Zoltán Kocsis: „Schon der kleinste Rassismus ist ekelhaft“

Zoltán Kocsis, musikalischer Leiter der Ungarischen Nationalen Philharmoniker, hat der ungarischen Wochenzeitung HVG ein Interview zur Situation im Land gegeben. Es knüpft an dem vor kurzem erschienenen SZ-Interview an, welches – auch in Ungarn – hohe Wellen schlug.

Zoltán Kocsis: Schon der kleinste Rassismus ist ekelhaft

In Ungarn gibt es genauso viel Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus, wie in jedem beliebigen anderen europäischen Land. Schon der kleinste Rassismus ist zu viel und ekelhaft, aber es gibt ihn. Trotzdem kann man nicht ein ganzes Land dafür in die Nachrichten bringen oder mit Schlamm bewerfen“ – sagte Zoltán Kocsis, der weltbekannte Pianist und musikalische Leiter der Ungarischen Nationalen Philharmoniker, der hvg.hu.

hvg.hu: In dem von der Magyar Narancs veröffentlichten Artikel „In den Stunden der Übelkeit“ regte sich der Autor über Ihr Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf. Ihm gefiel gar nicht, dass Sie sagten, Sie fühlten sich wohl in Ungarn. Sogar auf der Titelseite des Blattes verwies man darauf, dass Sie „gezählt“ hätten, wie viele Juden und wie viele Zigeuner in Ihrem Orchester spielen. Was sagen Sie dazu?

Zoltán Kocsis: Meiner Meinung nach sind in dieser aufgeheizten Stimmung, die derzeit in Ungarn vorherrscht, alle verrückt geworden. Ich muss mich für das, was ich der deutschen Zeitung gesagt habe, nicht schämen, das sollten vielmehr diejenigen tun, die aus dem Ausland unser Land und unser Volk verleumden, indem sie zu ausländischen Journalisten rennen. Ich brauchte drei Stunden meiner Zeit dafür, den einen Journalisten davon zu überzeugen, dass Ungarn nicht die Hölle oder – wie es ein englischer Journalist schrieb – ein widerliches kleines Land ist, aus dem es übel riecht.

hvg.hu: András Schiff, der in der Washington Post zum Ausdruck brachte: „als freiheitsliebender Künstler betrachte ich mit Sorge, dass im Bezug auf Ausgrenzung, die Aggression gegenüber Minderheiten und die Intoleranz, Ungarn in Europa sehr weit vorne liegt“, wurde von Ihnen nach Budapest eingeladen, er solle die Nationalen Philharmoniker dirigieren. Hat er die Einladung angenommen?

Z.K.: Leider hat er noch nicht geantwortet. Auch ich bin freiheitsliebender Künstler, aber was András Schiff und Ádám Fischer behaupten, ist schlichtweg nicht wahr. In Ungarn gibt es genau so viel Rassismus, Antisemitismus und Antiromanismus – das letztgenannte Wort habe ich von Károly Bari gelernt – wie in jedem beliebigen europäischen Land. Schon der kleinste Rassismus ist ekelhaft und zu viel, aber es gibt ihn. Überall. Dafür kann man aber nicht ein ganzes Land in die Nachrichten bringen und mit Schlamm bewerfen. Tatsache ist, dass man die Lage in Ungarn im Ausland – und das ist naturgemäß so – zu stark vereinfacht darstellt: „die Ungarn“. Diese vielen Skandale, die üblen Aussagen werfen ein schlechtes Bild auf das Land, und ich möchte es nicht zulassen, dass mein Land, das auch das von András, Ádám und György Konrád ist, von irgend jemandem durch den Schmutz gezerrt wird! Ich kann es einfach weder verstehen noch nachvollziehen, warum man ein Land mit solchen Vorzeichen niedermacht, nur weil ein paar einflussreiche Politiker nun etwas weiter weg von den Fleischtöpfen sitzen. So wird zum Beispiel wegen einiger, nicht einmal besonders wesentlicher Punkte im Mediengesetz völlig überflüssiger Aufruhr veranstaltet.

hvg.hu: Wo wir schon bei der Politik sind, wie bewerten Sie die Wahl im vergangenen Jahr?

