SPON: Keno Verseck und das Ritterkreuz für Zsolt Bayer

Lange, lange durfte die seit einigen Monaten unterbeschäftigte Armada der Ungarn-Berichterstatter ausharren, sich langweilen, nach Themen suchen. Die Suche nach aktuellen Beiträgen von Gregor Mayer, Stephan Osváth und anderen ergab kaum Erfrischendes, schon gar nichts Empörendes.

Am 20. August 2016 war es dann soweit, die ungarische Regierung gab eine echte Steilvorlage für ihre Kritiker. Zsolt Bayer, hier im Blog oft behandelter Journalist mit zweifelhafter Wortwahl und offen rassistisch-antiziganistisch-antisemitischer Einstellung (siehe Suchfunktion unter „Zsolt Bayer“), erhielt das Ritterkreuz des ungarischen Verdienstordens. Die Empörung hierüber ist – auch unter ehemaligen Preisträgern – so groß, dass bislang mehr als 30 der Ausgezeichneten ihre Orden zurückgaben. Sie wollen nicht einmal zufällig mit Bayer in einem Boot sitzen.

So weit, so schlecht. Der Autor dieser Zeilen hält die Auszeichnung Bayers für einen beispiellosen Fehlgriff, ein fragwürdiges Zeichen in Richtung jener Wählergruppen, die in Bayers verbalen Ausfällen Mut und Geradlinigkeit zu erkennen meinen. Der Kampf mit Jobbik scheint immer noch zu schwelen.

Traurig jedoch auch hier: Keno Verseck, der für Spiegel Online die Preisverleihung zerreißen darf, schafft es selbst bei einem praktisch auf dem Elfmeterpunkt liegenden Ball nicht, in seinem Beitrag bei den nackten Fakten zu bleiben. Zu groß scheint die Versuchung zu sein, den Worten Bayers Dinge hinzuzudichten oder dem Leser wichtige Informationen vorzuenthalten. Warum, wird nur der Autor beantworten können – ich vermute aber, es wird schon dem guten Zweck dienen…

„Er ruft dazu auf, Roma-Kinder mit dem Auto zu überfahren.“ Später im Text: „Im Oktober 2006 schrieb er nach einem grausamen Lynchmord an einem Lehrer, der von einem wütenden Roma-Mob begangen worden war: „Wenn jemand ein Zigeunerkind überfährt, handelt er richtig, wenn er nicht anhält. Wenn es darum geht, Zigeunerkinder zu überfahren, sollten wir kräftig aufs Gaspedal treten.“

Nun, nicht ganz. Tatsächlich schrieb Bayer in seinem Beitrag aus dem Jahr 2006:

„Mindezen tények ismeretében pedig vonjuk le a legalapvetőbb következtetéseket. 1. Bárki, aki ebben az országban elgázol egy cigány gyereket, akkor cselekszik helyesen, ha eszébe sem jut megállni. Cigány gyerek elgázolása esetén tapossunk bele a gázba. Ha időközben körbeállják autónkat a cigányok, még inkább tapossunk bele a gázba. Akit még elütünk, annak pechje van. A lehető legnagyobb sebességgel továbbhajtva, autónkból hívjunk mentőt, és a legközelebbi rendőrőrsön álljunk csak meg, ahol adjuk fel magunkat.“

(„In Kenntnis all dieser Tatsachen sollten wir folgende Erkenntnisse ableiten: 1. Jedermann, er in diesem Land ein Zigeunerkind anfährt/überfährt, handelt richtig, wenn er nicht einmal daran denkt, anzuhalten. Wenn er ein Zigeunerkind anfährt/überfährt, sollte er aufs Gas treten. Wenn die Zigeuner das Auto umstellt haben, sollte er erst Recht aufs Gas treten. Wer angefahren wurde, hat eben Pech gehabt. Während wir mit maximaler Geschwindigkeit weiterfahren, sollten wir aus dem Auto den Notarzt rufen, und an der nächsten Polizeistation anhalten, um uns zu stellen.“)

