Ostpol: Keno Versecks Reaktion auf die DGAP-Untersuchung

Die DGAP-Studie zur Ungarn-Berichterstattung in den Jahren 2010-2014 ruft langsam, aber sicher die zu erwartenden Reaktionen der – wenn man so will – „Protagonisten“ der deutschsprachigen Ungarn-Berichterstattung hervor. Nun repliziert auch Keno Verseck. Seine Aussagen ähneln im wesentlichen dem, was bereits auf dem Verfassungsblog zu lesen war. Überspitzt gesagt: Wie kann es ein Mann wie Klaus von Dohnanyi wagen, sich mit Viktor Orbán ins Bett zu legen? Wurde er gar bezahlt, mit einem Weinberg, einem Steinbruch, möglicher Weise mit EU-Mitteln? Es müssen finstere Motive sein, nicht wahr?

Nein, eigentlich nicht. Nur weil die Herde im gleichen Tonfall blökt (heute abend erst konnte man bei der gebührenfinanzierten ARD Zeuge des geringen Wissensstands von Wolf-Dieter Krause zu Ungarn werden), muss es nicht die Wahrheit und der Vertreter von Mindermeinungen („Ungarn ist und bleibt eine Demokratie“) nicht der Böse sein.

Verseck bleibt seinem betont Orbán-kritischen Standpunkt treu. Das ist weder schlimm noch verwunderlich. Die Regierung gibt ihren Gegnern zur Zeit genug Anlass für Kritik, sei es etwa durch die in Inhalt und Tonfall vollkommen verfehlte Debatte um die Flüchtlingspolitik. Überraschend ist aber, wenn der u.a. für Spiegel Online schreibende Verseck – nach meiner Erinnerung erstmals – einige wenige von vielen Fehlern in der deutschspachigen Berichterstattung einräumt. Solche Worte suchte man bisher vergeblich. Vielleicht hat die DGAP ein Steinchen ins Rollen gebracht – und gerade deshalb die Verärgerung auf sich gelenkt.

Man mache sich nichts vor: Es ist heutzutage leichter, mit oberflächlicher Orbán-Kritik durch den Blätterwald zu gelangen als sich vertiefte Landeskenntnis zuerst anzueignen und seine Leser daran angemessen teilhaben zu lassen. So eckt man nicht an und spart Zeit. Über Ursachen der politischen Situation, über die Mitverantwortung aller politischen Akteure seit 1990, über den traurigen Beitrag der ausländischen Scharfmacher an der Unversöhnlichkeit der innenpolitischen Lager zu berichten, erfordert hingegen Recherche und Sprachkenntnis. Oder den Willen zu einem Rundumblick, der bei dem einen oder anderen gut informierten Korrespondenten gegebenenfalls durch persönliche Verletzungen und Antipathie getrübt wird. Hieran trägt die Regierung übrigens Mit-, aber keinesfalls Alleinverantwortung.

Der von Donanyi konstatierte Konformitätsdruck – wir schreiben ab, denn dann müssen wir nicht selbst recherchieren – ist real, viel realer als das Lippenbekenntnis jener Orbán-Kritiker, die unermüdlich betonen, man solle doch über Ungarns politische Führung debattieren. Ja, man soll diskutieren: Nur trägt die deutschspachige Presse seit 2010 leider nur wenig zu einer „Debatte“ bei, vielmehr gibt sie gebetsmühlenartig fast ausschließlich die Position einer im Inland nicht zu Kraft gelangenden Linken und liberalen Opposition wieder. Die einem Oligopol ähnelnde deutschsprachige Ungarn-Berichterstattung zieht es vor, zu indoktrinieren, statt zu informieren: Und ist dabei nicht besser als das, was sie an Ungarns Presselandschaft bemängelt. Zugleich ist sie gegenüber handwerklichen Fehlern, die Verseck selbst eingesteht, ausgesprochen milde; den Verzerrungen, die Fidesz mit Jobbik gleichsetzen, die Fidesz als antisemitische Partei und oder als faschistoid bezeichnen, die von Zensur sprechen. Alles scheint hinnehmbar, wenn es nur „orbán-kritisch“ ist. Die DGAP spricht es denn auch ziemlich offen an: Man sollte als Journalist eben recherchieren und nicht nur die Dissidenten zu Wort bitten. Wer hier gemeint ist, muss man dem halbwegs Informierten nicht erklären.

Bevor ich es vergesse: Ist das Wort „Hysterie“, das Verseck im Zusammenhang mit der wenig zielführenden Strategie medialer „Landesverteidigung“ durch Fidesz anführt, nicht ebenso charakteristisch für einen Großteil der regierungskritischen Ungarn-Berichterstattung? Wenn ja (und einiges spricht meines Erachtens dafür), so ist die Frage zu klären, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei? 

