Jobbik-Chef Gábor Vona wendet sich per offenem Brief an Viktor Orbán

Nachdem der Ungarische Rechnungshof gegen die rechtsradikale Oppositionspartei eine Geldbuße von 660.000.000 Forint (ca. 2 Mio. Euro) wegen des Vorwurfs unzulässiger Parteienfinanzierung verhängt und die Partei der Gefahr des Bankrotts ausgesetzt hat, hat sich Parteichef Gábor Vona in einem offenen Brief an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gewandt.

Der – bislang bei Fragen der Parteienfinanzierung durchwegs zahnlose – Rechnungshof wirft Jobbik vor, in unzulässiger Weise zu vergünstigten Konditionen Plakatwerbung geschaltet zu haben. 

Der Brief im Wortlaut:

Tisztelt Miniszterelnök úr!

Ez a levelem most nem kérés. Felszólítás. Állítsa le a Számvevőszéket! Kösse meg a kutyáit! Rövid leszek, hiszen mindketten tudjuk, mi zajlik itt éppen. Sőt, az emberek is tisztán látják, ahogy a világsajtó is. Négy hónappal a választások előtt Ön az utolsó állva maradt bástyát akarja lerombolni, a legerősebb ellenzéki pártot akarja eltakarítani, hogy a demokráciát leépítve elkezdődhessen a diktatúra. Ide jutott. Nem tud már sportszerűen küzdeni, és nincs már Önben méltóság. Lánglelkű fiatal demokratából egy kiégett, korrupt zsarnokká lett. Tagadni sincs értelme, hogy az ÁSZ ezer sebből vérző, törvénytelen intézkedése az Ön akarata. Egy ilyen példátlanul aljas támadás csak az Ön engedélyével valósulhat meg a mai Magyarországon. De itt most túllépett egy határt. Így jár, akinek már se önkontrollja, se kritikus munkatársai nincsenek. Elveszíti a talajt. Elszabadul. Ön is elszabadult. Üljön le pár percre, gondolja át, mit is tett, aztán sürgősen vonassa vissza az ÁSZ törvénytelen eljárását! Higgye el, jobban jár! Kiismertem Önt, tudom, hogy nem szeret visszavonulni, de most nem maradt más lehetősége. Pénteken a demonstráción látni fogja, hogy a magyaroknak fontos a szabadság. Ön sem veheti el tőlünk. És tudom, hogy most mire gondol. De ne tegye! Ne küldjön provokátorokat a tüntetésünkre! Mindenki békés szándékkal és egy jó cél érdekében lesz ott. Pártok, civilek egyaránt. A jogállam, a szabadság és a demokrácia mellett. Ha bármi történne, mindenki tudja majd, hogy Ön volt a megrendelő. Ne rontson a helyzetén. Kellemetlen lesz visszavonulni, de ezt a csatát elveszítette, lássa be. Állítsa le a Számvevőszéket! Kösse meg a kutyáit!“
Und hier der Versuch einer möglichst sinngemäßen Übersetzung:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Dieser Brief ist keine Bitte. Er ist eine Aufforderung. Stoppen Sie den Rechnungshof! Nehmen Sie Ihre Hunde an die Leine! Ich fasse mich kurz, weil wir alle sehr gut wissen, was sich hier gerade abspielt. Auch die Menschen sehen es, ebenso wie die weltweite Presse. Vier Monate vor der Wahl möchten Sie die letzte verbliebene Bastion einnehmen, die stärkste Oppositionspartei vernichten, auf dass die Diktatur ihren Lauf nehme. Das ist aus Ihnen geworden. Sie sind keines fairen sportlichen Wettkampfes mehr fähig, und Sie haben jede Würde verloren. Aus einem flammenden Demokraten wurden Sie zu einem ausgebrannten, korrupten Unterdrücker. Es ist sinnlos zu leugnen, dass die aus tausend Wunden blutende, gesetzwidrige Maßnahme Ihr Wille ist. Ein derart beispielloser, niederträchtiger Angriff kann im heutigen Ungarn nicht ohne Ihre Erlaubnis stattfinden. Nun haben Sie jedoch eine Grenze überschritten. Wie einer, der weder über Selbstkontrolle noch über der Kritik fähige Mitarbeiter verfügt. Sie verlieren die Bodenhaftung. Sind entfesselt. Setzen Sie sich ein paar Minuten hin, denken Sie darüber nach, was Sie taten, und dann sorgen Sie dafür, dass das rechtswidrige Vorgehen des Rechnungshofes gestoppt wird! Glauben Sie mir, das wäre das Beste für Sie! Ich kenne Sie zwar und weiß, dass Sie nicht gerne den Rückzug antreten, aber jetzt bleibt Ihnen keine andere Chance. Auf der Demonstration am Freitag werden Sie sehen, dass den Ungarn ihre Freiheit am Herzen liegt. Auch Sie werden sie ihnen nicht wegnehmen. Und ich weiß, woran Sie jetzt denken. Tun Sie es nicht!  Schicken Sie keine Provokateure auf unsere Demo! Jeder Anwesende wird freidvoll und zu einem guten Zweck dort sein. Parteien und Zivilorganisationen.  Um des Rechtsstaates, der Freiheit und der Demokratie Willen. Was immer passieren wird, jedem wird klar sein, dass Sie dahinterstecken. Verschlechtern Sie Ihre Situation nicht. Der Rückzug wird unangenehm sein, aber diesen Kampf haben Sie verloren, sehen Sie es ein. Stoppen Sie den Rechnungshof! Nehmen Sie Ihre Hunde an die Leine!“

Zum Hintergrund:

http://index.hu/belfold/2017/12/06/331_millios_tiltott_partfinanszirozassal_vadolja_a_jobbikot_a_szamvevoszek/

http://index.hu/belfold/2017/12/08/asz_jobbik_tiltott_allami_tamogatas_transparency_fidesz/

https://merce.hu/2017/12/12/lehet-e-egyutt-tuntetni-a-demokraciaert-egy-korrupt-fasiszta-parttal/

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Ágnes Heller plädiert für Kooperation der Linken mit Jobbik

Die ungarische Philosophin und Holocaust-Überlebende Ágnes Heller plädiert für die Parlamentswahlen 2018 für eine Kooperation der ungarischen Linksparteien mit der rechtsradikalen Jobbik. Sollten die Oppositionsparteien zu keiner Zusammenarbeit kommen, würde Fidesz die Wahl gewinnen: Dies wäre – so Heller – „eine Tragödie“. Es komme in der jetzigen Situation nur darauf an, Fidesz abzulösen.