Was war der Hintergrund dieses gruseligen Beitrags? Ein gruseliger Vorfall. Der Lehrer Lajos Szögi wurde im Ort Olaszliszka, nachdem er ein plötzlich über die Straße laufendes Roma-Mädchen angefahren hatte (das Kind wurde leicht verletzt und lief davon), anhielt und sich um das Kind kümmern wollte, von einem Mob der örtlichen Roma-Bevölkerung vor den Augen seiner beiden Töchter so lange geschlagen und getreten, bis er tot war. Während des Angriffs wurde von mehreren Tätern „Bring den Ungarn um“ („Öldd a magyart„) gerufen – was nach ungarischem Recht den Tatbestand einer „Straftat gegen eine Gemeinschaft“ (worunter Mehrheiten wie Minderheiten gleichermaßen fallen) erfüllt.

Bayer verstieg sich in seinem Beitrag zwar – wie fast immer – in der Wortwahl und in seinen Thesen, doch hat er zu keinem Zeitpunkt dazu aufgerufen, Zigeuner Roma-Kinder mit dem Auto zu überfahren. Diese Aussage, Herr Verseck, ist also schlichtweg frei erfunden. Bayer zog in der von Spiegel Online verdrehten Passage vielmehr den (traurigen!) Schluss, dass man, wenn man in Ungarn nach einem Verkehrsunfall Gefahr läuft, von einem wütenden Mob totgeschlagen zu werden, man wohl besser weiterfährt, den Notarzt ruft und sich an die Polizei wendet.

Zsolt Bayer, den ich hier einmal als den von der ausländischen Presse meistüberschätzten ungarischen Publizisten bezeichnet habe (Grund, diese Meinung zu ändern, habe ich nicht), ist und bleibt der Gummiknochen für die Orbán-Kritiker. Vielleicht ist genau das einer der Gründe für seine Auszeichnung?

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3 Kommentare zu “SPON: Keno Verseck und das Ritterkreuz für Zsolt Bayer

  1. Bayers Handschrift ist durchaus Kritikwürdig. Sine Inhalte aber auf jeden Fall wirklichkeitsnäher als die Hetze liberale Landsknechte.

  2. …. von einem Mob der örtlichen Roma-Bevölkerung…
    Allein für diese Worte, lieber HV, werden Sie in Deutschland medial gesteinigt. Aber leider liest ihre Zeilen fast keiner. Man würde ihre Worte einfach aus dem Zusammenhang reißen.

    Statt dessen wird heute morgen im deutschen Staatsfernsehen im Morgenmagazin behauptet, Ungarn sei auf direktem Wege in den Faschismus – und der Zaun, der nun verstärkt werden soll, sei ein Beweis dafür. Asselborn ist überall. Ungarn raus !
    Wir werden noch einiges erleben, der mediale Unsinn zieht Kreise in der Krise. Die Medien reagieren immer nervöser und widersprüchlicher.

    Flüchtlinge, die in Ungarn stranden, würden nach heutiger Lage zu 100% nicht in der EU verteilt werden. Logisch. Erinnern wir uns an das Theater der Österreicher: Klage vor dem EuGH wegen der nicht Zurücknahme von Flüchtlingen, die in Ungarn registriert wurde, aber über Bulgarien und Griechenland in die EU kamen. Bayern hat prompt reagiert.

  3. https://www.welt.de/politik/ausland/article158187076/Ungarn-haelt-Asselborn-und-Schulz-fuer-gefaehrlich.html

    Der rechtspopulistische Minster Bálog… so tőnt es in den deutschen Medien.
    Ich kenne niemanden, der so hart arbeitet und so wenig Populist ist. Oder wird der Begriff bald zum Positivum ?

    Balog weist zurecht darauf hin, dass die Roma-Frage eine zentrale Frage in Ungarn ist. Er hat recht, wenn er behauptet, der Westen habe keine Ahnung – zumindest von osteuropaischen Staaten. Genau das ist meine ureigene Erfahrung. Die eigentliche Gefahr aber sind die Medien in Deutschland. Die treiben den Hass in die Hőhe, gemaess dem Motto: Polarisierung führt zu Mobilisierung. Sie betreiben mehr Spaltung, als es die Regierung Orbán vermag..

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