IWF-Berichte zu Ungarn

Der Internationale Währungsfonds brachte heute mehrere Mitteilung zu Ungarn heraus, die nachfolgend abgerufen werden können:

http://www.imf.org/external/pubs/ft/survey/so/2012/new012512a.htm

http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2012/cr1213.pdf (Monitoring Bericht)

http://www.imf.org/external/np/sec/pn/2012/pn1204.htm (Kurzfassung)

 

Ex-Notenbankchef Zsigmond Járai im Interview: Deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung

Zsigmond Járai, ehemaliger ungarischer Notenbankchef (2001-2007), wurde von der ungarischen Wirtschaftszeitung Világgazdaság interviewt. Járai war in der vergangenen Woche von seinem Posten als Vorsitzender des neu geschaffenen Haushaltsrates zurückgetreten. Járai übt Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung und fordert – mittelbar – die Ablösung von Wirtschaftsminister György Matolcsy.

http://www.vg.hu/gazdasag/gazdasagpolitika/jarai-szemelyi-valtozasokat-is-igenyel-egy-uj-gazdasagpolitika-366598

 

Jarai: Ein neuer Kurs in der Wirtschaftspolitik verlangt auch personelle Umbesetzungen

Zsigmond Járai, Vorsitzender des Aufsichtsrates der ungarischen Notenbank, vertritt die Auffassung, dass das Land nur mit einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik aus der jetzigen Situation herauskommen kann. Er meint, das Land müsse 150 Prozent mit den EU-Vorschriften konform gehen, das Steuersystem müsse reformiert werden, zudem solle man die Notenbank trotz aller ihrer Fehler arbeiten lassen.

– Warum sind Sie vom Vorsitz des Haushaltsrates zurückgetreten?
– Wegen Inkompatibilität. Das neue Recht überträgt dem Haushaltsrat neue Aufgaben, und damit verträgt sich weder meine Tätigkeit im Aufsichtsrat der Notenbank, noch meine Arbeit im privaten Sektor. Der Haushaltsrat hat nun deutlich gewichtigere Aufgaben, als früher.

– Unter Ihrer Leitung votierte der Haushaltsrat für den Haushalt, dieser musste jedoch kurz vor seiner Verabschiedung doch noch einmal geändert werden. Was war los?
– Ich glaube noch immer, dass das Budget den Kriterien entspricht, gerade im Hinblick auf die aktuelle europäische und internationale Wirtschaftslage, ich würde sogar eine Wette darauf abschließen, dass das Defizit unter 3,0 % liegt. Die äußeren Einflüsse könnten sich noch verschlechtern, aber ich sehe, dass die Regierung verstanden hat: das Defizitziel von weniger als 3% muss gehalten werden, egal was passiert – ich hoffe aber, die Lage wird nicht noch schlechter.

– Die EU bezweifelt, dass die 3%-Grenze im Jahr 2013 gehalten wird.
– Aus gutem Grund, denn auf Grundlage der aktuellen Geschehnisse würde sie nicht gehalten werden, d.h. bis dahin wären neue Maßnahmen zu ergreifen. Die Schlüsselfrage in der ungarischen Wirtschaftspolitik wird sein: Den Haushalt in Ordnung bringen. Und ich glaube, man müsste eine grundlegende Änderung der Wirtschaftspolitik vollziehen, dies hat wohl schon begonnen. Ein Zeichen in diese Richtung ist die Anfrage an den Internationalen Währungsfonds, die andere, dass im verabschiedeten Haushalt eine Kürzung bei den Ausgaben von 4,5 % des BIP enthalten ist. Ich sehe, dass die Haushaltsphilosophie geändert wurde, man schreckt nicht vor Aufräumarbeiten zurück, genau das muss künftig fortgesetzt werden. Mehr als das, was für dieses Jahr bereits verabschiedet wurde, kann man meines Erachtens nicht erwarten, selbst das fortzuführen, wird schwierig. Für eine Erneuerung bedürfte es weiterer Dinge, welche die Regierung entweder selbst anstößt, oder aber zu denen sie von den internationalen Kapitalmärkten und internationaen Organisationen gezwungen werden wird.

