Dämpfer für Fidesz: Regierungspartei verliert OB-Amt in Hochburg Hódmezövásárhely

Bei der heutigen Nachwahl des Bürgermeisters in der als Fidesz-Hochburg geltenden Stadt Hódmezövásárhely hat die Opposition einen klaren Sieg errungen. Der Fidesz-Kandidat Zoltán Hegedüs kam auf gut 41 Prozent der Stimmen, während der unabhängige, von der Linksopposition und der rechtsradikalen Jobbik unterstützten Péter Márki-Zay 57 Prozent erringen konnte. Dies trotz einer in den letzten Tagen bis ins Geschmacklose abgeglittenen Gegenkampagne der Regierungspartei. Die Nachwahl wurde nötig, weil der bisherige Amtsinhaber verstorben war. 2014 konnte Fidesz bei der Bürgermeisterwahl noch über 61 Prozent der Stimmen erringen.

Die Amtszeit Márki-Zays dauert voererst bis zur nächsten regulären Wahl im Jahr 2019. Ob der Neugewählte gegen die Fidesz-Mehrheit im Stadtrat viel ausrichten kann, bleibt abzuwarten.

Knapp zwei Monate vor der Parlamentswahl zeigt sich dennoch Licht am Ende des Tunnels für die Opposition. Dass gerade die Nachwahl in der Heimatstadt von János Lázár, ehrgeiziger Kanzleramtsminister von Premier Viktor Orbán und Dauer-Nachfolgekandidat, verloren geht, hatten wohl wenige Parteifunktionäre erwartet. Lázár hatte das Bürgermeisteramt selbst über viele Jahre bekleidet. Möglicherweise ist das Oppositionsbündnis der linken Kräfte (die Einbindung der rechtsradikalen Jobbik ist noch offen) nun doch in der Lage, unzufriedene Wähler in großer Zahl zu motivieren. Eine hohe Wahlbeteiligung – so wie heute in Hódmezövásárhely – beinhaltet Gefahren für Fidesz: Denn so könnte das Gewicht der eigenen, stets gut mobilisierten Wählerschaft verwässern.

Zur Unzeit für Fidesz kommt ein von der EU-Antibetrugbehörde OLAF präsentiertes Ermittlungsergebnis. Die Behörde hat die EU-Kommission aufgefordert, Ungarn zur Rückzahlung von rund 40 Mio. EUR Subventionen aufzufordern. OLAF sieht erhebliche Verstöße gegen Vergabekriterien. Die Stellungnahme ist deshalb pikant, weil Viktor Orbáns Schwiegersohn, Istán Tiborcz, über seine Ex-Firma Elios an den Verstößen beteiligt gewesen sein soll. Die Vergabe von Aufträgen betraf auch Hódmezövásárhely. An Elios beteiligt war auch der ehemalige Fidesz-Finanzier und heutige Orbán-Erzfeind Lajos Simicska, der zwischenzeitlich die rechtsradikale Oppositionspartei Jobbik unterstützt. Sein Baukonzern Közgép war in früheren Jahren Dauerprofiteur öffentlicher Ausschreibungen, seit dem Bruch mit Orbán ist ein kometenhafter Aufstieg eines anderen Akteurs zu beobachten: Lörinc Mészáros, der Bürgermeister von Orbáns Heimatstadt Felcsút, wurde durch vorwiegend öffentliche Aufträge in wenigen Jahren vom Inhaber einer Installationsfirma zum Forint-Multimilliardär. Er besitzt, nach dem Vorbild Simicskas, Bauunternehmen, Hotels, Zeitungen, den rechtslastigen Fernsehsender EchoTV und weitere Unternehmen. 

https://www.nzz.ch/international/der-fidesz-verliert-nachwahl-klar-ld.1360507

https://www.welt.de/politik/ausland/article173937726/Ungarn-Stolpert-Viktor-Orban-ueber-eine-Korruptionsaffaere.html

https://index.hu/belfold/2018/02/25/a_baloldal-jobbik_osszefogas_kiutotte_a_fideszt_hodmezovasarhelyi_valasztas_tanulasgai/

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„Weihnachts“geschenk für Fidesz: Gergely Karácsony wird gemeinsamer Kandidat von MSZP und DK

Die ungarische Linksopposition hat der regierenden Fidesz-Partei von Premier Viktor Orbán am heutigen Tage ein politisches Weihnachtsgeschenk – in Bezug auf die Parlamentswahl im Frühjahr 2018 – beschert: Gergely Karácsony, Ehemaliger LMP-Abgeordneter und Co-Chef der LMP-Abspaltung „Párbeszéd Magyarországért“ (Dialog für Ungarn), wird gemeinsamer Kandidat der Solzialisten (MSZP) und der Demokratischen Koalition (DK) für das Amt des Premiers.

