Die prominente Philosophin und Orbán-Kritikerin Ágnes Heller im Interview mit Deutschlandradio:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/tacheles/2133808/
Heller bemängelt das Fehlen des „Geistes der Demokratie“ in ihrer Heimat. Wer bei Verstand wollte ihr widersprechen? Demokratie muss erst in Fleisch und Blut übergehen. Weniger als 25 Jahre sind seit dem Systemwechsel vergangen, das ist wahrlich wenig nach über 40 Jahren kommunistischer Diktatur und mehreren indoktrinierten Generationen, von denen bis heute viele Vertreter an den Schaltstellen sitzen.
Fraglich nur, ob Ágnes Heller hieraus die richtigen Schlüsse zieht: Sie bemängelt das Fehlen von demokratischer Gesinnung, gibt ihrem Land aber offenbar gar nicht die Zeit, sie zu lernen. Dabei ist es ein steiniger Weg, insbesondere dann, wenn man – anders als Westdeutschland nach 1949 – die Demokratie nicht mit einem durch alliierte Geldkoffer finanzierten Wirtschaftswunder schmackhaft gemacht bekommt, sondern die Erfahrung macht, als rückständige und vollkommen verschuldete Volkswirtschaft urplötzlich im europäischen und globalisierten Wettbewerb bestehen zu müssen. Mit majestätischem Blick auf die Donau spricht es sich offenbar leicht.
Anstatt den eigenen Landsleuten Zeit zu geben und den Satz „it’s the economy, stupid!“ zu verinnerlichen, wirkt Heller maßgeblich mit anderen in ihrer zum Teil verbohrten dogmatischen Haltung gefangenen Intellektuellen daran mit, Druck auf Ungarn auszuüben und das Land samt Menschen zu verurteilen. Auch im Interview plädiert sie für Druck von außen. Das ist vertretbar, wenn es um Rechtsverstöße Ungarns gegen EU- und anderes internationales Recht geht. Doch was wäre, wenn es in vielen Fällen nur darum ginge, denjenigen politischen Kräften, die Heller unterstützt und die in demokratischen Wahlen 2010 makuliert wurden, Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen? Auch in Ordnung, nur sollte man das dann auch offen sagen. Die Frage aber bleibt in diesem Fall: Wie demokratisch ist jemand, der eine vom Volk gewählte Mehrheit in eine antidemokratische Ecke stellt, nur weil man mit einer anderen Richtung sympathisiert?
Von den ökonomischen Alltagsproblemen der Menschen sind Ágnes Heller und der noch unversöhnlichere György Konrád, wie man annehmen darf, recht weit weg. Gleichwohl meinen sie, über die Motive, die Sichtweisen und die Einstellungen des Wahlvolkes urteilen zu müssen. Oder hat Ágnes Heller jemals das wirtschaftliche Totalversagen der sozialliberalen Koalition als Grund für den überragenden Wahlsieg des Fidesz in 2010 ernsthaft in Erwägung gezogen?
Heller spricht ihren Gegnern nicht nur demokratische Gesinnung ab (und stellt vorsorglich schon eine Wahlfälschung durch Fidesz im Jahr 2014 in den Raum). Sie erklärt Ungarn, immerhin das Land der 1956-er Revolution und des „ersten Risses in der Mauer“, sogar zu einem Land von Befehlsempfängern. Der Beifall ihres Publikums ist ihr dabei sicher.
Nicht zum ersten Mal lernen wir: Demokraten sind die, die Ágnes Heller für Demokraten hält. Diese intolerante Auffassung abzulehnen, bedeutet nicht, die heutige Regierung vorbehaltlos zu unterstützen. Oder mit den Worten von Gáspár Miklós Tamás gesprochen: Ágnes Heller liegt in politischen Fragen so gut wie immer falsch.