Z.K.: Die Gesellschaft hat nicht für die beiden schönen Augen des Viktor Orbán gestimmt, und auch nicht gegen Ferenc Gyurcsány. Man hat die Ergebnisse der vergangenen vier bzw. acht Jahre bewertet. Die Gesellschaft hat genug von Kriminalität, von den Feindseligkeiten, aber vor allem genug von dem Auseinanderdriften der Gesellschaft. Es wäre gut, endlich in die gleiche Richtung zu gehen, was man auch als wirtschaftliche, kulturelle und moralische Erholung bezeichnen könnte. Das spiegeln die Wahlergebnisse wider, die Menschen wollen eine einheitliche Regierung.

hvg.hu: Der Süddeutschen sagten Sie, Ungarn sei ein Sozialstaat geworden. Was meinen Sie damit?

Z.K.: Dass die Menschen sich um einander kümmern. Trotz aller Probleme, die das Land belasten, denke ich, dass der Begriff „Mensch“ jetzt mehr bedeutet, als in den Jahren zuvor.

hvg.hu: Manch einer titelt vom Kulturkampf, andere visionieren, dass Ungarn zur kulturellen Wüste zu verkommen droht. Wenn das auch übertrieben ist, so will die Regierung doch zweifellos ihren eigenen Geschmack etwas stärker der  Gesellschaft aufzwingen. Wie sehen Sie die Lage im Inland, vor allem, so weit es die Kultur betrifft?

Z.K.: Jede Regierung ist mutig, wenn es darum geht, die Kultur anzufassen, vor allem wenn die Kürzungen vornimmt, denn sie weiß, dass dies kurzfristig keine Folgen hat. Und es ist offenkundig auch nicht das Wichtigste für diese Regierung, die Kultur blütenweiß zu waschen, ich denke aber, trotz allem, dass man sehr genau hinsehen muss. Wenn ich nur unser Haus ansehe, so hat man uns in den vergangenen acht Jahren 300 Mio. Forint (über eine Mio. EUR) weggenommen, was wir als Staatsbürger mit Geduld ertragen haben, aber selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte es wohl keine Probleme bereitet; denn der Durchschnittsbürger hält Kultur für so etwas wie den Überbau. Er hält sie nicht für unbedingt notwendig, und das wissen auch die Politiker sehr genau. Die negativen Folgen nimmt man später wahr, nämlich dann, wenn solche Werte, die heute noch sehr wettbewerbsfähig sind und für die man uns in der Welt wahrnimmt, vollständig dem Boden gleich gemacht wurden. So ein Wert ist offenkundig die Musik!

hvg.hu: Wie fühlen Sie sich in Ungarn, als Privatperson und als Maestro – Pianist –  und Lehrer?

Z.K.: Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut, und ich glaube, dass ich ein normaler, anständiger Bürger bin. Ich komme gerade von einer Tour in Deutschland zurück, während der wir zehn Auftritte hatten; ich habe mit großem Erstaunen festgestellt, welch großes Publikum wir, die  Nationalen Philharmoniker, haben. Wir sind eine Truppe, in der seit sehr langer Zeit genau die Gespräche stattfinden, die es in der Gesellschaft noch nicht gibt, und deren Ausbleiben zu Leid für das ganze Land führt, und die zu jenen Vorstellungen führen, die es im Alltag gibt. Die politischen Lager verfluchen sich gegenseitig aus genau diesem Grund, und die Menschen haben genug davon. Wenn irgend etwas in Gang gesetzt wird, so sagt die andere Seite sofort, das sei schlecht, weil diese Idee nicht von ihr kommt. Wir bei den Philharmonikern kennen uns und die Geschichte des jeweils Anderen, dessen Familie, wir schätzen uns und sprechen miteinander. Und genau aus diesem Grund ist die Frage, woher man kommt, ein natürlicher Zustand, keine Quelle von Konflikten. Niemand hält den Bogen besser oder bläst ein Instrument schöner, weil er aus einer bestimmten Familie stammt, sondern deswegen, weil er begabt ist. Aber wenn er aus einer bestimmten Familie stammt, dann bereichert er damit unsere gemeinsame Kultur, und es wäre schade, darauf zu verzichten!

hvg.hu: Es hat ziemliche Misstöne ausgelöst, als Sie sagten, dass im Orchester elf jüdische und elf Musiker mit Romaabstammung arbeiten, und so lange man Ihnen nicht sage, diese Menschen müssten entlassen werden, glauben Sie nicht an solche Sachen…