MSZP und die von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány geführte DK wollen sich zudem für alle 106 Direktwahlkreise auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Die Listen bleiben aber getrennt. Interessant: Nach einem Bericht des Nachrichtenportals 444.hu wird Karácsony weder als Direktkandidat antreten, noch scheint „seine“ Partei an der Wahl teilnehmen zu wollen. Ob dies allerdings so bleiben wird, ist fraglich.

Die aktuelle Entwicklung zeigt die seit Jahren katastrophale Personalsituation der Linken: Gyurcsány ist, bis auf seine wenigen Förderer und (meist jenseits des 70. Lebensjahres befindlichen) Bewunderer kein tragbarer Kandidat, weil er Stimmen des Mitte-Rechts-Lagers nicht vereinnahmen kann. Die Sozialisten hingegen haben ihren ursprünglichen Hoffnungsträger László Botka, den für MSZP-Maßstäbe sehr beliebten Bürgermeister von Szeged, durch dessen Verzicht auf die Spitzenkandidatur verloren. Also alles wieder zurück auf Los.

Nun scheint Karácsony, der in aktuellen Umfragen immerhin als beliebtester Politiker Ungarns gilt, die „letzte Hoffnung“ zu sein, um eine neuerliche 2/3-Mehrheit des Rechtsbündnisses aus Fidesz und Christdemokraten (KDNP) zu verhindern. Die Chancen stehen allerdings denkbar schlecht: Fidesz steht nach einer aktuellen Republikon-Umfrage in der Wählergunst besser denn je (57%), die Opposition siecht dahin. Weder programmatisch noch personell gibt es mehrheitsfähige Angebote. Nur die mit ihrem Zugang zur schreibenden Zunft gesegneten Orbán-Kritiker im In-und Ausland schreien wie eh und je und werden versuchen, das Ruder herum zu reissen: Im Ergebnis wohl so erfolgreich wie 2010 und 2014…

Die von der Holocaust-Überlebenden Ágnes Heller als potenzieller Kooperationspartner der Linken ins Spiel gebrachte rechtsradikale Jobbik und ihr Vorsitzender Gábor Vona stehen ihrerseits wegen angeblich illegaler Parteienfinanzierung unter Druck und scheiden wohl als Zünglein an der Waage aus; Jobbik dürfte dem Kandidaten Karácsony zudem die Gefolgschaft verweigern. Alles sieht somit – jedenfalls derzeit – danach aus, als ginge es der Opposition zum dritten Mal in Folge wieder nur darum, den bevorstehenden Wahlverlust zu verwalten, den Schaden zu begrenzen. Nichts eignet sich besser als Indiz hierfür als der Umstand, dass Gyurcsány offenbar nicht Spitzenkandidat werden will. Der Politiker, der fernab des Verdachtes steht, auch nur leiseste Selbstzweifel zu hegen, und sich seit je her als einziger aussichtsreicher Herausforderer Orbáns sieht, weigert sich wohl nur, das Ruder der bereits auf den Eisberg zurauschenden Titanic zu übernehmen. Er übernimmt nur den (sicheren) Listenplatz 1.

Tagesspiegel: „Vom Musterschüler zum Sitzenbleiber“

Der Tagesspiegel veröffentlicht in seiner heutigen Ausgabe einen längeren Beitrag des Autors Mohamed Amjahid über Ungarn vor den Wahlen. Der Titel: „Vom Musterschüler zum Sitzenbleiber“.

http://www.tagesspiegel.de/politik/ungarn-vor-den-wahlen-vom-musterschueler-zum-sitzenbleiber/9697094.html

 

Was fährt in einen Journalisten, dass er so etwas schreibt?

