Ein lesenswerter kritischer Bericht zu Ungarn erschien in der aktuellen Wirtschaftswoche:
http://www.wiwo.de/politik/europa/europaeische-union-untergangsstimmung-in-ungarn/7986194.html
WiWo zählt als „umstrittene Verfassungsänderungen“ einige Punkte auf (mit Kommentar HV):
1. Das Verfassungsgericht darf Verfassungsänderung nur noch formell, nicht inhaltlich prüfen (War bisher auch nicht anders).
2. Das Verfassungsgericht darf nicht mehr auf die Spruchpraxis bis Ende 2011 Bezug nehmen (Ist in dieser Form verkürzt: Das Gericht darf keinen Automatismus anwenden, sondern muss prüfen, ob die neue der alten Rechtslage entspricht; wenn ja, kann es neu entscheiden, darf aber auch in der Begründung an seine alte Rechtsprechung anknüpfen).
3. Zuweisungskompetenz der Leiterin des Justizamtes (Kritik berechtigt, Gefährdung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters).
4. Verbot von Wahlwerbung im privaten Fernsehen (Kritik berechtigt, da die meisten Zuseher privates Fernsehen schauen und so quasi vom Wahlkampf „ausgeschlossen“ werden).
5. Gefängnis für Obdachlose (die Verfassung gibt nur eine Ermächtigungsgrundlage, das Leben auf der Straße in bestimmten Bereichen zu sanktionieren).
6. Regierungsmehrheit kann willkürlich über den Kirchenstatus entscheiden (Falsch. Nicht die „Regierungsmehrheit“, sondern eine 2/3-Mehrheit. Ferner ist die Zuerkennung an Kriterien gebunden und der betroffenen Glaubensgemeinschaft ein Klagerecht eingeräumt).
7. Familie ist nur ein verheiratetes Ehepaar mit Kindern (Falsch: Auch Unverheiratete gelten als Familie).
8. Finanzautonomie der Hochschulen wird eingeengt (zum Teil richtig, es findet eine Kontrolle statt, wo der Staat die Universitäten fördert).
9. Auswanderverbot für Akademiker (Falsch. Lediglich Rückzahlungspflicht der Stipendien bei Auswanderung ohne eine Erwerbstätigkeit in Ungarn – Regelung ist EU-rechtswidrig).
Richtig ist auch die Aussage zu den „heruntergewirtschafteten“ Budapester Verkehrsbetrieben (BKV). Nur: Die Strafverfahren betreffen die Zeit vor Orbán, was die WiWo leider geflissentlich verschweigt.
Die Beurteilung und Darstellung der wirtschaftlichen Kennzahlen ist in jedem Fall lesenswert. Aber wenn die Wirtschaftswoche das nicht könnte… 😉