Die DGAP lobt Orbán übrigens trotz aller Unkenrufe nicht. Dass Gegenteiliges dennoch behauptet und Dohnanyi nunmehr zum zweiten Mal im Zusammenhang mit Sarazzin genannt wird, belegt den hilflosen Versuch, den Überbringer der Botschaft zu strafen. Selbstkritik ist offenbar nicht die Tugend der Zeit.

http://ostpol.de/beitrag/4328-ungarn_berichterstattung_alles_uebertrieben

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9 Kommentare zu “Ostpol: Keno Versecks Reaktion auf die DGAP-Untersuchung

  1. Orbán?
    Geht es Verseck wirklich um Ungarn und Orbán?

    Ach Quatsch! In Kenos Hirn tummeln sich Legomännchen!

    Wenn das der Führer wüßte!

  2. Nach den aufschlussreichen Anmerkungen von Herrn Kálnoky gibt es inzwischen weitere Stimmen, die die von Herrn von Donanyi et.al. verfasste Studie in einem deutlich kritischeren Licht erscheinen lassen. Denn inzwischen stellen auch die Experten von dem Budapester Think Tank „Political Capital“, die an dem DGAP-Report mitgewirkt haben, die in dem Report angeführten „Fakten“-Lage in Frage:

    „Some sections of the report outline specific problems with due consideration, while elsewhere it blurs concepts, allows some factual errors to slip in and passes over a number of urgent issues besetting the electoral system. Obviously, the paper could not have undertaken a complete overview of the entire electoral regulatory environment, which is a daunting task to perform. However, the fact that some aspects of the system are covered in-depth while other equally relevant aspects are completely ignored, undermine the credibility of the report’s findings and conclusions, misleadingly ending on a positive note.“
    http://www.valasztasirendszer.hu/?p=1943188

    Auffallend kritikische Töne kommen man auch aus der Budapester Zeitung:

    „Demgegenüber äußerte eines der Mit­glieder der „Arbeitsgruppe Ungarn“, Dáni­el Hegedűs, Kritik am Bericht. Die Fest­stellungen der Arbeitsgruppe seien nach dem Mehrheitsprinzip erfolgt, so sei er mit seiner kritischen Meinung häufig in der Minderheit geblieben und also überstimmt worden. Auch kritisierte Hegedűs, der DGAP-Bericht habe nicht bedacht, welche weitreichenden Konsequenzen der Bericht auf den politischen Diskurs in Ungarn ha­ben wird und wie es seitens der Regierung instrumentalisiert werden kann.“
    http://www.budapester.hu/2015/06/18/die-medien-als-zerrspiegel-der-realitaet/

  3. Als Ergänzung zu dem DGAP-Report lesenswert!

    Die international angesehenen NGO Freedom House hat ihre 2015-Bericht über den Stand der Demokratie im Bereich des früheren Ostblocks (Nations in Transit 2015) vorgestellt:
    https://freedomhouse.org/report/nations-transit/nations-transit-2015

    Die als human rights watchdog anerkannte NGO kommt zu dem traurigen Ergebnis:
    „Hungary, driving the decline in Central and Eastern Europe, was demoted from “consolidated democracy” to “semi-consolidated democracy.” The demotion came after seven straight years of score declines.“

    Der Bericht als PDF-Dokument zu nachlesen:

    Klicke, um auf FH_NIT2015_06.06.15_FINAL.pdf zuzugreifen

    Es ist also nicht alles zu positiv wie es Herr von Donanyi zu vermitteln versucht!

      • Ilḥaq bi-l-qāfila rief der Budapester Großwesir im Imperium der Verlierer seiner völlig unterbezahlten Opposition zu, als dem sozialistischen Fortschritt damals die Kohle ausging und entließ Ungarns Demokraken Stück für Stück in den Westen.

        Ecc-pecc-kimehecc, dachte sich Miklós Haraszti und schloss sich der Karawane an. Bis dahin hatte er im Friedensprozess der antiimperialistischen Vietnambewegung in Budapest an einer Operettenversion nach Vorbild der deutschen Stadt-Guerilla gearbeitet. Seine Übersetzung des sozialkritischen Millionensellers von Merle Travis für die Budapester Band „Gerilla“ drehte sich als platte Dissidentenmasche, tempo giusto, against the involvement of the United States in the Vietnam War, „Tizenhat tonna“ als ungarische Schwungscheibe im Kampf gegen den Kapitalismus.

        Noch Fragen? Ja?

        A Gerilla az ELTE Vietnami Szolidaritási Bizottságának inspirációja nyomán alakult. Két kislemezük jelent meg, az egyiken szerepel egy dal Disszidensek (Ecc-pecc-kimehecc…) címmel. A politikai konformizmus vádja miatt a zenekar mai megítélése vegyes. „Mentségül szólva tegyük hozzá, hogy a pol-beat hazai képviselői indulásukkor nem látták tisztán, hogy a vietnami háborút Magyarországon ellenezni egészen mást jelent, mint az Államokban, s később figyelmük a hazai viszonyok felé fordult, az ezekről írt dalaikat azonban betiltották.”