Z. K.: Ich hatte gerade schon darauf hingewiesen, dass wir im Orchester all das angesprochen und ausdiskutiert haben, was in der Gesellschaft noch keinem Dialog zugänglich war. Die Nationalen Philharmoniker sind die perfekte Abbildung der Landesbevölkerung. In diesem Land leben sehr viele begabte Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, und dies ist eine der größten Reserven unseres Landes, und Bedingung für genau jenes künstlerische Niveau, welches wir verkörpern. Ich glaube an die Vermischung, die „Reinrassigkeit“ ist der größte Blödsinn, den es gibt. Wir im Karpatenbecken sind das beste Beispiel. Wie viele Nationen haben sich hier vermengt? Diesem Umstand können wir es verdanken, dass wir überlebt haben, und dass die Welt uns als begabtes Volks kennt. Allerdings auch als streitsüchtiges… Wenn die Welt sich so weiterentwickelt – da sind wir keine Ausnahme – gibt es in ein paar Jahrhunderten vielleicht gar keine Araber, Schwarzen oder Chinesen mehr, sondern nur Menschen. Ich respektiere jeden Mitmenschen, ich erwarte allerdings im Gegenzug auch, dass er mein Gewissen, meine Reizschwelle und auch meine Toleranz nicht herausfordert.“

Quelle: http://hvg.hu/velemeny/20110225_kocsis_zoltan

16 Kommentare zu “Zoltán Kocsis: „Schon der kleinste Rassismus ist ekelhaft“

  1. Darauf habe ich gewartet. Das wird jetzt von den ungarischen Botschaften und von allen Fideszlpropagandisten verbreitet werden. Schaut her, das einzige Problem sind doch diejenigen Ungarn, die sich mit ausläandischen Journalisten treffen und die nicht anerkennen wollen dass Ungarn ein richtiges soziales Paradies, eine musterhafte Demokratie ist.
    Der einzige Schönheitsfehler an seiner Aussage, er jubelte, dass sein Orchester nun um ein paar Hundert Millionen Forint mehr erhält und dass ein konkurriendes Orchester viel weniger Subvention erhält.
    Ist Herr Kocsis ein guter Dirigent? In letzter Zeit las ich Kritik von auf Musik spezialisierten Journalisten, die ihn sehr kritisieren. Vielleicht ist diese auch nur bösartig, weil doch – so läßt die Fidesz Propaganda ahnen – die meisten deutschen Journalisten von den ungarischen links-liberalen Milliardären gekauft oder beeinflußt sind. Diesen Eindruck gewinnt man, manchmal wenn man Hungarian Voice liest.

    • Natürlich kommt wieder die „Fideszpropaganda“ ins Spiel. Wir halten fest: Es geht um ein Interview, dass die HVG veröffentlicht hat. Und die ist – ebenso wenig wie Kocsis – für ihre aggressive Fideszpropaganda bekannt. Ob er ein guter Dirigent ist, tut übrigens hier gar nichts zur Sache, er wird seine Meinung sagen dürfen. Oder haben wir es mit dem Pfeiferschen Versuch zu tun, ihn mal eben zum „kleinen Intellektuellen“ zu machen?

  2. Das Problem, dass Herr Pfeifer natürlich nicht wahrnimmt, ist dass der kleine Kreis „diejenigen Ungarn“ die sich mit westlichen Journalisten treffen, eindeutig zum Sympathisantenkreis der blamabel gescheiterten links-liberalen Regierung zuzuordnen sind. Wer das verneint, leidet an Realitätssinnverlust.
    Ich hätte den gleichen aggressiven Kritik von „diejenigen Ungarn“ gerne auch in den letzten 8 Jahren gehört. Habe ich aber nicht, obwohl es mehr als genug Anlass dazu gegeben hätte. Ihr Gewissen erwacht immer dann, wenn ein ihnen politisch nicht genehme Regierung im Amt ist. Das gilt genauso fürs Europaparlament, wo die Herren Schulz und Svoboda auch nur dann die Demokratie in Ungarn in Gefahr sehen, wenn eine nichtsozialistische Partei die Mehrheit erlangt.

  3. Hungarian Voice und Gast, ich könnte sarkastisch werden, und damit antworten, es scheint das neue Regime hat dafür gesorgt, die ewigen Dissidenten wieder mal zu bespitzeln.
    Aber ich rate zum Beispiel eine Diskussion mit Agnes Heller in fünf Teilen auf youtube anzuschauen, um festzustellen, dass die links-liberale Regierung gerade von den Leuten, denen man äußerste Nähe unterstellt kritisiert wurde.
    http://www.youtube.com/tiprodaide

    Und ich habe in vielen Artikeln die Gleichgültigkeit und Toleranz gegenüber Rassismus und Antisemitismus nachweisbar kritisiert.