– Was sind diese weiteren Schritte?
– Meiner Meinung nach muss der Haushalt strukturell in Ordnung gebracht und die Ausgaben auf rund 40 % des BIP gesenkt werden, und zwar so, dass sich zugleich das Gleichgewicht wiederherstellen lässt. Nur so wird die Finanzierung aufrecht zu erhalten sein. Ich halte einen neuen  gesellschaftlichen und ökonomischen Ausgleich für erforderlich, der mehrere Kernpunkte umfassen müsste. Hierzu gehört z.B. die Einigung mit den Betroffenen, die Konsultation geplanter Gesetzgebungsvorhaben, die die Wirtschaft betreffen, ein verbaler und faktischer Ausgleich mit ausländischen Unternehmern. Es lohnt sich nicht, diese anders zu behandeln als ungarische. Man muss ein investorenfreundliches Klima schaffen, in dem die Rechtssicherheit, die Vorhersehbarkeit, die Berechenbarkeit bestimmend sind. Das Notenbankgesetz ist entsprechend der Erwartungen (Anm.: der EU und des IWF) zu modifizieren, man muss die Nationalbank arbeiten lassen, wenn man auch mit einigen ihrer Schritte nicht einverstanden ist. Das Steuersystem muss geändert werden, es ist zu kompliziert geworden. Eine solche Wirtschaftspolitik braucht institutionelle und auch personelle Veränderungen, ich denke, man braucht im Bereich der Finanzierung der Wirtschaft mehr Spielräume, zugleich sollte man die Politik aus diesem Feld zurückdrängen. Die Sondersteuern sollten schnellstmöglich auslaufen, die administrativen Hürden für inländische Unternehmen gesenkt werden. Die Finanzinstitute, d.h. die Banken und die Börse, müssen reaktiviert werden, ihnen ist eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Unter den genannten Maßnahmen gibt es Punkte, die man innerhalb weniger Tage, und solche, die man innerhalb einiger Monate lösen kann.

– Denken Sie an die Wiedereinrichtung eines Finanzministeriums?
– Diese Frage gehört in den Zuständigkeitsbereich des Ministerpräsidenten.

– Stünden Sie als Minister zur Verfügung?
– Nein. Ich bewerbe mich um keine Machtposition mehr, um keine Funktion, aber ich helfe gerne mit Ratschlägen, sollte man mich fragen.

– Wird sich das Land mit dem IWF einigen?
– Ja. Ich glaube, die Einigung mit der EU im Bezug auf die Einhaltung des europäischen Rechts wird schwieriger. Diese Regelungen muss man nicht nur 100-prozentig, sondern zu 150% einhalten. In einer so schwierigen Situation wie der aktuellen kann es nicht sein, dass wir den Erwartungen nicht voll und ganz entsprechen. Wir müssen einen friedvolleren, offeneren Tonfall anschlagen.

– Wie kann es sein, dass sich das tatsächliche Defizit innerhalb von zwei Wochen so stark gegenüber dem von Ende 2011 verändert?
– Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber es zeigt, dass man den gesamten Staatsapparat auf solidere Füße stellen muss. Es könnte im konkreten Fall ein Prognosefehler sein, ich will das nicht schönreden, aber ich erinnere mich, dass sowas schön früher passiert ist. Wir brauchen auch deshalb eine neue Wirtschaftspolitik, weil mit den aktuell hohen Zinssätzen die Staatsfinanzierung auf Dauer nicht zu halten sein wird. Die Aufschläge sind so hoch, dass sie die Wirtschaft in eine Negativspirale hineinziehen könnten, und das darf man nicht zulassen. Am Beispiel Italiens: Dort gelang es, die Zinsaufschläge  innerhalb weniger Monate von 7% auf 3% zu senken. Letzteres entspricht etwa dem Stand in der Türkei oder in Polen.

(…)

– Verstehen Sie das italienische Beispiel so, dass man auch den Regierungschef abwechselt?
– Nein, ich wollte nur darauf hinweisen, dass ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik bei den Zinsaufschlägen zeitnah zu Ergebnissen führen kann. Hierzu könnten grundlegende institutionelle und personelle Änderungen erforderlich sein. Die Verhandlungen mit IWF und EU könnten hier für Schwung sorgen, aber es wäre noch besser, wenn wir nicht abwarten würden, was man uns diktiert, sondern wenn wir selbst den richtigen Weg beschreiten würden. Ich bin mir sicher, dass es dafür noch nicht zu spät ist, und wir aus eigener Kraft wieder aufstehen können. Mit einer guten Wirtschaftspolitik kann man einen Schuldenstand von 80% des BIP managen, ganz anders als fast 200 Prozent, wie in Griechenland.