Die Bemerkung ist insoweit überraschend, als Heller und andere ungarische Intellektuelle seit vielen Jahren der Regierungspartei vorwerfen, Jobbik und damit die Rechtsradikalen salonfähig gemacht zu haben. Es war, auch schon vor 2010, „das“ Argument gegen Fidesz, der man fortlaufend den Flirt mit Nazigedankengut nachsagte. Dass nun gerade Heller, die vor allem im Ausland als moralische Instanz gegen Fidesz gern zitiert wird, die Kooperation mit jenen Rechtsradikalen ins Spiel bringt, zeigt vielerlei: Zum einen das Ausmaß der Verzweiflung in der ungarischen Linksopposition, zum anderen aber auch, dass Heller bei der Bewertung möglicher Kooperationen offenbar sehr großzügig ist, solange sie nur dem Zweck dienen, die zweifellos übermächtige Fidesz-Regierung zu bekämpfen. 

Derweil wird die seit Jahren in einer Art verbalem Feinwaschgang befindliche Jobbik – wohl primär aus politischen Motiven heraus – behördlich unter Druck gesetzt. Gegen die Partei wurde jüngst ein Bußgeld in EUR-Millionenhöhe verhängt, weil sie zu vergünstigten Bedingungen auf Plakatwänden des ehemaligen Fidesz-Sponsors Lajos Simicska geworben haben soll. Simicska, der sich mit Fidesz überworfen hat, bekennt sich offen als Unterstützer von Jobbik und dessen Vorsitzenden Gábor Vona, seine Medien (Tv-Sender, Radio, Zeitungen) berichten seit Jahren wohlwollend über die Partei. Dass Fidesz über viele Jahre dieselben Vorzüge genießen durfte, spielt augenscheinlich keine Rolle.

https://24.hu/kozelet/2017/11/29/heller-agnes-orbannal-most-a-jobbik-is-jobb/

https://www.nzz.ch/international/harter-schlag-gegen-jobbik-in-ungarn-ld.1338437

Nachwahl in Tapolca: Erneuter Wahlsieg von Jobbik erwartet

Am morgigen Sonntag entscheiden die Wahlberechtigten zweier Direktwahlkreise in Tapolca (Komitat Veszprém) über den Abgeordneten zum Stadtrat. Die betroffenen Direktwahlkreise 03 und 05 wurden bereits bei der Kommunalwahl am 12. Oktober 2014 von der rechtsradikalen Jobbik gewonnen. 

   
 Bei der Nachwahl zum ungarischen Parlament im April 2015 konnte Jobbik, bei höherer Wahlbeteiligung, nochmals zulegen (HV berichtete), Lajos Rig errang das erste Direktmandat in der Parteigeschichte  (Hintergrund).

Beobachter – etwa das Nachrichtenportal Index.hu – erwarten einen erneuten Wahlsieg von Jobbik. 

http://index.hu/belfold/2015/08/29/a_jobbik_ket_gyomrost_is_bevihet_a_fidesznek_tapolcan/

Vollständiges Interview mit dem Jobbik-Parteivorsitzenden Gábor Vona

Das von Boris Kálnoky geführte Interview mit dem Vorsitzenden der rechtsradikalen Oppositionspartei Jobbik, Gábor Vona, wurde in der Tageszeitung WELT in etwas gekürzter Form  veröffentlicht. Hungarian Voice veröffentlicht das geführte Interview in voller Länge.


Gábor Vona, Chef von Ungarns radikal rechter Jobbik-Partei spricht selten mit westlichen Medien- jetzt sagt er im Interview mit der „Welt“, wie er an die Macht kommen will. Mit Vona sprach Boris Kálnoky

Kálnoky: Warum wird bei Jobbik neuerdings nicht mehr gegen Juden und Roma gehetzt?
Vona: Das ist ein Prozess, den ich seit September 2013 vorantreibe. Überall gibt es Fremdenfeindlichkeit, so auch bei uns. Die Frage ist, wie sich eine Parteiführung dazu verhält. Ich selbst habe mich nicht geändert – auch früher habe ich niemanden wegen seines Glaubens oder seiner Herkunft angegriffen. Ich versuche heute aber mehr darauf zu achten, diese Haltung auch innerhalb der Partei durchzusetzen. Wir wollen eine Volkspartei werden, die ein breites Spektrum der Gesellschaft spiegelt. Da müssen gewisse Normen eingehalten werden.

Kálnoky: Das mag sein, dass es Rassismus überall gibt, bei Jobbik scheint das aber mehr der Fall zu sein als bei anderen. Wieso?
Vona: Viel hängt auch von dem Bild ab, das sich in der Öffentlichkeit über uns herausgebildet hat. Medien, andere Parteien, jüdische und Roma-Organisationen reagierten viel schärfer, wenn es bei uns zu fremdenfeindlichen Äußerungen kam, als wenn es bei anderen vorkam. Speziell jetzt, wo ich versuche, die Partei in dieser Hinsicht zu ändern, gibt es besonders heftige Angriffe. Statt zu begrüßen, dass ich versuche, saubere Verhältnisse zu schaffen, will man uns in die Ecke zurückzustoßen, in die man uns gestellt hat.

