Vor einigen Tagen las ich mit Interesse einen Beitrag im Standard über den Leiter des Osteuropabüros des Österreichischen Rundfunks (ORF), Ernst Gelegs. Der mit „Treue Diener der Regierung“ überschriebene Artikel über Ungarn macht – nicht zum ersten Mal – angebliche Versuche der amtierenden rechtskonservativen Regierung zum Thema, „kritische Journalisten“ mundtot zu machen.
http://derstandard.at/1361240851977/Treue-Diener-der-Regierung
Aufhänger des Interviews sind angebliche Sabotageakte ungarischer Regierungskreise mit dem Ziel, Gelegs Arbeit wegen seiner kritischen Haltung zu erschweren. Und Proteste des österreichischen Botschafters in Wien, der sich – unter Vorlage angeblich privater, von Gelegs verfasster E-Mails – beim ORF über Gelegs beschwerte. In den E-Mails hatte sich Gelegs mit „Grüßen aus Orbánistán“ verabschiedet. Und versteht gar nicht, was daran auszusetzen ist.
Der Botschafer betrachtete diese Wortwahl, die übrigens auch bei weiteren österreichischen Journalisten, etwa dem dpa-Nachrichtenlieferanten, bekennendem Antifaschisten und Orbán-Bekämpfer Gregor Mayer, zum eingeführten Wortgebrauch gehört, als Zeichen fehlender Neutralität, gar Feindseligkeit. Ein Eindruck, der jedenfalls nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist. Wenn auch die Reaktion überzogen erscheint und der Kampf gegen die Windmühlen des deutschsprachigen Mainstream-Journalismus, der seine Leser mit den immer gleichen Stichworten und oft genug Halbwahrheiten über Ungarn versorgt, kaum zu gewinnen ist.
Die Sinnhaftigkeit der amtlichen Leserbriefe und Protestnoten soll jedoch nicht mein Thema sein. Der Botschafter jedenfalls wies Vorwürfe, die Ablösung Gelegs betrieben haben, mit Nachdruck zurück. Wer aber glaubt, der ORF, der von politischer Einflussnahme völlig frei ist und als Bastion politischer Unvoreigenommenheit gilt 🙂 , ließe sich von rechtskonservativen Protestnoten beeindrucken, hat die linke Durchdringungstiefe und den Einfluss Paul Lendvais beim ORF völlig falsch eingeschätzt.
Lieber befasse ich mich mit dem Standard-Artikel. In diesem wird nämlich, was bemerkenswert ist, dem geneigten Leser nur ein Bruchteil dessen mitgeteilt, was Gelegs in der ungarischen Tageszeitung Népszabadság, der führenden und linksliberalen Publikation des Landes, zu seinem „Bann“ geäußert hat. Der ungarische Leser erfährt – anders als der des Standard – etwa, dass die Situation laut Gelegs unter den Sozialisten (namentlich Gyurcsány) auch nicht besser gewesen sei. Denen sei Gelegs zu konservativ gewesen. Gyurcsány habe erst dann auf seine Interviewanfragen reagiert, als er in die Opposition geschickt worden war. Merkwürdig, dass diese wichtigen Fakten, die ein realistisches Bild von der von Misstrauen geprägten ungarischen politischen Landschaft aufzeigen, im Wiener „Standard-Filter“ hängen geblieben sind.
Der Leser des Standard bekommt ein anderes, suggestives, Bild vermittelt: Das der Orbán-Regierung, die – vermeintlich entgegen bisheriger Praxis und guter demokratischer Traditionen – Journalisten die Arbeit unmöglich mache, sie gar ausschließe, um kritische Berichte zu verhindern. Das Mediengesetz wird auch erwähnt, obgleich Gelegs insoweit kaum Einschränkungen erlebt haben dürfte.