– Was glauben Sie, weshalb die Finanzierungskosten so stark anseigen? Sind wir vom Staatsbankrott bedroht?
– Hierfür ist zum einen das äußere Umfeld verantwortlich, aber für uns ist es noch viel wichtiger, dass man kein Vertrauen in die bisherige Wirtschaftspolitik hat. Dafür gibt es mehrere Anzeichen, und die Kosten sind auf Dauer nicht auszuhalten. Allerdings droht vorläufig kein Staatsbankrott. Die Leistungsbilanz ist beispielweise positiv, obwohl der Preis dafür der Rückgang des ohnehin geringen inländischen Konsums ist. Im Haushalt gibt es auf Dauer nicht haltbare Elemente, aber die Grundtendenz stimmt, und die Reserven des Landes sind hoch. Die schlechte Risikoeinschätzung ist eindeutig auf die Vertauenskrise zurückzuführen.

– Wie schlau ist es, die Verwendung der Währungsreserven auf die Tagesordnung zu setzen?
– Es ist überhaupt nicht schlau, man sollte es der Nationalbank überlassen, ob und in welcher Höhe die Reserven benötigt werden. Natürlich trifft es zu, dass die Finanzierung der Reserven teuer ist, was man auch am Ergebnis der Notenbank sieht. Das aktuelle Niveau bietet, so ist meine Meinung, Sicherheit.

– Haben Sie Ihre Ersparnisse nach Österreich gebracht?
– Ich hörte, dass viele Menschen so gehandelt haben, ich selbstverständlich nicht. Ich rechne damit, dass die Wirtschaftspoitik modifiziert wird, die notwendigen Schritte eingeleitet werden, denn wenn wir es nicht selbst tun, dann wird man uns dazu zwingen. Der Schuldenstand von 80% des BIP ist bei guter Wirtschaftspolitik finanzierbar.

– Was halten Sie von der Möglichkeit, Nationalbank und Finanzaufsicht zu fusionieren?
– Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor. Ich sage seit Jahren, dass die Zusammenlegung für sich genommen logisch und richtig wäre, viele Gründe sprächen dafür. Die Mittel zur Vermeidung einer Bankenkrise befinden sich bei der Notenbank, die hierfür notwendigen Informationen sind aber bei der Finanzaufsicht. Die vorgesehene Durchführung war schlecht, man kann in solchen Dingen nicht einfach ein Gesetz im beschleunigten Verfahren verabschieden, ohne sich vorab zu einigen. So etwas muss mit der Notenbank, der Aufsicht und der EU abgesprochen werden.

– Bei welchen Forint-Kurs wäre die Wirtschaft am ehesten zu stützen?
– Die Wirtschaft funktioniert bei jedem Währungskurs, jedenfalls langfristig. Die Frage ist die Wirtschaftspolitik – beides hängt voneinander ab. Ein stabilisierender Schritt wäre wohl sofort mit einer Stärkung des Fornt verbunden. Mittlerweile steht aber fest, dass die Märkte die sogenannte „unorthodoxe Wirtschaftspolitik“ nicht weiter tolerieren.

 

 

IWF-Gespräche: Währungsfonds mahnt Reformen in Ungarn an

Der Internationale Währungsfonds macht konkrete Verhandlungen über einen Hilfskredit an Ungarn in Milliardenhöhe von legislativen Änderungen abhängig. Im Rahmen von Vorgesprächen betonte IWF-Chefin Christine Lagarde, Ungarn müsse zudem den Weg wirtschaftlicher Reformen beschreiten und sich die Unterstützung der europäischen Partner sichern. Letztere hängt u.a. von einer Einigung beim Notenbankgesetz sowie weiteren Rechtskreisen ab (Datenschutz, Justiz).

Reuters erichtet:

http://www.reuters.com/article/2012/01/13/uk-hungary-imf-idUSTRE7BR0UT20120113

Ungarn hatte sich in den vergangenen bereit erklärt, über jeden einzelnen Punkt offen zu sprechen und sich prinzipiell zu weiteren Änderungen im nationalen Recht bereit erklärt. Regierungskreise betonten aber, man erwarte konkrete Kritik und Einwände. Bislang seien nur allgemeine politische Ansichten geäußert worden (insbesondere beim Notenbankgesetz).

