Ein Fest für Verschwörungstheoretiker: Israelische Aufklärungsflugzeuge über Budapest…

Am 18.03.2010 befanden sich zwei Flugzeuge der israelischen Luftwaffe des Typs Gulfstream V über Ungarn, nachdem sie zuvor den Luftraum der Türkei, Bulgariens und Rumäniens durchquert haben sollen.  Die beiden Maschinen näherten sich im Sinkflug dem Budapester Flughafen Ferihegy, landeten jedoch nicht, sondern setzten ihre Route nach dem Anflug mit unbekanntem Ziel fort. Ministerpräsident Gordon Bajnai ordnete eine Untersuchung an.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Überflugs wurde in den Medien die Frage aufgeworfen, welchen Zweck die Aktion hatte. Die Verlautbarungen aus den Ministerien hierzu waren lückenhaft und widersprüchlich: Das Verteidigungsministerium hatte den Flug nicht genehmigt („Wir sind nicht zuständig“), Verteidigungsminister Imre Szerekes brachte jedoch umgehend die Einrichtung einer militärischen Verkehrsaufsicht ins Gespräch und sprach davon, dass der Militärgeheimdienst nicht von der Überfluggenehmigung informiert worden sei. Das Außenministerium schwieg zunächst. Rechtsgerichtete Medien hingegen behaupteten, die Flugzeuge hätten den ungarischen Luftraum verletzt.

Die israelische Botschafterin Bin-Noun teilte mit, die beiden Flugzeuge hätten sich auf  „diplomatischer Mission“  befunden, der Flug sei zudem von der Verkehrsaufsicht genehmigt worden (die Behörde bestätigte das). Genauere Fragen zu dieser Mission konnte Bin-Noun jedoch unter Hinweis darauf, dass sie selbst nicht eingeweiht sei, nicht beantworten. Die Botschafterin dementierte jedoch Medienberichte, es habe sich um Spionageflugzeuge gehandelt; derartige Flüge seien Routine und daher nichts außergewöhnliches.

Bei der Gulfstream handelt sich um einen multifunktionalen Flugzeugtyp, der sowohl für zivile und militärischen Personentransporte als auch zur Aufklärung eingesetzt werden kann. Im Internet verbreitete Gerüchte über angebliche „israelische Kampfflugzeuge über Ungarn“ sind daher aus der Luft gegriffen. Medien berichteten von Spionageflugzeugen mit „ausgefeilter Überwachungstechnologie“.

Die widersprüchlichen Angaben der ungarischen Behörden und die Mitteilung der israelischen Botschaft von einer nicht näher bezeichneten „diplomatischen Mission“  lassen Raum für wilde Spekulationen. Gerade im Hinblick auf den laufenden Wahlkampf und die erwartete Zunahme der rechtsextremen Jobbik, die durch Antisemitismus und wilde Verschwörungstheorien von einer „jüdischen Übermacht“ in Ungarn auffällt, wäre eine unverzügliche Aufklärung notwendig gewesen, um zu verhindern, dass unverantwortliche Politiker aus diesem Vorfall Kapital schlagen. Warum eine solche „Routineaktion“ mitten im Wahlkampf geschehen muss, erschließt sich ohnehin nicht. Wie zu erwarten war, schlachten Rechtsextremen die Sache mit großer Genugtuung aus. Dass aufgrund des Kommunikationsdesasters Raum für Spekulationen gelassen wird, noch dazu im aufgeheizten ungarischen Wahlkampf, wirft kein gutes Bild auf die verantwortlichen Offiziellen. Der Verweis, die Berichterstattung sei zum Teil von anti-israelischer Stimmungsmache geprägt, ist zwar zutreffend: Jedoch sollten die Verantwortlichen gerade deshalb die Aufklärung vorantreiben. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass es sich – wie die ungarische Zeitung Népszabadság in Betracht zog – um einen Übungsflug gehandelt haben sollte.

Weiteren Raum für Spekulationen gibt ein etwa zur gleichen Zeit verübter Mordanschlag auf einen syrisch-ungarischen Geschäftsmann in Budapest. Der 52-jährige wurde in seiner Mercedes-Limousine an einer Ampel von Unbekannten durch mehrere Schüsse tödlich verletzt. Einer der Täter entwendete nach dem Attentat die Aktentasche des Opfers. Nach Angaben der Zeitung „Pester Lloyd“ soll der Getötete eine Rolle als Zeuge in Korruptionsprozessen ungarischer Politiker gespielt haben. Der Vorfall befeuerte – nicht nur in ungarischen, sondern auch in arabischen und israelischen Medien – Gerüchte über einen Zusammenhang mit dem angeblichen „Spionageflug“: Eine klare, wenn auch rein spekulative Anspielung auf einen Mord in Dubai Anfang des Jahres, in den der israelische Geheimdienst Mossad verwickelt gewesen sein soll. Nach offiziellen Verlautbarungen haben beide Vorfälle nichts miteinander zu tun.

Oppositionspolitiker regten eine Sitzung des Verteidigungsausschusses an. Das MSZP-geführte Verteidigungsministerium begrüßte den Vorschlag. Es bleibt zu hoffen, dass den Spekulationen durch eine nachvollziehbare Erklärung des Vorfalls umgehend die Grundlage entzogen wird.