28 Kommentare zu “DRadio: Interview mit Marco Schicker vom Pester Lloyd

  1. „Miklós Horthy war von 1920 bis 1944 sogenannter Reichsverweser von Ungarn, das Staatsoberhaupt. Ab 1938 wurde er zum Verbündeten Hitlers, trat 1940 den Achsenmächten bei und unterstützte als opportunistischer Antisemit deutsche Nationalsozialisten bei der Verfolgung der Juden.“

    DRadio tut das, was man den Horthy-Bewunderern zu Recht ebenfalls vorwirft: Einseitige Betrachtung. Es wird kein Wort zur Rolle Horthys bezüglich der Budapester Juden verloren, die von den Deportationen bis Oktober 1944 verschont blieben. Nazideutschland war insoweit mit der Rolle Horthys, der definitiv sein Leben lang bekennender Antisemit war, völlig unzufrieden. Horthy soll gegenüber Ribbentrop gesagt haben, er sei Antisemit, aber er könne die Juden doch nicht alle totschlagen.

    Ein opportunistischer Unterstützer der Judenverfolgung. Ganz so einfach ist es wohl nicht. Horthy hat einerseits nichts dagegen getan, von März 1944 bis Oktober 1944 die Deportationen vom Land zu stoppen. Es ist aber auch Horthy mitzuverdanken, dass die Budapester Juden in dieser Zeit nicht deportiert wurden. Man kann die Zeit von März bis Oktober 1944 gewiss nicht allein den Deutschen in die Schuhe schieben, die ungarische Administration beteiligte sich aktiv an den Deportationen vom Land.

    Dass Horthy die Nationalsozialisten bei der Verfolgung „unterstützte“, ist aber diskutabel. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Ungarn stand ab März 1944 unter deutscher Besatzung. Und er hat jedenfalls nichts dagegen unternommen, aber man kann sich fragen, welche Möglichkeiten er nach der Besetzung Ungarns hatte. Als er im Herbst 1944 Verhandlungen mit den Alliierten aufnehmen wollte, wurde – auch das ist eine historische Tatsache – Horthys Sohn entführt und der Reichsverweser gezwungen, die Macht an Szálasi zu übergeben. Den er übrigens zutiefst verabscheute (so Krisztián Ungváry).

    Horthy wird dadurch gewiss nicht zum Helden (er ist und bleibt ein Verbrecher), Geschichte ist aber wie immer etwas komplexer. Und wer sich zu Recht darüber beschwert, dass jetzt Reiterstandbilder etc. errichtet werden, der sollte es besser machen als die Horthy-Verehrer. Er sollte versuchen, die „ganze Story“ zu sehen. Weder Schicker noch Scholl gelingt das. Beide befinden sich in der Tradition des sozialistischen Geschichtsbildes vom „Horthy-Faschismus“.

    Ich bin jedoch beruhigt, dass Marco Schicker keine Faschismusgefahr in Ungarn sieht. Denn viele Ungarn seien dafür ja „zu europäisch“ und „zu normal“. Wir können also beruhigt sein, denn der in Wien lebende Deutsche Marco Schicker ist dazu berufen, der Welt zu erläutern, wer in Ungarn „europäisch und normal“ ist. Ein väterlicher Schulterklopfer, auf den „viele Ungarn“ gewiss sehr großen Wert legen.

  2. Das Problem ist dabei HV, wer am 7. Juli die Deportation aus Budapest hat stoppen können, der hätte das auch im Frühjahr können. Hat es aber nicht getan.

    Wenigstens während des letzten Jahrzehnts des Kádárregimes wenn nicht schon früher haben die ungarischen Historiker nicht mehr vom „Horthy-Faschismus“ gesprochen oder geschrieben. Daher sollte man nicht undifferenziert etwas in die Schuhe der Sozialisten schieben, was sie während der „nyolc év“, der verflixten acht Jahre, die nun an allen von Orbán herbeigeführten Katastrophen schuld sein sollen, nicht getan haben. Kann mich nicht erinnern, dass F.Gyurcsány so etwas gesagt hätte, von Hiller gar nicht zu reden.