Kálnoky: Das klingt jetzt so, als seien alle anderen Schuld daran, dass Jobbik in dem Ruf steht, eine Rassistenpartei zu sein – nur nicht die Partei selbst.
Vona: Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Was ich sagen möchte – und dies habe ich nach unserem jüngsten Wahlsieg bei der Nachwahl im Wahlkreis Tapolca noch einmal deutlich gemacht – ist, dass jeder bei uns künftig darauf achten muss, keine haßerfüllten Äußerungen zu dulden. Wir haben bei solchen Äußerungen bis jetzt so getan, als sei nichts geschehen, wir sahen weg, kehrten es unter den Teppich. Ich selbst auch. Aber jetzt sage ich: Genug ist genug. Wer Pogrome gegen Juden möchte, der hat bei uns keinen Platz. Solche Leute werden nach und nach von der Partei abfallen.

Kálnoky: Am besten fangen sie bei der eigenen Parteiführung an, oder?
Vona: Ich sehe gegenwärtig keinen Bedarf für personelle Änderungen, aber das entscheidet der Parteikongress. Der nächste wird 2016 Jahr stattfinden, und ich vertraue darauf, dass dann eine Führung gewählt wird, die den neuen Kurs erfolgreich fortführen kann.

Kálnoky: Wenn Sie doch an personelle Erneuerung denken sollten – da wäre zum Beispiel Jobbik-Vizepräsident Elöd Novák, der immer wieder wegen zweifelhafter Äußerungen über Roma in die Schlagzeilen gerät.
Vona: Was er innerhalb der Partei an Organisationsarbeit leistet, zeigt ihn in einem anderen Licht als die Dinge, die er öffentlich sagt. Er ist seit langem mit dabei, ist sehr aktiv und fleißig.

Kálnoky: In den Medien wird er als ihr Kandidat für das Innenministerium beschrieben.
Vona: Bestimmt nicht. Er wäre nicht Innenminister, wenn wir regieren sollten. Das ist auch gar nicht sein Fachgebiet.

Kálnoky: Dann wäre da Márton Gyöngyösi, der im Parlament forderte, Listen über Juden anzufertigen. Er wird in den Medien als Ihr Kandidat für das Außenministerium gehandelt. Wie wichtig ist er Ihnen?
Vona: Er ist für uns sehr wichtig, stammt aus einer Diplomatenfamilie, hat im Ausland gelebt. Er hat insofern ein fast angeborenes Talent, außenpolitische Beziehungen zu beurteilen, und wenn wir regieren sollten, würde er eine zentrale Rolle im Außenministerium übernehmen. Für seine unglückliche Formulierung hat er sich entschuldigt. Es ging eigentlich darum, festzustellen, wer im Parlament eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, nicht nur die israelische, sondern egal welchen Landes. Auch anderswo – etwa in Israel – ist Doppelstaatbürgerschaft nicht vereinbar mit einem Parlamentsmandat.

Kálnoky: In seinen tatsächlichen Worten war aber nur von „israelischer“ Doppelstaatsbürgerschaft die Rede, nicht von anderen Ländern.
Vona: Das mag daran gelegen haben, dass gerade der Gaza-Krieg die Nachrichten beherrschte. Wie gesagt, es war in dieser Form eine sehr unglückliche Äußerung, und Gyöngösi hat sich dafür damals noch am selben Tag entschuldigt.

Kálnoky: Gleicht ihr Versuch, Jobbik in den Mainstream zu verlagern, dem, was Viktor Orbán 1993/94 mit Fidesz gelang? Er machte damals aus einer liberalen eine konservative Partei.
Vona: Der Vergleich hinkt, weil Orbán die ganze Werteordnung bei Fidesz änderte. Wir waren immer eine nationalkonservative Partei, das bleiben wir auch.

Kálnoky: Apropos national: Es gab eine Zeit, da verbrannte ein Jobbik-Vizepräsident EU-Fahnen.
Vona: Eine Fahne, nicht mehrere. Das muss man in den Kontext der Gefühlslage jener Zeit setzen. Damals sah sich Ungarn starkem Druck von Seiten der EU ausgesetzt. Hunderttausende Menschen demonstrierten, um der EU zu zeigen: So geht es nicht. Es war sozusagen ein Gefühlsausbruch. Diese Fahnenverbrennung war nicht mit mir abgesprochen. Übrigens würde ich die Verbrennung jeglicher Nationalfahne nicht dulden, aber die EU ist keine Nation.

Kálnoky: Würden Sie immer noch aus der EU austreten wollen, wenn Sie eines Tages regieren sollten?
Vona: Wir sind heute so auf die EU so angewiesen, dass es wohl gar nicht geht, sonst wäre das Land bankrott. Das ist übrigens ein großes Problem: Was ist, wenn die EU aus anderweitigen Gründen zerfällt? Unsere ganze Wirtschaft ist darauf aufgebaut, dass wir dieser Gemeinschaft angehören. Sollte die EU eines Tages verschwinden, dann müssen wir dafür gewappnet sein, also die Wirtschaft so strukturieren, dass wir weniger von äußeren Verhältnissen abhängen. Was die EU-Mitgliedschaft betrifft, wir fordern eine Änderung des Beitrittsvertrages. Das geht nur über eine Volksabstimmung. Wenn Sie die Bürger heute fragen, ob sie mit der EU unzufrieden sind, werden sie ein überwältigendes „Ja“ bekommen. Wenn Sie aber fragen, ob die Bürger aus der EU austreten wollen, wird die Antwort wohl „Nein“ sein.

Kálnoky: Welcher deutschen Partei fühlen Sie sich am nächsten? Die NPD hat Ihnen Avancen gemacht.
Vona: Die NPD kann für uns kein Partner sein, das ist nicht unsere Weltsicht. Leider haben wir in Deutschland einen so schlechten Ruf, dass wir bislang zu niemandem Beziehungen haben. Ich würde sehr gerne Beziehungen zur CDU/CSU und zur „Alternative für Deutschland“ aufbauen. Wir sehen Deutschland als Ungarns wichtigsten Partner auch in der Zukunft – zusammen mit der Türkei und Russland. Deutschland ist für uns das Tor nach Westeuropa, die Türkei die Pforte in die islamische Welt, Russland nach Eurasien.

