Gesetzentwurf für Übergangsbestimmung zur neuen Verfassung vorgelegt

Eine Gruppe von Parlamentariern des regierenden Parteienbündnisses Fidesz/KDNP um die beiden Fraktionsvorsitzenden János Lázár und Péter Harrach haben dem Parlament am 21.11.2011 die Übergangsbestimmungen zum neuen Grundgesetz vorgelegt:

http://www.parlament.hu/irom39/05005/05005.pdf

46 Kommentare zu “Gesetzentwurf für Übergangsbestimmung zur neuen Verfassung vorgelegt

  1. Beim Lesen dieses Dokuments läuft es einem, vor allem als Jurist, kalt den Rücken herunter. Ein Übergangsgesetz, das üblicher Weise technische Regelungen beinhaltet, die einen reibungslosen Transfer vom alten zum neuen Recht (und damit Rechtssicherheit) garantieren sollen, mit völlig irrelevanter Ideologie, einer politischen Generalabrechnung mit der Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) zu überfrachten, und all das 22 Jahre nach der Wende? Braucht es das?

    Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe nichts dagegen, wenn man die Verbrechen der Kommunisten (in einem Gesetz, das dem historischen Gedenken gewidmet ist) verurteilt, im Rahmen rechtsstaatlicher Möglichkeiten Verantwortliche zur Rechenschaft zieht, die Staatspartei als Verantwortliche für ihre Untaten, insbesondere im Zusammenhang mit den Schauprozessen nach 1956 (dem unter anderem Imre Nagy, selbst bis zu seinem Ende überzeugter Kommunist, zum Opfer fiel), nennt und auch die von den heutigen Sozialisten so gern unter den Tisch gekehrte Tatsache erwähnt, dass die MSZP das Vermögen der MSZMP geerbt hat und somit bis heute von verbrecherisch erlangten Vermögenswerten profitiert.

    In einen Teil der Verfassung, die für alle Zukunft gedacht ist (jedenfalls aus der Sicht von Fidesz) und damit als Basis für ein friedliches Zusammenleben dienen sollte, auf so offenkundige Weise und ohne jede Not historische Altlasten zu implementieren, ist ein in Demokratien einzigartiges Phänomen. All das hat in einem Übergangsgesetz nichts verloren. All das, was man nicht mehr in der Präambel untergebracht hat, kommt jetzt wohl nach.

    Abermals erkennt man eine Tendenz, die Schuld an dem – euphemistisch gesprochen – „unglücklichen Verlauf der Geschichte“, nach den verbrecherischen deutschen Besatzern, allein der verbrecherischen kommunistischen Staatspartei zuzuschreiben, die Verantwortung der Bevölkerung, der Mitläufer, der stillschweigend Zustimmenden und Profiteure, jedoch in den Hintergrund zu rücken. Vergessen zu machen. Ein Ansatz, der ungeeignet ist, die Geschichte ehrlich und umfassend aufzuarbeiten. Dass einige der Regierungsfraktion noch dazu Teil eben dieser verbrecherischen MSZMP waren (ungarisch „tégla“, für den im System „eingebauten“ Ziegelstein), ist dabei zusätzlicher Treppenwitz.

    Der Verfasser dieser Zeilen und seine Familie wurde nicht durch „die Partei“, ein abstraktes Gebilde sui generis, sondern von Menschen, die mit ihr kollaborierten und sich einfügten, an der Einreise nach Ungarn gehindert. Menschen, ja: Ungarn, waren es, die das Eigentum ihrer Mitbürger (darunter meine Familie) enteigneten und sie zur Flucht zwangen. Ungarn waren es, die Ungarn mordeten und folterten. So wie es Deutsche und nicht nur „die NSDAP“ war, die Millionen ihrer Mitmenschen auf dem Gewissen hatten. Die Nennung „der Partei“ als Täter und Verantwortliche ist mir hier zu abstrakt. Diktaturen leben von Mitläufern und Kollaborateuren. Der Versuch, die Nation aus dem Spiel zu halten, ist nicht besser als der von Kommunisten gemachte untaugliche Versuch, das Proletariat kollektiv von der Schuld an Naziterror und Holocaust freizusprechen. Ein Kollektiv freizusprechen, ist ebenso falsch, wie kollektiv zu verurteilen.

    Ob man durch so etwas verloren gegangene Wähler zurückgewinnen kann? Wie groß ist das Lager der abgewanderten Antikommunisten? Gewiss deutlich kleiner als die Zahl derer, die man durch so etwas noch weiter in das Lager der Nichtwähler treibt. Oder versucht man, Demokratie zu einer Veranstaltung weniger völlig ideologisierter Gruppen umzufunktionieren, die sich (wie bisher) bis auf das Blut bekämpfen? Eine wahrlich tolle Perspektive für Ungarn…

    Der ahistorische Ansatz, die Verantwortung der „Nation“ auszublenden, tritt zum wiederholten Male auf und ist bedauerlich. Dass Verdrängung nichts Gutes bewirkt, hat die Geschichte mehrfach bewiesen. Dass Verdrängung auch Ungarn nicht helfen kann, aus Fehlern zu lernen und diese für die Zukunft zu vermeiden (nur darum geht es!), liegt auf der Hand. Verdrängung stärkt Ideologie und Verblendung statt Zukunftsperspektive und Gemeinsamkeit.

    Eine Übersetzung spare ich mir aus Zeitgründen zunächst, so wird sich das ganze Trauerspiel vorerst nur denjenigen erschließen, die ungarisch sprechen. Bon Appetit.

    • In diesen Momenten wünschte ich, nie die ungarische Sprache gelernt zu haben, niemals in dieser Sprache eine Heimat gefunden zu haben. Sollte meine Tochter, die auch in Deutschland und den USA Ungarin geblieben ist und nach ihrem Studium aus Heimwehlzurückging (… Szédül, elbúsong s lehull a porba, Amelyből vétetett … )
      Sollte sie doch Recht gehabt haben, als sie mir vor gut einem Jahr sagte, es grassiere dort eine unheilbare Krankheit, nämlich der selbstschädigende Hass aus Ohnmacht, der alles frisst, die Vergangenheit, Gegenwart und Ungarns Zukunft.

    • …“Die Nennung „der Partei“ als Täter und Verantwortliche ist mir hier zu abstrakt“…

      Ihnen ja, aber nicht allen ! ..“Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder die Bildung einer solchen Organisation ist in Deutschland und vielen anderen Staaten strafbar.“
      Man sollte in der Andrássy út 60 den Begriff des Terrors definieren.

      … Ich habe davon nichts gewusst, mein Vater auch nicht…. ist doch bekannt ?