FAZ: Griechenland-Vergleich hinkt

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet über die Finanz- und Wirtschaftslage in Ungarn. Das Blatt kommt zu dem Schluss, dass der Vergleich mit Griechenland nicht angemessen sei. Ungarns Wirtschaft benötige zwar wegen der hohen Finanzierungskosten eine IWF-Kreditliie, um Investorenvertrauen zurückzugewinnen und die Refinanzierungszinsen eigener Anleihen zu senken. Die Wirtschaft sei aber dank hoher Direktinvestitionen aus dem Ausland wettbewerbsfähig.

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/schuldenkrise-ungarn-ist-kein-zweites-griechenland-11604113.html

 

Umfrage zu den Gesprächen um den IWF-Kredit

Der ungarische Verhandlungsführer Tamás Fellegi befindet sich zu Vorgesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds über die Gewährung einer Notfall-Kreditlinie in den USA. IWF und die Europäische Kommission pochen auf eine Änderung des jüngst reformierten Notenbankgesetzes, das nach Ansicht von Kritikern die Unabhängigkeit der Notenbank entgegen der Vorschriften des EU-Rechts beschränkt. Werden die Vorgespräche und die anschließend geplanten Verhandlungen zum Erfolg führen?

IWF-Chefin Christine Lagarde über die Gespräche mit Ungarn in der kommenden Woche

Christine Lagarde im Interview mit dem US-Fernsehsender CNN:

Lagarde betone, die Gespräche mit Ungarn würden kommende Woche wieder augenommen. Man erwarte, dass Ungarns Gesetzgebung den Vorgaben der Europäischen Union entspreche. Die EU-Kommission werde das prüfen, und sie erwarte, Ungarn sei selbst daran interessiert, seine Gesetze in Übereinstimmung mit EU-Recht zu bringen. Man sei insoweit nicht kompromissbereit, werde aber gewiss nicht „den Verhandlungstisch verlassen“ . Der Besuch des ungarischen Finanzministers in der kommenden Woche komme zur rechten Zeit.

http://edition.cnn.com/video/#/video/world/2012/01/06/intv-curnow-lagarde-hungary-part-two.cnn?iref=allsearch

 

Standard-Interview mit dem Ökonomen Péter Róna

Der Ökonom Péter Róna legt András Szigetvári vom Standard seine Sicht über die ungarische Finanzlage dar:

http://derstandard.at/1324501645964/Ein-Land-legt-sich-quer-Pleite-Ungarns-wuerde-Oesterreich-hart-treffen

Róna gilt als Pragmatiker ohne überbordende ideologische Einbindung. Er war zwar Berater der Gyurcsány-Regierung im Zusammenhang mit den im Jahr 2008 geführten IWF-Kreditverhandlungen, vertritt jedoch auch Positionen der heutigen Regierung, etwa die Stärkung des heimischen Mittelstands an Stelle multinationaler Konzern. Róna hatte zudem frühzeitig die Praxis der Fremdwährungskreditvergabe in Ungarn als falsch bezeichnet und sogar Schadensersatzasprüche wegen dieses „felerhaften Produktes“ in den Raum gestellt.

Fremdwährungskredite: Ritterband erläutert, Kahlweit kreischt

Der Unterschied zwischen seriöser Berichterstattung und Meinungsmache zeigt sich am heutigen Tag an zwei Artikeln zu ein und demselben Thema: Fremdwährungskredite.

Die Absicht der ungarischen Regierung, privaten Kreditnehmern die vergünstigte Rückführung von Fremdwährungsdarlehen (eigentlich: fremdwährungsbasierten Darlehen) zu gesetzlich fixierten Wechselkursen zu ermöglichen, hat österreichische Banken seit Tagen Sturm laufen lassen (Hungarian Voice berichtete). Heute veröffentlichten die NZZ und die SZ Beiträge zur Sache.

Während Charles E. Ritterband (zur Person) in der Neuen Züricher Zeitung über die Unstimmigkeiten zwischen Ungarn und (insbesondere) Österreich wegen der beabsichtigten und juristisch nicht ganz unproblematischen öffentlichen Eingriffe in laufende Kreditverträge und deren finanzielle Auswirkungen berichtet, nutzt Cathrin Kahlweit von der Süddeutschen Zeitung – die als Zeichen gelebter Überparteilichkeit auch so meinungsvielfältige Debatten wie die zwischen Friedrich-Ebert-Stiftung, MSZP, SPD und Paul Lendvai zur Lage Ungarns moderiert – die Pläne der Orbán-Regierung als Aufhänger, die für die rechtskonservative Regierung schon so oft vergebenen Negativattribute aufzuwärmen.