Kálnoky: Einstweilen findet Jobbik eher in diesen östlicheren Ländern Zustimmung. Hat die Partei jemals von iranischen Geschäftsleuten Geld bekommen?.
Vona: Nein, auch nicht aus anderen Ländern.

Kálnoky: Ein ehemaliges Parteimitglied meint, Jobbik habe 40 Millionen Forint (ca 130.000 EUR) von Geschäftsleuten rund um den Besitzer des iranischen „Shiraz“-Restaurants“ in Budapest bekommen.
Vona: Nein. Ich würde gerne die Quelle zu dieser Behauptung sehen, um rechtliche Schritte dagegen zu unternehmen. Der Besitzer des Restaurants ist Jobbik-Mitglied, das ist aber auch alles, was an der Sache dran ist.

Kálnoky: Als Jobbik-Mitglied kann er doch ruhig spenden?
Vona: Ob er gespendet hat, weiss ich nicht, daran wäre natürlich nichts auszusetzen. Worauf wir sehr achten ist, dass wir von anderen Staaten kein Geld annehmen.

Kálnoky: Jobbik ist jetzt zweitgrößte Partei, wird zur Gefahr für die Regierungspartei Fidesz. Manchmal weiss man gar nicht mehr, wer wer ist, so sehr vermischen sich die Positionen – Sie klingen immer zentristischer, Fidesz immer rechter. Welche ist die rechtere Partei?
Vona: Es sieht wirklich so aus, dass Fidesz uns rechts überholt hat, wenn ich mir die jüngsten Vorstöße etwa zur Wiedereinführung der Todesstrafe oder zur Migration ansehe. Die Unterschiede zwischen uns sind aber groß, inhaltlich aber auch generationell. Fidesz, und links die Sozialisten, das sind Parteien des 20. Jahrhunderts. Wir sind deutlich jünger, eine Partei des 21. Jahrhunderts. Einst waren Fidesz und die Sozialisten die Pole des politischen Spektrums, in Zukunft werden das wir, und auf der anderen Seite die grün-linke LMP sein. In vielen Bereichen sehen wir mit der LMP dieselben Probleme, nur geben wir darauf andere Antworten. Statt den bisherigen Grabenkämpfen zwischen links und rechts würden wir mit der LMP einen Dialog führen, aus dem sich brauchbare Lösungen für das Land ergeben.

Kálnoky: Würden Sie nach den Wahlen 2018 eine Koalition mit Fidesz eingehen?
Vona: Nein. Das wäre das Ende für Jobbik. Nicht nur wegen der inhaltlichen Differenzen, sondern auch weil Fidesz Koalitionspartner erfahrungsgemäß zermahlt. Fidesz ist unser größter Gegner, von dort werden wir am härtesten angegriffen.

Kálnoky: Wenn Sie die LMP gut finden – die sieht die griechische Syriza als ihr Vorbild. Sie auch?
Vona: „Links“ und „Rechts“, das sind veraltete Kategorien des 20. Jahrhunderts. Man könnte sagen, die neue Rechte in Europa ist die neue Linke. Wie Syriza oder Podemos in Spanien Themen angehen, das ist durchaus mit uns vergleichbar. Man nennt die Front National in Frankreich rechts und Syriza links, aber in Wirklichkeit taugen diese Etiketten nicht mehr. Woher diese Parteien auch kommen, sie sind Ausdruck einer Grundstimmung, dass etwas nicht mehr funktioniert in Europa. Syriza und Jobbik sind in der Art, Probleme zu thematisieren, viel näher als Politologen denken würden.

Kálnoky: 2018 sind Wahlen, Sie sind die stärkste Partei nach Fidesz. Können Sie gewinnen? Nach Orbán dann Vona?
Vona: Dafür müssen wir uns noch sehr verändern. Gegenwärtig sind wir immer noch eher eine Bewegung als eine klassische Partei. Wir müssen uns professionalisieren, uns solidere Strukturen geben. Darin liegt auch ein Risiko: Es kann sein, dass die Alteingesessenen, die von Anfang an dabei waren, sich vernachlässigt fühlen. Aber wir kommen nicht darum herum, nicht nur um die Wahlen gewinnen, sondern auch um danach regieren zu können müssen wir strukturell und auch fachlich professioneller werden. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, jene klugen Köpfe anzusprechen, die in der Lage wären, die Führung des Landes zu schultern.

Kálnoky: Sie räumen also ein, dass aus Ihrer Partei heraus zur Zeit keine kompetente Regierung gebildet werden kann?
Vona: Das ist ja gar nicht die Aufgabe einer Partei. Sondern sie hat die Aufgabe, der Regierung die gesellschaftliche Unterstützung zu verschaffen. Ich denke an ein Experten-Kabinett, falls wir die Wahlen gewinnen. Das schließt natürlich nicht aus, dass jemand aus der Partei Minister oder Staatssekretär würde.

Kálnoky: Die „ungarische Garde“, eine Art uniformierte Parteimiliz, hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Sie ist verboten – kommt sie wieder, falls Sie regieren?
Vona: Ja, wenn wir regieren sollten wollen wir ein Gesetz nach amerikanischen und Schweizer Vorbild schaffen, um in einem demokratischen Rahmen eine „Ungarische Garde“ aufzustellen. Sie könnte beim Katastophenschutz und bei kartitativen Aufgabendem Land viel helfen.

Kálnoky: Bisher marschierte sie vor allem in Dörfern herum um Roma zu ängstigen.
Vona: Die Sache ist uns damals ein wenig entrutscht, nicht das war mein Ziel. Aber als Katastrophenschutz-Helfer macht eine solche Oranisation Sinn.