    Und ich sehe nicht ein warum ein in Wien lebender Deutscher nicht erklären kann was europäisch ist. V.O. erklärt uns auch, was seiner Meinung nach europäisch ist, während er sich immer mehr isoliert. (Wolfgang Schüssel, Reinhard Olt und die FPÖ, die eine Solidaritätsaktion für Orbán startet, stehen natürlich auf seiner Seite)

  3. Dass Horthy ein glasklarer Antisemit war, liegt auf der Hand: Das Numerus-Clausus-Gesetz von 1920, die Judengesetze ab 1938, die Massenabschiebung und das anschließende Massaker von Kamenez-Podolsk 1941, das Massaker von Novi Sad 1942 und die massenhafte Verpflichtung männlicher Juden zur Zwangsarbeit an der Front sprechen Bände über die Zustände in seinem „Reich“ vor der Besetzung durch Hitlers Truppen. Sein Antisemitismus war wohl kein blind eliminatorischer: Die Vernichtung der ungarischen Juden war nicht sein eigentliches Ziel. Aber Horthy hatte sich nun einmal im Interesse einer Revision des Trianonvertrag an Hitler gebunden und nahm dafür Vieles mindestens billigend in Kauf.

    Gerlach und Aly beschreiben in Ihrem sehr lesenswerten Buch „Das letzte Kapitel“ den Mord an den ungarischen Juden 1944-1945 als einen interaktiven Prozess, bei dem deutsche und ungarische Interessen zu einem furchtbaren Ausgleich gebracht wurden. Mit der reibungslosen Deportation von 437.000 Menschen innerhalb weniger Wochen hätten Eichmann und Konsorten vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in anderen Ländern überhaupt nicht rechnen können. Dafür bedurfte es schon der willigen Kollaboration der ungarischen Behörden, was ohne jahrelange Vorbereitung der nicht-jüdischen Bevölkerung durch immer neue anti-jüdische Maßnahmen so nicht möglich gewesen wäre.

    Die beiden Autoren legen überzeugend dar, wie die Politik der Verfolgung der Juden schrittweise von der Peripherie ins Zentrum Ungarns vordrang: „Die ungarische Führung traf zeitlich und inhaltlich abgestufte Teilentscheidungen für verschiedene Gruppen: für jüdische Einwanderer und Juden in den annektierten Gebieten, für Juden in der Provinz von Trianon-Ungarn, für die assimilierte Budapester jüdische Gemeinde, für Juden im Zwangsarbeitseinsatz der Armee, für mit Nichtjuden verheiratete Juden, für zum Christentum konvertierte ,Juden‘ und für so genannte Ausnahmejuden.“

    Dass die Budapester Juden zum Großteil verschont wurden, ist demnach nicht Horthys Großmut zu verdanken, sondern nur logische Folge dieser Taktik der Ausgrenzung und Verfolgung von außen nach innen sowie des Kriegsverlaufs. Als der Reichsverweser schließlich doch den Stopp der Deportationen verfügte, tat er dies nicht aus plötzlicher Humanität, sondern zur Vorbereitung geplanter Verhandlungen mit den Alliierten, weil er glaubte, dass der Krieg sich nun endgültig gegen Hitler gewendet habe. Der Mann konnte seine Hände nicht in Unschuld waschen. Soviel steht fest. Er war ein eiskalter Opportunist.

    Ich kenne mehrere ungarische Holocaust-Überlebende persönlich. Sie alle betonen: „Es waren Ungarn, die uns in die Waggons trieben.“ Und sie schmerzt zutiefst, dass diese Kollaboration mit den Nazis ihrer Ansicht nach nicht genügend aufgearbeitet werde, sondern in der Bevölkerung noch immer die Einstellung vorherrsche, der Holocaust sei allein eine Sache der Deutschen. Ich schäme mich jedes Mal, wenn ungarische Überlebende betonen, wie gut die Vergangenheitsbewältigung hingegen in Deutschland funktioniere. Das sind für mich Dinge, für die ich lieber kein Lob hören möchte. Aufarbeitung sollte selbstverständliche Pflicht sein.

  4. “Miklós Horthy war von 1920 bis 1944 sogenannter Reichsverweser von Ungarn, das Staatsoberhaupt. Ab 1938 wurde er zum Verbündeten Hitlers, trat 1940 den Achsenmächten bei und unterstützte als opportunistischer Antisemit deutsche Nationalsozialisten bei der Verfolgung der Juden.”