Bereits die Titel spricht eine klare Sprache:

Ritterband nimmt das Thema auf (Orbán verspricht den Ungarn Schuldenerleichterung), Kahlweit hingegen das für regelmäßige SZ-Leser absehbare Fazit vorweg: „Ungarns Schuldentrick – Zahlen sollen andere“ .

Stellt man die beiden ersten Absätze gegenüber, verstärkt sich der erste Eindruck:

Ritterband: „Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat zu Beginn der Woche signalisiert, den in ausländischen Währungen – insbesondere in Schweizerfranken und Euro – verschuldeten Bürgern mit einem teilweisen Schuldenerlass unter die Arme greifen zu wollen. Ungarn will Privaten die Rückzahlung von Verbindlichkeiten in diesen beiden Währungen zu einem festen, vergünstigten Wechselkurs ermöglichen.“

Kahlweit: „Ungarns Premier Viktor Orbán ist stets ein Freund großer Worte, aber jetzt hat er sich selbst übertroffen: Von Ungarn werde eine „neue Weltordnung“ ausgehen, sagte der Chef der mit Zweidrittelmehrheit regierenden Fidesz-Partei im Parlament. Seine Regierung wolle den Ungarn ein „Leben ohne Schulden“ ermöglichen.“

Informationsvermittlung versus Stimmungsmache. In Kahlweits Beitrag liest man aher wenig über das eigentliche Problem der  massenhaft ausgereichten und leider zu oft notleidenden Fremdwährungskredite, sondern darüber, dass Orbán sich wieder einmal daneben benimmt und „andere“ für die Fehlspekulationen der Ungarn (bei denen die Ankündigung Orbáns „gut ankommt“) bluten lasse. Ritterband hingegen nimmt die Thematik auf, bringt Zahlen und nutzt sogar Begriffe wie Währungsswap, um dem Leser die Sache im Kern zu vermitteln. Ob Frau Kahlweit weiß, was ein Swap ist?

Eine Zahl bringt auch die Süddeutsche:  Bis zu zwei Milliarden Euro könne der Verlust der österreichischen Banken betragen. Ähnlich schätzt die NZZ (sogar 2,5 Mrd. EUR), allerdings mit der Anmerkung, dass dieses Szenario nur dann wahrscheinlich ist, wenn alle Devisenkredite auf einen Schlag vorzeitig getilgt würden – was in Anbetracht der finanziellen Situation der Kreditnehmer ausgeschlossen erscheint. Die NZZ rechnet mit maximal 20% Soforttilgungen, auch das ist meines Erachtens sehr optimistisch (aus Sicht der Kreditnehmer) bzw. pessimistisch (aus Sicht der Banken) gerechnet.

„Die Anderen“ zahlen übrigens keineswegs allein. Laut Ritterband ist der größte Devisen-Kreditgeber im Land die ungarische OTP. Wovon man selbstredend bei Kahlweit nichts liest, wichtiger als vertiefte Fakten scheint abermals das „wir“ gegen „die“ zu sein Denn nach dem Fazit sollen ja nicht die Ungarn, sondern „andere“ zahlen; eine unkritische Übernahme der Behauptungen österreichischer Bankenvertreter und Politiker.

Und um dem SZ-Leser zu verdeutlichen, mit wem es „die EU“ bei Viktor Orbán zu tun hat, wird das Gedächtnis aufgefrischt:

Die Orbán-Regierung liegt seit der Regierungsübernahme im Frühjahr 2010 immer wieder im Clinch mit der EU. Konfliktthemen waren das restriktive Pressegesetz, eine Bankensteuer, mit der der marode Staatshaushalt saniert werden sollte, die faktische Verstaatlichung privater Renten und die parteipolitische Vereinnahmung der Justiz. Das neue Vorhaben Orbáns, welches das Investitionsklima im Land zusätzlich belasten dürfte, ist nun ein neuer Hinweis darauf, dass die Fidesz sich mit ihren Gesetzen nicht an demokratische Usancen hält.“

Ein interessanter Absatz. Immer wieder im Clinch mit der EU? Nur wenn man „die EU“ mit den Linken und Liberalen im EU-Parlament sowie einzelnen nationalen Politikern (z.B. Jean Asselborn) gleichsetzt. Objektiv gesehen durchaus diskussionswürdig, aber es ist kein Geheimnis, dass diese Sichtweise, ein von links angedachter Alleinvertretungsanspruch für alles „Europäische“, „Weltoffene“ und „Fortschrittliche“, tatsächlich einigen politischen Vertretern im EU-Parlament und anderswo immanent ist. Was einiges im Verhalten der vergangenen Monate zu erklären vermag.

