Europäische Volkspartei erwartet von Ungarn „volle Einhaltung des EU-Rechts“

Das Präsidium der Europäischen Volkspartei hat am heutigen Tag folgende Pressemitteilung herausgegeben:

Martens and Daul: „The EPP will back the Commission’s recommendations that will ensure Hungary’s full compliance with EU law

The President of the European People’s Party, Wilfried Martens, and the Chairman of the EPP Group in the European Parliament, Joseph Daul, commented today on the implementation of Hungary’s new constitution by the Fidesz-KDNP government:

„The Hungarian Parliament adopted on 18 April 2011 a new constitution that replaced a Stalinist-type constitution, which dated from 1949. Hungary was the only country in Central Europe which could not draft a new fundamental law since the fall of communism. The new constitution has incorporated the Charter of Fundamental Rights and also a new, fairer electoctal system was established which offers the possibility for minorities to be represented in Parliament,“ said Martens and Daul.

„At the same time, we are well aware that the European Commission has raised issues on some pieces of legislation and is currently examining the English and French translations to determine if they comply with EU law. On the basis of the European Treaty, the Commission shall oversee the application of EU law, under the control of the Court of Justice of the European Union. Needless to say, the EPP will back the Commission’s recommendations that will ensure Hungary’s full compliance with EU law. In this sense, we are confident that Prime Minister Viktor Orbàn will work closely with the leadership of the Commission to assure that the legislation complies with EU law and, if necessary, to make modifications,“ Martens and Daul concluded.“

Die EPP erwartet von Ungarn die Einhaltung des EU-Rechts. Anders als die Sozialisten, Grünen und Liberalen sieht de EPP die Frage, ob Ungarn überhaupt gegen EU-Prinzipien verstößt, im Zusatändigkeitsbereich der EU-Kommission. Die EPP erwartet ferner eine konstruktive Zusammenarbeit der ungarischen Regierung mit der EU-Kommission, um Zweifel an der Kompatibilität des ungarischen Rechts mit dem Gemeinschaftrecht auszuräumen und notfalls das nationale Recht anzupassen.

TAZ als Sprachrohr der Finanzmärkte: Orbán, mach was wir wollen, sonst gibt es kein Geld!

Ungewohnte, geradezu großkapitalistische Worte von der TAZ. Ungarn wird für pleite erklärt („dazu muss man nicht gut rechnen können„), es habe nur noch eine Chance auf frisches Geld, wenn es „zu EU-Standards“ (bzw. zu dem, was einige Parteien als EU-Standards definieren) zurückkehre. Bei Fuß!

http://www.taz.de/Kommentar-Ungarns-Pleite/!85119/?utm_medium=twitter&utm_source=twitterfeed

Autorin Ulrike Herrmann ist bestechend treffsicher in ihrem Urteil: Ungarn ist pleite, basta. Anders sehen es die Analysten der Royal Bank of Scotland, die das Geschrei um die drohende Zahlungsunfähigkeit und die aktuellen Marktreaktionen (Käuferstreik bei den Anleihen, Druck auf die Landeswährung) für übertrieben halten. Bekanntlich sind Finanzmärkte (den Linken viel zu) unpolitisch, Unsicherheiten führen zu Kapitalabflüssen, wenn es bessere Alternativen für die Kapitalallokation gibt. Politische Gründe haben Finanzentscheidungen meist nicht, sonst wäre China längst erledigt.

Woran liegt der Unterschied in der Bewertung? Eine Vermutung: Der politische Wunsch, Druck auf Orbán auszuüben, beschert uns neue Koalitionen: TAZ meets global capital. Bemerkenswert, dass die Sozialisten auf EU-Ebene sonst über zu große Macht von US-Rating-Agenturen sprechen, und mit dem Gedanken spielen, man müsse die Finanzmärkte einbremsen. Die LINKE, der TAZ definitiv näher als Fidesz, spricht gar von Bankenverstaatlichung.

