MSZP-Politiker Török: „Konrád & Co. haben uns 2/3 Fidesz und auch Jobbik beschert“

Das schlechte Abschneiden der vereinigten und zwischenzeitlich eher brüchig gewordenen Linksopposition bei der Parlamentswahl am 6. April 2014 fördert dieser Tage eine seit langem nicht gesehene kritische Offenheit der Akteure zu Tage. Besondere Unzufriedenheit macht sich bei den ungarischen Sozialisten (MSZP) breit, die – unter dem Parteichef und Spitzenkandidat Attila Mesterházy – ein desolates Ergebnis erreicht haben (29 MSZP-Sitze im neuen Parlament). Die Suche nach den Verantwortlichen ist im vollen Gange, erste Stimmen aus der Partei fordern bereits den Rücktritt des Parteichefs, der nunmehr zweimal (2010 und 2014) gegen seinen Kontrahenten rechtskonservativen Konkurrenten Viktor Orbán unterlegen ist. Der ehemalige Verteidigungsminister Imre Szekeres trat, nicht ohne Hinweis auf die Verantwortung Mesterházys für das Abschneiden der Sozialisten, vom Regionalvorsitz der MSZP (Region Jászság) zurück.

Besonderes angriffslustig ist der ehemalige MSZP-Sprecher Zsolt Török, der noch im vergangenen Jahr über ein gestelltes Video, das einen angeblichen Fidesz-Wahlbetrug zeigen sollte, zurücktreten musste (Török hatte das inszenierte Video an die Presse gegeben, dies aber später bestritten). Török nahm sich den Schriftsteller und ehemaligen SZDSZ-Politiker György Konrád (und ihm nahestehende Intellektuelle) vor und schrieb auf seiner Facebook-Seite, dieser Kreis von Intellektuellen sei nicht nur für 2/3 Fideszmehrheit im Parlament, sondern auch für das Erstarken der Nazis verantwortlich. Török wörtlich:

„Diejenigen, die uns Ratschläge erteilt haben und den Zusammenschluss erzwungen haben, haben schon genug Schaden angerichtet. Meiner Meinung nach waren sie es, die nunmehr schon 2 Mal eine 2/3-Mehrheit für Fidesz und die Nazis ins Parlament gebracht haben. Sie sollen sich zurückziehen. Wir haben genug von György Konrád, der zwar sehr schlau ist und den ich voll und ganz respektiere, aber die Welt hat sich an ihm vorbeientwickelt. Er muss verstehen, dass es auch außerhalb des Großen Rings Menschen gibt. Sogar auf dem Land! Ich vertrete lieber diese 9,5 Millionen Menschen anstatt dieses engen Kreises. Sie hatten eine Partei: auch die haben sie kaputtgeschlagen. Unsere Partei sollen sie gefälligst zufrieden lassen!!!“

Die drastischen Worte Töröks (unter sehr deutlicher Anspielung auf die „urbanen Intellektuellen“) sind nicht nur Ausdruck einer offenbar großen Enttäuschung über das Wahlergebnis, sondern auch ein Versuch, jene Persönlichkeiten in die Verantwortung zu nehmen, die die ungarische Politik außerparlamentarisch mitbestimmen. Es waren Personen wie György Konrád und Ágnes Heller, die sich zunächst für eine Spitzenkandidatur des Ex-Premier Gordon Bajnai (Együtt-PM) einsetzten und Attila Mesterházys Fähigkeiten in Zweifel zogen, später dann aber dafür eintraten, das zwischen MSZP und Együtt-PM geschmiedete Bündnis als unzureichend zu bezeichnen und die Linksopposition dazu zu bewegen, auch die Partei Demokratische Koalition um Ferenc Gyurcsány, einen der unbeliebtesten Politiker des Landes, mit aufzunehmen. Auch die MLP um den ehemaligen SZDSZ-Politiker Gábor Fodor trat später hinzu.