        Keine weitere Frage!

        „Schließ dich der Karawane an!“, rief Miklós Haraszti nach seiner Rückkehr aus dem Westen – mit Sixteen Tons im Gepäck – dazu auf, eine „feste Basis“ (qāʿida sulba) zur Verbreitung der Untergrundzeitschrift „Beszélő“ zu gründen.

        Noch Fragen? Nein. Wie sich doch die Zeiten ändern. Vorzeiten, vor dem Seitenwechsel, als die Trotzki-Mao-Jünger noch hoffen durften, dass ihre Feinde im völkischen Wasser ertrinken, hat Freedom House seine Quellen noch nicht so schützen müssen.
        See Nations in Transit (NIT) 2011.
        See Miklos Haraszti, “Notes on Hungary’s Media Law Package,”Eurozine, 19 February, 2011, http://www.eurozine.com/articles/2011-03-01-haraszti-en.html

        Was ich mich wirklich frage, ist was ganz anderes, denn aus welchen demokratischen Quellen Freedom House die Informationen für seine NIT-Bericht schöpft, liegt doch auf der Hand. Ich frag mich eher, was Haraszti, Konrád und Dalos als immerwährende Demokratische Opposition zukünftig noch alles gegen Ungarn unternehmen werden. Weil der Schwerpunkt des demokratischen Friedensprozesses sich ja über die Jahre von der antiimperialistischen Bewegung against the involvement of the United States auf die antifaschistische Bewegung against the involvement of Viktor Orbán verlagert hat. Was Alexis Tsipras, weil er ständig Kohle braucht, schon längst begriffen hat. Antifaschismus kommt halt besser an als Harasztis früher Antikohlekapitalismus.

        Für Haraszti, Konrád und Dalos kommen Reparationszahlungen aus Zeitgründen genauso wenig in Frage, wie ein Seitenwechsel Höchstens noch der Etagenwechsel. Und da frage ich mich doch wirklich, ob die demokratische Opposition wie immer von oben herab, als Kundschafter zur Rechten Gottes sitzend oder stehend, demnächst die Eröffnung des von Putin schon lange gewünschten zweiten Mittelmeer-Marinestützpunktes in Griechenland als erste an Freedom House melden werden. Die „Notizen aus Ungarn“ bekommt Freedom House ja neuerdings von Herrn Kálnoky, den zum Glück noch niemand vor der Welt verbergen muss.

      • Liebe Frau Wolf, Drágám, ich vermisse Sie sehnlichst!
        Ich würde Ihnen so gerne eine Raubkopie der „Best Of KISZ“ CD schenken. Mit dem Song „16Tonna“ (Lyrics By [Translator] – Haraszti Miklós Written-By – Merle Travis), weil das Kürzel, das sich hinter dem Decknamen JFP versteckt, hier zu dem traurigen Ergebnis gekommen ist : “Hungary, driving the decline in Central and Eastern Europe, was demoted from “consolidated democracy” to “semi-consolidated democracy.”!
        Drágám, um es mit Miklós Harasztis Worten zu sagen: „Az egyik öklöm vas, a másik acél,
        Ha nem talál el jobbról, akkor balról sem elér.
        16 Tonna, da wundern Sie sich noch?
        Dass Haraszti heute der beste Informant ist, auf den Freedom House noch zurückgreifen kann?
        Also ich wundere mich über nichts mehr, ich bin ja nicht Siegmar und auch nicht Frank-Walter! Und von der „Rechtsnachfolgerin der SED“ halte ich soviel, wie von ihrer Bruderpartei, der „Koalition der Radikalen Linken“. Apropos, Drágám, näheres zu linken Männerfreundschaften, zu Gregor und Alexis, finden Sie hier:
        http://de.reuters.com/article/economicsNews/idDEKCN0P80KC20150628
        und hier:
        http://www.gofeminin.de/leidenschaft/laendersex-d21040c276686.html

        Wir müssen nur, vulgär gesagt, den Arsch hinhalten. Erős hát és semmi ész, csak az kell még.
        No Lyrics by [Translator] – Haraszti Miklós Written-By – Merle Travis

  4. „Geld sei nicht im Spiel, das betonen auf Nachfrage sowohl die DGAP als auch Klaus von Dohnanyi selbst.“ schreibt Verseck.

    Dieser Satz ist eine Unverschämtheit. Es suggeriert die Möglichkeit, dass Dohnanyi bestechlich sein könnte. Es ist wirklich merkwürdig, mit welcher Vehemenz von manchen Orbán-Hassern Menschen mit anderen Meinungen weggebissen werden. Ähnlich ist es vor einigen Monaten Imre Kertész gegangen. Trotz Lebenswerk, Format, Erfahrungen wird die Urteilsfähigkeit dieser großen Persönlichkeiten angezweifelt, sobald die in der Orbán-Frage anderer Meinung sind.

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