In den vergangenen Tagen wurden zunächst über die ungarische, sodann über die deutsch- und englischsprachige Presse Meldungen verbreitet, wonach der in Ungarn unter Hausarrest stehende mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher László Csatáry bereits im Jahr 1945 von einem Gericht in der ungarischen Stadt Pécs (Fünfkirchen) zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt worden sein soll.
Den Anfang machte die ungarische Wochenzeitung HVG am 19. August 2012. Bereits einen Tag später trug der Pester Lloyd die Nachricht über die vermeintliche Verurteilung in den deutschsprachigen Leserkreis weiter, auch das „Schwäbische Tagblatt“ berichtete. Auch das Portal politics.hu griff das Thema, in englischer Sprache, auf. Weitere Medien berichteten international. Die Verurteilung des Jahres 1945 wurde insoweit in zweierlei Hinsicht diskutiert: Einerseits als Beleg dafür, dass die aktuell vom „Nazijäger“ Efraim Zuroff gegen Csatáry vorgebrachten Anschuldigungen, die die Ermittlungen auslösten, zutreffend seien. Andererseits warf die angebliche frühere Verurteilung Fragen bezüglich des rechtsstaatlichen Grundsatzes auf, wonach niemand wegen ein und derselben Straftat zweimal verurteilt werden darf (ne bis in idem). Eine solche, identische Vorwürfe betreffende Verurteilung stünde einem neuerlichen Prozess möglicher Weise entgegen.
Die Meldung von der Verurteilung in Pécs stellte sich nun als „Ente“ heraus. Csatáry wurde, wie der vom oppositionsnahen Fernsehsender ATV interviewte junge Rechtswissenschaftler Ádám Gellért nach Rückfragen in Pécs und bei der von der HVG angegebenen Quelle herausfand, in Pécs weder angeklagt noch verurteilt. Gellért betonte in einem längeren Interview, er sei mittlerweile „sehr vorsichtig“, was Pressemeldungen angehe. Er berichtet, dass der von HVG als Quelle zitierte Historiker Zoltán Balassa einen Beitrag im Nachrichtenportal felvidek.ma verfasst habe. In diesem wies Balassa auf einen (Zitat) „tendenziösen“ Artikel der kommunistischen Parteizeitung Východoslovenská Pravda vom 24.06.1945 hin, in dem behauptet worden war, dass László Csatáry in Veszprém festgenommen worden sei. Das Blatt hatte gefordert, Csatáry müsse wegen seiner Verbrechen in Kaschau vor den Volksgerichtshof gestellt werden. Ferner zitiert Balssa aus den Memoiren von Artúr Görög, einem Mitglied des Kaschauer Judenrates, der 1960 darüber geschrieben hatte, dass Csatáry seiner Meinung nach 1945 in Pécs verurteilt worden. In beiden Fällen handelte es sich um Mutmaßungen.
In der HVG wurden sodann beide Annahmen als Tatsache abgedruckt. Balassa Zoltán teilte sodann auf Nachfrage von Gellért, der sich aktiv mit dem Fall Csatáry befasst, mit, er habe eine solche definitive Aussage gegenüber HVG nie getätigt. Gellért zeigte sich erstaunt darüber, dass kein Journalist sich in den Archiven des ungarischen Komitats Baranya (Pécs ist die Bezirkshauptstadt dieses Komitats) informiert zu haben scheint. In den Archiven werden bis heute die Verfahrenslisten der kommunistischen Staatsanwaltschaft und des Volksgerichtshofes verwahrt. Gellért schildert weiter, er habe die Archive mit Hilfe der dort täigen Personen gesichtet und herausgefunden, dass es seinerzeit weder eine Anklage noch eine Verurteilung gegen Csatáry gegeben habe.
Folglich steht eine frühere Verurteilung der Einleitung eines erneuten Strafverfahrens nicht entgegen. Zugleich kann auf seinerzeitige Feststellungen nicht zurückgegriffen werden.
Die neuerliche „Zeitungsente“ ist nicht die erste im Fall Csatáry. Bereits vor 2 Wochen stellte sich heraus, dass die – auch in deutschen Zeitungen verbreitete – Behauptung, der Beschuldigte habe bereits 1941 an Deportationen aus Kaschau in die Ukraine mitgewirkt und mehrere hundert Juden der deutschen SS ausgeliefert (Massaker von Kamenec-Podolsk), unzutreffend war. Csatáry war seinerzeit als Polizeibeamter in Kecskemét stationiert. Die Ermittlungen wurden in diesem Punkt eingestellt.
Das Interview mit Ádám Gellért:
http://atv.hu/cikk/video-20120823_gellert_adam