Die am 07.01.2011 abgehaltene internationale Pressekonferenz des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso und des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist unter folgender URL abrufbar (ohne Übersetzung):
http://ec.europa.eu/avservices/player/streaming.cfm?type=ebsplus&sid=172065
10:20 min, Viktor Orbán:
„Die dritte Voraussetzung für den Erfolg der ungarischen Ratspräsidentschaft ist, dass negative politische Streitigkeiten die Ratspräsidentschaft nicht überschatten. Hier stehen wir am schwächsten, dass muss ich ehrlich sagen, und zwar im Hinblick darauf, dass Ungarn wegen seines Mediengesetzes einem sehr scharfen Angriff ausgesetzt war. Er erste Abschnitt dieses Angriffs ist beendet, der zweite Teil kann beginnen, da nunmehr der Text des Mediengesetzes für jedermann einsehbar ist. Nachdem das Mediengesetz eine ausgesprochen sensible Frage darstellt, sind die Reaktionen hierauf ebenfalls vielschichtig, emotional motiviert und auch sehr heftig. Wir beobachten diese Reaktionen aufmerksam. Was die europäische Qualität des Mediengesetzes betrifft, so glauben wir, dass die EU-Kommission nach einer eingehenden rechtlichen Prüfung eine uns alle beruhigende fachliche Stellungnahme abgeben wird, ob dieses umstrittene Mediengesetz mit den EU-Grundwerten und Rechtsvorschriften im Einklang steht oder nicht. Die Union wird diese Prüfung durchführen, wie mir Herr Präsident Barroso heute mitgeteilt hat. Und ich bin mir sicher, dass eine Stellungnahme ausgearbeitet werden wird, die frei von jedweden, die Republik Ungarn diskriminierenden, Elementen sein wird und dass die Fachjuristen der Kommission die ungarischen Vorschriften am gleichen Maßstab messen werden wie die Regelungen der anderen Mitgliedstaaten.
Es geht hier jedoch nicht nur um rechtliche, sondern auch um politische Fragen. Ich von meiner Seite will bekräftigen, dass wir das Mediengesetz – wie andere Vorschriften auch – dahingehend beobachten werden, wie es sich in der Praxis auswirkt. Wenn wir diesbezüglich sehen sollten, dass im Rahmen der Praxis politische Bedenken gleich welcher Art entstehen, sind wir selbstverständlich bereit, diese zu zerstreuen. Wir werden alles dafür tun, dass der Streit um das Mediengesetz die EU-Ratspräsidentschaft Ugarns nicht erschwert. Von hier an ist diese Frage nicht nur eine ungarische, sondern auch eine europäische. Der Erfolg der Ratspräsidentschaft liegt nicht nur im Interesse Ungarns, sondern der ganzen EU, einschließlich der EU-Kommission und der anderen 26 Mitgliedstaaten. Nochmals: Wir tun alles dafür, dass die Ratspräsidentschaft von dieser Frage nicht beeinträchtigt wird. Mit diesen Worten kann ich Ihnen gegenüber meine Meinung zusammenfassen. (…)“
25:10 min, José Manuel Barroso:
„Abgesehen von den Plenarsitzungen gab es ein Gespräch unter vier Augen. Dort haben wir – sehr offen – das Mediengesetz diskutiert. Bitte erlauben Sie mir hierzu eine abschließende Bemerkung. Ich weiß, dass diese Frage von außerordentlicher Aufmerksamkeit begleitet wird. Wie ich vor einigen Tagen in Brüssel zum Ausdruck gebracht hatte, ist die Pressefreiheit in der EU ein heiliges Prinzip, und der Pluralismus im Medienbereich ist nach unserer Bewertung ein grundlegendes gesellschaftliches Prinzip. Der Herr Ministerpräsident hat mir versichert, dass dieses Gesetz, so wie es abgefasst und angewendet wird, in voller Übereinstimmung mit den Grundwerten der EU, der Medienfreiheit und den einschlägigen EU-Vorschriften steht. Der Ministerpräsident hat ferner klargestellt, dass Änderungen vorgenommen werden, wenn die Kommission nach einer rechtlichen Prüfung feststellen sollte, dass dies nicht für alle Aspekte des Gesetzes der Fall wäre. Wir werden also unsere rechtliche Prüfung durchführen, vollkommen objektiv, mit voller Objektivität, deswegen habe ich den Ministerpräsidenten gebeten, das Gesetz schnellstmöglich auch formell zu übersenden. Wir haben das Gesetz bislang nicht förmlich erhalten, haben es zwar gesehen, aber wurden noch nicht förmlich davon notifiziert. Sobald das geschieht, werden wir mit unserer Prozedur beginnen.