In den Jahren 2008 und 2009 fuhr ein ungarisches Pendant zur NSU-Terrorzelle mordend durch das Land. Sie erschossen 55 Menschen, alles Roma, teils brachten sie ganze Familien um. Vier Verdächtige wurden festgenommen, sie sind bis heute nicht verurteilt.“

Tatsächlich starben sechs Personen.

Tatsächlich sind drei der vier Täter zu lebenslanger Haft, einer zu 13 Jahren Haft, verurteilt worden. Nicht heute oder gestern, sondern im August 2013.

Wer es diesem Blog nicht glaubt, nimmt es vielleicht SPON ab: http://www.spiegel.de/politik/ausland/urteil-in-ungarn-lebenslaenglich-fuer-die-roma-moerder-a-915109.html

Hat Herr Mohamed Amjahid für seinen Beitrag recherchiert?

TAZ: Ralf Leonhard bedient seine Leser mit zweifelhaften Schreckensmeldungen aus Ungarn

Die Berliner Tageszeitung (TAZ) brachte gestern einen Beitrag ihres Wiener Korrespondenten Ralf Leonhard zu den bevorstehenden ungarischen Parlamentswahlen am 6. April 2014.

http://www.taz.de/Orbns-Macht-ungebrochen/!131491/

Beim Lesen reibt man sich die Augen. Nicht etwa wegen der Bezeichnung der ungarischen Regierung als „Rechtsnationalisten“ und der Unterstellung, der ungarische Staatspräsident János Áder habe den Wahltermin „nach dem Wunsch“ des Ministerpräsidenten Viktor Orbán festgelegt. Nein.

Es geht um folgende Passage, deren Kernaussage sich bereits via Twitter verbreitet:

Roma benachteiligt

So dürfen Angehörige der Minderheiten nur für deren Vertretungen, nicht aber für politische Parteien stimmen. Das trifft vor allem die Roma, mit etwa 6 Prozent der 10 Millionen Einwohner die größte Minderheit. Roma-Vertreter Florián Farkas: „Wir sind zuerst und vor allem Ungarn“, daher sollte man sich bei einer allgemeinen, freien und gleichen Wahl nicht dafür entscheiden müssen, ob man „der Nation oder einer Minderheit“ angehört.

Die Aussage ist eindeutig: Leonhard behauptet, die ungarischen Roma dürften nicht für politische Parteien stimmen, seien also vom allgemeinen Wahlrecht ausgeschlossen. Ein schlimmer Vorwurf, aber was ist dran?

Bei der Parlamentswahl hat jeder ungarische Staatsbürger zwei Stimmen. Mit der Erststimme wird der Direktkandidat des jeweiligen Wahlkreises (106 in ganz Ungarn) gewählt, es gilt das relative Mehrheitswahlrecht. Mit der Zweitstimme wählt der Bürger eine landesweite Parteiliste (Verhältniswahlrecht). Eine solche Liste darf jede Partei führen, die in mindestens 27 Direktwahlkreisen Kandidaten stellt. Hier gilt eine 5%-Hürde: Parteien, die dieses Quorum nicht erreichen, gelangen nicht ins Parlament.

Selbstverständlich verfügt jeder ungarische Wahlbürger über die genannten zwei Stimmen, das gilt auch für Minderheiten. Bereits diese Feststellung reicht, um Leonhards Behauptung als unwahr zu bezeichnen.

Als „Minderheitenkomponente“ beinhaltet das ungarische Wahlrecht zudem die Möglichkeit (nicht Verpflichtung!), sich als Wahlbürger zu einer der 13 anerkannten ethnischen Minderheiten („nemzetiségek“, „Nationalitäten“) zu bekennen und – nur auf weiteren ausdrücklichen Wunsch – auf die Liste der zur Wahl der Nationalitätenvertreter im Parlament berechtigten Personen aufgenommen zu werden. Es besteht keine Pflicht, dies zu tun, auch wenn Leonhard ohne den Funken eines Nachweises suggeriert, man habe von Behördenseite Roma genötigt, sich in diese Wahllisten einzutragen.

Nur wenn man sich a) zu einer Minderheit freiwillig bekennt und zusätzlich b) für die Minderheitenvertreterwahl registriert, wird die Zweitstimme durch die Stimme zur Wahl des Minderheitenvertreters ersetzt. Die Erststimme (sie entscheidet über 106 von 199 Abgeordneten) bleibt auch dann in jedem Fall erhalten.