    Tatsache ist, dass anständige konservative Intellektuelle sich zum Beispiel von der Hetze gegen die „liberalen Philosophen“ distanzieren.

    • Verzeihen Sie mir, aber Sie reden gerne an der Sache vorbei, wenn es „knapp“ wird.

      Es geht erstens um die Frage, warum immer dieselben Leute, wie Konrád György, Magdolna Marsovszky, etc. DIE Intellektuellen sind, auf die sich fast die gesamte Presse in ihren Informationen verlässt und kaum andere Meinungen in ihre Berichterstattung aufnimmt.

      Und zweitens geht es um die Frage, warum vollkommen idente oder vergleichbare Tätigkeiten, die von diesen Leuten und der Presse JETZT als Bestattung des Rechtsstaates kritisiert wird, früher, unter der sozialistisch-liberalen Regierung nicht kritisiert wurde, vor allem nicht in diesem Ausmaß.

      Ein solches Beispiel von den unzähligen wäre: Die Tätigkeit von Budai wird jetzt als rechte „Säuberung“ mit nicht rechtsstaatlichen Mitteln bezeichnet. Die Tätigkeit von Keller in 2002 hat null Aufsehen und Kritik von diesen Leuten und der Presse erhalten.

      Man kann gerne den Rechtsstaat vor bestimmten Ereignissen fürchten. Es ist aber vollkommen unglaubwürdig, diese Befürchtung – bei identischen Tätigkeiten – immer nur dann zu äußern, wenn eine ideologische Seite an der Macht ist.

      Genauso ist es unglaubwürdig, wenn Sie an Fidesz immer alles kritisieren, in der vorigen Zeit aber das einzige Problem in Ihren Augen dasjenige war, dass die Regierung zu wenig gegen Rassismus unternommen hat.

      Bezüglich der „Hetze“ gegen die „liberalen Philosophen“ scheinen Sie sich absolut sicher zu sein, dass die Philosophen unschuldig sind und – wieder einmal – Fidesz alles frei erfunden hat und lügt.
      Eine ähnliche Meinung haben Sie bzgl. dem Mediengesetz und dessen Konformität mit Europarecht sowie mit Orbáns Bereitschaft zur Änderung des Gesetzes ebenfalls vertreten. Siehe da, es ist dann doch anders gekommen.

      Falls Sie über Wissen und Tatsachen verfügen, die die Philosophen entlastet, wäre es angebracht, dass Sie sich bei der Staatsanwaltschaft in Ungarn melden und Ihre Entlastungsbeweise zeigen.

      Ansonsten – falls Sie nicht über dieses Wissen verfügen – sollten wir einfach ein wenig Vertrauen in die ungarische Strafrechtspflege haben: Wenn die Philosophen unschuldig sind, wird sowieso entweder das Strafverfahren schon von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden oder sie werden vor einem unabhängigen Gericht freigesprochen. Wenn sich herausstellt, dass die Verdachtsmomente vollkommen unbegründet waren, wird das für Budai und den Fidesz sowieso eine große – verdiente – Blamage.

      • @ Kollege Rudolf:

        Die Tätigkeit von Budai wird jetzt als rechte „Säuberung“ mit nicht rechtsstaatlichen Mitteln bezeichnet. Die Tätigkeit von Keller in 2002 hat null Aufsehen und Kritik von diesen Leuten und der Presse erhalten.“

        Sehr gut erkannt. Mich persönlich stört jede Art von derartiger „politischer“ Position, ob sie nun ein Budai oder ein Keller verkörpert. Diese Aufgabe haben nach meiner Auffassung allein die Strafverfolgungsbehörden. Dass allerdings heute das Geheule unermesslich ist und von „Schauprozessen“ gesprochen wird, die Tätigkeit von László Keller nach 2002 aber keinerlei Echo ausgelöst hat, sagt Einiges über die Doppelzüngigkeit der heutigen Mahner aus. Vielleicht kann ja Herr Pfeifer erklären, warum über den Staatssekretär Keller, der z.B. den Chef der Finanzaufsicht, Károly Szász, mit Anzeigen überzogen hat (natürlich führte keine einzige zu einer Verurteilung), im Ausland nichts zu hören war. Auch von Konrád, Dalos und anderen Bedenkenträgern nicht; um nur einige Namen zu nennen, die heute wöchentlich ihr Statement abgeben.

