Die am 13.10.2013 in einem der örtlichen Stimmkreise von Baja (Komitat Bács-Kiskún) wiederholte Nachwahl zum Gemeinderat zieht erneut hässliche Kreise. Am Freitag veröffentlichte die linksliberale ungarische Wochenzeitung HVG auf ihrer Internetseite ein Video, aus dem sich ergeben soll, dass Fidesz – konkret: der Bürgermeister von Baja, Róbert Zsigó, und der Fidesz-Gemeinderatskandidat Csaba Kovács – Angehörige der Roma-Minderheit dafür bezahlt haben, dass sie ihre Stimme für den Fidesz-Kandidaten abgeben. Für die „richtige“ Stimmabgabe soll es – so der Vorwurf – als Gegenleistung Geldbeträge von mehreren zehntausend Forint pro Kopf sowie Feuerholz gegeben haben. Mehrere an einem Tisch sitzende Personen sprachen außerdem davon, man würde „eigentlich von Herzen“ für die Opposition stimmen. Das Gespräch soll von einer versteckten Kamera aufgenommen worden sein.
Wochenzeitung HVG prescht vor
Das Video wurde von HVG mit dem Titel „Hier ist der Beweis für den Wahlbetrug: In Baja wurde für Geld und Feuerholz abgestimmt“ („Itt a bizonyíték a csalásra: pénzért és tűzifáért szavaztak Baján„) versehen und am 18.10.2013 online gestellt:
http://hvg.hu/itthon/20131018_baja_valasztasi_csalas_vesztegetes
Empörung und Strafanzeigen von allen Seiten
Sowohl die oppositionellen Sozialisten (MSZP) als auch die von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány geführte Splitterpartei Demokratische Koalition (DK) erstatteten Anzeige und stellten die Forderung auf, das Wahlergebnis müsse für nichtig erklärt und die Nachwahl wiederholt werden. Die gemeinsame Kandidatin des Bündnisses aus MSZP, DK und Együtt 2014-PM, Melinda Teket, war bei der Nachwahl unterlegen. Der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterházy sprach von einem europaweit einzigartigen Skandal. Jávor Benedek, Politiker des Oppositionsbündnisses Együtt 2014-PM, teilte der Presse mit, wenn sich das Video als wahr herausstelle, sei dies das „politische Todesurteil“ von Ministerpräsident Viktor Orbán.
Auf dem Internetportal Youtube ist ein Video mit dem Titel „Unumstößlicher Beweis für den Stimmenkauf in Baja“ eingestellt, als dessen Urheberin die Ungarische Sozialistische Partei (Kreis Kiskúnfélegyháza) ausgewiesen ist.
Auch die obsiegende Regierungspartei Fidesz erstattete Anzeige gegen unbekannt und teilte mit, hier werde der Name der Partei bewusst und zu manipulativen Zwecken missbraucht. Man habe mit einem Stimmenkauf nichts zu tun.
http://hvg.hu/itthon/20131018_bajai_szavazatvasarlas_fidesz_dk_mszp
Zweifel an der Echtheit des Videos
Bereits am Wochenende kamen sodann Zweifel an der Athentizität des „Beweisvideos“ auf. Wie die staatliche Nachrichtensendung „Hiradó“ am gestrigen Sonntag berichtete, hätten polizeiliche Ermittlungen belegt, dass das Video manipuliert sei. Zudem hegte ein vom regierungsnahen staatlichen Rundfunk angehörter Gutachter Zweifel, dass es sich um eine Aufnahme mit versteckter (Handy?) Kamera handele. Tatsächlich fällt beim Betrachten des Videos auf, dass unterschiedliche Zooms vorgenommen werden (was eigentlich nur durch sichtbares Bedienen des Mobiltelefons funktionieren kann), ferner befindet sich der Aufnahmende ganz offensichtlich in stehender Position am Tischende. Nach Informationen der Nachrichtensendung habe einer der auf dem Video sichtbarer Teilnehmer des Gesprächs bei seiner Einvernahme eingeräumt, dass das Video „auf Bestelltung der Sozialisten“ gefertigt worden sei. Angeblich hätten zwei Personen aus Baja in der MSZP-Parteizentrale mit zwei Vertretern der Partei über die Herstellung des Videos gesprochen. Die MSZP bestritt diesen Vorwurf und drohte mit Verleumdungsklgen.
