Dem ungarischen Parlament steht eine Änderung seiner Geschäftsordnung bevor: Ein kürzlich eingebrachter Gesetzentwurf sieht vor, dass die Funktionsweise des Hohen Hauses „effektiver“ gestaltet werden soll. Zu diesem Zweck soll ein Großteil der inhaltlichen Vorbereitungen in die Ausschüsse verwiesen werden. Die Zeit für die Plenardebatte wird verkürzt, die Möglichkeiten, störendes oder unwürdiges Verhalten zu sanktionieren, erweitert.
Der Entwurf ist hier abrufbar.
Endet der ungarische Parlamentarismus oder handelt es sich um eine Maßnahme mit dem Ziel, die – vor allem von rechtsaußen kommenden – Provokationen im Plenarsaal einzschränken?
Boris Kálnoky (Die Welt) und Keno Verseck (Spiegel) vertreten unterschiedliche Sichtweisen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-orban-will-parlament-entmachten-a-938152.html
Mich wundert, dass Herr Kálnoky nur die Jobbik-Aktionen erwähnt. Ich denke auch an LMP und Együtt; die waren öfter durch einfallsreiche, medienwirksame Aktionen im Parlament aufgefallen. Dem würde mit dem neuen „Würde-Paragrafen“ vermutlich ebenfalls ein Riegel vorgeschoben. Gegen stärkere Ausschussarbeit wäre vielleicht gar nicht so viel einzuwenden; das Plenum dient sowieso in erster Linie der Außendarstellung und weniger der inhaltlichen Auseinandersetzung. Vielleicht werden die Debatten sogar rationaler, wenn sie außerhalb des Rampenlichts stattfinden. Um die heutige Infos besser einordnen zu können, fände ich einen Vergleich mit der Geschäftsordnung des Bundestags hilfreich. Aber das werden die Journalisten vermutlich als zu aufwendig scheuen.
Vor einigen Tagen habe ich im Kossuth Rádió ein Streitgespräch zwischen Politiker der oppositionellen MSZP und der Regierungspartei Fidesz über das Thema gehört. Die Gegensätze zwischen den beiden Politikern waren gar nicht so groß, in mehreren Punkten gab es sogar Übereinstimmung, z. b. darin, dass es sinnvoll ist, ein Großteil der Gesetzgebungsarbeit in die Ausschüsse zu verlagern. Die Möglichkeit der öffentlichkeitswirksamen Debatten im Plenum bleibt ja bestehen. Aufgrund dieser Rundfunkdebatte hatte ich das Gefühl, dass MSZP am meisten schmerzt, dass die Partei in die Vorbereitung zur Änderung der Geschäftsordnung zu wenig eingebunden ist. Von einem Einschnitt in die Demokratie, von einer De-facto-Entmachtung des Parlamentes, oder sogar von Einführung des Dekretregierens (Stichworte aus dem Spiegel-Artikel) war im Streitgespräch keine Spur.
Im ATV gab es ein Streitgespräch zwischen dem Fidesz-Politiker Gergely Gujás und András Schiffer (LMP). Von 11:10 bis 17:00 ging hier auch um die Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments.
http://www.atv.hu/videok/video-20131216-akadalyok-a-nav-bizottsag-elott
Zwischen der Wirklichkeit in Ungarn und zwischen dem Eindruck, den der Artikel von Keno Verseck erweckt, klaffen Welten.
Mit seinen oft peinlich ungenauen Artikeln passt Keno Verseck
sehr gut in die Reihe der im folgenden Artikel erwähnten Ungarn-Kritiker,
die von Tuten und Blasen keine Ahnung zu haben scheinen:
http://hetivalasz.hu/vilag/jon-a-valasztas-magyarorszagon-jon-a-naci-kartya-kulfoldon-71451/
Keno Versecks sehr guten Artikel zur (letztlich gescheiterten) Nominierung von Lucian Bolcas als Verfassungsrichter in Rumänien bitte auch beachten, zudem ist er ein echter Freund der Szekler und erhielt den Habsburg-Preis für seine Berichterstattung über die ungarische Minderheit in Rumänien. Ich bin meistens nicht einverstanden mit seinen Ungarn-Berichten, aber Andersdenkende überzeugt man am besten, indem man sie umarmt. Auf jeden Fall aufmerksam lesen.
Da stimme ich Ihnen zu: aufmerksam lesen ist immer gut, Herr Kálnoky.
Manchmal ist auch aufmerksam hinhören wichtig.
Immer wieder muss ich in diesem Zusammenhang auf Versecks Behauptung des angeblichen „Nazi-Vergleichs“ Orbáns hinweisen (http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-premier-orban-wirft-merkel-nazi-methoden-vor-a-900756.html).
Es wird mir immer schleierhaft bleiben, wie man eine Radiosendung derart missverstehen kann.
Deshalb gehe ich eher davon aus, dass Herr Verseck schon genau weiß, wie die Dinge zu verstehen sind, sie aber nach seinem Geschmack umdeutet.
Diese Freiheit hat er als Journalist. Und natürlich kann man unwissenden Lesern unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit unterjubeln was man will.
Aber die Meinungsfreiheit eines Journalisten muss, denke ich, mit einem ausgeprägten Verantwortungsgefühl gepaart sein, sonst kann sie große Schäden anrichten.
MfG
P. Rieckmann
Was ich über jenes spezielle Stück von Verseck denke, habe ich ja seinerzeit geschrieben. Dennoch, das Positive loben, statt den ganzen Mann verteufeln. Das Negative, faktisch Falsche konstruktiv nachweisen.