      • @ Kollegen Dr. Hungarianvoice:

        Wir sind einer Meinung. Ich bin auch grundsätzlich gegen diese Tätigkeiten und der Meinung, dass dies von den Strafverfolgungsbehörden zu besorgen ist.

        Wie gesagt, stört mich die Mentalität „Wenn unsere Leute verfolgt werden, sind wir große Beschützer der Rechtsstaatlichkeit, wenn wir die anderen verfolgen, sind wir still.“.

        Die Gummibärchen find ich gut. 😉

  4. Worauf es ankommt ist nicht die Untersuchung von irgendwelchen Unregelmässigkeiten, die ist ja voll legitim, was bei Budai auffällt ist die Kampagne.
    Wenn noch bevor irgendeine Untersuchung stattfand, die Fidesznahen Medien am 8.1.2011 eine Kampagne starteten gegen einige Philosophen, die noch als „liberal“ angeprangert wurden, dann ist das eine durchsichtige Kampagne. Können Sie uns gleiche Kampagnen aus Nepszabadsag, Nepszava zeigen, wo schon Leute angeklagt wurden bevor überhaupt eine Untersuchung stattfand?

    Und bitte von wo nehmen Sie Ihre phantastische Beschuldigung „warum immer dieselben Leute, wie Konrád György, Magdolna Marsovszky, etc. DIE Intellektuellen sind, auf die sich fast die gesamte Presse in ihren Informationen verlässt und kaum andere Meinungen in ihre Berichterstattung aufnimmt.“ ?
    Gerade hier hat ja Zoltan Kocsis Interview in der Süddeutschen Raum erhalten. Und Kocsis hat ja nur Lob für das ungarische Sozialparadies, in dem in diesem Winter an die 400 Menschen erfroren sind. (http://www.nepszava.hu/articles/article.php?id=398537)
    Im übrigen rechnet der Schriftsteller (und Dramatiker) Pál Zavada in einem Interview ab mit Kocsis, in dem er auch den Druck der Fidesz Regierung auf Intellektuelle anprangert und sich zu dem plötzlichen Wechsel der Meinung von Béla Tarr äußert.
    http://nol.hu/belfold/a_szajkosarra_senki_ne_akarjon_raszoktatni_minket__

    • Ich persönlich finde es nicht unbedingt legitim, dass sich die Politik in die Strafrechtspflege einmischt. Unabhängig davon: Keller hat auch eine Kampagne gemacht.

      Außerdem:
      Wenn Sie bloß an der „Kampagne“ vor der Öffentlichkeit etwas auszusetzen haben, geht Ihr Argument letztendlich darauf hinaus, dass es in Ordnung ist, politische Gegner mit strafrechtlichen Drohungen und Anklagen fertig zu machen, solange man daraus keine „Kampagne“ macht, sondern sie im stillen Kämmerlein vollzieht.

      Es ist ein Unterschied, ob jemand als „liberal angeprangert“ wird, oder sich bestimmte Personen über die Jahre hinweg offen zu einer politischen Gruppe gehörig bekennen. Das ist ihr gutes Recht, wir leben in einem freien Land. Man kann nachher aber nicht sagen, sie seien „angeprangert“ worden.

      „Können Sie uns gleiche Kampagnen aus Nepszabadsag, Nepszava zeigen, wo schon Leute angeklagt wurden bevor überhaupt eine Untersuchung stattfand?“

      Ich muss nicht weit gehen:
      Bzgl. dem Mediengesetz haben nicht nur Népszava, Népszabadság und viele andere Medien Leute – nämlich Funktionsträger von Fidesz – der Lüge und des Betrugs bezichtigt und „angeklagt“, ohne die Untersuchung der Kommission – sprich den ordentlichen Rechtsweg – abzuwarten, sondern auch Sie. Sie haben hier im Forum unter diesem Artikel

      Martonyi stellt klar: Es gibt keine Geldbußen bei Verletzung des Gebots der Ausgewogenheit

      als erster Kommentator sofort den Außenminister der Lüge bezichtigt.