Der Wunsch nach einer gewissen Unabhängigkeit Ungarns von den Bewegungen an den Finanzmärkten endet jedoch an den politischen Trennungslinien: Plötzlich wird in der TAZ über die ausländische Krisensteuer schwadroniert, und darüber, dass Ungarn es gewagt habe, die Banken bei der Beseitigung der von ihnen mitverursachten Kreditkrise privater Schuldner heranzuziehen.

Ein wenig anders als Ulrike Hartmann sieht es der Chefredakteur des Pester Lloyd. Er gesteht trotz der durchgehend Orbán-kritischen Linie seines Blattes der Regierung wenigstens zu, beim Thema „Finanzmärkte“ die richtigen Fragen gestellt zu haben, wenn er auch Probleme mit der Antwort Orbáns hat. Marco Schicker im DRadio-Interview:

Weil was Brüssel jetzt macht, ist ja im Prinzip, mit den Instrumenten eines alten, abgewirtschafteten Systems – also diesem System, was auf Schuldenlogik, auf Zins und Zinseszins beruht – Ungarn wieder unter Druck zu setzen. Orbán hat ja nicht umsonst die Systemfrage aufgeworfen und gestellt, die darin besteht zu sagen, kann es immer so weitergehen, dass wir uns abhängig machen vom internationalen Finanzmarkt, dass wir uns abhängig machen von völlig abgehobenen globalisierten Mechanismen, die gar nichts mehr mit dem eigentlichen demokratischen Prozess und dem Volkswillen zu tun haben.“

Dank Frau Hartmann wissen wir nun, dass die sonst von links so kritisch beäugten Finanzmärkte wenigstens noch als Drohkulisse taugen. Wer nicht spurt, soll kein Geld bekommen. Bei diesem Wunschdenken (das wohl kaum Realität wird) interessieren die vielen Millionen Ungarn, die keine Fidesz-Anhänger sind, offenbar nicht die Bohne: Sie wären es, die unter der Zahlungsunfähigkeit des Landes, sollte sie wirklich eintreten, ebenso leiden würden wie die Anhänger der Regierung. Aber wen interessiert das, die TAZ sitzt ja nicht in Budapest. Das Ziel entscheidet, und das steht fest: Orbán muss fallen, um jeden Preis. Der in Ungarn geborene Politologe Charles Gati, ein Bewunderer von Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsánys brachte sogar die Aussage, notfalls gebe es Wege, die demokratisch gewählte Regierung Orbán auf „anderem als demokratischem Wege“ zu entfernen. Ganz wie bei den Streitkräften: Wir müssen die Demokratie bewahren, nicht selbst praktzieren. Schön, zu wissen, was wir von der Anti-Orbán-Koalition zu erwarten haben.

Die ungarischen Sozialisten haben gestern ebenfalls ihr „verantwortliches“ Handeln zum Wohl des Landes bewiesen: Sie stellten urplötzlich in den Raum, die Spareinlagen seien nicht mehr sicher. Heute widersprach die Ungarische Nationalbank – dabei ist ihr Präsident kein Orbán-Jünger. Ökonomisches Zündeln der Opposition, das unentschuldbar ist – und zeigt, warum die Menschen noch immer kein neues Vertrauen in diejenigen zurückgewinnen, die das Land von 2002-2010 abgewirtschaftet haben (Anstieg der Staatsschulden von 52% auf ca. 80% des BIP).

Wer die Realwirtschaft betrachtet, wird sehen, dass die Lage keineswegs so aussichtslos erscheint, wie die Weltuntergangsapostel behaupten:

http://www.ahkungarn.hu/fileadmin/ahk_ungarn/Dokumente/Wirtschaftsinfos/HU/Statistik/INFO_HU_Prognosen.pdf

Ungarische Notenbank: Pressemitteilung vom 6. Januar 2012

Pressemitteilung der Ungarischen Nationalbank nach einer Konsultation ihres Präsidenten András Simor mit MP Viktor Orbán und weiteren Regierungsmitgliedern:

In einem von Nationalbankpräsident András Simor vorgeschlagenen Treffen betrachteten MP Viktor Orbán, die anwesenden Regierungsmitglieder und András Simor die derzeitigen ökonomischen Abläufe und bewerteten zugleich die Lage der Wirtschaft.