Aktuell ist Konrád bereits im Kommunalwahlkampf zu Gange: Er bezeichnete den designierten Spitzenkandidaten um das Budapester Oberbürgermeisteramt, Csaba Horváth, durch die Blume als nicht geeignet und trat dafür ein, Gordon Bajnai als Kandidaten aufzustellen. Auch den ehemaligen SZDSZ-Granden Gábor Kuncze oder den von der MSZP zum Konservativen Gewandelten ehemaligen Finanzminister der Regierung Horn, Lajos Bokros, bekamen wohlwollende Worte Konráds.

Es scheint, als würde die Demontage der ungarischen Linken diesmal nicht innerhalb von Parteigrenzen Halt machen, sondern sich auch auf jene erstrecken, die – ohne gewählte Volksvertreter zu sein – die Geschicke des Landes durch deutliche Zwischenrufe und Presseauftritte mitbestimmen. Selbstverständlich muss sich die Partei in dem jetzt offenbar anlaufenden Denkprozess auch die Frage stellen, weshalb sie es nicht schafft, auf dem Land gegenüber Jobbik zu punkten: Die Partei hat offenbar zahlreiche Wähler dadurch vergrault, dass die – statt „linker“ Positionen – in den Jahren seit 2002 mehr und mehr auf einen – mit typisch linker Politik westeuropäischen Zuschnitts kaum in Einklang zu bringenden – wirtschaftsliberalen Kurs gerückt ist, mit dem sich die Stammwählerschaft nicht identifizieren kann. Zu einem großen Teil mitverantwortlich hierfür war die ihre Interessen in der Koalition mit NAchdruck vertretende SZDSZ. Dass Jobbik mit Antiglobalisierungsrhetorik in diese Wählerschaft vordringen konnte, kann nur wenig informierte Kreise überraschen.

Neben Konrád bekam auch der Wahlkampfberater der MSZP, Ron Werber, harsche Kritik zu hören.

http://index.hu/belfold/2014/04/16/torok_zsolt_a_facebookon_osztotta_ki_konrad_gyorgyot/

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DRadio: György Konrád kritisiert „dünne Demokratie“ in Ungarn

Der Schriftsteller György Konrád im Deutschlandradio ein Interview zur Situation in Ungarn. Konrád bezeichnet Ungarn als „dünne Demokratie“.

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/2059897/

Konrád hofft auf einen „Sturz des Regimes“. Allerdings lehnt er es ab, Ungarn aus der EU „auszustoßen“. Er schlägt vor, die Beziehungen zu Politikern „auf null abzukühlen“. Auch von der deutschen Bundeskanzlerin Merkel erhofft sich Konrád strengere Worte. Konrád sieht eine Wende hin zu einer solchen härteren Haltung. Das Volk allerdings solle darunter nicht leiden.

Paul Lendvai spricht im Kurier über „Gulasch-Orbánismus mit nationalistischer Sauce“

Ein wahres „kulinarisches Schmankerl“ bringt heute der Kurier.

Nachdem vor wenigen Stunden der SZDSZ- und MSZP-Tross beim NDR exklusiv sein Leid klagen durfte, György Konrád in der RP Ungarn absprach, Rechtsstaat zu sein und zusätzlich die Situation in Ungarn „kindgerecht“ aufs Tablet des KiKa geriet, berichtet nun Paul Lendvai über Ungarn. Es ist – wie man auch an der Jungle World sieht – wieder Ungarn-Woche.

Lendvai zeigt sich „sehr traurig“ ob der „Beleidigungen, Verleumdungen, Attacken“. Das Land sei auf dem Weg in eine „Mischung aus Horthy-Zeit mit Rassismus und Antisemitismus, aus Kádár-Zeit mit der Verschleierung wirklicher Probleme und kleinen Konzessionen hin zu einem System des starken Mannes an der Spitze, zu einem Gulasch-Orbánismus mit nationalistischer Sauce.“ Ein wahres Wortschmankerl. Gerade der Vergleich mit der Kádár-Zeit („Gulasch-Kommunismus“) ist bemerkenswert, wo Lendvai doch seinerzeit Informationen über ein Oppositionellentreffen an die Volksrepublik Ungarn lieferte.

Die Regierung sehe Kritiker als Feinde. Das ist in der Tat für viele „Großen“ bei Fidesz der Fall. Ungarn ist gespalten, alle politischen Akteure haben daran mitgewirkt.

