Budapester Zeitung und Pester Lloyd zur neuen Verfassung

Der ungarische Staatspräsident Pál Schmitt hat am heutigen Ostermontag das umstrittene neue ungarische Grundgesetz unterzeichnet. Es kann nun zum 01.01.2012 in Kraft treten.

Die Budapester Zeitung widmet der neuen Verfassung einen Kommentar:

http://www.budapester.hu/index.php?option=com_content&task=view&id=9275&Itemid=27

Ein weiterer Kommentar zur neuen Verfassung ist im Pester Lloyd zu lesen.

http://www.pesterlloyd.net/2011_17/17VerfassungSchmitt/17verfassungschmitt.html

Beide Kommentatoren, Jan Mainka und Marco Schicker, legen ihren Schwerpunkt, wie kaum anders zu erwarten, auf unterschiedliche Aspekte. Einig sind sie sich jedoch in einem Punkt: Die Behauptung, Ungarn würde mit dieser Verfassung in die Diktatur abgleiten, ist falsch. Dies hat übrigens auch einer der Hauptkritiker der neuen Verfassung, der ehemalige Staatspräsident László Sólyom, zu jeder Zeit klargestellt.

„Katholisches“ sieht in der Kritik an Ungarns Verfassung „ideologischen Haß“

Die Zeitung „Katholisches“ tritt  der Kritik an Ungarns Verfassung mit scharfen Worten entgegen und sieht darin – obwohl es an dem ein oder anderen Punkt Anlass zu Kritik gebe – ideologische Verblendung linker und liberaler Kreise. Dies betreffe (aus Sicht der Zeitung wenig überraschend) insbesondere die Kritik an der Bezugnahme auf christliche Wurzeln und die nationale Identität.

http://www.katholisches.info/?p=11594

Im Bezug auf den Vorwurf, die neue ungarische Verfassung maße sich an, das Recht Ungarns auf die umliegenden Staaten auszudehnen (vgl. den SZ-Beitrag von Andreas Zielcke) , weist „Katholisches“ darauf hin, dass sich ein vergleichbarer Passus bereits in der bisherigen Verfassung befunden habe (§ 6 Abs. 3). Darüber habe sich jedoch niemand aufgeregt.

Auch den Vorwurf der Homophobie weist „Katholisches“ zurück. Es bestehe in Ungarn seit 2008 ein Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft, es sei somit ohne weiteres möglich, die Ehe als Partnerschaft zwischen Mann und Frau zu definieren (Anm.: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in mehreren Entscheidungen eine vergleichbare Paxis in Österreich als zulässig angesehen).

Pintér: Ich garantiere die Ordnung und öffentliche Sicherheit

Der ungarische Innenminister Sándor Pintér besuchte am Freitag den Ort Gyöngyöspata, der in dern vergangenen Wochen wegen umher marschierender rechtsradikaler „Bürgerwehren“ und einem für dieses Wochenende geplanten „Trainingslager“ zu trauriger internationaler Bekanntheit gelangt ist. Mandiner.hu berichtete über den Besuch Pintérs.

http://mandiner.hu/cikk/20110422_nyolc_embert_allitottak_elo_gyongyospatan

Am Freitag nachmittag besuchte auch Innenminister Sándor Pintér Gyöngyöspata. Der Politiker sagte auf einer Pressekonferenz: Er bedaure, dass er habe hierher kommen müssen, weil sich solche Ereignisse zugetragen hätten, die niemals hätten passieren dürfen. Die Osterfeiertage seien gestört worden, die Freude der Familien sei weggenommen worden, selbst die Freude, die das Angebot einer  karitativen Organisation verursacht habe.

Pintér sagte in diesem Zusammenhang: Das Rote Kreuz habe 266 Kinder und Frauen auf einen dreitägigen Ausflug nach Szolnok und Csillebérc eingeladen. Dies sei von einigen so dargestellt worden, als ob man die Menschen habe evakuieren müssen. Nach der Auffassung des Innenministers gebe es nichts, wovor man fliehen müsse: „Es herrscht Ordnung, weil die Polizei für Ordnung sorgt. Im Moment halten sich in der Gemeinde nirgends uniformierte Bürgerwehren auf, und ich garantiere, dass das auch so bleiben wird”. Die Polizei ist im Einsatz, und diejenigen, welche die Ordnung stören wollten, genießen im Augenblick die Gastfreundschaft der Polizei.