Die Eintragung für die Wahl des Minderheitenvertreters hat Vor- und Nachteile. Vorteil ist, dass es hier die o.g. 5%-Hürde nicht gibt; das bedeutet, dass die gewählten Minderheitenvertreter keine Mindeststimmenzahl erreichen müssen, um einen Sitz zu erlangen. Sie sind in jedem Fall Mitglied des Hohen Hauses. Hierbei werden kleine Minderheiten, die aufgrund ihrer Zahl keine realistische Chancen hätten, mit ihren Listen die 5%-Hürde zu erreichen, tendenziell bevorzugt: Denn sie profitieren vom fehlenden Quorum, während große Minderheiten eher darunter leiden, dass die Sitze der Minderheitenvertreter zahlenmäßig begrenzt sind und sich eine große Zahl abgegebener Stimmen nicht in einer entsprechenden Erhöhung ihrer Parlamentssitze niederschlägt.

Während also etwa die zahlenmäßig kleine deutsche Minderheit das Minderheitenwahlrecht eher begrüßt, wird es von Roma-Organisationen kritisch gesehen, weil die zur Verfügung stehende Zahl von Parlamentssitzen nicht den Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung (ca. 6-7%) abbildet. Insbesondere auch jene Roma-Interessengruppen, die sich für die Partei-Landeslisten registriert haben und so gegen die übrigen Parteien um die („normale“) Zweitstimme kämpfen, lehnen die Eintragung in die Minderheitenwahllisten ab bzw. raten von der Option ab, da ihnen jene Stimmen dann nicht mehr zur Verfügung stünden.

In jedem Fall aber ist die Aussage der Korrespondenten Leonhard, Minderheiten dürften nicht für politische Parteien stimmen, falsch. Jeder Bürger kann frei entscheiden, ob er seine Zweitstimme gegen das Recht „tauscht“, einen Minderheitenvertreter zu wählen.

Ferner schreibt Leonhard:

Die Behörden dürften noch kräftig nachgeholfen haben, um die ungeliebten Landsleute vom allgemeinen Wahlrecht auszuschließen. Denn in vielen Gemeinden sollen Roma genötigt worden sein, sich für die Minderheitenwahlen zu registrieren.

Nicht nur, dass derartige Vorwürfe der „Nötigung“ jeder seriösen Tatsachengrundlage entbehren (Leonhard nennt daher auch weder Ross noch Reiter, das Wörtchen „dürften“ entlarvt seine Mutmaßungen vielmehr als reinste Unterstellung), mehr noch: Sieht man sich die aktuellen, öffentlich zugänglichen Zahlen des Nationalen Wahlbüros (www.valasztas.hu) an, so wirkt Leonhards Vermutung geradezu absurd. Bis vergangenen Donnerstag, den 23. Januar 2014, haben sich landesweit exakt 61 (in Worten: einundsechzig) Wahlbürger für die Wahl der Roma-Minderheitenvertreter registriert und dadurch ihre Zweitstimme gegen die Minderheitenstimme getauscht. Wo also sollen, vor dem Hintergrund dieser mageren Zahlen, Behörden „kräftig“ mitgeholfen haben, Roma von den allgemeinen Wahlrecht auszuschließen?

http://valasztas.hu/

In Anbetracht von geschätzt über 600.000 in Ungarn lebenden Roma ist eine Zahl von landesweit 61 Roma, die künftig lieber ihren Minderheitenvertreter als die Landesliste wählen wollen, eigentlich keinen Tropfen Druckerschwärze wert. Außer für die TAZ, die das Märchen, den Roma würde das Wahlrecht beschränkt, weiter verbreiten.

Leonhards Vorwurf, den ungarischen Roma werde das Wahlrecht teilweise verwehrt, stellt sich auf Basis der Faktenlage somit als glatte Irreführung seiner Leser heraus. Ein Beitrag, der lediglich das Prädikat „von propagandistischem Wert“ verdient. Die Opposition, die laut Leonhard nur zu wenig „Strahlkraft“ aufweise (tatsächlich aber bislang kaum Inhalte vorzuweisen hat), wird es ihm danken. Die Horrormeldung macht bereits die Runde.

