Doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn: Sozialisten bitten für ihre Wahlempfehlung von 2004 um Entschuldigung

Der Ausgang der Volksabstimmung vom 5. Dezember 2004 gilt für viele Ungarn als Schande, als Verrat gegenüber den in den umliegenden Ländern lebenden Auslandsungarn. Unter anderem wurde – auf Initiative des Weltverbandes der Ungarn (MVSZ) – über folgende Frage abgestimmt:

„Akarja-e, hogy az Országgyűlés törvényt alkosson arról, hogy kedvezményes honosítással – kérelmére – magyar állampolgárságot kapjon az a magát magyar nemzetiségűnek valló, nem Magyarországon lakó, nem magyar állampolgár, aki magyar nemzetiségét a 2001. évi LXII. törvény 19. paragrafusa szerinti magyarigazolvánnyal vagy a megalkotandó törvényben meghatározott egyéb módon igazolja?“

Sind Sie dafür, dass das Parlament ein Gesetz verabschiedet, demzufolge – auf Antrag – derjenige die ungarische Staatsangehörigkeit erhalten kann, der sich zur ungarischen Nationalität bekennt, nicht in Ungarn lebt und kein ungarischer Staatsbürger ist, und seine Zugehörigkeit zur ungarischen Nation durch den nach dem Gesetz Nr. LXII aus 2001 vorgesehenen Ungarnausweis oder eine andere, im zu verabschiedenden Gesetz festzulegende Weise belegt?

Die Freien Demokraten (SZDSZ) nahmen von Anbeginn der Kampagne eine Position gegen die Doppelstaatsbürgerschaft ein. Die Sozialisten, die sich zu Beginn nicht eindeutig festlegten und versucht hatten, die konservative Partei Fidesz mit Vorwürfen der „Stimmenmaximierung“ in ein schlechtes Licht zu rücken, gaben am Ende (über Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány) ebenfalls eine Wahlempfehlung ab, die Doppelstaatsbürgerschaft abzulehnen. Mitunter wurde – von linker Seite – auch mit der Gefahr einer Zuwanderung aus den umliegenden Ländern und der Überlastung der Sozialkassen argumentiert, um die Angst der Wähler vor negativen finanziellen Konsequenzen zu schüren. Es gab jedoch auch vorsichtige Stimmen aus der MSZP: Katalin Szili empfahl, die Abstimmung zu einer „Gewissensentscheidung“ zu machen.

Fidesz und MDF stellten sich auf die Seite der Befürworter.

Die Abstimmung endete ergebnislos (eredménytelenül), da weder die Ja- (51,57% der abgegebenen Stimmen) noch die Nein-Stimmen (48,43%) das erforderliche Quorum von 25% der Wahlberechtigten erreichten.

Die Befürworter der doppelten Staatsangehörigkeit werteten den Ausgang als Angriff der Gegner gegen die ungarische Nation. Insbesondere die Auslandsungarn zeigten sich tief enttäuscht.

Nun hat MSZP-Parteichef Attila Mesterházy eine Entschuldigung ausgesprochen. Man bitte die Auslandsungarn um Vergebung dafür, dass man 2004 „auf eine schlecht gestellte Frage eine schlechte Antwort gab„. Hinter dieser Äußerung steht nicht zwingend die Einsicht, seinerzeit falsch gehandelt zu haben: Die Position der MSZP, die die Auslandsungarn grundsätzlich als potenzielle Wähler des rechten Lagers fürchtet, ist seit 2004 erkennbar unverändert. Hinter der Entschuldigung steht daher wohl eher die Hoffnung, die nunmehr wahlberechtigten Auslandsungarn nicht gänzlich an das rechte Lager zu verlieren. Die Sozialisten haben offenbar erkannt, dass sie diesbezüglich ohnehin nichts zu verlieren haben und es die (derzeit sehr geringen) Chancen auf einen Wahlerfolg in 2014 weiter vermindern würde, wenn man nicht wenigstens versuchen würde, die Stimmen der Auslandsungarn jedenfalls teilweise für sich zu gewinnen. Nach der überraschenden Wende bei der MSZP kann sogar damit gerechnet werden, dass die Partei für 2014 konkrete Wahlversprechungen machen wird, die die Auslandsungarn betreffen.

Da die MSZP abermals die Dienste des Wahlkampf-Gurus Ron Werber in Anspruch nimmt, könnte dieser Schachzug auf dessen Beratung zurück zu führen sein: Werber gilt als Experte für Wählermobilisierung.

http://mandiner.hu/cikk/20130116_mesterhazy_bocsanatot_kert_a_hataron_tuli_magyaroktol

21 Kommentare zu “Doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn: Sozialisten bitten für ihre Wahlempfehlung von 2004 um Entschuldigung

  1. Aber auch Fidesz hat kein Glück. Sie hat gleich zwei ung. Parteien in Rumänien unterstützt. Beide haben nicht sehr gute Wahlresultate erzielt. Die RMDSZ hingegen hat noch immer die Mehrheit hinter sich.
    Nun erhielt der eine von Kövér unterstützte Parteiführer, Jenö Szász einen gut bezahlten Posten an der Spitze einer neuen Behörde für nationale Strategie (mit 100 Angestellten)
    In der Slowakei ist die von Fidesz unterstützte MKP nicht ins Parlament gelangt.