Kálnoky: Erst einmal müssen Sie an die Macht kommen. Ist Viktor Orbán ein Vorbild, haben Sie von ihm gelernt?
Vona: Gute Frage, die hat mir noch niemand gestellt. Ich habe wirklich viel von Orbán gelernt. Ich beobachte was er macht, man kann natürlich auch von seinen Fehlern lernen. Ich schätze an ihm besonders die Fähigkeit, Kämpfe auszustehen, zu ringen, und selbst wenn er Rückschläge erlebt wieder aufzustehen – und am Ende zu gewinnen.

WELT: Interview mit dem Jobbik-Parteichef Gábor Vona

Boris Kálnoky hat den Vorsitzenden der rechtsradikalen ungarischen Oppositionspartei Jobbik, Gábor Vona, für die WELT interviewt. Vona gibt sich seit 2014 deutlich moderater im Tonfall und will, als – wie er sagt – Chef der „Volkspartei“ Jobbik, Regierungsverantwortung übernehmen. Fidesz sieht er als größten Gegner seiner Partei.

http://www.welt.de/politik/ausland/article140672805/Ministerpraesident-Orban-hat-uns-rechts-ueberholt.html

Amtliches Ergebnis der Nachwahl in Tapolca: Regierung verliert 45% der Wähler

Nach Auszählung der Urnen aus dem letzten Wahllokal und der im Ausland abgegebenen Stimmen liegt nun das  amtliche Endergebnis der Nachwahl im Direktwahlkreis von Tapolca vor. Der Jobbik-Kandidat Lajos Rig gewinnt mit 10.608 Stimmen (35,49%), Zoltán Fenyvesi (Fidesz) liegt mit 10.243 Stimmen (34,27%) auf Platz 2, der Kandidat der MSZP/DK, Ferenc Pad, erhielt 7.830 Stimmen (26,2%).

Die Wahlbeteiligung lag bei 41,78%. 

  

  

Zum Vergleich: Bei der Parlamentswahl 2014 betrug die Wahlbeteiligung 59,9%, damals erhielt der Fidesz-Kandidat 18.570, der gemeinsame Kandidat der Linksopposition (MSZP, Együtt/PM, DK, MLP) 11.769 und Jobbik 10.110 Stimmen. Das Lager von Jobbik blieb somit – bis auf einen marginalen Zuwachs von 500 Stimmen – praktisch gleich groß. Was den Erfolg der Partei ausmachte, ist die Mobilisierung ihrer Wählerschaft. Hingegen verloren die Regierungsparteien etwa 8.000 (45%!) und die Linksopposition ca. 4.000 Wähler – an das Lager der Nichtwähler. 

  

Rechtsradikale gewinnen Direktmandat – was sind die Gründe?

Die gestrige Nachwahl zum ungarischen Parlament brachte der rechtsradikalen Oppositionspartei Jobbik das erste Direktmandat seit ihrer Gründung im Jahr 2003. Was sind die Gründe für das Erstarken der EU-feindlichen, offen rassistischen und antisemitischen Gruppierung? Fünf aus vielen möglichen Gründen:

1. Protestpartei und vermeintlicher „Anwalt der Landbevölkerung“

Sieht man sich die Wahlergebnisse der vergangenen Parlamentswahlen an, so fällt auf, dass Jobbik bislang besonders gute Ergebnisse auf dem Land, vorzugsweise in schwächeren Regionen (z.B. Szabolcs-Szatmár, Heves, Hajdú-Bihar) erzielen konnte. In Budapest spielt die Partei keine annähernd so bedeutende Rolle, in einigen Stadtbezirken nahm sie bei Wahlen den vierten Platz, noch hinter der grün-alternativen LMP, ein. Man kommt in Anbetracht dieses regionalen Gefälles nicht umher, bei der Analyse der Wahlergebnisse ein Augenmerk auf die Situation der ungarischen Landbevölkerung zu werfen: Ein geringes Durchschnittseinkommen, Wegfall von Arbeitsplätzen, Konkurrenz durch ausländische Agrarprodukte, Immobilienkäufe durch Ausländer, die Ausdünnung des Streckennetzes bei öffentlichen Verkehrsmitteln und eine zum Teil desolate innere Sicherheit, gepaart mit dem Gefühl, von den etablierten, aber zutiefst zerstrittenen und mit sich selbst beschäftigten Parteien „oben in Budapest“ („Budapesten“) nicht ernst genommen oder gehört zu werden. Jobbik ist stets vor Ort und bietet – wie alle populistischen Bewegungen – einfache Lösungen für komplexe Probleme an: Austritt aus der EU, Verbot des Landerwerbs durch Ausländer, Bekämpfung der sog. „Zigeunerkriminalität“. Parolen, wie sie zum Teil auch in den Regionen Ostdeutschlands zu Wahlerfolgen der DVU und NPD geführt haben. Hinzu kam die Wirtschafts- und die – auch von ausländischen Kreditinstituten mitverursachte – Schuldenkrise sowie ein aktueller EInbruch der Popularität der Regierungspartei Fidesz, u.a. wegen millionenschwerer Pleiten zweier Brokerhäuser (Buda-Cash und Quaestor), bei denen Menschen um ihre Ersparnisse bangen.

Kurzum: Eine Mischung aus Protest, Tagespolitik und von den anderen Parteien ignorierter Probleme führten zur Stärke von Jobbik. Die Partei stellt bereits mehrere Bürgermeister (z.B. in der ehemaligen sozialistischen Industriestadt Ózd) und ist „in der Fläche gut vernetzt.

