In Anbetracht der zahlreichen kritischen Berichte über den Abbruch der Verhandlungen zwischen Ungarn und IWF/EU über weitere Staatshilfen – die Märkte haben sich zwischenzeitlich etwas beruhigt, die Nachfrage nach Staatsanleihen steigt wieder – erfreut es, dass es auch „andere Sichtweisen“ gibt. Adam LeBor, langjähriger Mitarbeiter der Londoner TIMES, begrüßt die Haltung Ungarns. Er findet deftige Worte für den IWF und die EU…lesen (vor allem im Original) lohnt sich!
Der Beitrag ist auf politics.hu abrufbar:
http://www.politics.hu/20100726/bully-for-bully-orbans-decision-to-stand-up-to-the-imf-and-eu-brutes
Ich habe mir erlaubt, den Beitrag ins Deutsche zu übersetzen, damit er einer größeren Zahl meiner Leser verfügbar ist:
„Das Geschrei der Entrüstung hallt von Brüssel nach Washington. Wie seinerzeit die Sklaven im Film „Planet der Affen“, hat Ungarn das verbotene Wort gesprochen: Nein.
Viktor Orbán, der Ministerpräsident, hat die Forderungen des IWF und der EU nach noch mehr Haushaltskürzungen und Sparmaßnahmen zurückgewiesen. Die Geld-Bürokraten sind nach Hause gefahren und murmeln über den Zusammenbruch von Währungen und unverantwortliches fiskalisches Handeln. Budapest hat wie folgt darauf geantwortet: „Gute Reise“. Die Landeswährung Forint fiel zurück, stieg, fiel wieder, das Land bleibt jedoch stabil.
Anstatt öffentliche und soziale Leistungen zu streichen, möchte die Regierung Wachstum schaffen, indem sie radikal Steuern kürzt, die Schwarzarbeit bekämpft und die Wirtschaft flexibilisiert.
Selbstverständlich haben EU und IWF das Recht, nach der Gewährung von Hilfen im Umfang von 20 Mrd. EUR im Jahre 2008 mit Ungarn über dessen Finanzplanungen zu verhandeln. Und Ungarn hat das Recht, sich zu wehren, nachdem die vom IWF geforderten Privatisierungen der frühen 1990er Jahre große Teile der Region in ökonomisches Brachland verwandelt haben.
Aber es steht noch mehr auf dem Spiel: Nationale Souveränität, gerade die von kleineren Ländern. In der heutigen globalisierten Welt und einem stromlinienförmigen Europa, in dem Brüssel und Strasburg sich schleichend eine nie dagewesene politische und juristische Machtfülle verschafft haben, ist nationale Souveränität irgendwie zu einem schmutzigen Wort geworden. Unsere Schicksale mögen in immer größerem Umfang von globalisierten Finanziers und internationalen Organisationen bestimmt werden, ich kann mich jedoch nicht entsinnen, dass irgend jemand hierüber abgestimmt hätte oder auch nur die Option gehabt hätte, zu wählen. Ironischer Weise nutzen diese internationalen Körperschaften die gleiche Taktik wie die Kommunisten im Nachkriegseuropa – schleichend die Unabhängigkeit und Souveränität beschneiden, bis nichts davon übrig ist und es noch dazu keiner bemerkt hat.
Aber jetzt hat es jemand bemerkt. Zugegebener Maßen wirkt Orbán, Ungarns kämpferischer Premier, wie ein Volkstribun. Seit seine Mitte-Rechts-Partei Fidesz in diesem Jahr eine Zwei-Drittel-Mehrheit erlangte, prügelte seine Regierung eine Reihe von Gesetzen durch das Parlament, die – so Kritiker – dazu geführt haben, dass früher unabhängige Institutionen mit Parteifreunden befüllt wurden, und so das System der gegenseitigen Kontrolle gefährden.
Oppositionsolitiker sagen, dass die Unabhängigkeit der Medien, des Verfassungsgerichts und des Rechnungshofes in Gefahr seien, obwohl niemand bezweifelt, dass die Umbesetzung nach acht Jahren Behäbigkeit und Korruption unter den Sozialisten nötig war. In Budapest geht der Witz m, dass die Demokratie durch eine „Viktatur“ ersetzt wurde. Aber möglicher Weise braucht man einen „Viktator“, um es mit IWF und EU aufnehmen zu können.
Das Parlament beließ es übrigens nicht dabei, den Finanziers zu sagen, wo sie sich hinschleichen können, sondern verabschiedete eine strenge Bankensteuer und löste damit Wut und Angst unter Europas Bankiers aus: Wut darüber, dass in Ungarn tätige Banken eine Abgabe in Höhe von 0,5 Prozent der Aktiva (Stand 2009) zu entrichten haben, und Angst, dass dies ein fürchterlicher Präzedenzfall werden könnte, dem Ungarns Nachbarn zeitnah folgen könnten. Hoffen wir es.
Die Bankensteuer ist berechtigt. Ein Großteil der ökonomischen Schwierigkeiten Ungarns kann den Banken zugeschrieben werden. Ein unglaublicher Anteil von 70% der privaten und Unternehmensverschuldung lautet auf Fremdwährung, viel davon in Schweizer Franken. Während der Jahre des Booms reichten die Bankiers billige Kredite in exotischen Währungen aus, und zwar an jeden, der danach fragte; es war ganz egal, dass die Kreditnehmer in Forint bezahlt wurden. Konsumenten wurden in Kreditpakete gelockt, deren Risiken sie kaum verstanden, aber die den Banken – unabhängig von der Marktentwicklung – riesige Profite versprachen. Hypothekenkredite über 100.000 € wurden zu Schulden in Höhe von 140.000 €, die Chance, sie zurück zu zahlen, ist gering.
Also ein „Hoch lebe Ungarn!“, dass es sich mit den Unterdrückern von IWF und EU angelegt hat. Im Jahre 1956 erhob sich Ungarn gegen die sowjetische Tyrannei, in der Hoffnung, eine Kettenreaktion auszulösen. Dies geschah nicht, aber vielleicht löst das Verhalten Ungarns gegenüber den kapitalistischen Despoten diesmal eine aus.“