    Horthy geht aus der zusammenbrechenden Monarchie mit der Funktion eines Reichsverwesers der Ungarischen KRONE hervor und als solcher erfüllt er die Funktionen eines Staatsoberhauptes.
    Nichts konnte dem Griff Hitlers nach Mitteleuropa entgegengesetzt werden und
    Horthys Versuche, Ungarn aus dem Krieg herauszuhalten, scheiterten
    Horthy war eitel, unfähig zu Selbstreflexion und kritischer Analyse seiner selbst, antisemitisch eingestellt – das gab er auch offen zu. Aber an Verbrechen war er indirekt oder gar nicht persönlich beteiligt.
    Und wenn Horthy wirklich ein Verbrecher war, warum saß er dann in Nürnberg auf der Zeugen- und nicht auf der Anklagebank??? Warum wurde er nicht aus dem Exil in Portugal „entführt“ ?

  5. „Aufarbeitung sollte selbstverständliche Pflicht sein.“

    „There is much talk today in Germany about the Aufarbeitung (literally, the „working over“) of its recent history – a very German word that is usually translated as „coming to terms with the past“ (on whose terms?) but that also evokes Freudian connotations of working out the personal impact and significance of events hitherto repressed, and that, in a more mundane and domestic meaning, also can be used to describe the remodeling of an old garment („ein Kleidungsstück aufarbeiten“) to make it look as good as new.“

    (Inga Markovits)

    • Ja, Aufarbeitung sollte selbstverständliche Pflicht sein…klingt toll, aus der heutigen Perspektive. Aber wie stand es damit denn bis in die 70er, 80er Jahre in Deutschland? Wie war denn die Hitler-Zeit in der Schule behandelt worden? Wie offen war der Umgang mit der eigenen Verantwortung an Weltkrieg und Holocaust?

      Warum maßen wir uns an, von Ungarn etwas zu erwarten, das Deutschland selbst in 30 + x Jahren nicht geschafft hatte? Nette Filmchen gibt es von 1945 und danach. Menschen in Deutschland, die, kaum dass die Wehrufe der Ermordeten in den KZs verklungen waren, davon sprachen, man müsse „damit abschließen“. Ja, so war die „Erinnerungskultur“ in Deutschland.

      • Ich erinnere, dass die Aufarbeitung im Deutschland der 60er Jahre im vollen Gange war. Die Kinder kamen nach dem Geschichtsunterricht nach Hause und fragten ihre Eltern:“was habt Ihr eigentlich im Krieg gemacht?“ Die Antwort mag oft gewesen sein: „damit müsse man abschliessen“, aber genau diese Anwort bestätigte die Kinder darin, dass es nicht gut war.

        Als sich herausstellte, dass viele Täter wieder in Amt und ‚Würden‘ sind, eskalierte die Situation 1968, und beruhigte sich erst in den 70ern, mit der Versöhnungspolitik von Willy Brandt. Mit unüberlegten Sprüchen, wie die „Gnade der späten Geburt“ wurde es dann in den 80ern nochmals Aufgearbeitet. Dies sind die Gründe, warum Rechtsextreme in Deutschland der Verbrecherszene zugeordnet werden.

      • Sie haben einen wichtigen Punkt gemacht, HV. Im Kommunismus gab es keine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Das wirkt noch immer nach. In der DDR zum Beispiel standen Verfolgung und Widerstand von Kommunisten im Vordergrund der staatlichen Erinnerungspolitik. Auschwitz war dabei nicht so wichtig. Ich möchte behaupten, die rechtsradikale Gewalt in Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre, als es spektakuläre Übergriffe gegen Asylbewerber gab, hängt auch damit zusammen, dass die Aufarbeitung in der DDR einseitig und von oben verordnet war.

        In der Volksrepublik Ungarn mag es ähnlich gewesen sein. Würde mich interessieren, hierzu die Erfahrungen von Herrn Herche zu hören. Von ungarischen Überlebenden weiß ich, dass viele erst durch das Interesse an der Aufarbeitung in (West-)Deutschland dazu kamen, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen. In den 80ern, als der Eiserne Vorhang durchlässig wurde, wurden die ersten persönlichen Kontakte geknüpft. Einladungen folgten bald und offenbar sehr viel Wertschätzung. So kommt es, dass viele ungarische Überlebende heute ein überraschend positives Deutschlandbild haben.

        Sehr engagiert ist z.B. Éva Fahidi. Ihr beeindruckendes Buch kann ich jedem sehr zur Lektüre empfehlen: http://www.lukasverlag.com/neuerscheinungen/titel/292-Die_Seele_der_Dinge.html. Sie hat ihre Erinnerungen zuerst in deutscher Sprache niedergeschrieben und dann eine erweiterte ungarische Fassung fertiggestellt, die letztes Jahr wieder zurück ins Deutsche übersetzt wurde. Das ist schon eine echte Versöhnungsgeschichte.

