Der oppositionsnahe TV-Sender ATV hat einen Auszug der Befragung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány vom gestrigen Tage online gestellt.
http://atv.hu/kiemelt_hirek/20111003_gyurcsany
Der Politiker, der wegen eines Immobiliengeschäfts im Ort Sukoró des Amtsmissbrauches beschuldigt wird (er soll auf die Veräußerung eines staatlichen Grundstücks an einen Privatinvestor Einfluss genommen haben), geht zum Angriff über und beschuldigt die Staatsanwälte, ihren „Eid auf die Verfassung“ verletzt zu haben. Die Staatsanwälte „sollten sich schämen„, derartige „konstruierte Vorwürfe“ zu verfolgen. Die Staatsanwälte irrten sich, wenn sie glaubten, vor dem gegenwärtigen „politischen Hintergrund“ (gemeint ist Ministerpräsident Viktor Orbán) tun und lassen zu können, was sie wollten.
Zur Sache selbst sagte Gyurcsány aufgrund der „Qualität des Verfahrens“ nichts, er werde jedoch für den Fall, dass die Behörde Anklage erhebe, seine Unschuld beweisen.
Das Video und die unverzügliche Publikmachung sind offenkundig Teil von Gyurcsánys Verteidigungsstrategie, mit Hilfe befreundeter Kreise (u.a. der „Demokratischen Charta“) zu versuchen, das Verfahren als Politjustiz darzustellen und die ihm wohlgesonnenen Teile der Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen. Flankierend zum gestrigen Verhörtermin organisierte die Demokratische Charta eine Solidaritätskundgebung vor dem Dienstgebäude der Staatsanwaltschaft.
Bislang wurde keine Anklage erhoben.
Der Schwerpunkt der staatsanwaltschaftlichen Vorwürfe geht dahin, dass der Beschuldigte – als Ministerpräsident – durch sein im Rahmen einer Besprechung mit den Investoren geäußerten „Ja“ zum Grundstücksgeschäft dafür gesorgt hat, dass das gesetzlich vorgesehene Ausschreibungsverfahren umgangen wird. Die Staatsanwaltschaft vertitt die Ansicht, der Ministerpräsident durch sein „Ja“ die Entscheidung der zuständigen Behörden vorweggenommen. Ein im Staatseigentum befindliches Grundstück in Sukoró sollte sollte gegen zwei Liegenschaften des Investors getauscht werden; der Investor wollte in Sukoró das Casinoprojekt „King´s City“ verwirklichen.
Was in dem Geschrei um Schauprozesse übrigens gerne vergessen wird: Die erste Anzeige gegen Ferenc Gyurcsány im Zusammenhang mit Sukoró stammt aus dem Jahr 2009 und nicht etwa von Fidesz, sondern vom Vorsitzenden der grün-alternativen Oppositionspartei LMP, András Schiffer.