Dass Leonhard zudem verschweigt, dass sich von den 500.000 Auslandsungarn, deren Stimmen er dem Regierungslager zuschlägt (eine beliebte Drohgebärde der Oppositionsparteien), sich bislang nur knapp 120.000 für die Wahl haben registrieren lassen, sei nur am Rande erwähnt.

DW-Projekt „Secrets of Transformation“ befasst sich mit Ungarn

Im Rahmen des Projekts mit dem Namen Secrets of Transformation haben Reporter der Deutschen Welle unter anderem auch Ungarn besucht.

http://www.dw.de/themen/secrets-of-transformation/s-100797

Zu Wort kommen – was in deutschsprachigen Berichterstattung geradezu überrascht – Kritiker und Anhänger der Regierung. Zwar nehmen die Wortmeldungen der Regierungskritiker deutlich mehr Platz ein. aber immerhin: Sowohl Ferenc Kumin (Amt des Ministerpräsidenten) als auch Tamás Bodoky (átlátszó) werden interviewt, zudem kommt eine ehemalige Richterin des Landgerichts Budapest zu Wort und spricht über die berechtigter Kritik ausgesetzte Zwangspensionierung von Richtern (die zwischenzeitlich sowohl vom ungarischen Verfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt wurde).

Verantwortlich für den Ungarn-Bericht sind zwei Reporterinnen der DW, Rayna Breuer und Gabriella Balassa.

Wie ich finde, ein – gerade wegen der Rubrik „Alltag“ – wertvolles und recht ausgeglichenes Projekt, das versucht, dem Bedürfnis an kritischer Beobachtung der ungarischen Politik ebenso gerecht zu werden wie die Punkte aufzuzählen, die zu der nach wie vor breiten Unterstützung für die Regierung Orbán geführt haben.

Ohne die einzelnen Aussagen bewerten zu wollen, fällt mir allerdings ein Punkt auf: Leider geht der Report auf eines der Grundprobleme der ungarischen Politik, die Feindschaft zwischen den Lagern, nicht ausreichend ein. Hierin sehe ich das Grundübel und zugleich das größte Hindernis dafür, dass Ungarn – mehr als 20 Jahre nach der Wende – innenpolitisch zur Ruhe kommt. Aber es ist immer noch besser, diesen Punkt – wie Breuer und Balassa es taten – außen vor zu lassen, als sich in der beinahe alltäglich gewordenen Art und Weise ausschließlich auf eine Seite zu schlagen und die Positionen der anderen Seite zu verschweigen.

 

Zeichen des Wahlkampfs…

Der ungarische Wahlkampf ist nun auch offiziell eröffnet. Vergangenen Sonntag bestimmte Staatspräsident János Áder den Wahltag auf den 6. April 2014.

Beinahe zeitgleich begannen die ungarischen Sozialisten (MSZP) mit der Präsentation eines ihrer Wahlkampfplakate, das einen Vorgeschmack auf den Tonfall und die gelebte Feindschaft zwischen den Lagern gibt:

mszp-oriasplakat

Das Plakat zeigt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und den Haupteigner des Baukonzerns Közgép, Lajos Simicska. Simicska, der aktuell keine offizielle Funktion in der Partei hält, früher jedoch ihr Schatzmeister und 1998-99 Chef der ungarischen Finanzaufsicht war, ist einer der reichsten Ungarn und soll seit dem Studium eng mit Orbán befreundet sein und gilt – insbesondere in Oppositionskreisen – als „fidesznaher Oligarch“. Neben Közgép kontrolliert er den Medienkonzern Mahir.

Die Opposition sieht insbesondere die seit 2010 steigende staatliche Vergabe von Bauaufträgen an Közgép kritisch.

Die Botschaft des Plakats: „Ők már jobban élnek. És Ön?“ („Die leben schon besser. Und Sie?„)

Und für diejenigen, die diese Botschaft immer noch nicht verstehen, wird ergänzt: „Mafiaregierung Simicska-Orbán„…

Auch in einem kürzlich von ungarischen Regierungskritikern verfassten und vom ehemaligen Bildungsminister Bálint Magyar (ehemals SZDSZ) herausgegebenen Buch („A magyar Polip„) wird der ungarische Staat in die Nähe einer kriminellen Vereinigung gerückt.

