Boris Kálnokys „Notizen aus Budapest“

Ich freue mich, heute etwas Neues präsentieren zu können. Boris Kálnoky, den Lesern des Blogs bestens bekannt, hat mir heute einige Gedanken zur beginnenden ungarischen „Sommerpause“ übermittelt. Wir nennen sie „Gedanken aus Budapest“ und hoffen, dass uns der Welt-Korrespondent in unregelmäßiger Folge über interessantes, lustiges und kurioses informiert. Dinge eben, die nicht den Weg in die Publikationen finden.

„Das meiste, was ein Korrespondent so erfährt und recherchiert, kommt nie in die Zeitung. Für die HV-Gemeinde möchte ich vor der „Sommerpause“ ein paar interessante oder auch nur unterhaltsame Eindrücke der letzten Monate in Budapest ohne besondere Ordnung oder Reihenfolge festhalten, teilweise ohne Namen oder Quellenangaben, da manche Gespräche, aus denen die Infos stammen, nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Manches sind nur bekannte Fakten die aber nicht wirklich in die deutschen Medien durchgedrungen sind.

BBC-Korrespondent Nick Thorpe (er spricht und liest deutsch) findet die deutsche Berichterstattung zu Ungarn „aufwiegelnd, fast rassistisch“ (gegen Magyaren) und hebt als besonders schlimm die Süddeutsche Zeitung und Spiegel online hervor. Er nennt auch Namen, deren Berichterstattung „monströs“ sei, ich will das hier nicht wiedergeben.

Mehrere Insider, darunter mindestens ein ehemaliger Minister, schätzen privat dass Orbán den geplanten Grenzzaun am Ende nicht bauen wird, sondern mit dem Thema andere Dinge erreichen will (etwa die jetzt erfolgte Herausnahme Ungarns aus dem neuen Quotensytem für Flüchtlinge, evtl. EU-Gelder)

Die Regierung beriet über einen etwaigen Grenzzaun schon im Mai 2013 – aufgrund von Geheimdiensteinschätzungen zur Migration. http://pestisracok.hu/pinter-mar-ket-eve-felvetette-a-keritesepites-lehetoseget/

Es gibt in der Regierung Stimmen die die „nationale Konsultation“ zur Einwanderung vom Stil her privat scharf verurteilen.

 Die katholische Pázmány-Universität in Budapest hat aus eigener Initiative einen obligatorischen Holocaust-Kurs für alle Studenten eingeführt. Jobbik hält das für gefährlich und mutmaßt „Druck aus Israel“ – das ist aber natürlich Quatsch. http://www.politics.hu/20150529/jobbik-complaining-about-planned-mandatory-class-on-holocaust-at-pazmany-university/

 János Lázár steht oft in der Kritik wegen seines persönlichen Stils. Weniger bekannt ist, dass die Israelis ihn als Ansprechpartner sehr schätzen und respektieren. Das könnte in der Zukunft sichtbarer werden.

Ein früherer ungarischer Außenminister nennt den jetzigen Amtsinhaber Péter Szjijártó privat einen „Aktentaschenträger“.

Bei Jobbik gibt es intern Stimmen die Putin und Erdogan stark verurteilen – trotz der Putin- und Erdogan-freundlichen Parteilinie.

Ministerpräsident Viktor Orbán kennt Dutzende Volkslieder auswendig und singt gerne mit. Er schätzt die Volksmusikbewegung schon seit den 80ern als „nationalen Widerstand“.

Es gibt intern bei Fidesz intern Meinungsunterschiede zwischen jenen, die „Russland stoppen“ wollen und jenen die eine engere Zusammenarbeit mit Russland als „unser Eigeninteresse“ betrachten.

Alle Think Tanks klagen, dass ihre Experten immer weniger bei den Medien gefragt sind. Den Grund sehen sie im Internet – immer mehr Leser informieren sich aus Nachrichtenportalen, und die haben es sich angewöhnt, eher Blogeinträge zu zitieren als Experten zum Gespräch einzuladen. Insofern stellen Think Tanks vermehrt auf Blog- und Facebook-Einträge um.