  2. *..die Verbrechen der Kommunisten (in einem Gesetz, das dem historischen Gedenken gewidmet ist) verurteilt, die Staatspartei als Verantwotlichen für ihre Untaten, insbesondere im Zusammenhang mit 1956…*

    Hat es nicht nach der Wende schon mal einen Versuch gegeben ein solches Gesetz zu verabschieden??
    Dies aber wohl von dem damaligen Verfassungsgericht verhindert wurde.
    Liest man Gyula Jósza könnte man einige Passagen von ihm auch so auslegen.

    • Józsa sprach in seinem wirklich hervorragenden Beitrag Klartext, dem ich voll und ganz zustimmen konnte. Warum man über das damals angedachte jetzt aber so sehr hinausgehen will und den (die Nation außen vor lassenden) Antikommunismus zum Dogma der neuen Verfassung erhebt, ist für mich kaum begreiflich.

    • Das Verfassungsgericht hat mehrere Urteile zum Thema gefällt: 11/1992 argumentierte, dass die Verbrechen bereits verjährt seien und – in deutlichem Unterschied zur Argumentation des Bundesverfassungsgerichts – eine Aufhebung der Verjährung gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt. 53/1993 besagte, dass dies nicht für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verstößt, die auch nach internationalem Recht nicht verjähren. Daraufhin wurden einige Verfahren eingeleitet, allerdings wenige zu Ende gebracht. Da war nicht so sehr das Verfassungsgericht die Bremse, sondern die Strafverfolgungsbehörden zeigten wenig Interesse an diesen Verfahren (die Gründe dafür müsste man genauer untersuchen).

    • Danke HV, für den Kommentar.

      @BK.

      Warum wollen Sie so tun, als ob es sich hierbei nur um „Wahlkampf“ handelt? Wenn Sie das Ernst meinen, was ich nicht annehmen kann, nicht will, dann wäre es umso verwerflicher, hier etwas in Gesetz gießen zu wollen nur um des Wahlkampfes Willen, das in seiner Intention und mit allen Implikationen, Kollateralschäden und v.a. Nachwirkungen dem Land nur schadet. Passen würde es damit aber wiederum nahtlos in einige aktionen, mit denen sich die „Mächtigen“ bislang auf bemerkenswert erfolgreiche Weise bekleckert haben.

      Ich kann mich daher nur erstaunt zeigen, dass man sich über derlei Schritte von Fidesz wundert. Die Partei hat schließlich seit sie an der Regierung ist gezeigt, dass Sie zu „allem“ fähig ist und Grenzen verschiedenster Art in schlechtem weil stillosem Gutsherrenstil nur zu gerne und gar lustvoll überschreitet. Nach uns die Sintflut.

      Direkt erwartet werden konnte solch ein Schritt vielleicht nicht, wer sich aber nun per se überrascht zeigt, kann dies allenfalls mit dem nötigen Quentchen Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber und damit einer insgeheimen, gesteigerten persönlichen Enttäuschung, genährt von einer eigenen politischen Nähe zur Regierung für sich selbst erklären.

  3. Lieber Peter K.,

    natürlich ist es Wahlkampf, da bin ich ganz einverstanden mit der Darstellung des PL. Derzeit geht ja so ziemlich alles den Bach runter für Fidesz, sogar die Kernkompetenz „wir senken das Staatsdefizit“ wurde durch die Talfahrt des Forint ausradiert, und die Rethorik der „starken nation“ durch die neueste – seit Wochen klar im Raum stehende – Herabstufung durch die ratingagenturen ad absurdum geführt.

    Der Spielraum ist mittlerweile gleich Null, ein Befreiungsschlag scheint nunmehr fast unmöglich. Der Blick richtet sich daher schon jetzt auf die nächste Wahl, denn bis dahin wird es nicht gelingen, das Schiff durch bessere Wirtschaftsdaten zu wenden.

    Die einzige Gefahr (ausser Jobbik) bleibt die MSZP, obwohl sie derzeit noch am Boden liegt, insofern soll ihr die Legitimität als Partei entzogen werden.

    Dass das ganze Theater in der Verfassung nichts zu suchen hat, schon gar nicht im Übergangsgesetz, versteht sich von selbst.

  4. Wird der Wille zum unbegrenzten Erhalt des Status-quo unterstrichen so werden alle Ungerechtigkeiten und Verbrechen des Kommunismus und des darauf folgenden Post-Kommunismus, ausdrücklich aufgewertet und gutgeheissen.

    In Anbetracht der tragischen Erfahrung seit 1944, sollte der neue verfassungsrechtliche Rahmen einen speziellen Mechanismus eingebaut bekommen um ausdrücklich jeden Verantwortlichen des vergangenen kommunistischen Regimes aus öffentlichen Ämtern auszuschließen.
    Genauso und auf vorläufiger Basis, sollten nur solche Parteien oder Bewegungen an einer Teilnahme an der Demokratie zugelassen werden, die nachweisen können, daß sie keinerlei Bindungen zu Diktaturen oder deren politischen Erben haben.

    Funktionierende Demokratien verhindern, daß Ideologien, wie zum Beispiel der Marxismus, die zwar vorspielen die Regeln der Demokratie zu befolgen aber das Ziel der Errichtung eines totalitären Staates im Sinne haben, wiederauferstehen

    Und Gefahr für die Demokratie sehe ich nicht, denn ein Staat im Dienste der Person, und nicht umgekehrt, mit dem Ziel, dem Gemeinwohl zu dienen, ist Garantie für Sicherheit und Stabilität.
    Um die Zukunft Ungarns, um die Zukunft der Ungarn zu sichern, muß das Erbe des Kommunismus ausgerottet, sein Versteckspiel aufgedeckt, ein politisches Wiedererstarken verhindert werden.

