Meret Baumann berichtet in der Neuen Zürcher Zeitung über den Beschluss des Europarates, kein Monitoringverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Der Europarat kritisiert in einer Resolution die Rechtspolitik der ungarischen Regierung deutlich.
Europarat
Kein Monitoringverfahren gegen Ungarn
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (Council of Europe) hat heute beschlossen, kein Monitoringverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Die Entscheidung fiel mit 135:88 Stimmen.
Der Rat möchte die Situation in dem EU-Mitgliedstaat weitherhin beobachten.
http://www.politics.hu/20130625/council-of-europe-votes-against-monitoring-hungary/
Die beiden Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International hatten sich in einer gestern bekannt gewordenen Verlautbarung nochmals für ein Monitoring stark gemacht. Im April 2013 war durch eine mit knapper Mehrheit gefasste Entscheidung eines Komitees des Europarates das Monitoring empfohlen worden. Zudem hatte die für Verfassungsrecht zuständige Venedig-Kommission des Europarates die jüngste Grundgesetzänderung deutlich kritisiert.
Bereits vor einigen Wochen zeichnete sich jedoch bei einem Treffen der Fraktionen ab, dass eine Mehrheit für das Monitoring nicht zustande kommen würde. Dies bestätigte sich heute.
Update 21:45 Uhr:
Die Pressemitteilung im Wortlaut:
„Hungary: PACE decides not to open a monitoring procedure
Strasbourg, 25.06.2013 – While raising in a resolution adopted today “serious and sustained concerns” about the extent to which Hungary is still complying with the obligations it took on when it joined the Council of Europe, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe (PACE) decided however not to open a monitoring procedure in respect of the country but resolved “to closely follow the situation” and “to take stock of the progress achieved” in the implementation of the adopted text.
According to the parliamentarians, a constitutional framework should be based on broadly accepted values in society, and several provisions are a concern to a part of Hungarian society. These provisions however “are based on traditional European values, are noted in the Constitutions of many other European countries and were adopted by a democratic two-thirds majority in the Hungarian Parliament“.
The Assembly took note of the opinion of the Venice Commission on the 4th constitutional amendment, the conclusions and findings of which confirm the concerns of the Assembly. It urged the Hungarian authorities, in close co-operation with the Venice Commission, “to fully address the concerns and implement the recommendations contained in the opinion”.
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On 25 April 2013, the PACE’s Monitoring Committee recommended to the Assembly to open a monitoring procedure in respect of Hungary. On 30 May, the Bureau of the Assembly did not support the opening of such procedure.
Ten of the Council of Europe’s 47 member states are currently subject to the Assembly’s monitoring procedure (Albania, Armenia, Azerbaijan, Bosnia and Herzegovina, Georgia, Republic of Moldova, Montenegro, Russian Federation, Serbia and Ukraine) and four are subject to “post-monitoring dialogue” (Bulgaria, Monaco, “the former Yugoslav Republic of Macedonia” and Turkey).
The monitoring procedure involves regular visits to the monitored country to assess progress and engage in dialogue with the authorities, political forces, judiciary and civil society, as well as periodic evaluations debated by the Assembly.“
Vierte Grundgesetzänderung: Stellungnahme der Venedig-Kommission im Volltext
Die am 14./15. Juni 2013 angenommene endgültige Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarates zur Vierten Änderung des ungarischen Grundgesetzes ist im Volltext unter folgendem Link erreichbar:
http://www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-AD%282013%29012-e
Die Sichtweise der Venedig-Kommission in Stichpunkten:
- Verstöße gegen Europäische Rechtsprinzipien durch die Aufnahme einer allgemeinen „Schuldklausel“ im Bezug auf die kommunistische Vergangenheit ohne Rücksicht auf individuelle Verantwortung
- Fehlen klarer Kriterien im Bezug auf die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Kirche, Fehlen effektiven Rechtsschutzes bei Ablehnung der Anerkennung
- Beschränkung der Wahlwerbung führt zu einer Disproportionalität und Nachteilen zu Lasten der Opposition
- Unklare Kriterien bei der Frage, wann die Meinungsfreiheit zum Schutz von „Gemeinschaften“ beschränkt werden kann; hier birgt insbesondere die „Würde der Nation“ die Gefahr in sich, dass die Meinungsfreiheit im Interesse von politischen Institutionen und Amtsträgern beschränkt wird
- Justiz: Kritik an der starken Position der Präsidentin des Landesjustizamtes (hier begrüßt die Kommission die Absicht der Regierung, die Vorschriften anzupassen, nachdem sie auch von der EU zur Änderung aufgefordert wurde) und der Möglichkeit, Sondersteuern bei Gerichtsentscheidungen z.B. des EuGH durchzuführen (auch hier hat die Regierung Einlenken angekündigt).