Neben dem ungarischen Parlament steht jetzt wieder, wie vor dem Kommunismus, eine überlebensgroße Statue des einstigen Außenministers und Ministerpräsidenten Gyula Andrássy, die von den Kommunisten zerstört worden war. Initiatoren des Projekts waren Nachfahren der Andrássy-Familie.“

SZ: Cathrin Kahlweit über die ungarischen Erwartungen im Hinblick auf den Besuch von Bundeskanzlerin Merkel

Cathrin Kahlweit thematisiert in der Süddeutschen Zeitung den für 2. Februar geplanten Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Budapest.

http://www.sueddeutsche.de/politik/merkel-besucht-ungarn-hoffen-auf-das-wunder-1.2324735

Proteste gehen weiter: Umfangreiche Straßenblockaden in Budapest und anderen Städten

Am zweiten Tag der von Regierungsgegnern angekündigten Proteste gegen das Haushaltsgesetz 2015 wurden heute zahlreiche Hauptverkehrsadern lahmgelegt. Unter anderem wurde die Uferstraße durch Kleinlaster „dichtgemacht“. Auch andere Ein- und Ausfallstraßen waren betroffen. Eine Gruppe von Demonstranten blockierten die Garage des Parlaments, wo der Haushaltsentwurf auf der Tagesordnung stand.

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Weitere Proteste fanden in anderen ungarischen Städten statt.

http://www.origo.hu/itthon/20141215-ennyi-furgont-meg-nem-latott-a-rakpart.html

http://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/ungarn-regierungsgegner-blockieren-verkehrsadern-in-budapest-13322543.html

Die Aktion erinnert an die „Taxiblockade“ aus dem Herbst 1990, als Taxifahrer die Hauptstadt lahmlegten, um gegen die von der Regierung Antall durchgeführte drastische Benzinpreiserhöhung zu protestieren.

Budapest: Demonstration gegen die Regierung Orbán

Beim heutigen Auftakt zu der von Zivilorganisationen angekündigten Serie von Protestveranstaltungen gegen die Regierung Viktor Orbán gingen in Budapest nach Schätzungen des Nachrichtenportals Index.hu einige hundert bis tausend Menschen auf die Straße. Stein des Anstoßes war heute die Verstaatlichung privater Rentenversicherungen und die Haushaltspläne. Zusätzlich wurden Transparente mit Aufschriften wie „Es reicht, Viktator!“, „Orbán-Maffia. Es ist genug“ oder Protestbekundungen gegen die Von der Regierung angekündigten Drogentests für Jugendliche, Politiker und Journalisten zu sehen.

http://index.hu/belfold/2014/12/14/tuntetes_koltsegvetes/

http://nol.hu/belfold/megindultak-a-koltsegvetes-ellen-1504445

http://nepszava.hu/cikk/1042548-utcan-a-duhos-magyarok

Tag der Empörung: Demonstrationen in Budapest und weiteren 27 ungarischen Städten

Am heutigen Montag, 17.11.2014, versammelten sich auf dem Budapester Kossuth-Platz mehrere Tausend Demonstranten unter dem Motto „Tag der Empörung“ und „Wir werden nicht verstummen“, um gegen die Regierung Viktor Orbán zu protestieren. Unter anderem wurde der Rücktritt des Regierungschefs und der Chefin der Steuerbehörde (NAV) gefordert sowie die Korruption angeprangert. Gegen die NAV-Präsidentin Ildikó Vida war durch die USA ein Einreiseverbot verhängt worden, weil Washington sie verdächtigt, an Korruption beteiligt gewesen zu sein. Die Regierung kritisiert, dass die USA bislang keine Stichhaltigen Fakten vorgelegt hätten. Neben Vida sollen noch weitere 5 Personen aus regierungsnahen Kreisen beteiligt gewesen zu sein.

Weitere Demonstrationen fanden in 27 ungarischen Städten sowie vereinzelt auch im Ausland (z.B. Berlin und Brüssel) statt. Die Protestbewegung hatte bereits im Oktober begonnen und durch die erfolgreichen Proteste gegen die von der Regierung geplante Internetsteuer deutlich an Kraft gewonnen.

Die Proteste sollen in den kommenden Wochen weitergehen.

http://index.hu/belfold/2014/11/17/tuntetes/

http://www.welt.de/politik/ausland/article134442425/Zehntausende-in-Ungarn-demonstrieren-gegen-Orban.html

Budapester Wahlkommission: Bürgermeisterposten im XV. Bezirk geht an DK-Politiker László Hajdú

Nach einer – nicht rechtskräftigen – Entscheidung der Budapester Wahlkommission wird es im XV. Budapester Stadtbezirk keine Neuwahl geben. DK-Politiker László Hajdú wird demnach Bürgermeister und in dieser Funktion auch Mitglied des Budapester Stadtrats.

Die im Bezirk unterlegene Regierungspartei Fidesz hatte das von Hajdú verbreitete Wahlwerbematerial bemängelt: Hajdú habe sich als Kandidat von DK, MSZP, Együtt-PM und anderen Organisationen dargestellt, obwohl er tatsächlich nur von DK aufgestellt worden war.