Wie aber steht es um Lendvai, Konrád und jene Herrschaften, die das Bild über Ungarn im Ausland mitprägen? Wie steht es um ihre Dialogfähigkeit, Selbstkritik und ihre Bereitschaft, auch einmal diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die die Welt mit anderen Augen betrachten? Konrád behauptete vor wenigen Tagen, die jetzige Regierung habe das Land gespalten. Begann diese Spaltung etwa 2010?

Auch Lendvai spielt im Konzert mit. Sein letzter größerer Film im ORF („Nationale Träume„) war charakterisiert durch offensichtliche Fehlgewichtung der Quellen und vorsätzliche Verzerrungen. Lendvai, der zweifellos ein hervorragender Kenner der ungarischen Politik mit besten Kontakten ist, ist auch ein politischer Mensch. Was keineswegs kritikwürdig ist. Er ist aber, ohne dies einmal selbst offen auszusprechen, in seiner Unversöhnlichkeit gegenüber Fidesz und Orbán ebenso verhaftet wie György Konrád. Lendvai ist somit Teil jener Spaltung, ja: der Hasskultur in Ungarn. Der Unterschied zu vielen Politikern der Rechten: Lendvai kann sich ausdrücken und weiß, sich zu benehmen. Inhaltlich aber ist er Teil desselben Problems, nicht der Lösung. Er spricht eben nicht die brüllenden Idioten auf der Straße an, sondern die Intellektuellen vor ihrem tanningeschwängerten Glas Shiraz.

Ein weiteres Schmankerl:

Ich erwarte, dass österreichische Interessen verteidigt werden. Es gibt in der EU den Binnenmarkt. Kleine österreichischen Firmen und Bauern können sich nicht wehren. Alle Bundeskanzler von Kreisky bis Schüssel haben dem ungarischen Volk bisher geholfen. Ungarn geholfen. Jetzt bekommt Österreich Ohrfeigen von der Budapester Regierung.

In Übersetzung: Ungarn zeigt sich undankbar und muss zur Rechenschaft gezogen werden. Aha. So reden Kolonialherren, Menschen, die – so niemand anders als der große Schriftsteller Péter Nádas – sich in Ungarn seit der Wende eben nicht nur mit Ruhm bekleckert haben. Wasser auf die Mühlen derer, die Lendvai Parteinahme gegen seine Heimat vorwerfen.

Lendvai unterstützt die aktuelle ungarische Opposition.  Und dies – in Anbetracht deren katastrophaler Bilanz vor 2010 – nicht nur aus Besorgnis um Ungarn, sondern wegen persönlicher Präferenzen. Was sein gutes Recht ist. Als Sachverständiger bei Gericht würde er aber wegen Befangenheit ausgeschlossen.

György Konrád in der Rheinischen Post: „Ungarn ist kein Rechtsstaat mehr“

Der ungarische Schriftsteller György Konrád spricht Ungarn im Interview mit der Rheinischen Post die Eigenschaft des Rechtsstaats ab:

http://nachrichten.rp-online.de/wissen/ungarn-ist-kein-rechtsstaat-mehr-1.3281292

Konrád zufolge sei es der „aktuellen Regierung“ gelungen, das Land zu spalten, es finde ein Kampf zwischen zwei Lagern statt. Das liberal-bürgerliche Lage habe den Wahlkampf gegen den aggressiv auftretenden Fidesz verloren, weil man versucht habe, die „Regeln einer demokratischen und toleranten“ Auseinandersetzung nicht auszuhebeln. Die EU sei nicht vorbereitet, denn sie erfahre über die Vorgänge in Ungarn nur über die Medien.

Ungarn sei kein Rechtsstaat mehr, da ein „unterdrücktes“ Parlament alles von Viktor Orbán und seiner Regierung Gewollte durchdrücken könne. Ungarn sei eine hegemoniale Autokratie. Zudem habe „Präsident Viktor Urban“ die Verfassung Schritt für Schritt in seinem Sinne geändert. Konrád fordert seine Mitbürger auf, kritisch zu bleiben. Aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte habe er – als Jude – jedoch keine Angst.