„Die EU“, also die Gesamtheit der Mitgliedstaaten, liegt bei Betrachung der Fakten mit Ungarn weniger im Clinch, als der SZ-Leser glauben mag. Da wäre zunächst der Rat, der bis heute keine negative Stellungnahme zu Ungarn abgegeben hat. Die Vertragswächterin in Gestalt der EU-Kommission liegt ebenfalls nicht mehr im Clinch mit Ungarn als mit anderen EU-Mitgliedern, die sie im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren vor den EuGH zerrt. Diese „Hüterin der Verträge“ hat das (Kahlweit) „restriktive Pressegesetz“ (eigentlich „Mediengesetz“) nur in einigen eher unbedeutenden Punkten kritisiert und ging dabei bemerkenswerter Weise über den Empörungsschwall der Linken und Liberalen im EU-Parlament hinweg, die bereits vor der offiziellen Prüfung des Regelwerks Sanktionen forderten und die das Vorgehen der Kommission (in Anbetracht ihrer Stellungnahmen seit dem Frühjahr) nur schwer verkrafteten. Objektive Rechtsprüfungen sind für einige eben nur dann interessant, wenn sie zum erwünschten Ergebnis kommen: Der EU-Fraktionschef der Sozialisten, Martin Schulz, selbst einer, der noch im Dezember 2010 in Frage stellte, ob Ungarn EU-Ratspräsident sein dürfte, musste mit zerrupftem Federkleid konstatieren, dass man „Orbán so nicht kriege“, er sei demokratisch legitimiert und handle „rechtsstaatlich einwandfrei„. Ungarn hat den Forderungen der Kommission in Sachen Mediengesetz übrigens unverzüglich Rechnung getragen.

Vielleicht die Bankensteuer? Nun, es ist derzeit nichts mehr davon zu hören.

Die Rentenverstaatlichung? Das ungarische Verfassungsgericht befasst sich mit dem Fall. Von einem „Clinch“ mit der EU hört/sieht man abermals wenig. Und auch die „parteipolitische Vereinnahmung“ der Justiz ist – anders als die Beschränkung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts – kein EU-Thema gewesen.

Kahlweit erzielt also bei vier Schuss gerade einmal einen halben Treffer.

Die NZZ hat sich abermals als ein in Sachen Ungarn-Berichterstattung seriöses Blatt erwiesen. Und der SZ muss man immerhin zu Gute halten, dass sie sich selbst treu bleibt. In beiden Fällen weiß man, was man bekommt.

Schweiz bindet Franken an den Euro – eidgenössische Währung fällt auf 230 Forint

Die Schweizer Nationalbank versucht, gegen den historisch starken Franken vorzugehen. Wie die SNB heute verkündete, will sie eine Mindestparität zum Euro von 1,20 CHF durchsetzen und ist – laut Focus-Bericht – bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen: „Die Schweizer Nationalbank toleriert ab sofort keinen Euro-Franken-Kurs unter 1,20.“ Diese Ankündigung führte zu einer deutlichen Abschwächung des Franken.

Die Schweizer Exportwirtschaft und die Tourismusbranche leiden derzeit unter den historischen Höchstständen der Landeswährung. Ursache ist u.a. die Angst der Investoren im Euro-Raum, die für Kapitalabflüsse in die Schweiz sorgt. Die Situation der Schweiz lässt erahnen, in welche Situation die Bundesrepublik währungspolitisch ohne den Euro geraten würde.

Ob die Maßnahme der SNB dauerhaften Erfolg verspricht, bleibt abzuwarten. Auch Notenbanken können sich auf dem Devisenmarkt nur beschränkt gegen eine große Zahl von Spekulanten durchsetzen. Insbesondere der Investor George Soros hat in den 90er Jahren als „der Mann, der die Bank von England besiegte“, Geschichte geschrieben: Er sorgte durch massive Leerverkäufe von Britischen Pfund (10 Mrd. GBP) für einen Ausstieg Großbritanniens aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) und eine Abwertung der Währung. Soros´ Hedgefonds verdiente mit der Transaktion geschätzte 1,1 Mrd. Pfund.