      • Sorry, das ist die Endlösung meiner Aufarbeitung. Wenn Sie den ersten Text doch bitten mit diesem ersetzen würden. Danke

        Das Markovits-Zitat bezieht sich auf die DDR-Unrechtsaufarbeitung. Ich habe es hier zweckentfremdet für HV geheiligt.

        Die SED-Diktatur Aufarbeitung geht wie geschmiert im Auftrag von denen hier:
        ( http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/PolitikGesellschaft/DeutscheEinheit/HistAufarbeitung/HistAufarbeitung_node.html )

        Rein strukturell betrachtet hatte die DDR auch den unverstellten Blick auf die Vergangenheit (der BRD). . Der wurde von oben gesponsert und unten dankend angenommen.

        Mein Paradebeispiel ist der hier: Sohn des KPD-Politleiters Peter Lamberz. Von 1939 bis 1943 Mitglied des Deutschen Jungvolks und bis 1945 der HJ. Von 1941 bis 1944 war Lamberz Zögling der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen.

        http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Lamberz

        Den wollte nicht mal der liebe Gott im Himmel haben. Er ließ ihn in die Wüste fallen.

        Lamberz konnte gut mit dem Antichrist. Stolpes EKD trug 1975 viel zum Gelingen der Feiern anläßlich des 30. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerfaschismus bei. Er reparierte die alte Kameradschaft zwischen den Altnazis in der SED und den Deutschen Christen (DC) in den Pfarrkonventen. Nazis halten eben was aus: Feierliche Aufzüge, Propagandamärsche und Paraden zu Ehren der Roten Armee! Wenn das keine Aufarbeitung der NS-Zeit war!
        (Nur den Onkel vom Gauck, den Generalsuppenintendenten von Berlin mussten sie zu den Nazis im Westen in Rente schicken. Die anderen haben mitgemacht.)

        Wenn Ungarnfreund noch mehr wissen will – obwohl ich ihn doch für viel gescheiter und neunmal klüger als andere halte und mir nicht vorstellen kann, dass er Büchertipps von mir annimmt (Ironie ist Stil und keine Verbalinjurie und Sarkasmus ist eine erlaubte Waffe), empfielt sich für ihn als Lektüre das Büchlein „Nachkriegskinder“, „Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter“ von Sabine Bode, erschienen 2011 bei Klett-Cotta. Im Kapitel sechs gibt es Beispiele für die DDR-Aufarbeitungsvariante und ein Interview mit Pfarrer Wolfram Hülsemann über seinen Kriegsvater und den Umgang der DDR mit der NS-Zeit.

        >>Wer waren eigentlich die Juden“<>Das weiß ich nicht>>

      • Danke, Herr Herche. Davon, wie „Aufarbeitung“ in der DDR funktionierte, habe ich eine Vorstellung. Können Sie auch was zur Volksrepublik Ungarn sagen? Haben Sie da was beobachtet?

  6. Frau Széchenyi ich möchte Sie respektvoll auf folgende Fakten aufmerksam machen.
    Horthy ernannte sich selbst zum Reichsverweser und konnte nur sich stützend auf rumänische Bayonette und der Unterstützung der Alliierten zur Macht kommen.
    Ohne jegliche Not hat Horthy bereits am Anfang seiner Herrschaft die Rückkehr des ungarischen Königs mit Waffengewalt verhindert
    Das von Pál Teleki erdachte Juden diskriminierende Numerus clausus Gesetz
    wurde von Horthy genehmigt.
    Horthy hat ohne Not zugestimmt, den kürzlich geschlossenen Pakt mit Jugoslawien zu brechen und der Katholik Teleki hat deswegen auch Selbstmord begangen.
    Horthy hat ohne Not und ohne Anlass (die meisten Historiker sind einig, dass der Luftangriff auf Kosice (Kassa) von deutschen Flugzeugen durchgeführt wurde) und ohne territoriale Forderungen der Sowjetunion den Krieg erklären lassen
    Horthy hat nach der deutschen Besatzung den Berliner Botschafter Döme Sztojay zum Ministerpräsidenten ernannt und genehmigt, dass die ungarische Administration, die ungarischen „Ordnungskräfte“ Überstunden machend mit Begeisterung Hunderttausende Bürger zu je 80 Personen in Viehwaggons pferchen lassen damit sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert werden. Erst als die Alliierten, die Neutralen und der Vatikan protestierte hat er in Budapest diese Deportation eingestellt.
    Es dreht sich buchstäblich der Magen um, wenn ein Herr Kósa – entweder als Ignorant oder als Geschichtsfälscher behauptet, diese Deportation hätten die Pfeilkreuzler, die erst am 15. Oktober 1944 mit einem Putsch zur Macht kamen durchgeführt. Und es dreht sich auch der Magen um wenn ein Herr Rétvári erklärt, dass es doch ohne Horthy noch viel mehr Opfer gegeben hätte.