2. Von Korruptionsaffären unbelastete „dritte Kraft“

Die wirkliche Konstante der ungarischen Politik seit der Wende ist, dass die jeweiligen Machthaber und die sie umgebenden Interessengruppen den Staat zu ihrem persönlichen Eigentum erklärt zu haben scheinen. Dies hat jedenfalls seit 1994 zu extremen Machtkämpfen geführt, die weniger auf die besten politischen Rezepte, sondern vielmehr auf die Gewinnung wirtschaftlicher Macht und die möglichst nachhaltige Zerstörung des politischen Gegenübers abzielten. Die Auseinandersetzung war von gegenseitiger Stigmatisierung geprägt, den Konservativen wurden faschistische und völkische Züge unterstellt, die Sozialisten als Kommunisten bezeichnet. Ökonomische Interessengruppen finanzierten (nicht selten mit illegalen Mitteln) die Politik, die wiederum umsorgte „ihre“ Oligarchen, sympathisierende und mit Anzeigenkampagnen gefütterte Medienhäuser machten die Presse. Ein hervorragender Nährboden für Korruption und Günstlingswirtschaft entstand, eine Tatsache, die von ausländischen mittelständischen Unternehmen, die in Ungarn investieren, seit langem offen kritisiert wird.

Die mächtigste dieser Interessengruppen war, jedenfalls bis 2002, die Sozialistische Partei mit ihrem aus ehemaligen Funktionären der Arbeiterpartei bestehenden Dunstkreis, Personen, die nicht selten im Rahmen sog. „spontaner Privatisierungen“ in der Wendezeit Millionenvermögen und Medienmacht anhäufen konnten. Oft genug wurden in der Partei vernetzte Fabrikdirektoren volkseigener Betriebe deren Eigentümer, Redakteure von Parteiorganen nahtlos in die „demokratische“ Presse übernommen. Nach der verlorenen Wahl 2002 versuchte der heutige Ministerpräsident Viktor Orbán, diesen unbestreitbaren, wenn auch von Anhängern von MSZP und SZDSZ bis heute nicht akzeptierten strukturellen Nachteil“ (80% der Medien verfolgten eine eher linksliberale Linie, ein Umstand, den Orbán für seine Abwahl mitverantwortlich machte) dadurch wett zu machen, dass – nach dem Vorbild der Sozialisten – Medien in den Einflussbereich des Fidesz eingebunden und der Versuch unternommen wurde, das eigene Lager mit ökonomischer Macht auszustatten. Der (weitere) Aufstieg von Oligarchen wie Lajos Simicska, Zsolt Nyerges und Gábor Széles fällt ebenso in diese Zeit wie der Aufbau fidesznaher Medienimperien (z.B. Infocenter). Die Strategie hatte, aus Sicht des Fidesz, Erfolg: HírTV, Magyar Nemzet und EchoTV waren für Fidesz das, was ATV, Népszabadság und 168 óra für die ungarische Linke waren. Im Online-Bereich war Fidesz schnell erfolgreicher. Nach jedem Regierungswechsel entbrannte zudem ein Kampf um die Vorherrschaft beim staatlichen Rundfunk und Fernsehen, erstmals 2002 (nach der Abwahl von Viktor Orbán und dem Sieg des parteilosen, von der MSZP unterstützten Péter Medgyessy) kam es zu Entlassungswellen; diese fanden nach 2010 ihren Höhepunkt, als Viktor Orbán erneut zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und Fidesz eine parlamentarische 2/3-Mehrheit erhielt.

Die Partei Jobbik tritt mit dem Versprechen an, von den „korrupten“ Seilschaften der Nachwendezeit unbeeinflusst und damit unverbraucht zu sein. Auch wenn man, in Kenntnis der ungarischen Politik, eher der Auffassung sein muss, dass die fehlenden Korruptionsaffären bei Jobbik eher damit zu tun haben, dass ihre Funktionäre eben noch nicht nah genug an den Schalthebeln waren, kommt das Saubermann-Image bei jenen Wählern an, die sich durch jene hemmungslosen Berufspolitiker um die Früchte ihrer Arbeit betrogen sehen, die sich Millionenvillen aus unbekannten Geldquellen finanzieren, mit dem Hubschrauber umherfliegen und im Parlament durch teure Uhren auffallen. Hinzu kommt, dass sowohl die fidesznahen (mit Ausnahme des rechtslastigen EchoTV) als auch die linken Medien Jobbik keinen der Bedeutung der Partei (17-20% der Wähler) ausreichenden Raum boten, die Partei gewann auch gerichtliche Auseinandersetzungen wegen „verzerrender Darstellung“ und konnte sich erfolgreich als Opfer der Zensur darstellen.

3. Linke Diktatur = Rechtes Anti-Establishment

Betrachtet man die deutsche Nachkriegsgeschichte, lassen sich – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen – durchaus gewisse Schlussfolgerungen im Bezug auf Ungarn ziehen. Unbestreitbar war die deutsche Politik, etwa 25 Jahre nach Kriegsende, von einem Konflikt der Generationen bestimmt und mündete in die 1968er. Anti-Establishment bedeutete seinerzeit, sich von den Eltern loszusagen, ihre Geschichte und ihr Versagen während der Zeit des Nationalsozialismus zu hinterfragen und lautstark Kritik daran zu üben, dass ehemalige Nazis noch immer die Politik, die Wirtschaft, die Rechtspflege und die Hochschulen mitbestimmen durften. Eine rechtsradikale Vergangenheit führte damals zu einem „linken“ Anti-Establishment, das bis in den gewaltbereiten Linksextremismus abdriftete.

Wer die Entwicklung von Gegenbewegungen – jedenfalls zum Teil – als Reaktion auf die Elterngeneration sieht, wird nicht unbedingt überrascht sein, dass die „Gegenbewegung“ in Ungarn, einem Land, das vor der Wende 1989 mehr als 40 Jahre kommunistische Diktatur durchlebte, in das rechte und rechtsextreme Spektrum geht. Das Establishment, d.h. der ehemalige sozialistische Staatsapparat, wurde nach der Wende nicht ausgetauscht, sondern konnte politische und wirtschaftliche Macht bis in das hier und heute retten. Die friedliche Wende am runden Tisch verhinderte nur zu oft, dass Täter zur Verantwortung gezogen wurden – einer aus ihren Reihen, der jüngst verstorbene Gyula Horn (Ministerpräsident 1994-1998), war etwa an der Niederschlagung des Volksaufstands von 1956 beteiligt. Die Anhänger von Jobbik sind keineswegs nur ungebildete Schichten, die auf dumpfe Parolen hereinfallen: Mehr als 30% der Studenten sehen sich, trotz offen rassistischer und antisemitischer Züge der Partei, als Anhänger der Partei. Zwar ist es zu kurz gegriffen, die gefährliche Entwicklung von Jobbik als Summe aus jugendlichen Sünden zu verstehen: Gleichwohl ist der Gedanke des Anti-Establishments ein vertretbarer. Das jugendliche Alter vieler Anhänger macht die via Facebook und das Internet geführte Kampagnen zudem sehr effektiv.