  5. Liebe Frau Széchenyi,
    eine solche von Ihnen gewünschte Abrechnung ist einfach – verzeihen Sie mir das starke Wort – lächerlich. Fidesz will die Sozialdemokratische MSZP vernichten, wobei die Kommunisten, die zur Fidesz gegangen sind, bzw. Fidesz unterstützen als gute Ungarn bezeichnet werden. So ist das wie vieles was Fidesz jetzt so tut, nichts als billige Rhetorik.
    Bereits als Orbán nach seiner Wahlniederlage 2002 festgestellt hat, dass die Heimat nicht in Opposition sein kann, hat er eine unheilvolle Tradition fortgesetzt, diejenigen, die ihn nicht unterstützten aus der Nation auszugrenzen. Oder wie das Orbáns guter Freund – dessen Name ich nicht erwähne, um nicht nocheinmal hier eine Rüge verpaßt zu bekommen -ausgedrückt hat: „die sich in unserer Heimat provisorisch aufhaltenden Mainstream Linken“.
    József Debreczenihat das meisterhaft in seinem Buch „Arcmás“ über Orbán beschrieben. Auch wie Orbán & Co Jobbik unterstützten. Doch heute sieht man klar die ganze Katastrophe dieser Politik, die auf Hass aufgebaut ist. Den Geist von Jobbik kriegen diese Herrschaften auch nicht mehr in die Flasche.
    Den Zorn und die Enttäuschung von HV kann ich verstehen.
    Das Problem ist, dass die Opposition total zerstritten, unfähig und impotent ist. Und eine Partei wie LMP – mit einem Understatement ausgedrückt – ambivalent ist.
    Mit antikommunistischer Rhetorik wird V.O. kein einziges Problem lösen können.
    Selten in der modernen Geschichte Europas wurde einem Politiker soviel Vertrauensvorschuß gewährt wie V.O. Anstatt dem gerecht zu werden hat er jegliches Vertrauen verspielt und wenn er sich und seine Mannschaft nicht am Riemen reißt, dann wird sich die politische und ökonomische Krise noch verschärfen und das Land in den Abgrund geraten.

  6. @HV
    vielen Dank für die deutliche Stellungnahme

    @Frau Széchényi,

    „Wird der Wille zum unbegrenzten Erhalt des Status-quo unterstrichen so werden alle Ungerechtigkeiten und Verbrechen des Kommunismus und des darauf folgenden Post-Kommunismus, ausdrücklich aufgewertet und gutgeheissen.“

    Bei allem Respekt, aber das ist wirklich Unsinn. Wie HV schreibt, bleibt es der Mehrheit unbenommen, an die Verbrechen des Kommunismus durch Gedenktage, Mahnmale und entsprechende Schulbücher zu erinnern sowie auf individueller Basis die Verantwortung von Personen festzustellen. Ob darüber hinaus die juristische Verfolgung einzelner Personen notwendig und legitim ist, darüber wird seit 1990 erbittert gestritten. Aber eine Oppositionspartei kollektiv für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich zu machen hat nichts mit „Vergangenheitsbewältigung“ zu tun, im Gegenteil, sie ist eher ein Versuch, eine differenzierte Aufarbeitung zu verhindern und ist einer Demokratie unwürdig. Herrn Pfeiffer vorzuwerfen, „den Kommunismus“ aufzuwerten, geht dabei völlig an der Sache vorbei.
    Warum ist es nicht möglich, das Schwarz-Weiß-Denken einmal abzulegen?

  7. HV Wenn die deutsche sozialdemokratische Friedrich Ebert Stiftung die MSZP als sozialdemokratisch éinstuf, wenn die sozialdemokratische SPÖ die MSZP als sozialdemokratische Schwesterpartei qualifiziert, dann wird diese halt von sozialdemokratischen Parteien als solche und von HV nicht als solche anerkannt.
    Auch wenn ich Ihre (HV) analytischen Fähigkeiten nicht unterschätze, denke ich, dass Sie sich mit diesem unpassenden Einwurf eher selbst qualifizieren, als mich.
    Jeden als Kommunisten (oder Faschisten) zu qualifizieren, mit dem wir nicht einverstanden sind ist keine gute Methode zu diskutieren.

    • Mag sein, dass ich mich damit qualifiziere. Ich sehe (und sah) in der Politik der MSZP eben nichts Sozialdemokratisches. Ein als Werbeschild vor sich gehaltener Antifaschismus macht noch keinen Sozialdemokraten. Da mag die SPÖ und die FES noch so sehr (ggf. mangels Alternative) den Genossen die Treue halten. Vielleicht ist diese Logik aber auch genau der Teil des Problems, über den wir hier nur zu oft diskutieren. Nach ihr wäre nämlich auch die Partei Ficos sozialdemokratisch. Beurteile das jeder, wie er mag…

      • Vielleicht wäre es sinnvoll, den Begriff „sozialdemokratisch“ in „dem Namen nach“, „dem Parteiprogramm nach“ oder „dem politischen Verhalten nach“ zu unterteilen? Ich vermute, die SPD und SPÖ hatten einfach niemand anderen als die „Ungarische *Sozialistische* Partei“, den sie als „Schwesterpartei“ in Ungarn identifizieren konnten. Wir haben ja schon oft hier darüber gesprochen, dass leider eine „richtige“ Sozialdemokratie in Ungarn fehlt. Leider steht mir keine wirklich aussagekräftige Studie zur MSZP zur Verfügung. Wenn allerdings Gyurcsány und andere reichgewordene Ex-funktionäre und Managerkader die Führungsschicht dominier(t)en, kann man tatsächlich kaum von einer sozialdemokratischen Partei im traditionellen Sinne sprechen, mal ganz abgesehen von der tatsächlich verfolgten Politik. Das Rechts-links-Schema funktioniert auf wirtschaftpolitischem Gebiet ohnehin in Ungarn nicht.

  8. Ich habe seinerzeit kritisiert, dass MEP Hannes Swoboda die Fico-Partei salonfähig machen wollte.
    Da ich kein Sozialdemokrat bin oder war, akzeptiere ich eher die Selbstdefinition der MSZP und ihre Akzeptanz durch die sozialdemokratischen Partei als ihre Meinung.
    Die MSZP liegt wenn man Tarki glauben kann unter der Popularität von Jobbik. Eine Diskussion darüber, ob sie sozialdemokratisch oder nicht sei, ist jetzt nicht relevant.

    • „Eine Diskussion darüber, ob sie sozialdemokratisch oder nicht sei, ist jetzt nicht relevant.“
      Eben das ist einer Ihrer größten Denkfehler oder aber Vertuschungen in der gesamten Diskussion. Wäre die MSZP tatsächlich sozialdemokratisch statt alibi-sozialliberal, dann hätte die Jobbik sicherlich wesentlich weniger Stimmen, den sozialdemokratische Forderungen kommen im Volk stets gut an. Damit ist diese Frage ein wesentlicher Bestandteil des Problems Jobbik.

      Wenn Sie wirklich glauben, die MSZP sei sozialdemokratisch, dann – mit Verlaub – haben Sie keine Ahnung wovon Sie sprechen.

  9. Herr Boulanger, Gyurcsány ist aus der MSZP ausgetreten und hat eine eigene Partei gegründet.

    Agathe Széchenyi, nichts ist perfekt, auch die MSZP nicht, aber man kann nicht eine Partei pauschal für Verbrechen verantwortlich machen, die von Individuen vollbracht wurden.
    Wer Verbrechen begangen hat, kann auch ohne diese Gesetze bestraft werden, das hat ja HV oben aufgezeigt.