    • Die meisten Historiker sind sich einig, dass der Luftangriff auf Kaschau von deutschen Flugzeugen verübt wurde????? Das wäre mir neu. Wer sind denn diese „meisten“ Historiker.
      Am Ende spielt es zwar keine Rolle, weil der Angriff ohnehin nur Vorwand gewesen sein dürfte.

      Wann hat Herr Kósa die von Ihnen sinngemäß wiedergegebene Aussage getätigt?

    • Zu Horthy habe ich meine Meinung in meinem Buch geschrieben; ich teile Frau Szechenyis Charakterisierung des Mannes, und teilweise die Vorwürfe bzgl seiner Verantwortung vor der Geschichte in Sachen Holocaust. Es wære besser gewesen, Ungarn waere in jenen schicksalhaften Jahren ab 1939 von charakterfesten Monarchisten (Legitimisten) geführt worden.

      Zum Horthy-Kult: Es erinnert ein wenig an die Antonescu-Rennaissance in Rumaenien, die freilich keinen westlichen Haenderinger hinterm Ofen hervorlockt.

      Aber zum Luftangriff auf Kassa muss man die Dinge wohl etwas sorgfaeltiger betrachten. Es stimmt wohl, dass die meisten Historiker von einem deutschen Angriff ausgehen – das muss aber nicht heissen, dass es stimmt. Die ungarischen Historiker konnten bis zur Wende kaum die schon von Rakosi vorgegebene offizielle Linie verlassen (deutsche Provokation) und die westlichen hatten keinen Zugang zu den Quellen. Fest steht: Der Kronzeuge Adam Krudy hat falsch ausgesagt, und sein Ziel war offenbar, Ungarns Kriegseintritt mit einer gezielten Falschmeldung über „deutsche Flugzeuge“ rückgaengig zu machen. Das Raetsel ist damit nicht gelöst – aber es gibt keinen Beweis für die These eines deutschen Angriffs. Lesenswert hier:

      Klicke, um auf HSR_1983_1_079-097.pdf zuzugreifen

    • Herr Pfeifer,
      mir dreht sich auch der Magen um, wenn Behauptungen als Fakt hingestellt werden!
      „Horthy ernannte sich selbst zum Reichsverweser und …“
      Horthy wurde vom Parlament gewählt – von 141 Stimmen gingen 131 an ihn.

      • Was die Verhinderung der Rückkehr des ungarischen Königs angeht, ist die Schilderung Karl Pfeifers auch nicht ganz exakt, wie mir scheint:

        Hier ein Ausschnitt: http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsverweser

        „1921 unternahm König Karl IV., der am 13. November 1918 nicht abgedankt, sondern nur auf seinen Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet hatte, von der Schweiz aus zwei Restaurationsversuche. Sein Rückhalt im Land war zu gering, einen Erfolg zu ermöglichen. Die Nachbarländer, zu denen altungarisches Gebiet gehörte, drohten mit dem Einmarsch. Der Reichsverweser weigerte sich daher, dem König die Macht zu übergeben. Am 6. November 1921 beschloss das ungarische Parlament die Dethronisation des Hauses Habsburg. Von nun an war Ungarn de facto und de jure ein Königreich ohne König. (In Ungarn kursierte damals der Scherz, ein Admiral ohne Flotte regiere ein Land ohne Küste als Königreich ohne König).“

        Und mehr dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_I._%28%C3%96sterreich-Ungarn%29#Exil_.281918.E2.80.931922.29

        „Im Schweizer Exil wohnte Karl zunächst auf Schloss Wartegg bei Rorschach am Bodensee und ab 20. Mai 1919 in Prangins am Genfer See.