Dies betrifft den rechtlichen Aspekt. Abgesehen von diesem rechtlichen Aspekt gibt es einen weiteren, politischen Teil. Und ich begrüße den Standpunkt des Ministerpräsidenten sehr, dass man bereit ist, über Änderungen nachzudenken, wenn sich bei dessen Anwendung Probleme zeigen und dass einige der Sorgen sich als berechtigt erweisen sollten. So wurde es zwischen uns besprochen. Es gibt die rechtlichen Punkte, hier muss man sehr strikt vorgehen, aber es gibt auch die politischen Wahrnehmungen und das Erfordernis, dass Ungarn die volle Unterstützung der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen während seiner EU-Präsidentschaft erhält. Ich weiß, wie sehr sich Ministerpräsident Orbán für sein Land einsetzt und Wert auf den Respekt legt, der Ungarn von außen entgegen gebracht wird. Ich selbst habe vollstes Vertrauen in Ungarns Demokratie und seine Rechtsstaatlichkeit. Dieses Land ist ein demokratisches Land, Ungarn ist eine Demokratie. Vor nicht allzu langer Zeit war es ein totalitäres Regime, Ministerpräsident Orbán selbst hat gegen dieses totalitäre Regime gekämpft. Dies ist ein demokratisches Land, und es ist wichtig, dass wir hieran keine Zweifel hegen. Es ist wichtig, dass Ministerpräsident Orbán und seine Regierung alles tun, dass dies innerhalb und außerhalb Ungarns ganz klar ist. Das kann ich Ihnen nach den sehr guten und reichhaltigen Konsultationen mit Ministerpräsident Orbán sagen. Und ich möchte Herrn Orbán für seinen Einsatz für ein starkes Europa danken.“
Im Anschluss wurden vier Fragen (zwei durch die inländische, zwei durch die internationale Presse zugelassen:
Die erste Frage stellte ein BBC-Reporter (bei 29:00 min)
„Vielen Dank, Jonathan Martensen, BBC. Herr Ministerpräsident, Sie sagen klar, dass Sie nicht beabsichtigen, dem Mediengesetz die Wirkung zu geben, die es nach Auffassung der Kritiker haben könnte. Sie werden jedoch nicht ewig an der Macht sein. Die neuen Vorschriften konzentrieren die Macht über die Medien ganz klar in den Händen von Regierungsvertretern. Sind Sie gar nicht besorgt, dass eine künftige ungarische Regierung diese Vorschriften, die Sie nun eingeführt haben, missbrauchen könnte, um damit ganz andere Ergebnisse zu erzielen?“
Orbán:
„Wenn die Lage so wäre, wie die in Ihrer Fragestellung enthaltene Behauptung es suggeriert, so wäre ich besorgt. Jedoch stimmt Ihr Ausgangspunkt nicht mit der ungarischen Situation überein. Die Befugnisse der Medienbehörde in Ungarn übersteigen in keiner Weise die anderer Medienbehörden in Europa. Wir haben keine Art von zu sehr konzentrierter Macht geschaffen. Wenn wir das getan hätten, wäre es unangemessen. Aber so ist es nicht. Wenn wir uns die Zuständigkeiten der Medienbehörden in Europa ansehen, wird das eindeutig sichtbar. Wenn die juristische Bewertung der EU zu dem Ergebnis kommt, dass die Machtkonzentration der ungarischen Medienbehörde größer ist, als die in anderen Ländern, werden wir das bewerten und Änderungen vornehmen. Aber man wird dies sicher nicht sagen, weil das in der Tat nicht die Situation ist. Ich halte es für wichtig, dass ich im Rahmen des Gesprächs mit dem Kommissionspräsidenten deutlich machen konnte, dass wir natürlich keinen solchen Standpunkt akzeptieren können, der gegenüber Ungarn deshalb Zweifel an seiner demokratischen Verpflichtung bestehen, weil hier die Demokratie nur 20 Jahre besteht, andernorts aber bereits seit 200 Jahren. Diese Bewertung wäre nicht akzeptabel. Das wäre die