4. Innere Sicherheit? Das Versagen und der Zynismus der etablierten Parteien

Im Hinblick auf die desolate innere Sicherheit in vielen ländlichen Gebieten, insbesondere in Regionen mit einer großen Zahl sozial weit unterprivilegierter Menschen – oft Angehörige der Roma-Minderheit – ist auch ein Versagen der Innenpolitik zu konstatieren. Presse taucht erst dann vor Ort auf, wenn Rechtsradikale marschieren, bestohlene, beraubte und belästigte Dorfbewohner locken offenbar niemanden in Orte wie Enying, Gyöngyöspata oder Tiszalök. Jedoch: Dort, wo der Staat sein Gewaltmonopol aufgibt, die Bürger nicht vor alltäglichen Diebstählen und Gewalt schützen kann, suchen sich die Menschen anderweitig Sicherheit. Nur durch ein eklatantes Versagen der Politik seit 2002 ist etwa die Entstehung der rechtsradikalen „ungarischen Garde“ und weiterer paramilitärischer Neonazi-Gruppen zu erklären. Ebenso wie der seltene, in westlichen Ohren ganz und gar unerhört scheinende Umstand, dass mitunter sogar Mitglieder der Roma-Minderheit sich über die „Bürgerwehren“ gefreut haben sollen, weil auch sie die Hoffnung hatten, Raubzüge würden der Vergangenheit angehören.

Die etablierten Parteien verfolgten hier unterschiedliche, aber gleichermaßen kritikwürdige Ansätze: Die Linken und Liberalen versuchten in den Jahren 2002-2010, das Problem mit Begriffen wie „Überlebenskriminalität“ zu bagatellisieren (der Zigeunerwojwode Attila Lakatos kritisierte den laxen Umgang mit Straftätern), kleinere Diebstähle wurden nicht mehr verfolgt, die Bevölkerung allein gelassen. Pünktlich vor den Wahlen entdeckte das Linksliberale Bündnis ihr Herz für die Roma-Minderheit, weniger um ihre Situation zu verbessern, sondern um sie zu den Wahlurnen zu locken. Zeitgleich vermied es die damalige Oppositionspartei Fidesz um jeden Preis, sich von Jobbik trotz ihrer hetzerischen Auftritte deutlich zu distanzieren, um potenzielle Wähler des rechten Lagers nicht zu vergraulen, Jobbik bildete schließlich die „Reserve“ künftiger Wahlen. Eine explosive Mischung. Erst nach 2010 ergriff Fidesz – schon an der Macht – hin und wieder publikumswirksam die Initiative, um Jobbik und die Rechtsradikalen zurück zu drängen: Zu diesem Zeitpunkt war die Partei allerdings schon ein Machtfaktor geworden, verbotene „Garden“ tauchten in leicht abgewandelter Montur bald wieder auf. Hier muss man eine Art „Schaukelpolitik“ des Fidesz konstatieren, die einerseits auf Aktionen gegen Jobbik setzte, sich aber andererseits auch deren Forderungen (teilweise) zu eigen machte (z.B. Trianon-Gedenktag).

5. „Fidesz‘ verdorbene Kinder“?

Nichts ist in ungarischen linksoppositionellen Kreisen beliebter als die simple These, Fidesz habe Jobbik höchstpersönlichh entbunden und groß gemacht. Dieser Ansatz ist im Hinblick darauf, dass die ungarische Linke – insbesondere aber die Liberalen – diesbezüglich ebenfalls schwere Versäumnisse begangen haben, von dem sie ablenken wollen, nur zu verständlich. Es führt freilich kein Weg an der Einsicht vorbei, dass Jobbik während einer linksliberalen Regierungsphase nicht nur in das ungarische, sondern erstmals auch in das EU-Parlament einzog (2009). Es ist auch kaum bestreitbar, dass die seinerzeitigen Regierungen (Medgyessy, Gyurcsány, Bajnai) eher damit beschäftigt waren, Jobbik als Angriffsfläche gegen Fidesz zu nutzen und Fidesz mit Forderungen nach Distanzierung vor sich herzutreiben, als die Partei inhaltlich zu bekämpfen: Die ungarische Linke – deren Anhänger, am jüngsten Beispiel Ózd betrachtet, auch mal unmittelbar von links nach extrem rechts wechselten – schien Jobbik zeitweise zu brauchen, wie eine Scheibe Brot, gerade in der Kommunikation gegenüber den betreffend rechtsradikaler Tendenzen sensiblen Ländern Westeuropas, insbesondere Deutschland. Dazu passt es, dass die Sozialisten in der innenpolitischen Auseinandersetzung öffentlich bekundeten, nicht Jobbik sei der Gegner, sondern Fidesz. Auch die im Oktober 2006 geübte Polizeibrutalität und die Unfähigkeit der damaligen Führung, die Gewaltexzesse zu kritisieren, war ein trauriger Meilenstein im Erstarken von Jobbik, die sich in einer Parallele zum 1956-er Volksaufstand darstellen wollte.