    Was sich jetzt zeigt, ist die Tatsache, dass Fidesz – trotz aller gegenteiligen Erklärungen – keine bürgerliche Partei ist. Mit Hassrhetorik und mit Kampagnen versuchen diese Politiker von ihrer Unfähigkeit, von ihren korrupten Elementen und von ihrer katastrophaler Wirtschaftspolitik abzulenken. Täglich bekommen wir viele Beispiele wie Verlogenheit, und Gemeinheit am Werk sind. Wenn sich zum Beispiel Fidesz von István Csurka einem ehemaligen Spitzel der III/III unterstützen läßt , ihn dafür mit einer Intendanz belohnt und dann wenn ungarische und ausländische Bürger dagegen protestieren, diese kaltschnäuzig abfertigen läßt, dann muss man an der politischen Vernunft von Tarlós und derjenigen, die heuchlerisch behaupten, sie könnten den Oberbürgermeister nicht beeinflußen, zweifeln. Wir erleben eine Kapitulation vor der rechtsextremen Irrationalität.
    Zum Glück gibt es doch Tausende Ungarn, die sich dagegen wehren.

    Die MSZP ist heute eine schwache Oppositionspartei. Wer deklariert, er möchte in der Demokratie eine Oppositionspartei vernichten, der verläßt die Demokratie.

    • „Wer Verbrechen begangen hat, kann auch ohne diese Gesetze bestraft werden, das hat ja HV oben aufgezeigt“
      Kann, wird aber nicht!
      Und Herr Pfeifer, ehemalige Spitzel sind nicht nur bei Fidesz am Werk.

    • Herr Pfeifer: „Agathe Széchenyi, nichts ist perfekt, auch die MSZP nicht, aber man kann nicht eine Partei pauschal für Verbrechen verantwortlich machen, die von Individuen vollbracht wurden“
      Na wenn Individuen von der Partei trotz der Schuldbekenntnisse von Lügen und Betrügen wiedergewählt werden, weiterhin als Anführer auf Händen getragen werden und in den Führungsposititonen an der Machterhaltung von der GANZEN Partei bestätigt werden, wage ich zu behaupten, dass eine Partei pauschal für Verbrechen verantwortlich gemacht werden können.
      Die SPD in Deutschland hätte sich von einem Lügner und Betrüger als Parteivorsitzender und Kanzler sich distanziert und ihn sofort abgewählt. Die Praktiken bei der MSZP zu Gyurcsanys Zeiten sind weit entfernt von den Praktiken einer gesund funktionierenden sozialdemokratischen Partei, Herr Pfeifer.

      • Nach 1956 setzte die kommunistische Diktatur, unter dem Deckmantel der verbreiteten Ohnmacht, im Einklang mit der marxistischen Doktrin und unter Einsatz der Mechanismen psychologischer Kreigsführung, ihr Streben nach Schaffung des „neuen“ Menschen fort.
        So ist es heute nicht verwunderlich, dass Männer und Frauen, getrennt von der Vergangenheit, fern von Gott und den christlichen Werten Seelenamputierte sind, die, entfernt von Werten, die ihre eigene Geschichte formten, unfähig sind, den Wert ihrer eigenen Traditionen zu erkennen. Dieser neue Mensch, ohne Moral und Überzeugungen, ist das Produkt intensivster Gehirnwäsche. Das Ergebnis ist ein Mensch, der sich selbst und seine Vergangenheit leugnet, der keinerlei Verantwortungsgefühl gegenüber dem Vaterland und dem Genmeinwohl empfindet! Er ist ein ich-bezogener, von seiner Umgebung getrennter, manipulierbarer Mensch.

      • Dieses Schaffen eines neuen Menschen ist wirklich interessant! Wenn man die Einleitung weglässt und vom zweiten Absatz aus weiterliest, könnte man meinen man sehe die westliche, die sogenannte privilegierte und fortgeschrittene Gesellschaft vor sich. Die Gehirnwäsche funktioniert hier auch. Beweis: Die Menschen, mit denen man tag-täglich zu tun hat.

  10. HV ich habe konsequent nur MSZP er wähnt. Die MSZMP ist nicht im Parlament vertreten.

    Frau Széchenyi, natürlich könnte es auch in anderen Parteien Spitzel geben, doch Fidesz hatte die abstruse Idee, man müsse das Archiv der ehemaligen Staatssicherheit auflösen. Warum wohl hat Fidesz dies vorgeschlagen? Dagegen haben Historiker aus dem In- und Ausland protestiert.

    Wer so antikommunistisch tut wie Fidesz, muss sich einen genauen Blick gefallen lassen, die lassen sich von Szürös,Pozsgay und Biró ehemalige kommunistische Funktionäre unterstützen. Die Trommel für Fidesz schlägt auch der Verschwörungstheoretiker und ehemalige kommunistische Funktionär László Bogár, der in der ersten Fidesz Regierung Staatssekretär war.

    Mit einer Demokratie unvereinbar ist es, wenn man Menschen, die anders denken, aus der Nation ausgrenzt, und leugnet, dass sie Ungarn sind. Das machen Fidesz Politiker mit Orbán an der Spitze seit Jahren.

    Mir sind die nationale Töne verdächtig, denn das Nationale wie das Moralische sind doch eigentlich selbstverständlich und es ist verdächtig, wenn man sich so oft als national gibt.
    Was berechtigt objektiv angesehen, zu einer derartig lieblosen Verurteilung eines großen Teil ihrer Nation, der zuzugehören sie doch angeblich so stolz sind? Ist nicht gerade diese lieblose Verurteilung am Ende ein Beweis dafür, dass sie in Wahrheit gar nicht nat ional sind?

    Bei alledem halten sich diese Nationalen sonderbarerweise noch für große Idealisten. Womit wollen die diesen Anspruch begründen?

    • Lieber Herr Pfeifer,
      „Was berechtigt objektiv angesehen, zu einer derartig lieblosen Verurteilung eines großen Teil ihrer Nation, der zuzugehören sie doch angeblich so stolz sind? Ist nicht gerade diese lieblose Verurteilung am Ende ein Beweis dafür, dass sie in Wahrheit gar nicht nat ional sind?“
      ups… ich darf also nicht ein perfektes Terrorregime verurteilen, das ein halbes Jahrhundert lang herrschte, in dem Jeder Jeden fürchten mußte.