Grundlage für eine Diskriminierung. Wir sind ein Land, das sehr viel Blut für die Freiheit vergossen hat. Ein Land, das sehr viele Menschenleben für die Demokratie geopfert hat. Wir sind das Land in Europa, das trotz geringer Chancen den Kampf mit einem totalitären Regime aufgenommen und gekämpft hat. Aus diesem Grund glauben wir, dass die ungarische Demokratie den gleichen Respekt verdient, wie allen anderen Ländern in Europa. Das ist der Ausgangspunkt. Deshalb wies ich darauf hin, dass in erster Linie rechtliche Fragen zu bewerten sind. Ein weiterer Punkt: Wir möchten die Frage der Medien nicht zu einem „Kampfthema“ machen. Das ist auch keine Prestigefrage. Für uns ist jedes Gesetz, egal ob es die Wirtschaft oder andere Fragen betrifft, eine Frage der Vernunft und der guten Argumente. Und deshalb denken wir überall, ob im wirtschaftlichen Bereich, der Verwaltung oder im Bereich Medien, in Kategorien „common sense“ und „reasonable argument“. Und wenn diese beiden Kategorien es verlangen, dass wir etwas ändern, dann ändern wir auch. Aber wir werden keinesfalls als Reaktion auf Kampagnen oder Druck hin, mögen sie auch noch so groß sein, ohne „common sense“ und „reasonable arguments“ irgendwelche Änderungen herbeiführen. Ich bin im übrigen zu jeder Art von Änderung bereit, wenn die Praxis zeigt, dass es ein Erfordernis nach Änderung gibt. Das ist die demokratische Grundeinstellung der ungarischen Regierung und auch meine eigene.“
Die zweite Frage wurde vom ungarischen Fernsehsender TV2 gestellt (bei 33:10 min):
„Guten Tag, mein Name ist Katalin Zolthegyi, von TV2. Ich möchte gerne vom Herrn Ministerpräsidenten erfahren, ob bei dem Gespräch mit Herrn Barroso auch die Frage der von den ausländischen Unternehmen zu zahlenden Sondersteuer.An Herrn Präsident Barroso die Frage, wie hierzu der Standpunkt der EU-Kommission ist, und was die Kommission von der ungarischen Präsidentschaft erwartet.“
Orbán:
„Diese Frage steht noch vor uns. Aber der Tag ist noch lang. Allerdings haben wir diese Frage bereits zu einem früheren Zeitpunkt besprochen. Ich kenne den Herrn Präsidenten, stimmt´s José Manuel, bereits seit 15 Jahren, und seitdem arbeiten in verschiedenen Konstellationen zusammen. Aus diesem Grund taucht die Frage, ob Ungarn sic voll und ganz der Marktwirtschaft verpflichtet sieht, gar nicht auf. Wenn jedoch die Frage jetzt schon einmal gestellt wurde, erlauben Sie mir zwei Gedanken hierzu: Mit der gebotenen Zurückhaltung und Bescheidenheit möchte ich darauf hinweisen, dass Ungarn und die Menschen hierzulande im Jahre 2010 im die meisten Anstrengungen unternommen haben und die meisten Verluste erleiden mussten, um die Fehler der in der Vergangenheit betriebenen Wirtschaftspolitik zu beheben und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu stärken. Im Jahre 2010 wurden im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit haben die jährliche Rente um eine Monatsrente herabgesetzt, die Vergütung der öffentlichen Bediensteten wurde um eine Monatsvergütung gesenkt, das Renteneintrittsalter wurde innerhalb nur eines Jahres von 62 auf 65 Jahre heraufgesetzt, die zu Preissteigerungen führende VAT – áfa – haben wir von 21 auf 25% angehoben. Zudem haben wir die Senkung von Ausgaben in den Ministerien herbeigeführt, die 1% des Bruttoinlandsproduktes entsprechen. Ich bin davon überzeugt, dass die ungarische Bevölkerung sehr viel getan hat, was nötig ist, um das Defizitziel von 3,8% im Jahre 2010 zu halten.