Besondere Kritik der Venedig-Kommission erfährt die ungarische Regierungsmehrheit im Bezug auf die Rolle des Verfassungsgericht:
Hier rügt die Kommission, dass der Verfassungsgeber Regelungen in Verfassungsrang gehoben hat, die vormals vom Verfassungsgericht für grundgesetzwidrig bewertet wurden. Die Kommission sieht hierin eine Beschränkung der Rolle des Gerichts als Wächter über die Verfassung und zugleich einen Bruch des Systems von „checks and balances“.
Weitere Kritik erntet Ungarn für eine Regelung, die frühere Entscheidungen des Verfassungsgerichts außer Kraft setzt. Hier sei die Rechtskontinuitär ebenso wie grundlegende Prinzipien des Europarates: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte (das ungarische Verfassungsgericht hat sich in einer aktuellen Entscheidung die Zitierung und Fortführung von Altentscheidungen im Lichte der Rechtskontinuität und Widerspruchsfreiheit allerdings für die Fälle vorbehalten, in denen sich die Rechtslage altes-neues Recht nicht grundlegend verändert habe).
Insgesamt sieht die Venedig-Kommission in der Vierten Verfassungsänderung Gefahren für die Verfassungsgerichtsbarkeit und für grundlegende Prinzipien, die sich aus den Menschenrechten ergeben. Die Verfassungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung als Basispfeiler der Demokratie seien gefährdet.
Die Kommission fordert die Regierungsmehrheit auf, das Verfassungsrecht nicht als politisches Instrument zu betrachten.
Der Kern der Zusammenfassung im Wortlaut (Rn. 147):
„In conclusion, the Fourth Amendment perpetuates the problematic position of the President of the National Judicial Office, seriously undermines the possibilities of constitutional review in Hungary and endangers the constitutional system of checks and balances. Together with the en bloc use of cardinal laws to perpetuate choices made by the present majority, the Fourth Amendment is the result of an instrumental view of the Constitution as a political means of the governmental majority and is a sign of the abolition of the essential difference between constitution-making and ordinary politics.“
Die heute im Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) angenommene Resulution zur Lage der Grundrechte in Ungarn (auf Basis des Tavares-Berichts) dürfte sich in wesentlichen Punkten mit den Empfehlungen der Venedig-Kommission decken. Auch hier wird, nach ersten Verlautbarungen, deutliche Kritik am ungarischen Gesetzgeber geübt. Mehr dazu in Kürze.
Europarat: Voraussichtlich kein Monitoringverfahren gegen Ungarn
Aktuellen Pressemeldungen zufolge sinkt die Gefahr für Ungarn, Gegenstand eines Monitoringverfahrens des Europarates zu werden. Die Parlamentarische Versammlung wird sich im Juni mit der Thematik befassen.
Bislang wurde, mit einer hauchdünnen Mehrheit von 21:20 Stimmen durch die Monitoring-Kommission vorgeschlagen, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Nun haben sich die Fraktionsvorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung bei einem Treffen in Jerevan gegen die Einleitung des Monitoringverfahrens ausgesprochen.
http://www.origo.hu/nagyvilag/20130530-ejtenek-az-eljarast-magyarorszag-ellen.html
Tagesspiegel: Kurzinterview mit dem Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland
Ein „Mini-Interview“ mit Thorbjörn Jagland, dem Generalsekretär des Europarates, veröffentlicht der Tagesspiegel auf seiner Internetseite. Es besteht aus nur drei Fragen.
Jagland sieht im Zusammenhang der jüngsten Verfassungsänderung „Grund zur Sorge“, Weshalb die Venedig-Kommission eine Prüfung durchführe. Was die Mediengesetzgebung angehe, sei der Streit hingegen beigelegt, die Meinungsfreiheit nach Ansicht des Europarats gewährleistet. Die Presse könne ohne Beschränkungen arbeiten. Jagland mahnt zudem einheitliche Regelungen zur Wahlwerbung an; die Ausgestaltung obliege jedoch dem Parlament und den Behörden in Ungarn.
