Die Zeit: Literaturnobelpreisträger Imre Kertész beklagt „Holocaust-Industrie“ in der deutschen Erinnerungskultur

Aus Anlass des Erscheinens seines neuen Buches „Letzte Einkehr“ zieht der ungarische Literaturnobelpreisträger und Holocaust-Überlebende Imre Kertész in der aktuellen Printausgabe der Wochenzeitung Die Zeit ein schonungsloses Resümee seiner Rolle in der deutschen Erinnerungskultur. Der schwer an Parkinson erkrankte Kertész spricht davon, er sei ein „Holocaust-Clown“ der Deutschen und Teil der „Holocaust-Industrie“ geworden. Der Literaturnobelpreis sei an ihn verliehen worden, weil man die Erinnerungsliteratur habe preisen wollen. Kertész:

Ich habe den Literaturnobelpreis nur bekommen, weil man die Literatur des Zeugentums preisen wollte. Man hat mich vorher nach Stockholm eingeladen, um eine Rede zu halten. Aber in Wahrheit wollte man wissen, ob ich eine akzeptable Figur abgebe oder ob ich mein Rührei mit den Händen esse. Man kann nicht viel dagegen tun. Man ist ohnmächtig diesen Mächten gegenüber.

Kertész bekundet, er habe eigentlich nie Literatur verfassen, sondern sich damit befassen wollen, was der Totalitarismus aus den Menschen mache. Er, der sich als „sehr müde“ bezeichnet, habe verstehen wollen, warum die Menschen sind, wie sie sind.

Kertész lebt wieder in Budapest, bekennt sich zu seiner Liebe zu Berlin und gesteht, dass er sich in der ungarischen Hauptstadt nicht besonders wohl fühle. Den Judenstern habe er nicht in Berlin, sondern in Budapest getragen (Kertész wurde als Jugendlicher aus Budapest nach Auschwitz deportiert).

Das vollständige Interview, das gewiss auch zu einer Diskussion in Ungarn führen wird, erscheint in der Printausgabe.

http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-09/Imre-Kertesz-Vorab

http://index.hu/kultur/2013/09/13/kertesz_egy_holokauszt-bohoc_voltam/

Die linksliberale ungarische Tageszeitung Népszabadság bringt das vollständige Interview auf ungarisch: http://nol.hu/kult/a_teljes_kertesz-interju___holokauszt-bohoc_voltam_?ref=sso