Das wäre jedoch nicht genug gewesen, und ich kann nur jedem Unternehmensleiter sagen, dass er sich mutig vor die ungarische Bevölkerung stellen und ihr sagen soll, dass seiner Meinung nach auf zwei Monatsrenten verzichtet werden müsse, oder auf zwei Monatsbezüge.
Ich denke, dass im Rahmen gegenseitiger Verantwortung und Lastenverteilung auch der Unternehmenssektor seinen Teil dazu beitragen muss, die Wettbewerbsfähigkeit zurück zu erlangen. Die Bemerkung, dass hierzulande eine Unterscheidung nach der Nationalität der Unternehmen erfolge, muss ich zurückweisen. Was die Bankensteuer und die Sondersteuer für Energieunternehmen betrifft, sind die größten Einzahler gerade ungarische Unternehmen (Anmerkung Hungarianvoice: OTP und MVM), und umgekehrt gibt es solche Sektoren, in denen ausschließlich ausländische Unternehmen tätig sind und die trotzdem nicht von einer sektoralen Krisensteuer belastet werden. Somit stellt sich nur die Frage, nach welchen Kriterien wir die Sektoren ausgewählt haben, die wir mit der Steuer belasten. Hier komme ich zurück auf meinen Eingangsgedanken: Ungarn will im Bereich der Produktion wettbewerbsfähig sein mit China, Brasilien oder jeder anderen aufstrebenden Marktwirtschaft, auch mit Afrika. Aus diesem Grund fördern wir die Produktionskapazitäten in Ungarn größtmöglich, egal ob Ungar oder Ausländer. Wir möchten ausdrücklich, dass ausländische Investitionen hier zustande kommen, gerade deshalb möchten wir sie nicht mit der Sondersteuer belasten, weil dies unserem primären Ziel nicht dienen würde. Ich denke, dies ist ein legitimer und sinnvoller Standpunkt. Die von der Krisensteuer – für drei Jahre – belasteten Unternehmen bitte ich, etwas sensibler zu sein. Seien Sie nicht unsensibel bezüglich der Probleme Ungarns, der ungarischen Wirtschaft und der ungarischen Bevölkerung. Hierüber sprechen wir nicht oft, aber Ungarn ist ein armes Land. Das Durchschnitts-Nettoeinkommen erreicht nicht einmal 600 EUR monatlich. 600 EUR. Drei von zehn Millionen Ungarn gelten nach EU-Beurteilung als unter dem Armutsniveau leben. Die Rente dürfte bei zwischen 200-300 EUR monatlich liegen. In einem solchen Land muss ich den Haushalt konsolidieren, die Staatsverschuldung senken, das Wachstum ankurbeln, ausländische Investitionen ins Land holen, und das Land wettbewerbsfähig machen mit Ländern, die heute noch besser sind als wir. Hierzu benötigen wir die Sondersteuern von den multinationalen Konzernen. Übergangsweise, für drei Jahre. Ich hoffe auf das Verständnis der Konzerne, die hiervon betroffen werden und einen Teil ihrer Profite abgeben müssen. Wie es auch die ungarischen Rentner und Arbeitnehmer tun müssen.“
Kommissionspräsident Barroso wies auf die Beschwerde der 15 europäischen Unternehmen hin, und darauf, dass bereits im Oktober eine Untersuchung eingeleitet worden sei. Man werde prüfen, eine Stellungnahme wolle Barroso noch nicht abgeben.
Die simultan auf ungarisch übersetzte Fassung der PK ist hier einsehbar:
http://videotar.mtv.hu/Videok/2011/01/07/14/Orban_Viktor_es_Jose_Manuel_Barroso_nemzetkozi_sajtotajekoztatoja_.aspx