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DK-Politiker hatten daraufhin den Vorwurf erhoben, die Partei Fidesz wolle „Wahlbetrug“ begehen (Zsolt Gréczy) bzw. die von ihr kontrollierte Wahlkommission zur „gewaltsamen Änderung des Wählerwillens“ missbrauchen (Csaba Molnár).

Fidesz hat drei Tage Zeit, die Entscheidung vor dem Budapester Tafelgericht (entspricht dem deutschen Oberlandesgericht, hier ausführlich zur Gerichtsorganisation) anzufechten.

http://index.hu/belfold/2014/10/20/holgyeim_es_uraim_megvan_a_xv._keruleti_polgarmester/

Regierungsverordnung bereitet Umzug des Ministerpräsidialamtes in das Budapester Burgviertel vor

Die ungarische Regierung hat durch Regierungsverordnung Nr. 227/2014 vom 4. September (Magyar Közlöny Nr. 121 /2014 vom 4.9.2014, S. 13201 ff.) den Startschuss für den Umzug des Ministerpräsidialamtes in das Budapester Burgviertel gegeben. Das Projekt wurde für volkswirtschaftlich besonders bedeutsam erklärt, die Verordnung regelt einzelne Details.

Das Amt soll künftig auf dem Areal neben dem Sándor-Palais, dem heutigen Sitz des Staatspräsidenten, beheimatet sein. Heute wird das Gebäude vom Nationalen Tanztheater (Nemzeti Táncszínház) genutzt.

Über den Umzug des Regierungschefs nebst Kanzleramt in die Burg war in der Vergangenheit mehrfach spekuliert worden. Dabei war nicht nur die „Übernahme“ des Sándor-Palais, sondern auch der Burgpalast selbst (heute: Nationalgalerie) im Gespräch.

Der Regierungschef hat seinen Sitz heute im Parlamentsgebäude – Befürworter einer auch „räumlichen“ Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive halten diesen Zustand nicht für ideal. Die Frage, ob der Umzug und die neu begründete räumliche Nähe zum Staatsoberhaupt Rückschlüsse auf Viktor Orbáns Ambitionen bezüglich eines weiteren Staatsumbaus (semipräsidentielles System) zulässt, wird die nähere Zukunft zeigen.

http://www.kozlonyok.hu/nkonline/MKPDF/hiteles/MK14121.pdf

Die Budapester nahmen die Meldung unterschiedlich auf:

http://www.atv.hu/videok/video-20140910-orbanek-a-varba-koltoznek

Kommunalwahl 2014: Linksbündnis in Budapest offenbar gescheitert

Das in der vergangenen Woche vereinbarte Dreierbündnis zwischen Ungarischen Sozialisten (MSZP), DK und Együtt 2014 für die Kommunalwahl in Budapest scheint bereits wieder zerbrochen. Nachdem sich herausstellte, dass die Sozialisten parteiintern nicht die getroffene Vereinbarung gutgeheißen, sondern diese vor dem Parteibeschluss eigenmächtig abgeändert hatten, schied Együtt 2014 empört aus und kündigte heute an, auf eigene Faust anzutreten und auf Ebene der Stadtbezirke mit anderen Parteien zu kooperieren.

Die DK reagierte auf das derzeitige Scheitern mit der Aussage, die Vorgänge zeigten den „Zerfall der MSZP“.

Die ungarische Wochenzeitung hvg vermutet, dass der XIII. Budapester Stadtbezirk die Ursache für das Scheitern gewesen sein könnte. Die MSZP sei nicht bereit gewesen, in ihrem „Stammbezirk“ Zugeständnisse an die Mitstreiter zu machen.

http://tablet.hvg.hu/itthon/20140812_Egyedul_az_EgyuttPM_Budapesten

https://hungarianvoice.wordpress.com/2014/08/10/kommunalwahl-einigung-der-linksopposition-in-budapest-oder-doch-nicht/

Vertreter der drei Parteien äußerten ihre Standpunkte am 12.8.2014 bei Egyenes Beszéd auf ATV:

http://www.atv.hu/videok/video-20140812-szigetvari-mas-keruletekben-is-indithat-jelolteket-az-egyutt-pm

http://www.atv.hu/videok/video-20140812-vadai-a-dk-a-legnagyobb-part-budapesten

http://www.atv.hu/videok/video-20140813-havas-szofia-mar-reg-kampanyolni-kellene

Zwischenzeitlich hat sich Ferenc Falus, der Wunschkandidat des Dreierbündnisses für das Amt des Budapester Oberbürgermeisters, zu Wort gemeldet. Er trete nur an, wenn er die Unterstützung von MSZP, DK und Együtt 2014 habe.

http://index.hu/belfold/2014/08/12/falus_csak_akkor_indulok_ha_mindharom_part_tamogat/