Amnesty International Bericht für 2012 erschienen – kritische Töne zu Ungarn
Der aktuelle Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist erschienen.
Der sich mit Ungarn befassende Teil ist hier in englischer Sprache abrufbar:
http://www.amnesty.org/en/region/hungary/report-2012
Der vollständige Jahresbericht der NGO ist hier als pdf verfügbar (ca. 7 MB):
Venedig-Kommission: Deutliche Kritik und Verbesserungsvorschläge zur ungarischen Justizreform
Die Venedig-Kommission, das beratende Gremium des Europarates für Verfassungsfragen, hat sich mit der in Ungarn vollzogenen bzw. geplanten Justizreform befasst. Das europaweit in die Kritik geratene Gesetzeswerk sieht u.a. die Neuordnung der Justiz einschließlich der Einführung eines Justizrates (der u.a. für Personalentscheidungen zuständig sein soll) und die zwangseise Absenkung des Richterpensionsalters von 70 auf 62 Jahre vor. Die Kommission bedenkt die Regelungen mit deutlicher Kritik und empfiehlt Änderungen.
Der vollständige Bericht ist hier abrufbar: http://www.venice.coe.int/docs/2012/CDL-AD%282012%29001-e.pdf
Die Schlussfolgerungen des Expertengremiums:
„116. The adoption of the Fundamental Law and, even more so, the adoption of the Act on the Legal Status and Remuneration of Judges and the Act on the Organisation and Administration of Courts of Hungary as well as the Transitional provisions of the Fundamental Law have brought about a radical change of the judicial system.
117. The Commission accepts that there was a need to improve the efficiency of the previous system. While the Commission identified a number of positive provisions in the AOAC and the ALSRJ, it also found numerous elements which are problematic. Even if it might be possible to justify some of these elements in the framework of the Hungarian tradition, the reform as a whole threatens the independence of the judiciary. It introduces a unique system of judicial administration, which exists in no other European country.
118. The main problem is the concentration of powers in the hands of one person, i.e. the President of the NJO. Although States enjoy a large margin of appreciation in designing a system for the administration of justice, in no other member state of the Council of Europe are such important powers, including the power to select judges and senior office holders, vested in one single person. Neither the way in which the President of the NJO is designated, nor the way in which the exercise of his or her functions is controlled, can reassure the Venice Commission. The President is indeed the crucial decision-maker of practically every aspect of the organisation of the judicial system and he or she has wide discretionary powers that are mostly not subject to judicial control. The President is elected without consultation of the members of the judiciary and not accountable in a meaningful way to anybody except in cases of violation of the law. The very long term of office (nine years) adds to these concerns.
119. The major points which need revision include:
- the regulation of a number of organisational issues on the level of cardinal laws,
- the election of the President of the NJO for a nine year period, which can be indefinitely extended by a blocking majority of one-third of members of Parliament,
- the very extensive list of competences of the President of the NJO, which are not subject to a veto by the NJC or subject to judicial control,
- the attribution of the powers of the President of the NJO to an individual person, without providing for sufficient accountability,
- the absence of an obligation for the President of the NJO to motivate all decisions,
- the composition of the NJC exclusive of judges, without the membership of other actors (advocates, civil society),
- the restriction of the NJC on mere recommendations / opinions in most of its powers,
- the lack of a veto by the NJC against the appointment of court presidents by the President of the NJO,
- the system of supervision of judges by the court presidents who have to report to the superior courts, up to the Curia, about judgments, which deviate from earlier case-law (uniformisation procedure),
- the strong influence of the President of the NJO on the appointment of court presidents and other senior judges,
- the possibility of the President of the NJO to initiate the uniformisation procedure, which contradicts his or her administrative role,
- long probationary periods for judges, and in particular the fact that they can be repetitive,
- the possibilities of transfer of judges against their will and the harsh consequences of a refusal (‘exemption’ and automatic dismissal),
- the absence of sufficient fair trial guarantees in evaluation and disciplinary proceedings,
- the transfer of cases by the President of the NJO to another court as such, but especially the absence of objective criteria for the selection of cases to be transferred and the court to which the cases are to be transferred,
- the regulation on early retirement of judges.