      Ich weiß, was Sie sagen werden: Dass es etwas anderes ist, wenn das eine „Partei“ oder „Medien“ mit Einzelpersonen machen, als wie wenn eine Einzelperson oder Medien das mit Politikern macht. Die „Technik“ ist aber dieselbe:
      Im Namen des Rechtsstaates einerseits jegliche medialen Vorverurteilungen abzulehnen, gleichzeitig bestimmte Leute immer – ohne den Rechtsweg auch nur ein wenig zu beachten – vorzuverurteilen, ist unglaubwürdig.

      Bzgl. den Philosophen sind Sie vollkommen davon überzeugt, dass sie unschuldig sind. Ich bin es auch: einerseits aufgrund des Zweifelsgrundsatzes und andererseits weil ich offen zugebe, dass ich keine Ahnung von dem Fall habe, ich habe keine Akteneinsicht, ich weiß nicht, was in den Dokumenten steht, also kann ich mir überhaupt keine Meinung über den Fall bilden und steht es mir nicht zu, über bestimmte Leute mangels Informationen auch nur moralisch zu urteilen.
      Sie scheinen – zumindest bezüglich Fidesz-Leuten – solche Hemmungen nicht zu kennen und verurteilen auch in dieser Sache sofort – ohne nähere Informationen – die Ihnen nicht gefällige Seite.

      „Und bitte von wo nehmen Sie Ihre phantastische Beschuldigung „warum immer dieselben Leute, wie Konrád György, Magdolna Marsovszky, etc. DIE Intellektuellen sind, auf die sich fast die gesamte Presse in ihren Informationen verlässt und kaum andere Meinungen in ihre Berichterstattung aufnimmt.“?“

      Zum Bsp. aus Ihren Kommentaren und Verlinkungen, sowie aus jenen von Pusztaranger sowie von Gregor Mayer.

  5. Rudolf
    András Nyerges hat einen sehr lesenswerten Artikel in der aktuellen Ausgabe von Élet és Irodalom publiziert und zeigt dass diese Beschuldigungen, im Ausland verleumde man Ungarn nichts Neues sind, das haben die Horthyleute gemacht und auch die Kommunisten..
    Doch rate ich Ihnen auf dem Teppich der Realität zu bleiben.
    Ich nehme zum Beispiel die FAZ, da findet man einerseits Artikel von GP Hefty voll des Verständnisses für Fidesz und dann auch Texte von Johanna Adorján, die viel weniger Verständnis zeigt. Dann schaue ich mir Die Welt an und die werden Sie doch hoffentlich nicht in die links-liberale Ecke stellen wollen und da finde ich sehr kritische Artikel über Ungarn. Dann habe ich mir den britischen Economist angeschaut, den sie ja auch hoffentlich nicht als links-liberal qualifizieren.
    Unlängst hörte ich eine Diskussion in Wien über Meinungsfreiheit. Da schlug eine ehemalige leitende Redakteurin der Presse vor, Ungarn wegen der Mediengesetze zu boykottieren. Die Kollegin ist alles andere als links-liberal.
    Und auch in Ungarn gibt es Gott sein Dank konservative Intellektuelle, die nichts übrig haben für diese Hetzkampagne gegen Philosophen. Einige haben auch Partei ergriffen für die Angegriffenen.
    Was hier besonders schäbig ist, dass ein Philosoph hier seine Kollegen denunziert und nicht einmal den Mut hat zu seiner Denunziation zu stehen.
    Manches an dieser Kampagne zeugt davon, dass die Leute die diese führen unwissend sind. Da wird was von „liberalen Philosophen“ gefaselt, wenn eines der Projekte sich mit drei Philosophen befasst, wie Nietzsche, Heidegger und Lukács, die alles andere als liberal waren. Wenn Journalisten davon schreiben, dass man aus dem Ungarischen ins Ungarische übersetzt, nur weil Plato übersetzt wird, wenn sie dann nicht wissen was eine Festschrift ist die zu Ehren eines emeritierten Philosophen herausgegeben wird (Prof. Kornél Steiger), dann sieht man
    die Ignoranz am Werk.
    Aber was schreibe ich, es ist sinnlos, die Leute die diese Kampagne führen sind beratungsresistent. Sie begreifen nicht, dass sie sich in erster Linie schaden.
    Im übrigen hat Prof. Heller in erster Instanz ihren Prozess gegen Magyar Nemzet gewonnen.