Auch an anderen Stellen ist die Népszabadság dem Standard ein Stück voraus: Sie lässt englischsprachige Korrespondenten zu Wort kommen, die die Erfahrungen ihrer deutschsprachigen Kollegen, namentlich die von Gregor Mayer und Bernhard Odehnal, die sogar „auf schwarze Listen gesetzt“ worden sein sollen, nicht nachvollziehen können. Adam LeBor, der für den Economist und die Times schreibt, konstatiert der aktuellen ungarischen Regierung professionelle Kommunikation, sie sei den Sozialisten gar überlegen. Eine Entwicklung, die man 1998-2002, als Fidesz der ausländischen Presse völlig unbeholfen gegenübertrat, nicht erwartet hatte.
Ein genialer Lacher ist am Schluss des Népszabadság-Artikels zu finden: Nach den Ursachen für die unterschiedlichen Wahrnehmungen zwischen englisch- und deutschsprachigen Kollegen befragt, beweist Mayer das zu erwartende Fehlen jeder Art von Selbstkritik:
„Nach Mayers Auffassung behandelt das Büro Orbáns die angelsächsischen Berichterstatter etwas freundlicher (Anm. HV: als die deutschsprachigen), vielleicht weil sie sich besser verständigen können.“
http://nol.hu/kulfold/20130226-kulfoldi_tudositok_magyar_feketelistan
Verehrter Herr Mayer, werter Herr Odehnal: Wie es in den Wald hineinruft, schallt es wieder heraus. Die englischsprachige Presse ist schlichtweg nicht so feindselig gegenüber dem („Copyright“ Gregor Mayer, dpa) „lieben Führer“ Orbán*. Sie versucht auch nicht, Fidesz fortwährend als antidemokratisch, faschistisch, verkappt rechtsradikal, antziganistisch und antisemitisch darzustellen. Kurz gesagt: Die britischen Journalisten verfolgen keine „Aufmarsch – die rechte Gefahr aus Osteuropa“ Agenda. Vielleicht liegt es ja an der Professionalität und eher gegebenen Unvoreingenommenheit der englischen Kollegen, die viele deutschsprachige Journalisten in ihrem politischen Kampf gegen Orbán längst abgelegt haben. Mayer (Standard, dpa), Lauer (Standard, dpa), Odehnal (Tagesanzeiger), Kahlweit (Süddeutsche Zeitung), Leonhard (TAZ) und auch Lendvai (everywhere…) sind Namen, die bei jedem Regierungsvertreter Gewissheit haben reifen lassen, dass mit einer fairen Berichterstattung nicht zu rechnen ist. Lendvai hat mit seinem 2012 gesendeten Zerrbild „Nationale Träume“ alle Dämme brechen und jeden Zweifel verschwinden lassen, wo er steht. Die fast allesamt in Wien ansässigen Ungarn-Korrespondenten eifern ihm nach, nur dass sie ihre offene Feindseligkeit nicht in Anekdoten, endlosen Monologen und Floskeln verhüllen. Sie lassen ihrer Verachtung freien Lauf.
An Verständigungsproblemen dürfte es bei Gregor Mayer nicht liegen: Der spricht nämlich hervorragend ungarisch.
Keiner verpflichtet Journalisten, fair zu berichten: Aber man sollte sich dann auch nicht beschweren, wenn die Interviewpartner abwinken.
Es gibt aber Licht am Ende des Tunnels: In den vergangenen 3 Jahren hat sich in Sachen „Pressearbeit“ des Fidesz mehr getan als in den 20 Jahren davor. Wer einen Beleg dafür braucht, der überzeuge sich von der Empörung der US-Kampfpostille „Amerikai Nepszava“, die kürzlich einen US-Journalisten unter dem Titel „Orbán kauft die amerikanische Presse“ wüst beschimpfte, weil der es gewagt hatte, den für Kommunikation zuständigen Staatssekretär Ferenc Kumin zu Wort kommen zu lassen und unverfälscht wieder zu geben (HV berichtete). So reagiert nur einer, dessen Monopol man gebrochen hat.
* Begriff („szeretett vezetö“ = geliebter Führer) ursprünglich geprägt von János Dési, der in der linksoppositionellen Tageszeitung Népszava publiziert, für Klubrádió arbeitet und bei ATV abgesetzt wurde, weil er den Zeremonienmeister für Ferenc Gyurcsánys „Demokratische Koalition“ spielte.