    • Auch bemerkenswert: RMDSZ und Fidesz sind beide in der Europäischen Volkspartei organisiert, was aber anscheinend nicht dazu beiträgt, die beiden Parteien einander näher zu bringen. Mir stellt sich das Beziehungsgefüge der Minderheitenparteien wie folgt dar: RMDSZ weiß genau wie Most/Híd sowie die meisten Auslandsungarn, dass man keinen Frontalcrashkurs gegen die Mehrheit fahren darf, wenn man als Minderheit überleben will. EMNP und MPP hingegen kritisieren RMDSZ und MKP wiederum Most/Híd dafür, im Zuge ihrer Realpolitik zu viele Kompromisse zu machen. Den Parteien der Mehrheitsbevölkerung hingegen fällt es leicht, Kräfte mit enger Fidesz-Verbindung wie MKP, EMNP und MPP bei Bedarf als fünfte Kolonnen Budapest zu brandmarken. Da schließt sich der Kreis: Viele Auslandsungarn, vielleicht sogar die meisten wollen nicht von der einen oder anderen Hauptstadt dominiert werden, sondern berufen sich auf ihre ganz eigene Identität. Angestebt wird Autonomie nicht nur von Bukarest oder Pressburg, sondern auch von Budapest.

  2. Ihre Bemerkung hat zwar nicht unmittelbar mit dem Beitrag zu tun. Aber sie belegt doch, dass die Auslandsungarn keinesfalls so „blind fidesztreu“ sind, wie die Linke es möglichweise befürchtet oder Fidesz gehofft hat. Der Rauswurf der MKP etwa ist für mich logische Konsequenz der von Fidesz/Orbán begangenen Fehler in Sachen „Slowakeipolitik“.

    Die Menschen sind nicht blöd. Sie wählen, was Ihren Interessen entspricht. Das hatte die MSZP aber wohl nicht geglaubt. Für sie waren – ausgehend wohl von der eigenen Wählerschaft bzw. diesbezüglichem Wunschdenken – die Wähler Stimmvieh, das man beliebig lenken kann.

    Mir persönlich fällt es sehr schwer, die Schmutzkampagne von MSZP und SZDSZ in 2004 zu vergessen, die nichts anderes gemacht haben, als zu spalten und Menschen (dies- und jenseits der Grenzen) gegeneinander auszuspielen. Man hat die Bevölkerung letztlich gegen die eigenen Verwandten (ich spreche hier nicht von „Volksgenossen“, sondern Verwandten im Sinne von Familienmitgliedern jenseits der Grenze) aufgewiegelt. Sinngemäß: „Stimmt gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, sonst nehmen Euch Rumänen die Jobs und die Rente weg.“ Spricht man so von Roma, hat man am nächsten Tag die gesamte europäische Presse am Hals. Und das völlig zu Recht.

    Einziger Hintergrund: Man wollte keine Fideszwähler entstehen sehen. Geht es noch ekelhafter?

    Übrigens: Ich war auch einer, der damals gehofft hat, die EU würde die Probleme der Auslandsungarn (durch Freizügigkeit und Grundrechte) garantieren. Leider sehe ich meine Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Ich nenne nur das slowakische Sprachengesetz und die völlige Verweigerungshaltung der EU, sinnvollen Autonomiegedanken bzgl. der Székler wenigstens ein Forum zu geben. Zum Sprachengesetz kann ich nur sagen: Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass so etwas in der EU möglich ist.

  3. Wenn ich richtig informiert bin, hat die Slowakei das Sprachengesetz geändert. Ich habe einigemal in Komarno (das slowakische Komárom) erlebt, wie die Kunden in einem Geschäft mit dem Besitzer ungarisch sprachen, als ein slowakischer Kunde eintrat und slowakisch sprach, antwortete der Besitzer auch slowakisch. Die Zweisprachigkeit ist eine gute Sache, das erfährt man z.B. in Südtirol. Dort wird der deutschsprachigen Minderheit garantiert, dass in allen staatlichen und lokalen Behörden, im öffentlichen Verkehr etc Deutsch gesprochen wird.
    Sie haben Recht, die Bürger treten in der Regel für ihre Interessen ein und die meisten Ungarn in der Slowakei und Rumänien lassen sich nicht ein auf die nationalistischen Zurufe aus Budapest. Es ist vieles möglich in der EU. Zum Beispiel berichtet heute der Wiener Standard: http://derstandard.at/1358303759412/Immer-mehr-ungarische-Juden-uebersiedeln-nach-Oesterreich-
    In Ungarn geschieht einiges, was man sich von einem EU-Staat nicht erwartet hätte.

