Der Leser des Onlineportals RP Online – dem Internetangebot der Rheinischen Post – erhält heute einen Bericht zum Fall des mutmaßlichen Kriegsverbrechers László Csatáry vorgelegt. Der Autor: Rudolf Gruber.
http://nachrichten.rp-online.de/politik/ungarns-justiz-laesst-ns-verbrecher-unbehelligt-1.2913628
Beim Lesen erschaudert es einen geradezu. In Anknüpfung an die Mutmaßungen in unterschiedlichen Presseberichten der vergangenen Tage, wonach „zweifelhaft“ sei, ob der heute 97-jährige und in Budapest lebende mutmaßliche Kriegsverbrecher Csatáry von der ungarischen Justiz belangt wird, spinnt Gruber das Gebilde von Spekulationen und Unterstellungen weiter. Bei ihm heißt es:
„In seiner Heimat Ungarn wird der von Journalisten der britischen “ Sun“ aufgespürte mutmaßliche NS-Verbrecher László Csatáry (97) höchstwahrscheinlich nicht angeklagt werden. Nicht so sehr sein biblisches Alter schützt ihn vermutlich vor einem Prozess, sondern vor allem die ungarische Justiz – beziehungsweise die nationalkonservative Regierung von Premierminister Viktor Orban.“
Es folgen Aussagen von „Ausflüchten“ der ermittelnden Staatsanwaltschaft, der Bezug zur Judendeportation unter Miklós Horthy im Jahre 1944 und – wie könnte es anders sein – die Aussage des „Nazijägers“ Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center, die Behörde habe wohl „einfach gehofft, dass er (Csatáry) verschwindet.“ Und weiter:
„In diesem politischen Klima ist ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Nazi-Verbrecher, der eine Debatte über die Schuldfrage auslösen würde, kaum denkbar.“
Der Bericht gleicht in Anbetracht der Weglassungen, Vermutungen und undifferenzierten Betraachtungsweise einer bösartigen Diffamierungskampagne gegenüber Ungarns Regierung mit dem Ziel, die dortige Justiz unter Druck zu setzen. So stellt man sich „unabhängige Justiz“, die aus den selben Redaktionsstuben in der Vergangenheit (zum Teil zu Recht) so oft angemahnt wurde, offenbar vor. Die Notwendigkeit von Tatnachweisen weicht einem scheinbar moralisch unanfechtbaren Maßstab des – „klagt ihn an, das Simon Wiesenthal Center will es so“. Dass die Staatsanwaltschaft auch bei mutmaßlichen Kriegsverbrechern den hinreichenden Tatverdacht begründen muss und seit 2011 ermittelt, um Anklage zu erheben können, lässte Herr Gruber, wie schon andere vor ihm, geflissentlich außer Acht. Dabei ist der Vortrag der ungarischen Ermittler, man habe nach mehr als 50 Jahren Probleme mit den Ermittlungen (es sei nur das Thema „noch lebende Zeugen“ und deren Vernehmung im Ausland über die regelmäßig langatmige Rechtshilfe genannt), durchaus schlüssig.
Es darf bezweifelt werden, dass Gruber über das Wissen verfügt, welches es ihm gestattet, den Fall eigenständig zu beurteilen. Es ist ein wenig wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft: Das Land besteht dann aus Millionen von Bundestrainern, die genau sagen können, was das Richtige und Gute ist. Anders ist es auch bei großen Prozessen nicht, ohne Kenntnis der Akte(n) und ohne Prozessbeginn wissen selbst ernannte Beobachter vom Typ Gruber zumeist, was geschehen und was die gerechte Strafe ist.
Besonders auffällig ist, dass Gruber einen weiteren, wichtigen Aspekt verschweigt: Es gab vor nicht allzu langer Zeit – konkret: 2010/2011 – ein Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Sándor Képíró. Dieser soll im Jahre 1944 als Mitglied der ungarischen Gendarmerie im heutigen Novi Sad für die Ermordung von Juden und Serben verantwortlich gewesen sein. Es war die Staatsanwaltschaft unter Ministerpräsident Viktor Orbán, die nach jahrelangen Ermittlungen (die während der sozialliberalen Ära offenbar kein Problem für das SWC darstellten) Anklage erhob und – nach dem Freispruch in erster Instanz (der von Rudolf Gruber ebenfalls in diffamierender Weise kommentiert wurde) – Rechtsmittel einlegte, um eine Verurteilung zu erstreiten. Képíró starb vor dem Berufungsprozess. Der ungarische Historiker László Karsai, selbst Nachkomme von Holocaust-Überlebenden, kritisierte den „Nazijäger“ Zuroff und dessen Verhalten: Zuroff habe wohl nicht verkraftet, dass Képíró nicht verurteilt worden sei. Man könnte noch deutlicher werden: Die Unabhängigkeit der Justiz wird – über gezielt lancierte Pressemeldungen – missachtet.
Wie kommt ein in Ungarnfragen offensichtlich nur schlecht informierter Journalist wie Gruber vor dem Hintergrund des Képíró-Prozesses und die damalige Anklageerhebung durch die angeblich „nazifreundliche„ Staatsanwaltschaft in Budapest auf die Idee, Behauptungen wie die eingangs zitierte auszustoßen? Es muss sich um eine Mischung von Ahnungslosigkeit und Bösartigkeit handeln. Eine explosive Mischung.