Tagesanzeiger: Bernhard Odehnal thematisiert die Radnóti-Statue

Bernhard Odehnal, Autor des „Tagesanzeiger„, Mitverfasser (gemeinsam mit dpa-Korrespondent Gregor Mayer) des Buches „Aufmarsch – die rechte Gefahr aus Osteuropa“ und als heftiger Kritiker der ungarischen Regierung Orbán bekannt, berichtet über die Zerstörung des zu Ehren des Dichters Miklós Radnóti errichteten Denkmals am westlichen Stadrand von Győr vor etwa zwei Wochen (HV berichtete unter Bezugnahme auf Pressemeldungen).

http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Unfall-oder-antisemitischer-Anschlag/story/14037554

Die dpa hatte den Vorfall – die Statue wurde durch eine Kollision mit einem Kfz zerstört – für einen „wohl“ antisemitischen Anschlag erklärt, wohingegen die Behörden Ermittlungen wegen eines Verkehrsunfalls eingeleitet hatten. Spiegel Online übernahm die Meldung und ergänzte sie um eine Bewertung zum anstehenden Holocaust-Gedenkjahr 2014, die letztlich darauf abzielte, diese von der Regierung geplante Maßnahme als unglaubwürdig hinzustellen. Jeder schien aufgrund dieser Berichte sogleich zu wissen, dass es sich um einen antisemitischen Vorfall handeln musste.

Der Unfallfahrer meldete sich einen Tag nach der Kollision bei der Polizei und schilderte die Tat. Er sei in der Dunkelheit, aufgrund fehlender Ortskenntnisse und Nebels mit der Statue kollidiert.

Odehnal vermutet weiterhin andere Hintergründe und stellt die Schilderung des Unfallfahrers in Einzelheiten – nicht ohne Grundlage – in Frage. So ist die Schilderung, dass der Unfallfahrer sich auf dem Weg nach Győr befand (d.h. in österlicher Fahrtrichtung), eher unwahrscheinlich. Die Statue und das Unfallbild deuten auf die entgegengesetzte (westliche) Fahrtrichtung hin. Fehler in der Schilderung des Geständigen machen freilich noch keinen antisemitischen Hintergrund: Da in Ungarn im Bezug auf Alkoholfahrten eine Politik der „zero tolerance“ und eine 0,0 Promille-Grenze herrscht, könnten die Ungereimtheiten etwa damit erklärt werden, dass der Fahrer betrunken unterwegs war (nicht zwingend als seriös anzusehende Quellen im Internet behaupten, der Fahrer sei mehrfach vorbestraft und habe den Mercedes eines in Haft befindlichen Freundes genutzt), bei der Flucht das Fahrzeug stehen ließ und sich 24 Stunden später – dann schon ohne Nachweismöglichkeit von Blutalkohol – der Polizei stellte. Unter Umstände könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass die Stelle rund um die Statue ein beliebter Treffpunkt des „ältesten Gewerbes der Welt“ sein soll. Nur die noch zu führenden Ermittlungen können die Einzelumstände erhellen und endgültigen Aufschluss über den Vorfall geben. Jedoch: Ebenso wie Odehnal den „Regierungsnahen“ vorwirft, sich eine Meinung gebildet zu haben, bevor der Vorfall auch nur ansatzweise geklärt war, so müsste sein Vorwurf die dpa treffen. In diese Richtung ist Odehnal keineswegs so angriffslustig – obgleich gerade eine Presseagentur zu besonderer Sorgfalt und Objektivität verpflichtet ist.

Stattdessen greift Odehnal, der unter sicherem Beifall der Antifa auch mal davon schrieb, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sehe sich als „legitimen Nachfolger des Nazi-Verbündeten Nikolaus von Horthy“ und beim ORF davon sprach, Ungarn sei eine „Quasi-Diktatur mit ganz starkem Antisemitismus und Chauvinismus„, die Budapester Zeitung heftig für deren Kritik an der unsorgfältigen, voreiligen und voreingenommenen Arbeit von dpa und Spiegel Online an. Die BZ wird pauschal als „besonders regierungsnah“ bezeichnet – was wohl für eingeweihte Leser des Tagesanzeigers nichts anderes als ein Code für „unglaubwürdig“ ist. Odehnal:

