihre diesnbezüglichen Gedanken schriftlich formulieren. Seine Fassung der Geschehnisse war damals wie heute eine andere: Die Ordnungsmacht hat richtig gehandelt. Die Polizei war professionell, wer geprügelt wurde, wer sein Augenlicht verlor, wer zu Unrecht verhaftet oder wem die Finger gebrochen wurden, hätte eben lieber zu Hause vor dem Fernseher „Wer wird Millionär“ anschauen sollen. Wie ich darauf komme? Nun, István Vágó, ebenfalls Intimus des Ex-Ministerpräsidenten Gyurcsány, war lange Jahre Host der ungarischen Version der beliebten RTL Klub Quizshow („Legyen Ön is Milliomos„). Vágó übernahm denn auch die Buchpräsentation des Werkes, um denjenigen Kellernazis, die seinerzeit seine Sendung schwänzten, eins drauf zu geben.

Weitere Gäste der Präsentation: Tamás Bauer (der die ÁVH-Vergangenheit seines Vaters als „Lüge“ bezeichnete), Károly Herényi (der bemerkenswerte Thesen zum Unterschied zwischen Opfern nazistischer und kommunistischer Diktatur vertrat), Gábor Kuncze (weiter unten mehr zu ihm) und Mária Ormos, einer – so Index.hu – führenden Historikerin aus realsozialistischen Zeiten.

Doch zurück zum ernsten Kern der Sache: Absoluter Tiefpunkt der Buchpräsentation und zugleich ein Psychogramm des Autors war die Aussage Debreczenis zum Fall des Fidesz-Parlamentsabgeordneten Máriusz Révész.

Révész war – so viel zu den Fakten – einer der vielen Teilnehmer der Fidesz-Kundgebung am 23.10.2006 beim Hotel Astoria. Auf dem Heimweg wurde er Zeuge einer gewaltsamen Polizeiaktion, gab sich als Abgeordneter des Hohen Hauses zu erkennen und verlangte von den Beamten eine Erklärung. Daraufhin wurde er zu Boden gestoßen und, nachdem er wehrlos am Boden lag, 1-2 Minuten lang geschlagen. Dies wude in einem Strafurteil festgestellt.

Révész zog sich Kopfverletzungen zu und musste im Krankenhaus behandelt werden. Wenige Tage später erschien er im Parlament und wurde von Gábor Kuncze, seinerzeit Abgeordneter der bereits oben genannten „Menschenrechtspartei“ SZDSZ und heute Moderator beim letzten unabhängigen Radiosender Ungarns, Klubrádió, wegen seiner Verletzungen verspottet („Révész Martíriusz„). Der unschöne, ja schäbige Vorfall sorgte für einen Eklat, Kuncze entschuldigte sich später.

Doch zurück zu József „ich kenne die Wahrheit“ Debreczeni. Der vertritt die gewagte Auffassung, Kuncze hätte sich mal besser nicht entschuldigt. Denn in Wahrheit sei Révész gar nicht verletzt worden. Als vermeintlichen Beweis bezieht sich Kommissar Kugelblitz auf angebliche Fotos aus dem Krankenhaus, auf denen zu erkennen sei, dass Révész gar keine äußerlichen Verletzungen aufgewiesen habe. Aha. Vielleicht erkennen die medizinisch vorgebildeten Leser dieses Blogs ja äußerliche Verletzungen, wenn sie sich Fotos eben dieses Máriusz Révész vom 23.10.2006 ansehen:

http://index.hu/gal/?dir=0803/belfold/mariusz/

Dennoch. Trotz der deutlich sichtbar blutenden Wunde am Kopf bezeichnet der Autor die allgemein bekannte Darstellung als „Lüge“. Man kann nur hoffen, dass Révész gegen diese unerträgliche Art der Verleumdung gerichtlich vorgeht. Index.hu schreibt, dass Debreczeni mit dieser Behauptung gefährliches Terrain beschritten habe. Man kann kaum widersprechen.

Und darf gespannt sein, in welchem Lendvai-Buch das neuerliche Werk Debreczenis als Beleg für die ungarische Diktatur auftaucht. Denn er ist ja ein so nüchterner Beobachter der ungarischen Politik. Auf dessen Wort man sich verlassen kann…

http://index.hu/belfold/2012/11/28/debreczeni_2006/