    • Fangfrage, was? Ab dem ersten wahrscheinlich.

      Ich wüsste trotzdem außer Parolen und Behauptungen gerne eine Zahl. Weil deren Größe sicher etwas darüber aussagt, ob man von allgemein beängstigenden Zuständen oder aber von bitteren Erfahrungen Einzelner sprechen muss. Das erstere wäre wohl gefährlicher.

      • HV stellen Sie sich vor, was da alles in Budapest passieren kann. Da hat eine jüdische Dame vor der Wohnung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers demonstriert. Was ja nach ungarischem Recht gestattet ist. Sie wurde fotografiert und ihr Name, ihre Adresse und Telefonnr werden auf kurucinfo publiziert. Sie erhält Drohungen. Und obwohl der ungarische Regierungschef versichert hat, er würde die Juden in Ungarn schützen, kann kuruc info sein Unwesen treiben.
        HV ist das Ihrer Meinung nach nicht so gefährlich und lediglich eine bittere Erfahrung einer Person?

  4. HV interessanterweise, als die österreichischen Behörden sich ernsthaft an die USA Behörden wandten, erhielten sie Hilfe und erst diese Tage wurden die Macher von Alpen-Donau eine kurucähnliche Website von einem Wiener Gericht verurteilt.
    Wenn also die ungarischen Behörden interessiert wären, dann würden sie diesbezügliche Schritte setzen. ATV oder Hetek hat über den Mann Details publiziert, der das Inkasso für Werbung auf kuruc besorgt, ein in Ungarn lebender Ungar.
    Interessanterweise las ich gerade heute auf Magyar Hirlap einen heftigen Angriff gegen das Budapester Athena Institute, das sich mit Neonazi beschäftigt.

  5. HV Hier nur ein Beispiel dafür, dass ich mit meiner Kritik nicht gewartet habe auf die „Wahlkabinenrevolution“

    Jungle World Nr. 30, 23. July 2009

    Einspruch gegen solche und ähnliche Äußerungen wird nur selten erhoben. Die christlichen Kirchen schweigen zur rassistischen und antisemitischen Hetze, die sozialistische Regierung wagt es nicht, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, die Kräfte, die sich der Formierung der völkischen Gemeinschaft entgegenstellen, sind schwach. Und auch die demokratischen Parteien der EU schauen tatenlos zu, während es in Ungarn immer ungemütlicher wird.http://jungle-world.com/artikel/2009/30/35918.html

    • Ihre Kritik an Fidesz war immer lebhaft, das weiß jeder. Und dieses eine Sätzchen in Richtung MSZP ist bestenfalls lauwarm. Mehr werden Sie nicht vorlegen können. Kein Vergleich zu dem, was Sie jetzt darbieten. In Qualität und Quantität.

  6. HV Entgegen Ihrer Behauptung schrieb ich 2008 im Wiener Standard:
    „Grenzenlos war der Optimismus der ungarischen politischen Elite, als sie nach der Wende jeden Vorschlag, ein Verbotsgesetz einzuführen, ablehnte. Und so marschieren wöchentlich schwarz uniformierte Milizen durch die Straßen und dürfen gelegentlich auch Neonazi vor einer Synagoge Juden provozieren. Die seit 2002 regierenden Linken sehen tatenlos zu und die Justiz behandelt die Gesetzesbrecher, die zuweilen auch Gewalt anwenden, mit äußerster Milde.“
    http://derstandard.at/1224776223124?sap=2&_pid=11042848

    • Dann korrigiere ich mich:

      Ihre Kritik an Fidesz war immer lebhaft, das weiß jeder. Und dieses eine Sätzchen in Richtung MSZP ist bestenfalls lauwarm. Kein Vergleich zu dem, was Sie jetzt darbieten. In Qualität und Quantität.

  7. HV: „Abgesehen davon, dass ich diese Ihre Kritik leider nicht vernommen habe, wurde trotzdem geschwiegen.“
    Sie haben meine Kritik nicht vernommen, aber ich habe die linken Regierungen immer wieder wegen ihrer Toleranz gg den Rechtsextremisten kritisiert. Bei Fidesz-KDNP geht es nicht nur darum, dass rechtsextremistische Aktivitäten toleriert werden. Ich will hier nicht wieder meine Kritik aufwärmen, hier nur ein paar Stichwörter was ich heftig – und wie ich meine zu Recht – kritisiere, Nyirö-Skandal, Turul Rede, antisemitische und rassistische Agitation in Fidesznahen Medien.

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