Für die regierungsnahen Medien war die Angelegenheit damit keineswegs erledigt. Die «Budapester Zeitung» fragte, warum die internationale Presse nun schweige, und sie verlangte eine Entschuldigung für den Verdacht, das Denkmal könne Opfer eines antisemitischen Anschlags gewesen sein. Die besonders regierungsfreundliche deutschsprachige Zeitung unterstellte ausländischen Journalisten, sie hätten einen banalen Discounfall zu einem Skandal aufgebauscht.“

Selbst der Blog Hungarian Voice kommt, obwohl nicht namentlich genannt, in dem nachtarockenden Beitrag Odehnals vor:

Als Kronzeugen zitierte die Zeitung einen Rechtsanwalt, der auf seinem Ungarn-Blog die Regierung Orbán gegen Kritik und Angriffe aus dem In- und Ausland verteidigt.“

Der Nachrichtenwert dieses Satzes dürfte gering sein, es geht wohl eher um die Schubladisierung des „Kronzeugen“. Der beschränkte seine Tätigkeit in diesem Fall allerdings lediglich darauf, anzumerken, dass die dpa und Teile der deutschen Presse vor Abschluss der Ermittlungen, konkret zu einem Zeitpunkt, in dem die Hintergründe des Vorfalls völlig im Unklaren lagen, sich tendenziell auf eine Tat mit antisemitischem Hintergrund festlegten. Der „Kronzeuge“, der diese Zeilen verfasst, ist kein Hellseher, weiß daher auch nicht, was sich künftig im Zuge der Ermittlungen noch herausstellt: Fest steht nur, dass die Meldung der dpa, sich deckend mit der auch von Odehnal mitgetragenen Tendenz, die ungarische Regierung in die Nähe des Antisemitismus und „Quasi-Diktatur“ zu rücken, der Polizei klandestin sogar Vertuschung vorzuwerfen (nichts anderes tut Odehnal jetzt), sich bislang nicht durch Fakten erhärten lassen. Munteres Spekulieren, im Zweifel gegen den Angklagten.

Der Preis, den der Verfasser dieses Blogs dafür zahlt, dass er Fragen stellt, die in der deutschsprachigen Presse sonst eher unbehandelt bleiben (Odehnal muss sich z.B. fragen lassen, warum er nicht über die Rede von Tibor Navracsics berichtet hat, in der dieser als ranghoher Regierungsvertreter – endlich – der langen Forderung nachkam, Ungarn möge sich zur Mitverantwortung am Holocaust bekennen), ist nicht besonders hoch: Lediglich pauschale Unterstellungen der Regierungsnähe und Beschimpfungen seiner Kritiker muss sich der Verfasser mitunter gefallen lassen. Zu den wütenden Beiträgen von links bis linksaußen gesellen sich übrigens auch solche von rechtsextremer Seite. Entscheidend für den Macher dieses Blogs ist jedoch nicht die Gefühlslage der in der Ungarnberichterstattung überproportional und lautstark vertretenen Minderheit bekennender Antifaschisten oder Rechtsradikaler, sondern allein die Leserresonanz. Und die spricht – Hungarian Voice ist seit 2010 zum mit Abstand meistgelesenen Blog zu Ungarn in deutscher Sprache geworden – eine deutliche Sprache. Bereits dieser bescheidene Erfolg scheint zu genügen, um die Wut der bisherigen Monopolhalter in Sachen Ungarn-Berichterstattung auf sich zu lenken; jener Kritiker also, die vorgeben, für Pluralismus und Meinungsfreiheit einzutreten. Dass der Blog auch von jenen gelesen wird, denen er offenkundig ein Dorn im Auge ist, betrachtet der „Kronzeuge“ übrigens als Prädikatsmerkmal besonderer Güte.

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Reinhard Olt im Gespräch mit der „Presse“

Reinhard Olt, der frühere und mittlerweile in Ruhestand getretene frühere FAZ-Korrespondent in Wien, spricht mit der Tageszeitung Die Presse über seine Arbeit.

http://diepresse.com/home/leben/mensch/1301003/-Reinhard-Olt_Mag-keinen-journalistischen-Einheitsbrei?_vl_backlink=/home/leben/mensch/index.do

Einige Auszüge:

In österreichischen wie auch in deutschen Medien ist eine starke Verknappung und ein Hang, an der Oberfläche zu verbleiben, festzustellen. Es wird immer weniger Tiefgründiges, Hintergründiges geboten. Alles wird mitgemacht, was uns abends das Fernsehen vorgibt, und es wird wiedergekäut, was von den Nachrichtenagenturen vorbestimmt ist. Die Redaktionen sind viel zu stark darauf fixiert, was in diesen Agenturen läuft.