Die Boulevardzeitung Blikk berichtete gestern auf ihrer Online-Ausgabe ebenfalls, dass die Hersteller des Videos zugegeben hätten, dass die MSZP hinter dem Vorwurf des Stimmenkaufes und dem Video stehe. Attila Mesterházy reagierte heute im Interview mit dem Ungarischen Radio (MR1) auf diesen Bericht und kündigte an, die MSZP werde umgehend eine Richtigstellung verlangen.
HVG räumt Fehler ein
Ebenfalls heute räumte HVG.hu sodann ein, mit der Aussage, das Video sei ein „Beweis für Wahlbetrug“, einen Fehler begangen zu haben. Die Redaktion schreibt, derzeit gebe es keinen Beweis für Wahlbetrug, es sei völlig offen, wer ein Interesse haben könnte, dass sich mehrere Personen selbst unterschiedlicher Straftaten bezichtigen, oder Straftaten vortäuschten.
http://hvg.hu/velemeny/20131020_bajai_video
Vorgeschichte
Tatsache ist, dass das Ergebnis der Ende September 2013 abgehaltenen Nachwahl im Stimmkreis Nr. 32 von Baja durch das Landgericht von Kecskemét (Kecskeméti Törvényszék) annuliert und eine Neuwahl in diesem Stimmkreis angeordnet wurde (HV berichtete). Das Gericht sah Anhaltspunkte für Verstöße gegen die „Kampagnenruhe“, da organisierte Transporte von Wählern zum Wahllokal stattgefunden haben sollen. Dies ist nach ungarischem Wahlrecht verboten. Das Gericht legte sich aber nicht fest, was den Urheber der Verstöße anging. Auf einem Video war jedoch ein ranghoher örtlicher Aktivist der fidesznahen Roma-Gruppierung Lungo Drom zu sehen, der einer Person mitteilte, es sei kein Problem, mehrfach Personen zum Wahllokal zu fahren.
Vor der Wiederholung der Nachwahl (13.10.2013) kam es sodann zu zweimaligen Abmahnungen der Wahlkommission, sowohl gegenüber Fidesz, als auch gegenüber der Opposition. Fidesz wurde gerügt, weil die Partei mit Lautsprecherwagen vor angeblichen „Einschüchterungsversuchen“ der Opposition gewarnt und mitgeteilt hatte, Fidesz werde die „Bürger schützen“. Die Opposition wiederum hatte Flugblätter verteilt, in denen davon die Rede war, die Wahl müsse wegen „eines Wahlbetrugs durch Fidesz“ neu durchgeführt werden. Beide Seiten erhielten Rügen.
In den Medien wurde sodann berichtet, dass Aktivisten (angeblich des Fidesz) Videoaufnahmen von Personen gefertigt hätten, die sich mit der Oppositionskandidatin Melinda Teket unterhalten hätten. Auch Pressevertreter seien verfolgt und gefilmt worden.
Die Nachwahl endete mit einem Wahlsieg des Fidesz-Kandidaten.
Cui bono?
Die Umstände des angeblichen „Wahlbetruges“ sind derzeit ebenso unklar wie die der Herstellung des Videos. Die Polizei ermittelt und hat angekündigt, in Kürze das Ergebnis der bisherigen Ermittlungen mitzuteilen. Dabei wird die Frage interessant sein, ob es sich – was derzeit eher zweifelhaft scheint – wirklich um eine versteckte Kameraaufnahme handelt, ferner, wer ein Interesse daran haben könnte, das Video zum jetzigen Zeitpunkt (Fidesz-Wahlsieg) an die Öffentlichkeit zu bringen. Sollte sich das Video als manipuliert herausstellen, wäre ein neues Stadium in der politischen Auseinandersetzung in Ungarn erreicht: Zwar waren Vorwürfe des Wahlbetruges schon früher zu hören (auch nach der von Fidesz verlorenen Parlamentswahl 2002), allerdings dürfte die Inszenierung eines „Beweisvideos“, um dieses nach dem Sieg des „falschen“ Kandidaten an die Öffentlichkeit zu bringen, den bisherigen Tiefpunkt darstellen. Umgekehrt: Wäre das Video echt, dürfte dies das politische Ungarn ebenso erschüttern und als Beleg dafür dienen, dass skrupellose Herrschaften alles tun, um an gut dotierte Posten zu gelangen. Dass die Minderheit der Zigeuner nicht erstmals als scheinbarer „Helfershelfer“ zu sehen ist und zugleich Hauptleidtragender derartiger Kampagnen sein dürfte, fällt ebenfalls auf.
Unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen dürfte schon jetzt klar sein, mit welcher Art von Wahlkampf man bei den im kommenden Jahr anstehenden Parlamentswahlen rechnen darf. Die Spaltung der Gesellschaft in mehrere Lager ist wohl auf absehbare Zeit nicht zu überwinden.
Nachtrag:
Laut einer aktuellen Meldung von Index.hu wurde das „Beweisvideo“ zwei Tage nach der wiederholten Nachwahl in Baja, d.h. am 15.10.2013, gefertigt. Die Situation auf dem Video wäre demnach gestellt. Zwei Personen sollen das Video auf einer CD bzw. DVD unmittelbar in der MSZP-Parteizentrale abgegeben haben. Das Telefon, mit dem die Aufnahme gefertigt worden sein soll, wurde von der Polizei beschlagnahmt.
http://index.hu/belfold/2013/10/21/bajai_csalas/
Auszüge der Pressekonferenz der Polizei sind hier zu sehen.
Meret Baumann hat das Thema mittlerweile für die NZZ aufgegriffen und einen fundierten Beitrag verfasst.
http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/politischer-tiefpunkt-in-ungarn-1.18171177
Ich hatte auf die Kommentare gewartet, die da anmerken:Sicher hat FIDESZ die Videos selber gemacht und will sie nun der MSZP in die Schuhe schieben und schon sind sie da.Allerdings scheint man in der Zwischenzeit vergessen zu haben, dass die Herren Genossen ja schon Übung mit Videos haben (die dann doch irgendwie ein Schuss ins Knie waren)
http://www.origo.hu/itthon/20130304-puskas-ferenc-ozvegye-es-a-tek-is-tiltakozik-az-mszpvideo.html
Meine Güte und sowas will ein Volk regieren???Tolle Aussichten für die Zukunft, denn dann kann ich nur sagen:Fogy a fény és terjed a sötétség!!
Noch mehr Nachspiel: Mittlerweile hat der Chefredakteur der HVG-Online, Gabor Gavra, freiwillig (?) den Hut genommen. Oder HVG trennt sich von ihm. Ist ja egal.
http://cink.hu/forradalmi-lemondas-gavra-tavozott-a-hvg-bol-1450608864/@szilylaszlo
ist legitim.
wenn es denn eine wirkliche soziale partei in ungarn gebe und nicht nur wirtschaftsliberale, dann hätte die fidesz keine chance. aber die „etablierten“ „linkspartein“ lassen das ja nicht zu 😉
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http://www.taz.de/Diskriminierung-in-Ungarn/!130246/
“Diskriminierung in Ungarn” heißt die eineindeutige dpa-Botschaft von heute aus Wien, der sich noch eine rhetorische Frage anschließt:
“Eingeschränktes Wahlrecht für Roma?”
Der Informationsgewinn, den die Frage der Meinungsmacher aus Wien bringt, tendiert gen Null. Aber als Mittel der Beeinflussung taugen rhetorische Fragen ja allemal. Mit dieser rhetorischen Frage, die semantisch quasi als Behauptung gelten muss, hat die dpa ja nichts Falsches behauptet, nein, die deutsche Nachrichtenagentur behauptet nicht, dass in Ungarn das Wahlrecht für Roma eingeschränkt worden sei.
Nein, die Meinungsmacher der Nachrichtenagentur dpa unterstellen subtil lediglich Wahlbetrug in Ungarn, und das, noch ehe dort der Wahltermin überhaupt bekannt gegeben worden ist. Die Deutsche Presse Agentur setzt wieder mal auf den Ankereffekt.
“Diskriminierung in Ungarn?” Ist doch klar, das weiß doch jeder. Sogar das Mittagsmagazin der ARD von heute weiß schon, wie aus blau-weißem, aus dem sozial ach so heiteren bayerischen Himmel, dass die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren in UNSERE Sozialsysteme die Gesellschaft in Deutschland nach RECHTS driften lassen wird, “wie in Ungarn” [sic!], so tönte es heute Mittag aus dem Bayerischen Rundfunk.