Allerdings kann die erhebliche Mitschuld des Fidesz am Erstarken von Jobbik ebensowenig bestritten werden:

Die Partei hat ihre Wurzeln in einer rechten Studentenbewegung, die noch 1999 – also während der ersten Regierung Orbán – gegründet wurde. Seinerzeit vertraten ranghohe Fidesz-Politiker (u.a. der Verfassungsrichter und damalige Kanzleramtsminister István Stumpf) die Ansicht, es wäre vorteilhaft, eine nationale Jugendbewegung aufzubauen, die den rechten Rand abdeckt und so in der Nähe und unter Kontrolle des Fidesz gehalten werden könnte. Jobbik-Parteichef Gábor Vona, ehemals Vorsitzender einer rechtsgerichteten christlichen Studentenbewegung, war zudem von 2002-2003 auf Einladung Viktor Orbáns Mitglied in einem Fidesz-nahen außerparlamentarischen Bürgerkreis, den er aber schon 2003 wieder verließ, um sich in der gerade als Partei gegründeten Jobbik zu engagieren. Man muss also konstatieren, dass Fidesz seit 2003 ebensowenig versucht hat, die Partei einzudämmen, sondern sie, wenn auch mit entgegengesetzter Zielrichtung als die Sozialisten und Liberalen, für politische Landgewinne rechts der Mitte zu nutzen. Selbst als im Jahr 2006 rechtsradikale Hooligans das staatliche Fernsehen angriffen, brachte es Orbán nicht fertig, die rechtsextreme Gesinnung der Täter öffentlich zu brandmarken. Er wollte nur Opfer sehen, die damalige Regierung nur rechtsradikale Täter…

6. Fazit:

Das Erstarken von Jobbik ist auf ein Ursachenbündel zurück zu führen, an dem die gesamte „etablierte“ Politik eine traurige Rolle eingenommen hat. Nicht nur, dass die Zerstrittenheit von „rechts“ und „links“ (das politische Koordinatensystem ist mit dem westeuropäischen nicht völlig in Übereinstimmung zu bringen!) einen „Aufstand der Anständigen“ verhindert, nein: Die Partei wurde sogar von beiden großen Blöcken als Waffe gegen den politischen Gegner eingesetzt. Dabei wurde jedoch übersehen, dass die politischen Gegebenheiten einer Anti-Establishment- und Protestbewegung von rechts enorme Wachstumschancen bieten, ferner eine „Gefahr von rechts“ in einem Land, das zuletzt eine kommunistische Diktatur war, (noch) nicht die gleiche Abschreckungswirkung entfaltet, wie in der Bundesrepublik; wer heute von links als Kritiker des Neofaschismus auftritt, wird, ob er nun Recht hat oder nicht, oft genug in der Tradition des Realsozialismus gesehen, in dem die Warnung vor dem Faschismus eine abgedroschene politische Botschaft war.

Das Ergebnis der letzten 15 Jahre sahen wir am Wochenende: Jobbik wird, das steht fest, in der Bevölkerung (noch) nicht als Gefahr, sondern als Chance und Alternative wahrgenommen. Es obläge den etablierten Parteien, etwas dagegen zu tun. Momentan sieht es nicht so aus, als fänden sie die Kraft dazu.

 

Wahlerfolg der Jobbik: Pressestimmen

Der Wahlerfolg der rechtsradikalen Partei Jobbik bei der Nachwahl im Wahlkreis Tapolca wird in der in- und ausländischen Presse thematisiert. Hier einige Beiträge:

http://www.nzz.ch/international/jobbik-gewinnt-erstmals-direktmandat-in-ungarn-1.18521043

http://www.wiwo.de/politik/europa/ungarn-rechtsextreme-jobbik-gewinnt-direktmandat/11626834.html

http://derstandard.at/2000014198933/Nachwahl-in-Ungarn-Jobbik-Kandidat-vor-Regierungskandidaten

http://de.euronews.com/2015/04/13/ungarn-direktmandat-vom-plattensee-fuer-rechtsextremen-jobbik-kandidaten/

http://www.welt.de/newsticker/news1/article139458460/Jobbik-Partei-erobert-in-Ungarn-ersten-Parlamentssitz.html

http://444.hu/2015/04/13/valamin-valtoztat-a-fidesz-a-tapolcai-buko-utan/

http://444.hu/2015/04/12/vona-gabor-nix-orban-viktor-nix-fidesz/

http://index.hu/belfold/2015/04/12/orban_viktor_a_kapufat_hibaztatja_a_jobbik_gyozelmeert/

http://index.hu/belfold/2015/04/12/idokozi_valasztas_ajka_sumeg_tapolca_parlament/a_dk_maris_nacizik/

http://index.hu/belfold/2015/04/12/idokozi_valasztas_ajka_sumeg_tapolca_parlament/a_fidesz_elismerte_a_vereseget/

http://mno.hu/belfold/tapolcan-torhetett-be-a-jobbik-folott-az-uvegplafon-1281610

http://nol.hu/belfold/attort-a-jobbik-1527673

http://www.welt.de/politik/ausland/article139494983/Rechte-Jobbik-Partei-stiehlt-Orban-die-Waehler.html

WELT: Interview mit dem LMP-Parteivorsitzenden András Schiffer

Die Tageszeitung WELT bringt heute ein Interview von Boris Kálnoky mit dem LMP-Parteivorsitzenden András Schiffer. Die LMP gilt als Ungarns „grüne“ Partei. Schiffer spricht insbesondere über das Problem der rechtsradikalen Partei Jobbik – die laut einer aktuellen Umfrage bei den Europawahlen mit dem 2. Platz rechnen kann – sucht nach Gründen für deren Erstarken.

http://www.welt.de/politik/ausland/article128197099/Die-Rechtsradikalen-sprechen-echte-Probleme-an.html

FAZ: Stephan Löwenstein zum Abschneiden von Jobbik

Stephan Löwenstein befasst sich in der Franfurter Allgemeine Zeitung mit dem Wahlergebnis der rechtsradikalen Partei Jobbik. Die Partei hatte am vergangenen Sonntag über 20% der Zweitstimmen erhalten und war im Direktwahlkreis Miskolc nur knapp am ersten gewonnenen Direktmandat vorbeigeschrammt.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wahlerfolg-der-rechtsextremen-jobbik-partei-in-ungarn-12891609.html