    • 1. Ich verweise hier kurz auf den Kommentar von Herrn/Frau Gast, der es auf den Punkt bringt:

      Die ZEIT zum Mediengesetz: „Ungarns Komplizen“

      2.
      Zur generellen Frage der Vorverurteilung:

      Sie wiederholen weiterhin unbeirrt Ihre Meinung zur Hetzkampagne gegen die Philosophen und führen wiederum nicht an, ob Ihnen Akteneinsicht gewährt wurde bzw. aus welchen TATSACHEN Sie zu Ihren Schlüssen kommen.

      Gleichzeitig haben Sie sich nicht zur generellen Frage der Vorverurteilungen geäußert, sondern wiederholen eben nur, dass eine Hetzkampagne gegen die Philosophen geführt wird.
      Sie führen die „Hetzkampagne“ auf die Denunziation durch einen anderen Philosophen zurück. Ergo: Sie (vor-) verurteilen jemanden anderen, bleiben aber hier ebenso, wie soeben erwähnt, die Auflistung jener TATSACHEN schuldig, aus denen Sie dieses Urteil ableiten.

      Sie haben sich auch nicht dazu geäußert, warum Sie den ungarischen Außenminister sofort der Lüge bezichtigten und vorverurteilten, ohne die Faktenlage zu überprüfen – obwohl das betreffende Gesetz hier, in diesem Blog, zum Nachlesen zur Verfügung stand. Ich denke, dass Objektivität und Quellenüberprüfung zu den tagtäglichen Aufgaben von Journalisten gehört.

      Das sind alles generelle Fragen zu „Vorverurteilungen“. Da Sie sich bzgl. den Philosophenprozessen so vehement gegen jegliche Vorverurteilung ausgesprochen haben, wäre es interessant, die hier genannten Widersprüche aufzulösen.

      3.
      „Da wird was von „liberalen Philosophen“ gefaselt, wenn eines der Projekte sich mit drei Philosophen befasst, wie Nietzsche, Heidegger und Lukács, die alles andere als liberal waren.“

      Dieses Argument geht leider ins Leere.
      Ob sich jemand nun mit konservativen Philosophen beschäftigt oder nicht, sagt nichts über seine heutige politische Sympathien aus. Deswegen kann sich ein heutiger Philosoph offen zu der „liberalen“ politischen Gruppe bekennen und sein Forschungsgegenstand die Philosophie eines konservativen Philosophs sein.

      Ihrer Logik entsprechend müssten alle Geschichtswissenschaftler, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen, Nazis sein.

      4.
      „Im übrigen hat Prof. Heller in erster Instanz ihren Prozess gegen Magyar Nemzet gewonnen.“

      Das freut mich für Frau Prof. Heller. Können Sie bitte den zugehörigen Artikel bzw. Quelle hier zitieren?

      Natürlich sind die Rechtssache MNO – Prof. Heller und ein Strafprozess zwei paar Schuhe.

      • da ich gerade auf der Suche nach einem bestimmten Beitrag bin, ist mir auch dieser Beitrag untergekommen.
        Bis heute haben wir
        diesbezüglich

        „Im übrigen hat Prof. Heller in erster Instanz ihren Prozess gegen Magyar Nemzet gewonnen.“

        auch noch nichts gefunden.

  6. @ Rudolf:

    Ich versuche seit Tagen, auch nur den kleinsten Bericht über einen Presseprozess („sajtóper“) zwischen Frau Heller un Magyar Nemzet zu finden, damit ich darüber berichten kann. Leider hatte ich keinen Erfolg, der einzige Hinweis auf diesen Prozessausgang findet sich auf der Facebook-Seite von Ágnes Heller. Nicht einmal bei Népszava, ATV oder Népszabadság hatte ich Glück.

    Ich wäre froh, wenn mir jemand Presseartikel hierüber und/oder das Aktenzeichen zur Verfügung stellen könnte.

    Was die zwei paar Schuhe angeht, treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Man sollte das Ermittlungsverfahren abwarten. Dessen Einleitung bedeutet erst einmal gar nichts außer einem „Anfangsverdacht“.