„Bei meinen Beobachtungen zu Ungarn ist mir aber eines aufgefallen: Es gibt bei der Bewertung der innenpolitischen Lage in Ungarn ein paar Stichwortgeber. Und leider neigen Journalisten oft dazu, diese Stichworte sogleich für bare Münze zu nehmen. Das kann ich nicht akzeptieren.“

Ungarn ist heute eine tief gespaltene Gesellschaft – zwei Lager, die sich mit abgrundtiefem Hass gegenüberstehen. Ich sehe derzeit auch keine Möglichkeit, wie diese Spaltung zu überwinden wäre. Da müssten so viele Hände ausgestreckt werden.“

Ich stimme Olt nicht nur in Bewertung der Spaltung der ungarischen Gesellschaft zu, sondern auch in der These, dass die Agenturen das Bild (leider fast alleine) bestimmen – und weniger die eigene Recherche. Was dann zum Problem wird, wenn Agenturmitarbeiter sich weniger der Objektivität, sondern ihrer eigenen politischen Überzeugung verpflichtet fühlen. Jeder kann sich sein eigenes Bild darüber machen, ob Gregor Mayer und Kathrin Lauer, die maßgeblich das Ungarn-Bild im deutschsprachigen Raum durch ihre Agenturtätigkeit für die dpa (und andere Agenturen) mitbestimmen, dem Idealtyp des Agenturmitarbeiters entsprechen, wenn sie im übrigen auf Facebook gegen die aktuelle Regierung zu Felde ziehen und aus ihrer Verachtung kaum jemals einen Hehl gemacht haben. Dagegen, dass sie ihre eigenen (Facebook)-Beiträge über „Orbánistan“ verfassen, hat niemand etwas: Nur sollten die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen eben wissen, auf wen sie hier bauen. Nicht mehr und nicht weniger.

Man darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es eben jene dpa war, die eine Falschmeldung über das ungarische Mediengesetz lancierte – und bis heute nicht das Rückgrat atte, sie zu korrigieren: https://hungarianvoice.wordpress.com/2011/01/09/martonyi-stellt-klar-es-gibt-keine-geldbusen-bei-verletzung-des-gebots-der-ausgewogenheit/

Und auch die Stichwortgeber (außerhalb der Agenturen), die immer und immer wieder das Bild Ungarns im Ausland prägen – sozusagen die Lieblings-Interviewpartner – sind hinreichend bekannt. Auch insoweit besteht kein Problem, György Konrád zum einhundertsten Mal um seine Einschätzung zu bitten. Es wäre aber schön, wenn man auch die andere Seite zu Wort kommen ließe. Paul Lendvai sieht das offenkundig anders, wer seine tendenziöse und verzerrende jüngste ORF-Reportage gesehen hat, weiß, wovon ich spreche. Und wenn dann noch Gregor Mayer von einer „nüchternen Bestandsaufnahme“ spricht, weiß auch, welcher Wind uns von der dpa Budapest entgegen weht.

Boris Kálnoky in der WELT: Putschversuch oder Kampagne gegen Viktor Orbán?

Boris Kálnoky hat für die WELT Online einen Artikel über jüngst erschienene Pressemeldungen verfasst, Viktor Orbán habe im Rahmen einer Fidesz-Klausurtagung den US-Fernsehsender CNN verdächtigt, einen Putschversuch gegen ihn unternommen zu haben. Orbán habe auch auf der Opposition nahestehende Diplomaten sowie „Rebellen“ innerhalb des Fidesz hingewiesen.

http://www.welt.de/politik/ausland/article13862478/Putschversuch-oder-Kampagne-gegen-Viktor-Orban.html

Jánor Lázár, Fraktionschef des Fidesz im ungarischen Parlament, dementierte die Meldung sehr entschieden.

Die entscheidende und auch von Kálnoky behandelte Frage ist: Hat Orbán tatsächlich so gesprochen oder versuchen Orbán-kritische Kreise, ihn als Phantasten und Verschwörungstheoretiker darzustellen? Fest steht: Die Meldung wurde zunächst von oppositionsnahen Zeitungen wie HVG und Népszabadság verbreitet, heute brachte dann auch der offen Orbán-kritische dpa-Korrespondent Gregor Mayer („Aufmarsch – die rechte Gefahr aus Osteuropa“) die Meldung via Agentur.