        Karl hielt eifrig Kontakt zu legitimistischen Kreisen, vor allem in Ungarn, wo schon 1919 nach einem kurzen republikanischen Intermezzo die Monarchie wiederhergestellt und am 1. März 1920 der vermeintlich habsburgtreue Miklós Horthy zum Reichsverweser gewählt worden war. Zwar hatte Karl diesem versprochen, ihn über seine Pläne zu informieren und erst nach einer Beruhigung der politischen Lage zurückzukehren; dennoch vertraute er eher dem Urteil seiner Berater, insbesondere dem Obersten Anton Lehár (dem Bruder des Komponisten Franz Lehár), die Zeit für eine Restauration der Habsburger sei reif.

        So kehrte Karl, ohne dies Horthy wissen zu lassen, inkognito per Automobil quer durch Österreich zu Ostern 1921 nach Budapest zurück und verlangte vom Reichsverweser ultimativ den Rücktritt. Dabei pochte er nur auf Horthys Treueid, ohne dessen Einwände hinsichtlich innenpolitischer Schwierigkeiten und vor allem einer drohenden Intervention der Entente bzw. einer Kriegserklärung der Nachfolgestaaten Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien ernstzunehmen. Erst nach einem Aufenthalt von einer Woche in Szombathely (Steinamanger) in Westungarn konnte er von der Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen überzeugt werden und reiste zurück in die Schweiz, wo er sich mit seiner Familie im sogenannten Schlosshotel Hertenstein in Weggis bei Luzern einquartierte.

        Schon am 20. Oktober 1921 unternahm Karl, wiederum ohne den ihm mittlerweile ohnehin suspekt gewordenen Horthy zu informieren, einen zweiten Versuch und flog mit seiner Frau Zita mit einer Junkers F 13 nach Sopron (Ödenburg). Dort hatten Legitimisten unterdessen damit begonnen, die Freischärler, die sich gegen die Abtretung des Burgenlandes an Österreich wandten (siehe dazu Volksabstimmung 1921 im Burgenland), und andere kleine Truppenkontingente zu einem Heer zusammenzufassen. Da das Telegramm mit der Meldung von Karls Ankunft allerdings einen Tag zu spät eintraf, verzögerte sich der Abmarsch entscheidend. Das langsame Tempo des Vorrückens gab dem zunächst schwankenden Horthy Zeit, auf die Drohungen der Ententemächte hin seinerseits Truppen zusammenzuziehen. In Budaörs, einem Vorort von Budapest, kam es am 23. Oktober 1921 zu einem kleinen Scharmützel, bei dem 19 Soldaten ums Leben kamen. Da damit klar geworden war, dass der Restaurationsversuch in einem Bürgerkrieg enden würde, gab Karl auf, allerdings gegen die Meinung seiner militärischen Ratgeber.

        Nach einer kurzen Internierung in der Abtei Tihany am Plattensee wurde Karl am 1. November mit seiner Frau Zita an Bord des britischen Donauschiffes Glowworm bis zum Schwarzen Meer und dann auf dem britischen Kreuzer Cardiff über Gibraltar auf die portugiesische Insel Madeira gebracht. Dorthin hatte ihn die Triple Entente nun verbannt, um ihm Auftritte in seinem ehemaligen Herrschaftsbereich unmöglich zu machen. Das Paar traf dort am 19. November 1921 ein. Karls und Zitas Kinder kamen erst am 2. Februar 1922 bei ihren Eltern an.
        Grab von Kaiser Karl in Monte auf Madeira

        Im ungarischen Parlament wurde am 6. November 1921 das Dethronisationsgesetz angenommen, das die Habsburger endgültig für abgesetzt erklärte. Horthy versicherte dazu gegenüber der Entente, bei der allfälligen Wahl eines künftigen Königsgeschlechts würden die Habsburger ausgeschlossen.“

  7. Ich will mich hier einmal auf Herrn Pfeifers Seite schlagen. Der erste Versuch wurde im Grunde von Pál Teleki sabotiert, der Karl riet, alleine und ohne Truppen zu Horthy zu gehen. (Teleki wollte vermutlich Krieg abwenden).

    Dabei standen jede Menge Truppen zur Verfügung – Lehar war der Armeekommandant für Westungarn. Karl erschien also alleine zum Gespräch mit Horthy, bewaffnet nur mit Telekis Rat, der Regent werde sicher den Thron freimachen für seinen König. Dabnei hätten eine Handvol Soldaten genügt, Horthy in den Griff zu bekommen.

    Horthy dachte nicht daran, die Macht aufzugeben – weniger, weil er die Westmächte fürchtete, sondern er bezog sich in seinen Argumenten auf seinen Treueeid vor dem Parlament. Das Gespräch ist wiedergegeben in einem Buch von Gordon Brook-Shepherd und wirft ein eher unwürdiges Licht auf Horthy, der dauernd fragt, was denn für ihn persönlich bei der Sache rausspringen würde.