Mal sehen, wie Fidesz kontert. Und was insbesondere der DK einfällt…ich befürchte, eine Fortsetzung – auf welcher Seite auch immer – folgt.

NZZ: Meret Baumann über das Wahlbündnis der Linksopposition

Meret Baumann berichtet für die Neue Zürcher Zeitung über die Entscheidung der ungarischen Oppositionsparteien MSZP und Gemeinsam 2014, das Bündnis mit Blick auf die Wahlen im April nun doch weiter zu vertiefen und – mit MSZP-Parteichef Attila Mesterházy– einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufzustellen.

http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/spaete-einigung-der-linksliberalen-opposition-1.18218145

Gibt es doch eine gemeinsame Oppositionsliste bei den Wahlen 2014?

Etwa vier Monate vor den ungarischen Parlamentswahlen gibt es Zeichen einer grundlegenden strategischen Trendwende bei der ungarischen Linksopposition.

Entgegen dem seit Herbst 2013 vorangetriebenen Zweierbündnis aus MSZP (Sozialisten) und der von Ex-Premierminister Gordon Bajnai geführten Partei Gemeinsam 2014 (Együtt 2014-PM) soll nach Berichten des ungarischen Portals 444.hu nun doch geplant sein, eine gemeinsame Liste aufzustellen. Selbst bei der Frage, ob die Partei Demokratische Koalition (DK) um Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány Listenplätze zugewiesen bekommt, scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Ebenso dürfte Gábor Fodor, ehemals führendes Mitglied des liberalen SZDSZ, mit seiner neuen Formation (Die Liberalen – ung. Liberálisok) vertreten sein.

Ob es es – entgegen der bisherigen Doppelspitze Mesterházy/Bajnai – einen gemeinsamen Spitzenkandidaten geben wird (dies war stets die Forderung Gyurcsánys) oder die Person des oppositionellen Kandidaten um das Amt des Regierungschefs erst nach der Wahl entschieden wird, ist noch nicht bekannt. 444.hu vermutet jedoch, dass der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterházy zum Spitzenkandidaten ernannt werden könnte. Dies wäre in Anbetracht des innerhalb der Linksopposition weitaus größten Gewichts der Sozialisten eine nachvollziehbare Entscheidung.

http://444.hu/2014/01/08/lesz-kozos-lista-gyurcsannyal-az-elen-mesterhazyval/?utm_source=mandiner&utm_medium=link&utm_campaign=mandiner_201401

Angeblich soll über die aktuellen Entwicklungen zeitnah im Rahmen einer Pressekonferenz berichtet werden.

 

Ergänzung:

MSZP und Együtt 2014-PM haben sich auf eine gemeinsame Liste geeinigt. Man werde dies auch der DK vorschlagen. Die gemeinsame Liste sei das effektivste Mittel, um einen Regierungswechsel zu erzielen. Der Kandidat für das AMt des Ministerpräsidenten soll von der MSZP nominiert werden.

http://www.atv.hu/belfold/20140108-ellenzeki-targyalasok-mesterhazy-miniszterelnok-jelolt-gyurcsany-a-listan

Ferenc Gyurcsánys Kampf um die 5%-Hürde: Einer gegen alle

Der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gurcsány ist Rampenlicht gewöhnt. Und versucht, mit der Hilfe von Sympathisanten und Teilen der Medien, den Lichtschein nicht erlöschen zu lassen. Sein Plan, die aus einer Abspaltung der ungarischen Sozialisten (MSZP) entstandene Partei Demokratische Koalition (DK) zu einem Teil des linken Oppositionsbündnisses aus MSZP und Együtt 2014-PM werden zu lassen, scheint vorerst gescheitert: Zu groß sind die Vorbehalte gegenüber jenem Politiker, der die Wahlen 2006 mit einer „Lügenrede“ und Aussagen zur „florierenden ungarischen Wirtschaft“ gewann, am Ende jedoch ein Staatsdefizit von rund 80% des BIP hinterließ – immerhin knapp 30 Prozentpunkte über dem, was zu Beginn der letzten sozialliberalen Koalition im Jahre 2002 zu Buche schlug.