Sie stimmten überein, dass der Wirtschaftsminister und der Notenbankchef sich laufend abstimmen werden und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Stabilität der ungarischen Wirtschaft sichern. Die Nationalbank beobachtet die Situation des heimischen Finanzsystems laufend und sorgfältig. Die Notenbank betont, dass das ungarischen Bankensystem stabil ist.“

http://www.mnb.hu/Sajtoszoba/mnbhu_pressreleases/mnbhu_pressreleases_2012/mnbhu_sajtokozlemeny_20120106

Orbán: Devisenreserven werden nicht verwendet – Banker: Ungarn nicht „am Rande der Zahlungsunfähigkeit“

Der Fernsehsender ATV berichtet über ein Gespräch zwischen Ministerpräsident Viktor Orbán, Notenbankchef András Simor, Wirtschaftsminister György Matolcsy, Staatssekretär Mihály Varga und den designierten Verhandlungsführer für die IWF-Gespräche, den früheren Entwicklungsminister Tamás Fellegi. Nach dem Gespräche habe Orbán (gegen 11:00 Uhr) klargestellt, dass weder die Ersparnisse der Bürger, noch die Devisenreserven von der Regierung verwendet würden, um der aktuellen Situation Herr zu werden.

Die Diskussion um die die Berufung mehrerer neuer Personen in das Führungsgremium der Notenbank hatte Spekulationen laut werden lassen,die Regierung sei auf die Devisenreserven der Ungarischen Nationalbank aus, um diese für die Schuldentilgung zu verwenden. Ebenso hatten oppsitionelle Kreise das Gerücht lanciert, die Einlagen der Sparer seien im Fokus der Regierung.

Orbán betonte, die unabhängige Notenbank werde weiterhin allein über die Verwendung der Währungsreserven bestimmen.

Die ATV-Meldung im Wortlaut:

A miniszterelnök a megbeszélések utáni sajtótájékoztatón többek között azt hangsúlyozta, hogy a kormány nem zárolja a bankbetéteket és nem használják fel a jegybank devizatartalékait. A kormányfő leszögezte: a december végén elfogadott jegybanktörvény több ponton is deklarálja a jegybank függetlenségét, „kiinduló pont a függetlenség“. Hozzátette: mindez azt is jelenti, hogy a jegybank továbbra is maga dönt az ország devizatartalékainak kezeléséről és felhasználásáról.“

http://atv.hu/belfold/20120105_ujabb_tortenelmi_rekordot_dontott_a_forint_mar_322_folott_az_euro

Der Forint bleibt nach einer kurzen Erholung am Morgen gegenüber den Tiefstständen vom Vortag weiter unter Druck, die Parität zum Euro liegt bei 1 EUR = 318 HUF. Der Budapester Aktieindex BUX liegt ca. 1% im Plus.

Timothy Ash, Analyst für Emerging Markets bei der Royal Bank of Scotland (RBS) bezeichnet die Marktreaktionen der vergangenen Tage als übertrieben. Ungarn könne, bei Gegenüberstellung des Finanzbedarfes und der zur Verfügung stehenden Finanzierungsmittel, kaum als ein Land bezeichnet werden, das sich „am Rande der Zahlungsunfähigkeit“ befinde.