Die Ankündigung hatte auch unerwartete positive Auswirkungen auf den ungarischen Markt. Viele Ungarn haben sich zur Finanzierung von Immobilien und Konsumgütern (wegen des niedrigeren Zinsniveaus) insbesondere ab ca. 2004 in Schweizer Franken verschuldet und wurden durch die Abwertung des Forint in den vergangenen Jahren buchstäblich „kalt erwischt“. In den vergangenen Wochen waren Kurse von um die 270 Forint pro Schweizer Franken gehandelt worden. Die Abwertung hat für Ungarn jedenfalls eine mildernde Wirkung für die Betroffenen in Ungarn. Ein Verdienst der ungarischen Wirtschaftspolitik, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, den Kreditnehmern zu helfen, ist dies freilich nicht.

Politanalyst Gábor Török: „Der Kredit“

Der ungarische Politanalyst Gábor Török hat auf seinem Blog den Besuch des chinesischen Regierungschefs Weg Jiabao und die von Ministerpräsident Orbán gesprochenen Worte zum Thema chinesisch-ungarische Wirtschaftskooperation kritisch kommentiert:

Der Kredit:

Der Kommunismus war das größte Unheil in der Geschichte der Menschheit, und wir können gar nicht genug feiern, das er zu Ende ist“– sagte Viktor Orbán erst Ende April. „Wir kennen kein Beispiel in der Geschichte, wo es gelungen wäre, innerhalb so kurzer Zeit so viele Menschen von der Armut auf einen würdevollen Lebensstandard zu heben” – das sagte Viktor Orbán gestern, in Anerkennung der Verdienste des kommunistischen China. Es ist klar: Beide Sätze können nicht gleichzeitig richtig sein.

Es handelt sich nicht um mühsam ausgegrabene Zitate: Man könnte derer viele Beispiele nennen. Sie erinnern sich bestimmt an einen die tibetische Fahne schwenkenden Zoltán Balog, oder an die leidenschaftlichen und bestimmten Worte, die in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit China gesprochen worden. Der Antikommunismus war eines der wichtigsten Fundamente der Fidesz-Politik – und bislang schien es so, als beschränke sich diese Ablehnung nicht auf die Kommunisten im Inland.

Ich maße mir nicht an, über die wirtschaftlichen Folgen der Kooperation mit China zu sprechen. Es kann sein, dass das Geschäft Ungarn nützt, und wenn dem wirklich so wäre, hätte die Orbán-Regierung richtig entschieden, als sie sich zu Verhandlungen entschloss. Die Mehrheit der ungarischen Wähler ist sicher in der Lage, die Realpolitik zu verstehen und die Argumente zu akzeptieren, welche in solchen Fällen die ideologischen Unterschiede in den Hintergrund treten lassen.

Dennoch: Meine Gefühle diesbezüglich sind genauso wie bei vielen anderen Themen in der Fidesz-Politik. Es fehlt etwas, und dieses etwas ist am ehesten ein ehrliches und selbstkritisches Wort. Darüber, dass aus diesen und jenen Gründen der frühere Standpunkt nicht aufrechterhalten werden konnte, dass man bei Gegenüberstellung zweier Ziele das eine für wichtiger hielt. Das kann man natürlich nicht inmitten eines Staatsbesuches tun, aber geschickte Politiker finden einen Weg, ihre Motive, warum sie – im Vergleich zu den normalen diplomatischen Übertreibungen – ihren Partner wahrlich in den Himmel loben, der inländischen öffentlichen Meinung zu erläutern.

Ich höre schon, wie mich diejenigen der Naivität beschuldigen, deren Auffassung nach „die Politik eben so ist“, sich die Standpunkte eben ändern, und wenn es dienlich sei, dann müsse man eben auch die Sterne vom Himmel lügen. Irrtum. Ein ehrlicher Satz muss nicht nur sein, um die Gemüter zu beruhigen: In Wahrheit braucht ihn Fidesz selbst. Ein Kredit ist nämlich eine gute Sache, die letzten Jahre haben uns jedoch gezeigt, wie viel wichtiger Glaubwürdigkeit ist.

Quelle:

http://torokgaborelemez.blog.hu/2011/06/26/377_a_hitel