Ferenc Gyurcsánys Kampf um die 5%-Hürde: Einer gegen alle

Der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gurcsány ist Rampenlicht gewöhnt. Und versucht, mit der Hilfe von Sympathisanten und Teilen der Medien, den Lichtschein nicht erlöschen zu lassen. Sein Plan, die aus einer Abspaltung der ungarischen Sozialisten (MSZP) entstandene Partei Demokratische Koalition (DK) zu einem Teil des linken Oppositionsbündnisses aus MSZP und Együtt 2014-PM werden zu lassen, scheint vorerst gescheitert: Zu groß sind die Vorbehalte gegenüber jenem Politiker, der die Wahlen 2006 mit einer „Lügenrede“ und Aussagen zur „florierenden ungarischen Wirtschaft“ gewann, am Ende jedoch ein Staatsdefizit von rund 80% des BIP hinterließ – immerhin knapp 30 Prozentpunkte über dem, was zu Beginn der letzten sozialliberalen Koalition im Jahre 2002 zu Buche schlug.

Wer die Medien in Ungarn beobachtet, der sieht: Gyurcsány ist omnipräsent. In der vergangenen Woche überraschte die Partei des Ex-Premiers Beobachter mit einem 16-Punkte-Programm für die kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 (die Budapester Zeitung berichtete), welches bis zum Frühjahr um weitere 70-80 Punkte erweitert werden soll. Bereits die ersten Ziffern deuten an, auf was es der DK ankommen dürfte: Im Gespräch bleiben, Stimmen bei den Unzufriedenen maximieren, Neidkomplexe schüren. Letzteres erinnert ein wenig an das Jahr 2004, als ein Referendum des politisch rechtsaußen stehenden Ungarischen Weltkongresses (MVSZ) zur doppelten Staatsbürgerschaft von Ungarn in den umliegenden Ländern (die dortige Minderheit umfasst etwa 2,5 Mio. Menschen) zwar positiv schloss, aber an einer zu geringen Wahlbeteiligung scheiterte. Damals hatte sich Gyurcsány – seinerzeit Ministerpräsident – klar gegen die Doppelstaatlichkeit ausgesprochen. Zwischenzeitlich sind neun Jahre vergangen und die Opposition – unter anderem MSZP, Együtt 2014-PM und die LMP – haben sich mit dem von Fidesz eingebrachten neuen Staatsangehörigkeitsrecht abgefunden, der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterházy fand in Rumänien sogar Worte der Entschuldigung für die damalige Position der Partei. Hinter diesen Worten steht zweifelsfrei politisches Kalkül (die Wähler sind da, also kämpft man lieber um ihre Stimmen), aber dies wäre nicht nötig bzw. möglich, hätte sich der Wind in der ungarischen Gesellschaft nicht gedreht. Die doppelte Staatsangehörigkeit steht kaum in der Kritik, wenn auch Einzelheiten des neu verliehenen Wahlrechts durchaus umstritten sind.

Gyurcsány hingegen bleibt seinen Prinzipien treu: Er hatte bereits im Jahr 2004 auf Neidreflexe seiner Wähler gesetzt – und damit gedroht, die nach Ungarn strömenden Neu-Staatsbürger würden die Sozial- und Rentenkassen leeren sowie dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt kollabiert – und behält diese Politik der Angst und Unzufriedenheit in leicht abgewandelter Form bei. Aktuell wird von Seiten der DK gegen ein Wahlrecht der Auslandsungarn Kampagne gemacht, nur jene Bürger sollten schließlich wählen, die Steuern zahlten und die Konsequenzen ihrer Entscheidung am eigenen Leib spürten. Ketzerisch gefragt könnte man freilich durchaus in Zweifel ziehen, ob jene Wählerschichten, die man mit solchen Aussagen zur Urne locken kann, tatsächlich samt und sonders Steuerzahler sind; der Vorwurf, die DK sympathisiere mit einer Art von „Zensuswahlrecht“, würde man dort wohl empört von sich weisen.

Zu den weiteren, „tragenden Säulen“ des Gyurcsány’schen Wahlprogramms gehört die Aufkündigung der „Vatikanverträge“, einer Reihe völkerrechtlicher Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl aus der sozialliberalen Regierungsphase Gyula Horn (1994-98), die dazu dienten, die Rechtsverhältnisse zwischen der katholischen Kirche und dem Staat zu regeln – auch wegen der in der Volksrepublik Ungarn entstandenen Schäden. Die Aussage, man werde die Verträge mit dem Vatikan kündigen, dürfte weniger auf deren Inhalt abzielen als darauf, die in weiten Teilen der Gesellschaft bestehenden, gewisser Maßen auch vom Sozialismus „geerbten“, Vorbehalte gegen die Kirchen zu schüren.

Besonders ins Auge fällt auch die Forderund nach einer Abschaffung des Renteneintrittsalters. Die DK möchte individuelle Rentenkonten führen, jeder könne in Ruhestand treten, wann er möchte. Dass dies für die weiten Bevölkerungsschichten nie realistisch sein wird, spielt für die DK, die keine breite Basis hat, keine Rolle.

