Die regierungsnahe Presse berichtet heute über einen “ Politskandal“ und wirft der EU-Kommissarin Viviane Reding vor, die Wahlen in Ungarn im kommenden Jahr aktiv beeinflussen zu wollen.
Hintergrund der Vorwürfe ist das zwischen 6. und 9. Juni 2013 in England abgehaltene sog. „Bilderberg-Meeting“ einer handverlesenen Runde einflussreicher Personen u.a. aus Wirtschaft, Finanzkreisen und Politik. Wie die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet aus „Insiderkreisen“ erfahren haben will, soll Reding über Pläne der EU-Kommission gesprochen haben, eine Negativkampagne zu Lasten der regierenden Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán zu unterstützen. Konkret soll geplant sein, durch Vorwürfe einer illegalen Überwachung der Wahlkabinen die Legitimität der Wahl infrage zu stellen.
Um das im geschlossenen Kreis abgehaltene Bilderberg-Treffen ranken sich seit je her unterschiedlichste Verschwörungstheorien. Begünstigt wird dies durch die hochrangigen „Netzwerker“ ebenso wie durch das Fehlen eines offiziellen Programms oder Protokolls.
Der Zeitpunkt der Offenlegung der angeblich geplanten Wahlbeeinflussung durch Reding, einer hochrangigen Kritikerin der ungarischen Regierung, ist auffällig. Die Venedig-Kommission des Europarates hat in ihrer Sitzung vom 14.-15. Juni in einer Stellungnahme deutliche Kritik an der Vierten Verfassungsänderung geübt und sieht in ihr eine Gefahr für die ungarische Verfassungsgerichtsbarkeit, die Gewaltenteilung und das Rechtsstaatsprinzip. Heute, parallel zur Veröffentlichung der angeblichen Bilderberg-Pläne, wurde im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments (LIBE) der ebenfalls kritische Tavares-Bericht mehrheitlich angenommen und Ungarn zur Revision verschiedener Gesetzgebungsmaßnahmen und Einhaltung der europäischen Werte aufgefordert. Der Ausschuss empfiehlt die Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7 EUV, sollte Ungarn seine Empfehlungen nicht umsetzen. Obgleich die Einleitung dieses Verfahrens noch immer unwahrscheinlich und gegen die Stimmen der EVP, deren Mitglied Fidesz ist, nicht möglich ist, steht Ungarn somit unter erheblichem außenpolitischen Druck.
Es ist zwar bekannt, dass sich die ungarische Regierung durch die seit 2010 geführte „unorthodoxe Wirtschaftspolitik“ nicht nur Freunde gemacht hat. So haben etwa Sondersteuern zu Lasten ausländisch dominierter Wirtschaftsbereiche (z.B. Handel) bei den EU-Partnern zu Verärgerung geführt. Und auch der IWF, dessen Präsidentin Christine Lagarde ebenfalls zu den Bilderberg-Teilnehmern gehörte, dürfte die Widerspenstigkeit Ungarns bei den Verhandlungen um Hilfskredite mit Missfallen aufgenommen haben: Ungarn war nicht bereit, die vom IWF geforderten Sparmaßnahmen umzusetzen, was die Regierung bereits in der Vergangenheit für Imagekampagnen nutzte.
Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre die wahlkämpfende Reding im Zentrum des wohl größten politischen Skandals, der sich je in einer EU-Institution zugetragen hätte. Ein ebenso großer Skandal wäre es freilich, wenn die Vorwürfe frei erfunden wären.
Am heutigen Tage betonte der Sprecher der EU-Kommission, Bailly, es sei nicht Aufgabe seiner Behörde, Wahlen in den Mitgliedstaaten zu beeinflussen. Zum Inhalt von Redings Aussagen beim besagten Treffen konnte/wollte er sich nicht äußern. Reichlich Nahrung für weitere Verschwörungstheorien…und für das Treffen zwischen Orbán und Kommissionspräsident Barroso in der kommenden Woche.
http://www.politics.hu/20130618/brussels-does-not-influence-elections-says-ec-spokesman/q
http://tablet.mno.hu/eu/surjan-nagyon-nagy-baj-van-az-unioban-1167877