Wer die Medien in Ungarn beobachtet, der sieht: Gyurcsány ist omnipräsent. In der vergangenen Woche überraschte die Partei des Ex-Premiers Beobachter mit einem 16-Punkte-Programm für die kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 (die Budapester Zeitung berichtete), welches bis zum Frühjahr um weitere 70-80 Punkte erweitert werden soll. Bereits die ersten Ziffern deuten an, auf was es der DK ankommen dürfte: Im Gespräch bleiben, Stimmen bei den Unzufriedenen maximieren, Neidkomplexe schüren. Letzteres erinnert ein wenig an das Jahr 2004, als ein Referendum des politisch rechtsaußen stehenden Ungarischen Weltkongresses (MVSZ) zur doppelten Staatsbürgerschaft von Ungarn in den umliegenden Ländern (die dortige Minderheit umfasst etwa 2,5 Mio. Menschen) zwar positiv schloss, aber an einer zu geringen Wahlbeteiligung scheiterte. Damals hatte sich Gyurcsány – seinerzeit Ministerpräsident – klar gegen die Doppelstaatlichkeit ausgesprochen. Zwischenzeitlich sind neun Jahre vergangen und die Opposition – unter anderem MSZP, Együtt 2014-PM und die LMP – haben sich mit dem von Fidesz eingebrachten neuen Staatsangehörigkeitsrecht abgefunden, der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterházy fand in Rumänien sogar Worte der Entschuldigung für die damalige Position der Partei. Hinter diesen Worten steht zweifelsfrei politisches Kalkül (die Wähler sind da, also kämpft man lieber um ihre Stimmen), aber dies wäre nicht nötig bzw. möglich, hätte sich der Wind in der ungarischen Gesellschaft nicht gedreht. Die doppelte Staatsangehörigkeit steht kaum in der Kritik, wenn auch Einzelheiten des neu verliehenen Wahlrechts durchaus umstritten sind.

Gyurcsány hingegen bleibt seinen Prinzipien treu: Er hatte bereits im Jahr 2004 auf Neidreflexe seiner Wähler gesetzt – und damit gedroht, die nach Ungarn strömenden Neu-Staatsbürger würden die Sozial- und Rentenkassen leeren sowie dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt kollabiert – und behält diese Politik der Angst und Unzufriedenheit in leicht abgewandelter Form bei. Aktuell wird von Seiten der DK gegen ein Wahlrecht der Auslandsungarn Kampagne gemacht, nur jene Bürger sollten schließlich wählen, die Steuern zahlten und die Konsequenzen ihrer Entscheidung am eigenen Leib spürten. Ketzerisch gefragt könnte man freilich durchaus in Zweifel ziehen, ob jene Wählerschichten, die man mit solchen Aussagen zur Urne locken kann, tatsächlich samt und sonders Steuerzahler sind; der Vorwurf, die DK sympathisiere mit einer Art von „Zensuswahlrecht“, würde man dort wohl empört von sich weisen.

Zu den weiteren, „tragenden Säulen“ des Gyurcsány’schen Wahlprogramms gehört die Aufkündigung der „Vatikanverträge“, einer Reihe völkerrechtlicher Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl aus der sozialliberalen Regierungsphase Gyula Horn (1994-98), die dazu dienten, die Rechtsverhältnisse zwischen der katholischen Kirche und dem Staat zu regeln – auch wegen der in der Volksrepublik Ungarn entstandenen Schäden. Die Aussage, man werde die Verträge mit dem Vatikan kündigen, dürfte weniger auf deren Inhalt abzielen als darauf, die in weiten Teilen der Gesellschaft bestehenden, gewisser Maßen auch vom Sozialismus „geerbten“, Vorbehalte gegen die Kirchen zu schüren.

Besonders ins Auge fällt auch die Forderund nach einer Abschaffung des Renteneintrittsalters. Die DK möchte individuelle Rentenkonten führen, jeder könne in Ruhestand treten, wann er möchte. Dass dies für die weiten Bevölkerungsschichten nie realistisch sein wird, spielt für die DK, die keine breite Basis hat, keine Rolle.