    Der zweite Versuch zeigte, dass der Rückhalt für Karl sehr groß war – deswegen musste Horthy Waffengewalt gegen ihn einsetzen, wobei er den Truppen verschwieg, dass sie gegen ihren König schossen – sonst hätten sie sich wohl auf Karls Seite geschlagen.

    Dass eine Intervention der Ententmächte die Folge gewesen wäre. ist denkbar.
    Was das aber gebracht hätte, wissen wir einfach nicht. Mit demselben Argument hätte Atatürk auf seinen Freiheitskrieg verzichten können.

    • Die Rekonstruktion der Auseinandersetzung zwischen König Karl und Horthy beruht allein auf die erst später vorgelegten Darstellungen der beiden. Brook Shepherd hat den Fall zu stark vereinfacht dargestellt und auch manch marxistischer Historiker hat ähnliche Haltung angenommen.

      Dass die Mehrheit der Ungarn die Rückkehr des Habsburger Königs herbeisehnte war eine Illusion, ein Trugschluß der Berater König Karls. Er war eben nicht so beliebt wie vormals Kaiser Franz Joseph und auch der verlorene Krieg und der demütigende Friedensvertrag intensivierte die habsburgfeindliche Stimmung. Die Reinthronisation Kaiser Karls hätte aber zweifelsohne zu Vergeltungsmaßnahmen der siegreichen Großmächte und der neuen Nachbarn Ungarns geführt.

  8. Danke Koll. Kálnoky. Horthy liess Studenten (wenn ich mich richtig erinnere der technischen Uni) in Budaörs gegen Karl antreten.
    Da spielte auch der Bruder des Komponisten Franz Lehár eine Rolle auf der Seite der Legitimisten.
    Die Legitimisten hatten eine schlechte Meinung von Horthy, der ja früher Adjutant von Kaiser Franz Josef war und sie wurden überrascht als in Budaörs auf sie geschossen wurde.

    Frau Széchenyi: War denn das Parlament, das Horthy einsetzte demokratisch gewählt?

    Die Großmächte und die kleine Entente hätten sicher nicht zugestimmt. Da gebe ich Ihnen recht.

    Wie die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung damals gedacht hat, wird man heute nur mehr vermuten können. Meinungsforschung wie heute gab es damals noch nicht.

  9. Liebe Frau Szechenyi,

    Karl scheiterte vor allem an sich selbst, aber dass er einiges an Rückhalt erfuhr, zeigt schon die Geschichte seines Schneckenzugs nach Kelenföld – ein Unterfangen, an dessen Anfang der Fingerzeig der Ententemacht Frankreich stand, eine Restauration im Erfolgsfall gutheissen zu wollen. Insofern nicht ganz so hoffnungslos und das Eingreifen der – grossen – Entente auch gar nicht so selbstverstaendlich. Auch Atatürk forderte etwa zur selben Zeit die Entente heraus und stellte fest, dass nach dem furchtbaren Weltkrieg niemand mehr Lust hatte, wegen ferner oder kleiner Laender Krieg zu führen.

    Und wenn sie interveniert hätten? Was dann? Schlimmer als Ungarns Weg danach ausfiel, konnte es eigentlich nicht werden.

    Aber worum es mir ging – Ich glaube, Horthy liess nicht deswegen auf Karl schiessen, weil er Ungarn retten wollte, sondern um die eigene Macht zu erhalten.

    • Lieber Herr Kalnoky,
      auch der zweite Restaurationsversuch war überstürzt, eine schlecht organisierte Nacht-und-Nebel-Aktion und viele der führenden ungarischen Legitimisten wie Graf Andrássy und Graf Apponyi waren nicht eingeweiht.
      Das Vertrauen König Karls und dessen politischer Berater in den französischen Ministerpräsidenten Briand war gewaltig obwohl dessen Regierung kein einziges Mal öffentlich ihre Unterstützung zugesichert hatte. Vielmehr lehnten die Ententemächte eine Restauration Habsburgs ganz kathegorisch ab! Der König hatte keine Rückendeckung seitens der Großmächte und die Tschechoslowakei,der jugoslawische SHS-Staat und Rumänien hatten bereits ihre Truppeneinheiten an den ungarischen Grenzen stationiert.
      So viel zur Machterhaltung Horthys…

      • Natürlich war es dilettantisch, fast tragikomisch. Dass die französische Regierung öffentlich nichts in Richtung Karl sagte, bedeutet freilich gar nichts. Wie hätte sie auch sollen? Ich bleibe bei meiner Auffassung, die Großmächte hätten sich bestimmt nicht zu einer Intervention aufgerafft – dass sie dazu so früh nach dem Weltkrieg nicht den Willen hatten, zeigt das Beispiel Türkei. Die kleine Entente schon eher – was sich daraus entwickelt hätte, weiß freilich niemand. Aber jedenfalls ging es Horthy vor allem um sich selbst.