    Über Schuld und Unschuld entscheidet (zum Glück) weder Magyar Nemzet noch Magyar Hírlap, sondern unabhängige ungarische Strafgerichte. Das scheinen diejenigen, die von „Schauprozess“ reden, obwohl noch gar keine Anklage erhoben wurde, zu vergessen. Bislang habe ich nichts gehört, was mein Vertrauen in die Objektivität der Staatsanwaltschaft in dieser Sache beeinträchtigen könnte. Und dass Frau Heller und ihre Kollegen bis einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gelten, versteht sich für mich – schon von Berufs wegen – von selbst. Jedoch: Im Hinblick auf die von einem MSZP-Politiker geäußerte „Umlenkung“ bestimmter (offenbar zweckgebundener) Fördergelder in die MTA aufgrund allgemeiner Geldknappheit halte ich es aus Sicht der Behörden für legitim zu prüfen, ob dies korrekt lief.

    Als ausgesprochen störend empfinde ich gleichwohl die Art, wie man versucht, die Ermittlungstätigkeit an sich als politischen Angriff zu qualifizieren und arrogant über „kleine Philosophen“ herzieht.

    Jeder kann sich die Frage selbst nach seinem Gusto beantworten, wie Herr Prof. Nida-Rümelin und Prof. Habermas, die beide des Ungarischen nicht mächtig sind, zu den von ihnen bezogenen einseitigen Schlussfolgerungen kommen. Gewiss weder durch Aktenstudium noch durch Lektüre der gesamten ungarischen Presse. Vielmehr bringt es das Institut „Méltányosság“ auf den Punkt: Es war „deutlich zu sehen, dass die linksliberale Elite in Europa wie eine Familie zusammenhält.“ Diese Aussage kann Herr Pfeifer als rechtsextreme Verschwörungstheorie abtun, so lange er will. Es ändert nichts daran, dass sich bestimmte Leute kennen und schätzen und die Aussage somit einen wahren Kern hat. Oder etwas polemisch – auf Personen gemünzt: Wer sich (nur) bei Karl Pfeifer oder Gregor Mayer über Ungarn informiert, wird hoffentlich wissen, aus welcher Ecke der Wind weht.

    • @ hungarianvoice:

      Bzgl. dem Presseprozess zwischen MN und Prof. Heller geht es mir genauso. Ich habe bis jetzt leider nichts finden können. Deswegen habe ich Herrn Pfeifer auch nach weitergehenden Quellen gebeten, die er uns hoffentlich freundlicherweise übermitteln wird.

      Ansonsten habe ich Ihren Aussagen nicht viel hinzuzufügen, wir sind vollkommen einer Meinung. Wie an andere Stelle (ich glaube in einer Antwort an Herrn Pfeifer) geschrieben, glaube ich ebenfalls schon allein aufgrund des Zweifelsgrundsatzes (in dubio pro reo) an der Unschuld der Verdächtigten im Philosophenprozess. Ansonsten ist es mir mangels der notwendigen Informationen (Akteneinsicht, Ausschreibungsunterlagen, etc.) nicht möglich zu beurteilen, ob die Förderungen ordnungsgemäß ausgeschrieben wurden, ordnungsgemäß verteilt und sodann ordnungsgemäß verwendet wurden.

      Die Ermittlungstätigkeit an sich halte ich ebenfalls für legitim. Wenn alles ordnungsgemäß abgelaufen ist, stellt sie ja auch kein Problem für die Betroffenen dar.
      Falls sich herausstellt, dass alles vollkommen in Ordnung war und die Betroffenen vom Magyar Nemzet verleumdet wurden, wird das eine große und verdiente Blamage für Magyar Nemzet und wohl auch Fidesz (Budai) bedeuten.

  7. hungarian voice Sie überschätzen mich sehr, wenn Sie glauben, dass es irgendjemand gibt, der sich über Ungarn nur aus meinen sehr sporadischen Artikeln informiert.
    Wenn also durchaus konservative Intellektuelle sich vor den angegriffenen ungarischen Philosophen stellen, dann gehören die zur „linksliberalen Elite“. Das nennt man auf Wienerisch einen Holler.
    Aber anstatt sich mit der Sache selbst kritisch zu befassen, paßt das sehr gut in das Weltbild der heutigen Regierung.

  8. Rassismus gibt es auch in Ungarn wie in Deutschland gegen Afrikanische Menschen.

    Beispiel, gestern habe ich mich über den Lärm der Nachbarn persönlich beschwert. Darauf hin bekam meine ungarische Frau von u nseren Nachbarn Mann das zu hören:

    „Dein Mann ist ein Schwanzkopf er soll sich verpissen zurück nach Germanien…“

    Das Orignal war natürlich auf HU gesagt, meine Frau hat das übersetzt 😀

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