  11. Liebe Frau Széchényi,
    ich verstehe Ihren Wunsch jedes Terrorregime, inklusive das kommunistische moralisch und historisch zu verurteilen, aber der Vorstoss der Fidesz-Politiker richtet sich bezeichnenderweise nur auf die eine Seite dieser ursprünglichen Agenda der Demokratie. Selbst das von vielen kritisierte Zétényi-Takács-Gesetzentwurf (1992) verband noch das Anliegen mit der finanziellen und moralischen Rehabilitierung der Opfer des Rákosi- und Kádár-Regimes. In der jetzigen Initiative wird dagegen ausdrücklich betont, das aus dem neuen Gesetzeswerk keine Wiedergutmachungansprüche entstehen könnten. Die Zahl der Funktionäre, deren Rente gekürzt werden sollten, erreicht kaum die 6000, was einen Betrag ergibt, womit niemandem geholfen werden kann. Nehmen wir an, das ebenso viele Opfer noch unter den Lebenden weilen, deren Rente vielleicht erhöht werden sollte. Das Ziel des Projekts kann also nur als politisches Manöver verstanden werden, eine Art ideologischer Ersatztätigkeit, und das zu einer Zeit, in der Ungarn – teilweise infolge der schlimmen, obwohl keineswegs kommunistischen Politik des MSZP, Sorgen von ganz anderer Grössenordnung hat. Der „Lex Biszku“ ist in meinen Augen zwanzig Jahre nach dem Beginn des Systemwechsels ein reiner Anachronismus. Ausserdem glaube ich nicht, dass die zweifellos lange Sündenliste unbedingt mit der Verfassung verknüpft werden muss.

    • Herr Dalos, erlauben Sie mir die Bemerkung, dass die heutigen Gegner eines „Lex Biszku“ sich schon unmittelbar nach der Wende vehement gegen eine Verfolgung der Täter eingesetzt hatten. Gyula Józsa wies in seinem Beitrag (u.a. Link) eindrucksvoll auf die Reaktionen aus MSZP und SZDSZ hin. Selbst Staatspräsident Göncz erhob seinerzeit das Wort gegen die von einem unabhängigen ungarichen Geicht ausgesprochene Verurteilung mehrerer Täter von 1956. Eine politische Einmischung, die heute reihenweise Auftritte ungarischer Oppositioneller im Ausland zur Folge hätte, damals aber ohne jedes Echo blieb…

      Karl Pfeifers Ansatz, man solle es den Gerichten überlassen, hört sich also sehr gut an und ist sozusagen „erste Wahl“, es gehört aber zur Wahrheit, dass Versuche in diese Richtung von der ungarischen Politik – insbesondere MSZP und SZDSZ – stets torpediert worden waren.

      Ein Auszug aus dem Beitrag Józsas:

      Bis Anfang 1995 sind im Zusammenhang mit 1956 nur drei Strafverfahren eingeleitet worden. Zwei davon, darunter der Fall von Mosonmagyaróvár, wo rund 100 Demonstranten massakriert wurden, sind eingestellt worden. Nur im Fall Salgótarján erhielten – in erster Instanz – zwei von zwölf Angeklagten geringfügige Gefängnisstrafen wegen Schießens auf unbewaffnete Demonstranten. Der den Freidemokraten nahestehende Staatspräsident A. Göncz äußerte öffentlich sein Bedauern und seine Bedenken wegen des Urteils. Auch andere Vertreter der Freidemokraten brachten ihr Bedauern zum Ausdruck und verwiesen auf das hohe Alter der Verurteilten. In Salgótarján – einer Hochburg der „sozialistischen Schwerindustrie“ in Nordostungarn – starben 1956 rund 100 Menschen im Kugelhagel der Arbeitermiliz und der Sicherheitsorgane.

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      Wie bewerten Sie das? War die Strategie erfolgreich, die Aufarbeitung und Aburteilung so lange zu verhindern, bis man sie mit dem Hinweis auf „Anachronismus“ vom Tisch wischen kann? Dieses Privileg hatten Nazitäter nie (zum Glück!). Die werden bis heute noch, notfalls im Rollstuhl und mit Beatmungsgerät, in deutsche Gerichte gekarrt, um begangenes Unrecht zu sühnen; und ich habe damit nicht das geringste Problem. Frau Széchenyi hat Recht, dass es jedenfalls (aber nicht nur) von links immer die „Schwamm drüber“-Mentalität gab – was auch der Historiker Krisztián Ungváry mehrfach belegt hat (z.B. am Beispiel von Tamás Bauer und seinen Aussagen über seinen Vater, dem AVH-Oberst Miklós „körmös“ Bauer). Diese Nachsicht der Linken galt freilich nur im Bezug auf kommunistische Verbrechen – das ist aber ein generelles Problem, das sich nicht nur auf Ungarn beschränkt.

      Antall sagte einst, wie man diese Zögerlichkeit hätte vermeiden können: „tettszettek volna forradalmat csinálni“.

      Die symbolische Wiedergutmachung gegenüber 1956-er Opfern durch materielle Zuwendungen auf Kosten der Täter ist m.E., wenn rechtsstaatlich möglich, durch und durch gerecht. Die geringe Zahl der Betroffenen ist kein Argument, es nicht zu tun.

  12. Liebe Frau Széchenyi Sie mißverstehen mich. Mit keinem Wort leugne ich Verbrechen, die in Ungarn unter Rákosi oder unter Kádár geschehen sind. Dafür sind Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte zuständig. Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden. Nur denke ich sollten, die bestraft werden, die Verbrechen begangen haben und Fidesz sollte nicht mit antikommunistischer Rhetorik von den eigenen Fehlern ablenken.
    Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel meine Denkweise erklären. Nach der Wende wollte mich der Journalist I.L. sprechen. Ich traf ihn im Gerbaud in Budapest, er erzählte mir, dass er beabsichtige eine Organisation „Opfer des Kommunismus“ zu gründen und bat mich ihn mit meinem Freund Simon Wiesenthal zusammenzubringen. Das hätte ich auch getan, wenn er nicht folgendes von sich gesagt hätte: „Én magyar úriember vagyok“.
    Ich war bevor ich Journalist wurde im Hotelfach tätig und als 28-jähriger bereits Empfangschef eines Wiener 5 Sterne Hotels. 1956 -57 übernachteten im Hotel sehr viele ungarische Aristrokraten und keiner von ihnen hat je soetwas gesagt. Denn entweder ist man ein úriember, dann benimmt man sich so und sagt es nicht, oder man ist es nicht und sagt es.
    Ungar zu sein ist wertneutral, doch wer ständig darüber redet, großsprecherisch den Mund aufreißt, seine eigene Beschränktheit als Charakterfestigkeit ausgibt, wer fremde Kulturgüter unbesehen herabsetzt, die selbsterwählten Ideale verrät, sein Volk , statt ihm zu helfen noch durch chaotische Politik in die Not treibt, dessen Sprüche über das „nationale“ kommen mir verdächtig vor.
    .