WELT: Boris Kálnoky macht sich Gedanken

Boris Kálnoky, Journalist und hier im Blog aktiv mitwirkender Kommentator, hat einen sehr persönlich gehaltenen Beitrag zur Situation in Ungarn verfasst, den die WELT heute veröffentlicht:

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13800895/Judenstern-am-Briefkasten.html

Kálnoky plädiert – wie bereits in dem mit dem Schriftsteller György Dalos geführten Interview zu sehen ist – für einen längst überfälligen verbalen Waffenstillstand zwischen den beiden politischen Lagern. Man müsse endlich damit aufhören, die Linken / Liberalen als „Kommunisten und Juden“, die Fidesz als „faschistoid“ oder „diktatorisch“ zu betiteln. In der Gewichtung liegt dieser Tage der letztgenannte Vorwurf vorne; das war aber nicht immer so.

Schändlicher Höhepunkt in Kálnokys persönlichen Erfahrungen waren Schmähungen (gegen ihn und György Dalos) im ungarischen Nazi-Internetportal „Hunhír“ als Reaktion auf das Welt-Interview sowie ein weiterer Vorfall: Ein unbekannter Nazi-Sympathisant (hier ist das Wort zutreffend) klebte ihm Ende 2011 einen Judenstern an den Briefkasten. Erfahrungen eines Menschen, der versucht, seinen Teil für einen Dialog zu leisten, der die ideologischen Trennungslinien überschreitet. Noch ist dieser Versuch des Dialogs – jedenfalls in der ungarischen Politik – auf beiden Seiten die absolute Ausnahme.

Entsprechend vorsichtig sollten ausländische Beobachter sein, der einen oder anderen unversöhnlichen Seite kritiklos zu folgen, sich deren Wortwahl zu eigen zu machen und damit weiter Öl ins Feuer zu gießen – es wäre wichtiger, differenziert zu berichten und so den Versuch zu unternehmen, das Lagerdenken endlich zu überwinden. Meist fehlt jedoch das Verständnis für die tiefgreifenden Ursachen der gesellschaftlichen Spaltung völlig: Die Politik entzweit Familien, Menschen beider Lager laufen Gefahr, in der Öffentlichkeit beschimpft und angespuckt (!) zu werden, nur weil sie die falsche Zeitung lesen. Parlamentarier der Opposition verlassen (und das nicht erst seit 2010) das Parlament, die Abgeordneten beschimpfen sich als „Hurensöhne“. All das ist Teil der ungarischen Realität, die leider von deutschsprachigen Journalisten bei ihren, die Spaltung nur zu oft weiter vertiefenden, Berichten nicht beachtet wird. Die Schuld trifft die gesamte politische Elite des Landes, und das seit etwa 20 Jahren.

Bekannt ist, dass es in Ungarn für den Faschismus- oder Kommunismusvorwurf weder Faschisten noch Kommunisten, für Antisemitismus keine Juden braucht. Man muss einfach nur anderer Meinung sein. Dies zu überwinden, ist Aufgabe der ungarischen Gesellschaft, insbesondere auch der mit überwiegender Mehrheit gewählten Regierung nebst 2/3-Parlamentsmehrheit. Eine Aufgabe für jede Regierung, die sich die „nationale Einheit“ auf die Fahnen schreibt. Stattdessen scheint sich die Politik nicht davon losmachen zu können, reflexartig alte Rechnungen begleichen zu wollen. Patriotismus sieht in meiner Welt anders aus.

Hier der Beitrag in französischer Sprache:

http://www.courrierinternational.com/article/2012/01/09/a-ceux-qui-ont-colle-une-etoile-jaune-sur-ma-boite-aux-lettres

Nachtrag:
Die als regierungsnah geltende Wochenzeitung Heti Válasz hat den o.g. Beitrag von Boris Kálnoky zusammengefasst unter dem Titel: „Áll a bál – Ezt nem teszi zsebre sem a kormány, sem az ellenzék“ (wohl sinngemäß: „Das steckt weder die Regierung, noch die Position so einfach weg“). Die Message scheint bei ersten interessierten Kreisen angekommen zu sein.

http://hetivalasz.hu/vilag/magyarorszagon-mindenki-a-masikat-gyuloli-44671/

Von mir nochmals meinen Dank an Herrn Kálnoky für seinen hervorragenden Beitrag.