    • Lieber Herr Kálnoky,
      lieber Herr Pfeifer,
      puncto Motiv: auf welche ausführliche wissenschaftliche Studie über Horthy berufen Sie sich eigentlich?

      Soviel ich weiß, existiert kaum authentisches Dokumentationsmaterial. Doch es wurden etliche schmeichelhafte Lebensgeschichten veröffentlicht (u.a. von Baronin Doblhoff), in den 20-er Jahren erschienen Bücher von Vertrauenspersonen Kaiser Karls die wiederum Horthy als Schwurbrecher und Verräter darstellen. Übrigens eine Tradition, die Erik von Kuehnelt-Ledhin und Gordon Brook Shepherd übernahmen. Biographien aus der kommunistischen Hemisphäre nach dem II.WK porträtieren Horthy wiederum immer als Faschisten, der nur durch Gewalt und Unterdrückung an die Macht und diese über einen so langen Zeitraum halten konnte.

      • Liebe Frau Széchényi,

        ich beziehe mich auf Shepherd, der (soviel ich mich erinnere) zeitnahe Aufzeichnungen Karls über das Gespräch einsehen konnte.

        Aber das ist ja gar nicht so wesentlich. Karls Versuch wäre ohnehin gescheitert, er war nicht geeignet; die Details zeigen lediglich Einblicke in Horthys Charakter.

        Ein Historiker sagte mir einmal: Tragische Figur – zuerst rettete er sein Land, nur um es danach ins Verderben zu führen.

        Ich muss zunächst einräumen, dass mein Blick auf ihn nicht objektiv ist – er ist mir in Stil und Haltung unsympathisch, und das mag mein Urteil färben.

        Aber meine Hauptvorwürfe sind, dass er den Angriff auf Jugoslawien über ungarisches Staatsgebiet zuliess und Ungarn auch daran teilnehmen liess, wofür Teleki sich das Leben nahm – um Ungarns Ehre zu retten. Dass sie gerettet werden musste, lag an Horthy. Es gab keinen Zwang – ausser das Ungarn sonst selbst angegriffen und somit Deutschlands Gegner geworden wäre, und daher nach dem Krieg bessere Karten gehabt hätte. Aber grundsätzlich war die Frage eine ethische; Horthy entschied ethisch falsch.

        Mein zweiter und wesentlichster Vorwurf an ihn ist, dass er auf Hitlers Drängen nach der deutschen Besetzung Ungarns im Amt blieb – damit die Deutschen keine Scherereien bekämen. Das war dann die Zeit, in der der ungarische Holocaust begann.

        Um es auf den Punkt zu bringen – Horthy brach seinen Treueeid gegenüber Karl, brach den noch frischen Freundschaftsvertrag mit Jugoslawien, und brach seinen Treueeid gegenüber dem Parlament, indem er nach der deutschen Invasion im Amt blieb und damit Hitlers Interessen und Forderung entsprach. Es ist eine Schande.

        Die eine entlastende Entscheidung, die er jederzeit hätte treffen können und müssen, wäre die gewesen, zu den Alliierten überzugehen. Er hatte dazu nie den Mut – zauderte und taktierte, wie er es immer tat, ohne eine klare innere Linie zu finden.

  10. Lieber Herr Kálnoky,
    Sakmyster scheint mir kompetenter als Shepherd.
    Mein Blick ist sicherlich auch nicht gerade objektiv.
    Nur finde ich, dass Miklós Horthy, der k.u.k. Offizier war, der von James Joyce unterrichtet wurde und schon früh in den zweifelhaften Ruf eines scharfen europäischen Antisemiten kam, der die verfrühten Restaurationsversuche Kaiser Karls vereitelte, der mit Hitler kollaborierte und gleichzeitig seine Pläne durchkreuzte, Eichmanns Wirken boykottierte und Stalin um Vergebung bat, doch Beachtung in der Historiographie finden sollte.

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