Natürlich weiß auch Gyurcsány, dass er – vor allem ohne Teil des linken Oppositionsbündnisses zu sein – keine realistische Chance hat, jemals dieses Programm zu verwirklichen. Die DK befindet sich in Umfragen – nach zuletzt erzielten Zuwächsen – bei einer Größenordnung von 5% und kämpft damit um einen Einzug ins Parlament. Die Opposition würde, nach einer aktuellen Umfrage, auch in geschlossener Form gegen die Regierungsparteien Fidesz-KDNP unterliegen, letztere kämen auf 58% der Mandate. Mit einer Fortsetzung der 2/3-Mehrheit ist demnach nicht zu rechnen, ebensowenig aber mit einem Regierungswechsel.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über eine Aufnahme der DK in das Oppositionsbündnis wegen seiner lautstarken Forderungen nach einem „gemeinsamen Führer“ (wer Gyurcsány kennt, weiß, dass er von sich selbst spricht) und diverser Ultimaten zur Aufnahme seiner Formation, kämpft die Partei somit allein weiter. Einer der Auslöser war das Verhalten Gyurcsánys und seiner Anhänger an einer gemeinsamen Veranstaltung zum Gedenken an den ungarischen Volksaufstand (HV berichtete), als die DK-Anhänger den MSZP-Chef Attila Mesterházy lauthals ausbuhten. Auch vormalige Versuche der politischen Erpressung, konkret: die Ankündigung, in allen Stimmkreisen eigene Kandidaten zu stellen (d.h. diese gegen die ohnehin auf jede Stimme angewiesene Linksopposition antreten zu lassen), würde man Gyurcsány und seinen Parteifreunden nicht Plätze in „aussichtsreichen“ Wahlkreisen zur Verfügung stellen, ließen die Vorstellung reifen, dass mit Gyurcsány eben nicht in der Sache verhandelt werden kann.

Die aktuell für die Opposition verloren scheinende Wahl 2014 dient Gyurcsány somit offenbar allein dazu, im Gespräch zu bleiben und die eigenen Parteifreunde in der aktiven Parlamentspolitik zu halten. Dort besteht auch bei weiteren vier Jahren Opposition die Möglichkeit publikumswirksamer Aktionen gegen das „Regime Orbán“ (z.B. Camping vor und Übernachtungen im Parlament), öffentlich wahrgenommener Auftritte und – last, but not least – auch ein regelmäßiges Einkommen, was für den Multimillionär Gyurcsány freilich kein Argument ist; für seine Parteifreunde aber durchaus. Flankiert wird sein öffentlicher Auftritt derzeit etwa durch ein Video, in dem Gyurcsány für ein inzwischen eingestelltes, wirtschaftlich wie umweltpolitisch höchst umstrittenes Casino- und Hotel-Großprojekt in Sukoró am Velencer See („King´s City“) Werbung macht und jene, die sich für eine Einstellung der – auch mit dem Ruch von Korruption, politischer Einflussnahme und Vetternwirtschaft umgebene – Investition eingesetzt hatten, für ahnungslos respektive am Wohlstand des Landes nicht interessiert darstellt. Das „o.k.“ zum Projekt geht auf Gyurcsánys Regierungszeit zurück, ein Großteil der Vorwürfe, insbesondere die des Amtsmissbrauchs gegen Gyurcsány, sind allerdings mittlerweile entkräftet. Auch in diesem Verfahren ging Gyurcsány in die Offensive: Einmal drohte er den Ermittlern mehr oder weniger offen mit Retorsion für den Fall eines Regierungswechsels, einmal lieferte er sich ein Wortgefecht mit dem Staatsanwalt im Gerichtssaal. Stets gerierte er sich als Opfer politischer Justiz.

Zur Untermauerung seiner Charmeoffensive stellte er heute übrigens sein Kochbuch vor.

Ein Erreichen der 5%-Prozent-Hürde erachte ich derzeit als eher wahrscheinlich. Allerdings gilt, dass eine hohe Wahlbeteiligung für Gyurcsány ebenso schädlich sein dürfte wie für Fidesz: Beide Lager verfügen, wenn auch in vollkommen anderen Größenordnungen, über politisch aktive, teils fanatische Stammwähler, eine große Zahl von Gesamtstimmen dürfte beiden Lagern somit eher abträglich sein. Und nicht nur das: Wenn Gyurcsány Stimmen maximieren kann, wird ihm das wohl am ehesten auf Kosten der linken Opposition gelingen. Was den MSZP-Politiker Tibor Szanyi jüngst zu der Aussage verleitete, Gyurcsány möge doch gleich bei Fidesz eintreten: Dort sei sein Platz.