120. These issues taken together and looked at also in the light of other problems addressed in this Opinion, the Commission concludes that the essential elements of the reform – if they remained unchanged – not only contradict European standards for the organisation of the judiciary, especially its independence, but are also problematic as concerns the right to a fair trial under Article 6 ECHR. This Opinion seeks to indicate how these issues might be overcome through amendments of the newly enacted norms.
121. In its Opinion on the new Constitution, the Venice Commission had expressed its hope that its recommendations be taken into account “by amending the Constitution where necessary”.54 The Commission remains of the opinion that basic tenets of the independence of the judiciary, including strong checks and balances, should be regulated in the Constitution itself and that the Fundamental Law should be amended accordingly.
122. The Venice Commission was informed that – as a reaction to the draft Opinion – the Government intends to introduce amendments to the judiciary acts in Parliament, which is to be welcomed (www.Venice.CoE.int/docs/2012/CDL(2012)104-e.pdf). The Commission had no possibility to examine these proposals, but remains at the disposal of the Hungarian authorities to examine them.„
Religionsfreiheit: Europarat kritisiert Kirchengesetz
Der Menschenrechtsbeauftrate des Europarats, Thomas Hammarberg, hat in einem auf 11. Dezember 2011 datierten Brief seine Bedenken im Bezug auf das im vergangenen Jahr verabschiedete Religions- und Kirchengesetz geäußert. Kern der Kritik ist die drastische Reduzierung der von Gesetzes wegen anerkannten Kirchen; nur diese können etwa von steuerlichen Privilegien profitieren. Hammarberg sieht in dieser Maßnahme ernsthafte administrative Hürden für die Ausübung der Religionsfreiheit.
Der Brief im Wortlaut:
Das von Hammarberg kritisierte Gesetz trat zum 1. Januar 2012 nicht in Kraft. Es wurde wegen formaller Mängel im Gesetzgebungsverfahren durch das Verfassungsgericht aufgehoben, jedoch inhaltlich unverändert am 30. Dezember 2011 nochmals beschlossen.
Der ungarische Außenminister János Martonyi betonte in seiner schriftlichen Antwort vom 10. Januar 2012, die Zahl von derzeit 14 anerkannten Kirchen sei nicht abschließend. Weitere Organisationen würden auf deren Antrag zeitnah anerkannt. Der Minister weist auf gewisse Änderungen im Zuge der Neuverabschiedung hin, die aus seiner Sicht die administrativen Hürden für die Anerkennung senken. Mehr dazu im Antwortbrief des Außenministers:
Ungarische Intellektuelle: Religionsfreiheit ist in Gefahr
Die Verfasser des „Hillary, hilf!“ – Briefes an die amerikanische Außenministerin haben sich in fast gleicher Besetzung erneut zusammengefunden und rügen die „Unterdrückung der Religionsfreiheit“ in Ungarn.
http://www.iprotest.hu/open_letter_08_Aug_2011.html
Adressaten des Briefes snd diesmal die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, und der Menschenrechtskomissar des Europarates, Thomas Hammarberg.
Weiterer Link:
http://www.euractiv.de/soziales-europa/artikel/protestbrief-gegen-kirchengesetz-in-ungarn-005196
Venedig-Kommission übt deutliche Kritik an ungarischer Verfassung
Die Venedig-Kommission, das beratende Gremium des Europarates für Verfassungsfragen, hat in seinem Abschlussbericht zum neuen ungarischen Grundgesetz deutliche Kritik an Inhalt und an der Art und Weise des Zustandekommens der Vorschriften geübt. Die Kommission bemängelte erwartungsgemäß u.a. fehlende Transparenz des Verfassungsgebungsprozesses und die aus ihrer Sicht zu schnelle Verabschiedung ohne echten Dialog in der Bevölkerung. Auch einzelne Vorschriften (z.B. die Beschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts, zu große Zahl von 2/3-Gesetzen) wurden kritisiert.
Der englischsprachige Bericht ist hier abrufbar:
http://www.venice.coe.int/docs/2011/CDL-AD%282011%29016-e.pdf
Der EU-Parlamentsabgeordnete József Szájer, der maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen Verfassung beteiligt war, wies die Kritik der Kommission in seinem Internetblog zurück. Sie beruhe zum Teil auf Missverständnissen, sei aber auch ideologisch geprägt.