Ungarn kann sich die Wahl 2014 diesmal wirklich ersparen. Konrád hat Ungarns Demokratie im Deutschlandfunk doch schon 2010 abgeschafft. Demokratische Wahlen in 2014? Niemals! Das Urteil der Meinungsmacher über die Rechtmäßigkeit der Wahl2014 wurde doch schon längst gefällt. Pfeifer hat schon vor Weihnachten 2013 aus der Ungarnagenda2014 geplaudert, hat es publik werden lassen: “Wahlbetrug”! Er ist doch kein Trottel. Er wußte es schon vor Weihnachten! Wahlbetrug2014 in Ungarn steht auf der Agenda. Von langer Hand geplant: “Wahlbetrug2014″
Der Anker, der sich ins öffentliche Bewußtsein eingraben soll, die Anker heißen “Ungarns Barbarisierung”, “Roma” und “Diskriminierung”, der Anker heißt “Wahlbetrug 2014″ in Ungarn:
“Roma” als Anker? Ja, weil die Antisemitismuskeule als Bummerang nur jene traf, die sie ausgepackt hatten. Aber jetze, dann eben die Roma-Effekte.
>>Der Ankereffekt ist ein Begriff aus der Kognitionspsychologie und beschreibt das Phänomen, dass Menschen bei bewusst getroffenen Wahlen von vorhandenen Umgebungsinformationen beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst ist. Die Umgebungsinformationen haben selbst dann einen Einfluss, wenn sie für die die zu treffende Entscheidung eigentlich irrelevant sind. Der Anker sind in der Regel eine bestimmte Information, wobei die Information der Betreffende selbst aus dem Umständen bilden oder aber von einer anderen Person erhalten kann, häufig ist sie ist aber rein zufällig vorhanden. Diese Information ist dann beim Einschätzen einer Situation und beim Treffen der Entscheidung ausschlaggebend, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Information für die zu treffende rationale Entscheidung tatsächlich relevant und nützlich ist.
Es handelt sich also um eine Urteilsheuristik, bei der sich das Urteil an einem willkürlichen Anker orientiert bzw. um eine systematische Verzerrung in Richtung dieses Ankers. Anker können dabei auf zwei verschiedene Weisen wirken: als unbewusste Suggestion aktiviert ein Anker zu ihm passende Assoziationen, die im Anschluss die Urteilsfindung beeinflussen, also über den Mechanismus des Priming. Der Anker kann aber auch einen Ausgangspunkt oder Startwert für einen bewussten Gedankengang liefern, also im Sinne einer Anpassungsheuristik.
Ein kurioses Forschungsergebnis, wie das menschliche Gehirn nach Vergleichswerten sucht bzw. wenn es diese nicht findet, eine völlig aus der Luft gegriffene Zahl als Bezugspunkt sucht, bewiesen Critcher & Gilovich, denn Gäste eines Restaurants mit dem Namen „Studio 97“ gaben durchschnittlich 8 Dollar mehr aus als die Gäste des Restaurants namens „Studio 17“.<<
Und während sich medial eingebildete Heerscharen von Abermillionen Roma aus Rumänien und Bulgarien in die deutschen Sozialsysteme, noch mehr, in die Hirne der Nachkommen jener ergießen, deren Väter – noch in braunen Uniformen – die Fundamente unseres Wohlfahrtsstaates legten, Behinderte, Juden, Zigeuner, ihre Großstädte im Feuer der Vernichtung umkommen ließen, Abermillionen in Gaskammern, auf die Schlachtfelder schickten, verbreitet die dpa die Schreckensmeldung vom "Betrug in Ungarn", festgemacht am Anker "Roma".
Was nicht nur eine Zumutung für ganz Europa ist! Die Deutsche Presseagentur betreibt die Mazeration des europäischen Gedankens.
Wenn der deutschen Propaganda "Roma" wieder nur als Mittel zum Zweck dienen sollen, dann sollte Deutschland doch bitte schnellstens die Fahne Europas einholen, so wie Merkel jüngst Schwarz-Rot-Gold ersatzlos entsorgt hat.
@Herr Herche
Na irgendwie müssen da (wir) die Deutschen einen Dachschaden haben, ruft doch die deutsche Minderheit dazu auf sich zu ihrer Nationalität zu bekennen.
Das Jahr fängt gut an 😉
Hatte den Link dazu vergessen:
http://www.ldu.hu/page/260