Die Insolvenz des ungarischen Wertpapierhandelshauses Quaestor, das Anlegern fiktive Anleihen verkauft und einen Schaden von rund einer halben Mrd. Euro verursacht haben soll, wirft weitere Fragen auf.
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der – über gute Kontakte zur Regierungspartei Fidesz und sogar über einen eigenen Zugangsausweis für das Parlament verfügende – Generaldirektor Csaba Tarsoly seinen Posten im Unternehmen an einen Nachfolger übergeben hatte. Bemerkenswert ist dabei die Person des „Neuen“: Es handelt es sich um Béla Orgován, einen (angeblich auch wegen versuchten Mordes) vorbestraften, mittellosen Angehörigen der Roma-Minderheit, der – so ein Nachbar gegenüber der ungarischen Presse – über keinen höheren Bildungsabschluss verfüge in seinem Leben „keine Minute gearbeitet“ habe.
Der chronologische Ablauf lässt darauf schließen, dass Orgován als Marionette eingesetzt werden sollte, um als Sündenbock für ggf. vollzogene Vertuschungsaktionen zu dienen (ung. „elvinni a balhét“) und eine persönliche Haftung Tarsolys abzuwenden. Nach zahlreichen Presseberichten über Orgován ließ Tarsoly, der als untergetaucht galt, dann jedoch vermelden, dass er die Unternehmensleitung erneut übernehme: Es solle der „falsche Eindruck“ vermieden werden, er wolle die Verantwortung auf Dritte abwälzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und andere Personen aus der Reihe der Bedürftigsten der Gesellschaft als Sündenböcke eingesetzt werden – mit deren Einverständnis.
Tarsoly wurde zwischenzeitlich in vorläufigen Gewahrsam genommen. Über den Erlass eines Haftbefehls soll heute entschieden werden.
Weiterhin wurde bekannt, dass der ungarische Staat – konkret das Außenministerium – die bei Quaestor befindlichen Wertpapiere rechtzeitig vor dem Kollaps des Brokers abgezogen hatte. Die Opposition vermutet „Insiderhandel“, da der Außenminister Péter Szijjártó mit Tarsoly befreundet sei – und auch derjenige gewesen sein dürfte, der diesem den exklusiven „Zugang“ zur Regierung verschafft hatte. Zudem wurde der Verdacht geäußert, die Flucht des Staates weg von Quaestor habe deren Pleite erst ausgelöst. Seit Wochen versucht die ansonsten thematisch kaum existente Opposition, durch das Quaestor-Thema In der Wahlbevölkerung zu punkten. Zuletzt wurden Forderungen erhoben, die Ungarische Nationalbank solle die Opfer entschädigen.
Kanzleramtsminister János Lázár und Regierungssprecher András Giro-Szász widersprachen der Darstellung des Insiderhandels: Szijjártó sei (so Lázár) eben „einer der besten Minister im Kabinett und habe schnell gehandelt“. Laut Aussage von Giro-Szász sei der Verdacht des Insiderhandels schon deshalb falsch, weil der Staat nur Wertpapiere in Verwahrung gehabt hätte, es sei nichts „gehandelt“ worden, die Verwahrung habe auf die Liquidität von Quaestor keine Auswirkung gehabt.
http://444.hu/2015/03/26/nagyon-durvan-terel-a-kormany-a-quaestor-ugyben/
Bemerkenswert ist, dass – anders als bei der zuvor in Insolvenz gefallenen und eher der Opposition verpflichteten Brokerfirma Buda-Cash – die vorläufige Festnahme trotz der zu erwartenden Schäden lange auf sich warten lässt, obwohl die Übergabe der Unternehmensleistung an einen vorbestraften Sozialhilfeempfänger keinen anderen Schluss zulässt als den der vorsätzlichen Vertuschung. Auch der plötzliche Auszug Tarsoly aus seiner Villa, die auf eine zypriotische Offshore-Gesellschaft läuft, ist als Indiz einer möglichen Fluchtgefahr zu werten.