  13. Der Pester Lloyd drückt es treffend aus:

    „Es wäre dabei durchaus an der Zeit gewesen, Gelgenheit war ohnedies, die mehr oder wenig ungeordnet herumliegenden Stasiakten endlich per Gesetz einer systematischen Be- und Auswertung zu unterziehen und damit dem Wunsch nach Aufarbeitung Fakten beizuordnen. Dass dies bis heute nicht geschah, übrigens in Ungarn als fast dem einzigen postkommunistischen Land nicht, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass nicht nur die Abgeordneten und Funktionsträger der MSZP blamable Aufdeckungen fürchten müssten.“

    http://www.pesterlloyd.net/2011_47/47sozialistengesetz/47sozialistengesetz.html

    Wenn es wirklich um die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit gegangen wäre, hätten man sich mit ganz anderen, komplexen und langfristigen Projekten auseinandersetzen müssen.

    Dabei ist Schickers Analyse interessant, dass die Maßnahmen nicht allein ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver sind (wie die Opposition behauptet) , sondern auch dem Sendungsbewusstsein einiger FIDESZ-Politiker entspringt.

  14. Lieber HV, ich kenne Józsas Aufsatz und respektiere seine Argumente. Aber die Geschichte mit den Kommunisten ist doch komplizierter als diejenige mit den Nazis. Als die demokratische Opposition 1979 (ganz persönlich mein verstorbener Freund Csaba Könczöl) die Liste der in Salgótarján erschossenen Demonstranten zusammengestellt und als Samisdat veröffentlicht hatte, dachte ich auch, dass eine demokratische Macht Strafverfolgung der Verantwortlichen bzw. Rehabilitierung der Opfer erfolgreich juristisch miteinander verbinden kann. Die Art und Weise jedoch, in der das Systemwechsel zustande kam, basierte eher auf einem Deal zwischen den beiden Eliten. Antalls legendärer, obwohl unbelegter Satz: „Hätten die Herrschaften Revolution gemacht..“ bezog sich auf diejenige in seiner Partei (MDF), welche eine eindeutigere Abrechnung mit der KP-Elite forderten. Er ging davon aus, dass die Rundtischverhandlungen eher dem spanischen Modell (Moncloa) folgten. Nach 1994 konnten die ehemalige Kommunisten, die noch in Reichweite von der eigenen Ära waren wieder an die Regierung kommen, diesmal als Partei des Kapitals. (Und haben dabei die ehemaligen Dissidenten in das Regieren einbezogen – Ironie der Geschichte oder der Wahlmathematik? Ich gebe zu, dass dies keine ideale Lösung war. Aber andere Strategien der „Entkommunisierung“ scheiterten ebenfalls undzwar daran, dass die Demokratie in unseren Ländern nicht gesiegt, sondern aufgrund der Pleite des Regimes „ausgebrochen“ oder „eingeführt“ worden war, nach dem die politischen Eliten – wohlgemerkt, auch die konservativen – einen friedlichen Konsens mit den früheren Machthabern ausgehandelt hatten. Das ist heute Geschichte – ein gemeinsamer Produkt der jeweiligen Regierung und der Gesellschaft.
    Ausserdem gab es bei manchen Protagonisten auch gefühlsmässige Motive. Demokratie will edel sein – der zu langer Freiheitsstrafe verurteilte Göncz wollte sicher nicht als Rächer erscheinen und auch Lech Walesa besuchte Jaruzelski im Krankenhaus. Beide waren Opfer der Verfolgung und sind bekennende Christen. Sie sind einfach besser, als ihre Gegner waren. Und ich kann das ihnen nicht zum Vorwurf machen.

    • Danke Herr Dalos, für die präzise Darstellung, die den historischen Forschungsstand zusammenfasst. Manche Scharfmacher der Gegenwart tun so, als hätte man 1989 anders handeln können, als habe es damals einen „schmutzigen Deal“ gegeben. Ein Verzicht auf Vergeltung (so notwendig sich diese moralisch im Nachhinein für einige darstellt) war eine strukturelle Voraussetzung des demokratischen Wandels. Viele derjenigen, die sich heute empören, hätten niemals die Gefahren auf sich genommen, die eine Auflehnung gegen das System bedeuteten. Das bedeutet nicht, die Ernsthaftigkeit anderer zu bezweifeln, für die die Straflosigkeit kommunistischer Verbrechen wirklichen Schmerz bereitet.

      • Aus dem Nachlass meines Vaters (verstorben 2009):

        „Vom Nazi-Holocaust wurde und wird genug geschrieben und die Betroffenen geben sich die lobenswerte Mühe, diese grauenhafte vergangene Zeit immer wieder aufzufrischen, mit aller Kraft und Energie dafür zu sorgen, dass nichts vergessen werde und der geflohene Täter aus seinem Mauseloch herausgelockt, erwischt und verurteilt wird.

        Mit den Kommunisten dagegen, bzw. mit der kommunistischen Ideologie verfahren die Betroffenen nur langsam, lauwarm, gelangweilt, jegliche Verantwortung fliehend… Ein mir jedenfalls unverständlich feiges, ängstliches Benehmen.

        Eigenartig ist indessen, dass einer der gegen den Kommunismus offen auftritt, von Vielen als „Nazi“,“Rassenfeind“, sogar als „Antisemit“ angegriffen wird. Und das oft in einem Masse, dass der jenige, der immer noch durch den psychologischen Druck der Vergangenheit verschreckt ist, wie ein verprügelter Hund, jaulend davonläuft! Er fühlt sich schuldig, oder nicht ? er weiss, dass er das Unbeweisbare beweisen müsste: nämlich seine Unschuld. Somit können sich dann viele überzeugte Kommunisten in die Obhut einer Partei (meist die Sozialistische) flüchten, wo sie wohl aufgehoben sind und auf ein „Auferstehen“ lauern!

        Ich muss immer wieder die Israelis bewundern, wie stark sie zusammenhalten, wie selbstverständlich der Eine dem Anderen hilft und mit gemeinsamer Kraft eigentlich alles erreichen, und allmählich die ganze Welt beherrschen. Ich habe viele gute Freunde unter ihnen gehabt, aber leider gerade die sind am meisten verfolgt und viele von ihnen vertilgt worden. Irgendwie ist das alles anders bei den sogenannten „Ariern“, wobei ich mich manchmal fragen muss, welcher der beiden macht´s besser oder schlechter?