Natürlich weiß auch Gyurcsány, dass er – vor allem ohne Teil des linken Oppositionsbündnisses zu sein – keine realistische Chance hat, jemals dieses Programm zu verwirklichen. Die DK befindet sich in Umfragen – nach zuletzt erzielten Zuwächsen – bei einer Größenordnung von 5% und kämpft damit um einen Einzug ins Parlament. Die Opposition würde, nach einer aktuellen Umfrage, auch in geschlossener Form gegen die Regierungsparteien Fidesz-KDNP unterliegen, letztere kämen auf 58% der Mandate. Mit einer Fortsetzung der 2/3-Mehrheit ist demnach nicht zu rechnen, ebensowenig aber mit einem Regierungswechsel.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über eine Aufnahme der DK in das Oppositionsbündnis wegen seiner lautstarken Forderungen nach einem „gemeinsamen Führer“ (wer Gyurcsány kennt, weiß, dass er von sich selbst spricht) und diverser Ultimaten zur Aufnahme seiner Formation, kämpft die Partei somit allein weiter. Einer der Auslöser war das Verhalten Gyurcsánys und seiner Anhänger an einer gemeinsamen Veranstaltung zum Gedenken an den ungarischen Volksaufstand (HV berichtete), als die DK-Anhänger den MSZP-Chef Attila Mesterházy lauthals ausbuhten. Auch vormalige Versuche der politischen Erpressung, konkret: die Ankündigung, in allen Stimmkreisen eigene Kandidaten zu stellen (d.h. diese gegen die ohnehin auf jede Stimme angewiesene Linksopposition antreten zu lassen), würde man Gyurcsány und seinen Parteifreunden nicht Plätze in „aussichtsreichen“ Wahlkreisen zur Verfügung stellen, ließen die Vorstellung reifen, dass mit Gyurcsány eben nicht in der Sache verhandelt werden kann.

Die aktuell für die Opposition verloren scheinende Wahl 2014 dient Gyurcsány somit offenbar allein dazu, im Gespräch zu bleiben und die eigenen Parteifreunde in der aktiven Parlamentspolitik zu halten. Dort besteht auch bei weiteren vier Jahren Opposition die Möglichkeit publikumswirksamer Aktionen gegen das „Regime Orbán“ (z.B. Camping vor und Übernachtungen im Parlament), öffentlich wahrgenommener Auftritte und – last, but not least – auch ein regelmäßiges Einkommen, was für den Multimillionär Gyurcsány freilich kein Argument ist; für seine Parteifreunde aber durchaus. Flankiert wird sein öffentlicher Auftritt derzeit etwa durch ein Video, in dem Gyurcsány für ein inzwischen eingestelltes, wirtschaftlich wie umweltpolitisch höchst umstrittenes Casino- und Hotel-Großprojekt in Sukoró am Velencer See („King´s City“) Werbung macht und jene, die sich für eine Einstellung der – auch mit dem Ruch von Korruption, politischer Einflussnahme und Vetternwirtschaft umgebene – Investition eingesetzt hatten, für ahnungslos respektive am Wohlstand des Landes nicht interessiert darstellt. Das „o.k.“ zum Projekt geht auf Gyurcsánys Regierungszeit zurück, ein Großteil der Vorwürfe, insbesondere die des Amtsmissbrauchs gegen Gyurcsány, sind allerdings mittlerweile entkräftet. Auch in diesem Verfahren ging Gyurcsány in die Offensive: Einmal drohte er den Ermittlern mehr oder weniger offen mit Retorsion für den Fall eines Regierungswechsels, einmal lieferte er sich ein Wortgefecht mit dem Staatsanwalt im Gerichtssaal. Stets gerierte er sich als Opfer politischer Justiz.

Zur Untermauerung seiner Charmeoffensive stellte er heute übrigens sein Kochbuch vor.

Ein Erreichen der 5%-Prozent-Hürde erachte ich derzeit als eher wahrscheinlich. Allerdings gilt, dass eine hohe Wahlbeteiligung für Gyurcsány ebenso schädlich sein dürfte wie für Fidesz: Beide Lager verfügen, wenn auch in vollkommen anderen Größenordnungen, über politisch aktive, teils fanatische Stammwähler, eine große Zahl von Gesamtstimmen dürfte beiden Lagern somit eher abträglich sein. Und nicht nur das: Wenn Gyurcsány Stimmen maximieren kann, wird ihm das wohl am ehesten auf Kosten der linken Opposition gelingen. Was den MSZP-Politiker Tibor Szanyi jüngst zu der Aussage verleitete, Gyurcsány möge doch gleich bei Fidesz eintreten: Dort sei sein Platz.

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RWE-Ausstieg in Ungarn?

Nach einem heute erschienen Bericht der regierungsnahen ungarischen Tageszeitung Magyar Nemzet laufen aktuell Verhandlungen zwischen dem deutschen Energieversorger RWE und der staatlichen ungarischen Energieholding MVM Zrt. über den Verkauf des 49%-Anteils von RWE am Budapester Gasversorgungsunternehmen Főgáz. Würde die Transaktion durchgeführt, stünde Főgáz fortan wieder in staatlichem Besitz.

Die ungarische Regierung Orbán plant den Wiedereinstieg in die aus ihrer Sicht „strategisch bedeutsame“  Wirtschaftsszweige, u.a. den Energiesektor. Zuletzt wurde die ungarische Gassparte von E.on erworben (HV-Bericht hier), 2011 kaufte der Staat eine maßgebliche Beteiligung am Öl- und Gasversorger MOL Nyrt. von der russischen Surgutneftegas zurück (HV berichtete).