        Zweifelsohne wird immer noch zu wenig gegen den Kommunismus getan und man kann immer noch nicht einen Zusammenhalt gegen diese Ideologie wahrnehmen. Deshalb sollen wir nicht von der Heilung unserer Jugend träumen, uns nicht vormachen: „es geht von selber“. „

        Und weiter:

        „Unsere stolzen westlichen Grossmächte, die all diese Einzelheiten ignorieren, sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen, verekelt wegschauen, glauben, dass das alles mit der Zeit von selber wieder in Ordnung kommt. Sie tun dafür bis jetzt garnichts. Sie sind stolz den Kommunismus materiell, wirtschaftlich zu Grunde gerichtet zu haben, lassen aber das verarmte, verwahrloste vom Kommunismus ausgelaugte Volk in ihrem eigenen Dreck verrecken. Und das nennen sie noch Sozialismus, Einhaltung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und noch Vieles dazu!“

      • „Viele derjenigen, die sich heute empören, hätten niemals die Gefahren auf sich genommen, die eine Auflehnung gegen das System bedeuteten.“

        Das ist zweifellos korrekt, aber kein Grund, diesen Menschen, wenn sie Opfer waren, bis heute eine Ahndung der Täter zu verweigern. Man muss dazu keine rückwirkenden Gesetze erlassen,selbst 1956 und danach war es (formaljuristisch) strafbar, auf Unbewaffnete zu schießen und zu foltern.

        Der sanfte Übergang und der damals herbeigeführte Konsens sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ungarn bis 1989 eine Diktatur war, auch wenn die unsägliche Ostalgiebewegung bis heute versucht, dies durch die Betonung des (ach, so sympathischen) Gulaschkommunismus zu relatvieren. Bildlich gesprochen: Das Fleisch für dieses Gulasch war flachsig.

      • Acht Bankräuber halten in der Bank 20 Geiseln gefangen. Drei Geiseln haben sie bereits ermordet, mehrere geschlagen. Nach mehreren Tagen sehen sie ein, dass ihre Lage (aus mehreren Gründen) vollkommen aussichtslos ist. Man einigt sich mit ihnen, dass sie die Geiseln freilassen, aber nur wenn auf Vergeltung verzichtet wird und sie nicht bestraft werden. So kommt es.

        Im Nachhinein möchten die überlebenden Geiseln und auch die Verwandten der Opfer die Bankräuber bestrafen oder zumindest die drei Anführer der acht Bankräuber eine rechtsstaatlichen Strafverfahren unterziehen.

        Das wehrt man ab mit der Begründung:
        Ein Verzicht auf Vergeltung (so notwendig sich diese moralisch im Nachhinein für einige darstellt) war eine strukturelle Voraussetzung der Freilassung der Geiseln. Viele der Geiseln, die sich heute empören, hätten niemals die Gefahren auf sich genommen, die eine Auflehnung gegen die Bankräuber bedeutet hätte.

        Das nur so nebenbei. Das Gesetz von Fidesz befürworte ich nicht. Diesen Gedankengang aber auch nicht.

      • Vielleicht noch ein Nachtrag: Einzelnen Opfern – wenn auch nur rückblickend – den Rechtsschutz unter Berufung auf das Wohl der Gesellschaft (in concreto: „strukturelle Voraussetzungen des Wandels“) zu versagen oder diesen, wie in den 90ern geschehen, politisch zu behindern und zu diffamieren, finde ich falsch. Das ist wohl eine Berufskrankheit des von Einzelfallgerechtigkeit besessenen Juristen. Man käme nur zu schnell in eine argumentative Richtung, die mir nicht sonderlich gefällt, eine, in der das Individuum seine Entrechtung als Preis für einen Kompromiss zwischen privilegierten Gruppen (Runder Tisch) zu akzeptieren hat. Frei nach dem Motto: Sei froh, jetzt können Du und Deine Mitbürger reisen und wählen gehen, wenn Dir auch Entschädigung oder Sühne des Täters verwehrt wurde; Du musst halt das Opfer bringen. Bedenken wir, dass viele Menschen, die Repressalien ausgesetzt waren, ihre Verärgerung 1989/90 nicht publik machen konnten; diese Bedenken über den Kompromiss bzw. – noch besser – dessen Protagonisten – gab es immer, er wurde nur nicht in die Öffentlichkeit getragen. Wie viele Deutsche wissen denn, dass Ex-Premier Gyula Horn, der mit Karlspreis ausgestattete sympathische Kabelzwicker von der Zonengrenze, an der Niederschlagung des Volksaufstands teilgenommen hatte? Bestimmt weniger als die Zahl derer, die von der Nazi-Vergangenheit Kurt Waldheims (um einmal kein deutsches Beispiel zu nennen) lesen konnten. Das Interesse an ehemaligen Nazis scheint deutlich größer (gewesen) zu sein als an ehemals kommunistischen Schergen.

        Der Ansatz, Entrechtete müssten aus Gründen des (wie auch immer von der Elite definierten) gesamtgesellschaftlichen Wohls Täter ziehen oder Unrecht ungesühnt lassen, ist letztlich die Fortsetzung einer kollektivistischen Denke, die in der Geschichte nicht viel Gutes hervorgebracht hat. Oder anders gesprochen: Politik nach Gutsherrenart.

        Die Tiefausläufer des kollektiven und vor allem politisch geförderten Freispruchs sehen wir noch heute: Der Kádár-Freundeskreis huldigt seinem Namensgeber und spricht im Zusammenhang mit 1956 von faschistischer Konterrevolution. Der Schriftsteller György Moldova geht ins staatliche Fernsehen und behauptet, Kádár habe richtig gehandelt, als er Leute hängen ließ. István Eörsi äußert sich dahingehend, die Kommunisten hätten es leider nicht geschafft, „dieses Gesindel“, welches nach 40 Jahren wieder autaucht und aus ihrem „Blütentraum“ erwacht (gemeint war die Regierungspartei MDF), auszurotten. Tamás Bauer, der es zu einem Lehrstuhl an der Uni Frankfurt/Main gebracht hat, stellte sich als SZDSZ-Parlamentarier in die Öffentlichkeit und bezeichnete die ausreichend dokumentierte Geschichte seines Vaters, dem Stasi-Offizier Miklós Bauer, als Lüge (M. Bauer war wegen seiner brutalen Foltermethoden als „Fingernagelauszieh-Bauer“, ung. „Körmös Bauer“, bekannt). Wahre Intellektuelle. All das ist bis heute Teil des ungarischen Diskurses und wäre hierzulande (im Bezug auf die DDR-Verbrechen) undenkbar.

        Was ich damit sagen will: Es hat eine gesamtgesellschaftliche Distanzierung vom Kommunismus nie gegeben, weil die Eliten daran nicht interessiert waren. Es herrscht Totschweigen als Konsens (so schrieb es sinngemäß Krisztián Ungváry in einem der besten Aufsätze über Ungarn, die ich je las, „Belastete Orte der Erinnerung„). Die Folgen sind bis zum kleinsten Apparatschik und Mitläufer sichtbar: Die haben nicht einen Funken schlechtes Gewissen, selbst wenn sie auch noch von Zusatzrenten profitieren. Besonders unverständlich finde ich diese über Gebühr um Ausgleich bemühte Sichtweise bei den Dissidenten, die sich vor 1989 für den Wandel stark machten und dafür sogar handfeste Repressionen zu spüren bekamen. Sie sind wohl – das ist freilich nur meine bescheidene Meinung – dem Glauben erlegen, im Wege einer Koalition mit der MSZP ab 1994 das wahre Übel, den aufkommenden und natürlich durch MDF verkörperten „Faschismus und Revisionismus“ (dieses Gerede begann unter Antall und war Teil des sog. „Medienkrieges“) bekämpfen zu müssen. Antifaschismus als kleinster gemeinsamer Nenner, die Prägung von 40 Jahren Kommunismus verfehlte ihre Wirkung also nicht. Bis heute hört man, wenn man den Kommunismus ins Spiel bringt, die Aussage, dieser sei vorbei und stelle doch nun wirklich keine Gefahr mehr dar. Dass es den Sozialisten gelungen ist, die SZDSZ-Kreise von ihren noblen Motiven zu überzeugen, war rückblickend eine echte politische Meisterleistung.

        Ich zweifle aber, dass man die Distanzierung vom Kommunismus „verordnen“ kann, wie Fidesz es gerade versucht.

      • Dieses Thema ist ein Minenfeld, in dem sofort die normative und die empirische Ebene durcheinandergebracht wird. Gedankenexperimente führen hier nicht weiter, es geht um historische Tatsachen und Erklärungen. Es gibt hier, und das bitte ich zu beachten, zwei Ebenen.

        Auf der einen Seite die *Erklärung* dafür, warum eine Grundvoraussetzung des Regimewandels – ähnlich wie in Spanien oder Südafrika – der Verzicht auf die strafrechtliche Verfolgung notwendig machte. Man kann also den oppositionellen Akteuren am Runden Tisch nicht vorwerfen, sie hätten nicht die Bestrafung kommunistischen Unrechts stärker betreiben müssen, da sie genau mit denjenigen verhandelten (nicht den Unterhändlern selbst, aber mit der Partei, für die sie standen), die davon betroffen waren, weiterhin die *Erklärung* dafür, warum viele Oppositionelle der ersten Stunde im Interesse des gesellschaftlichen Friedens auf die Verfolgung zu verzichten. Das dies pfadabhängige Entwicklungen nach sich zog, ist leicht erklärbar.

        Auf der anderen Seite steht der Wunsch vieler, die Verbrechen im Nachhinein doch noch zu bestrafen. Das ist – wie ich schrieb – ein legitimer Wunsch, der nicht im Allgemeinwohlinteresse zurückstehen muss (wer wollte darüber entscheiden?), sondern sich in demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich durchgeführte Verfahren übersetzen muss, die individuelle Schuld nachweisen müssen. Dies ist die rechtspolitisch-normative Seite. Mein Punkt bezog sich darauf: diejenigen Schreier, die im Namen der Opfer des Kommunismus die Vernichtung der politischen Opposition fordern, haben weder die Geschichte noch die Moral auf ihrer Seite.

        Zu HVs soziologische Diagnose, es habe „eine gesamtgesellschaftliche Distanzierung vom Kommunismus nie gegeben“ ist angesichts der Beispiele plausibel. Daran müsste man arbeiten, z.B. durch eine Aufarbeitung der Stasi-Akten, historische Kommissionen, etc. Das würde den künftigen Generationen wesentlich mehr bringen als der – emotional verständliche, aber angesichts der wenigen überlebenden Täter weitgehend leerlaufende – Wunsch nach Bestrafung.

  15. Liebe Frau Széchenyi,
    also in zwei Punkten muss ich das ergänzen. Israel ist ein Land, das 2001 einen beispiellosen Terrorangriff erlebte, in kurzer Zeit gab es mehr als 1000 Zivilisten die Opfer des Terrors wurden. Damals gab es auch die Solidarität dort, die Ihr Vater bemerkt hat. Doch davon kann jetzt keine Rede mehr sein, wie uns das Fernsehen diesen Sommer die Zelte auf dem Rothschild Boulevard und die Massendemonstrationen zeigte.
    Und ich habe so meine Zweifel, ob die Tatsache, dass ein von Horthy am 23. März 1944 ernannter Ministerpräsident Döme Sztojay, die Mitglieder der Regierung, die nach der deutschen Besatzung am Platz blieben, die ungarische Administration, die sich beeilte, ungarische Staatsbürger zu konzentrieren, zu berauben und die königl. ungarische Gendarmerie und Polizei, die diese ungarischen Staatsbürger, darunter Kinder, Frauen und Greise zu 80 in Viehwaggons trieb um die meisten in den sicheren Tod nach Auschwitz-Birkenau zu senden, den meisten Ungarn bekannt ist, ob das so ins Bewußsein gelangt ist. Wer in Ungarn – ausser Historikern – weiß, dass Horthy am 23. Juni Döme Sztojay zum „vitéz“ ernannte? Man spricht immer nur von der Rettung derjenigen ungarischen Bürger, die in Budapest im Juli 1944 zur Deportation vorgesehen waren.
    Wenn wir die jüngste Bemerkung des Abg. T. Gaudi-Nagy im ungarischen Parlament über den Holocaust uns ansehen, die nicht gerügt wurde, dann darf man so seine Zweifel haben. Und da könnte ich noch eine lange Liste von Politikersprüchen über dieses Thema anfügen,.
    Die Westmächte wollten1956 keinen Krieg führen. Das Abkommen von Helsinki (1975) hat einen Prozeß in Osteuropa (zuallererst in Polen, dann in Ungarn) ausgelöst, der am Ende zur Implosion, die bis auf Rumänien blutlos war, geführt.
    Nicht zu vergessen, dass MDF 1990 die Wahlen als „ruhige Kraft“ gewonnen hat. Ich kann mich noch lebhaft an einige MDF Politiker erinnern, die im Sommer 1989 über Viktor Orbáns Rede beim Begräbnis von Imre Nagy empört waren, weil er über ein tabuisiertes Thema – Abzug der Roten Armee – sprach.
    Diejenigen, die Verbrechen begangen haben, gehören von der Polizei einvernommen, von Staatsanwälten angeklagt, von Verteidigern vertreten, vor ein ordentliches Gericht. Dazu aber liebe Frau Széchenyi sind keine Kampagnen, keine Sondergesetze notwendig.

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