Die Polizei habe in Gyönyöspata am Freitag nachmittag acht Personen wegen Rowdytums und Landfriedensbruchs vorläufig festgenommen.  Der Innenminister sagte: „Die Verdächtigen haben für Unruhe und Angst in der örtlichen Bevölkerung gesorgt, das wiederum gilt als Rowdytum“.  Das bedeuet, dass in diesem Fall noch nicht die neue Regierungsverordnung angewendet wurde, der zufolge Tätigkeiten, welche der Polizei obliegen, anderen Gruppen untersagt werden, und die am Samstag (0 Uhr) in Kraft tritt.

János Farkas, Vizepräsident der „Roma Polgárjogi Mozgalom“ (Roma-Bewegung für Bürgerrechte) fragte den Innenminister, ob er den Roma garanieren könne. dass sie sich wegen der Bedrohungen nicht fürchten, sich an die internationale Presse wenden oder das Land verlassen müssten. Pintér versicherte in seiner Antwort, er garantiere die Ordnung und die öffentliche Sicherheit. Er versprach, man werde Arbeitsplätze schaffen, zunächst öffentliche Arbeit, danach dauerhafte Arbeitsplätze. Man müsse arbeiten.“

Das ungarische Rote Kreuz hat Meldungen dementiert, denen zufolge die Organisation am Freitag Angehörige der Roma-Minderheit aus Furcht vor Rechtsradikalen aus dem Ort evakuiert habe.


Update vom 25.04.2011, 22 Uhr:

Das Stadtgericht von Eger hat die Verfahren gegen die von der Polizei vorläufig festgenommenen Mitglieder der „Véderö“ eingestellt und die Haft aufgehoben (Quelle: Heti Válasz). Das Tragen einer Uniform alleine erfülle nicht den Tatbestand des „Rowdytums“. Die Polizei hat den Beschluss angefochten. Die erst zum 23.04.2011 in Kraft getretene Verordnung, die das Auftreten sog. „Bürgerwehren“ erschwert, konnte nicht angewendet werden, die Tat geschah schon vor dem Inkrafttreten des Rechtssatzes.

Gyöngyöspata: Rechtsradikale halten „Trainingslager“ ab, Roma werden in Sicherheit gebracht

Im ungarischen Ort Gyöngyöspata haben rechtsradikale Gruppierungen ihre Anhänger zur Teilnahme an einem „Trainingslager“ aufgefordert. Die Anhänger sollten uniformiert und mit Gummigeschosswaffen erscheinen. Mehrere hundert ortsansässige Frauen und Kinder aus der Roma-Bevölkerung wurden vom Roten Kreuz mit Bussen aus Furcht vor Zwischenfällen in Sicherheit gebracht.

Das „Trainingslager“ – hierzulande würde man von „Wehrsportübung“ sprechen – ist eine erneute heftige Provokation der rechtsradikalen Jobbik und der ihr nahestehenden Organisationen. Die Orbán-Regierung hatte im Wahlkampf angekündigt, mit den Aufmärschen Schluss zu machen; nach einer Zeit relativer Ruhe marschieren die Gruppen seit Anfang März jedoch mit gestiegenem Selbstbewusstsein wieder auf. Für die Regierung besteht dringender Handlungsbedarf.

Im Ort halten sich mehrere hundert Polizisten auf, um eine Eskalation zu verhindern.

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/ungarische_buergerwehr_uebt_hatz_auf_roma_1.10347926.html

http://www.metropol.hu/itthon/cikk/719685

Nachtrag 22.04.2011, 23:05 Uhr:

Die Polizei nach Presseberichten der Wehrsportübung ein Ende gesetzt. Nachdem die ungarische Regierung und auch das Rote Kreuz bestritten hatten, es habe sich um eine Evakuierung der Mitglieder der Roma-Minderheit gehandelt (Regierungssprecher Szíjjártó sprach von einem länger geplanten „Ausflug“), wirft die plötzliche „Abreise“ der Roma-Frauen und -Kinder weiterhin Fragen auf.

Auf dem Internetportal Index heißt es hierzu (auszugsweise):

Unser Korrespondet erhielt in der Roma-Siedlung verwirrende Antworten, als er danach fragte, wer die Abreise der Roma organisiert habe. Ein männliches Mitglied der Zigeunergemeinde sagte: Er erfuhr erst heute davon, dass man seine Kinder und seine Frau mitgenommen habe, und er wisse nicht, wann sie wiederkämen.

Ein führendes Mitglied der Zigeunerminderheit gab auf dieselbe Frage gehemnisvolle Antworten. Seiner Meinung nach habe die Aktion jemand organisiert, der mit den Zigeuner sympathisiere, aber nicht wolle, dass sein Name und sein Bild in den Medien erscheine. Die Frage, ob die Sache mit irgendeiner politischen Partei im Zusammenhang stehe, verneinte er.“

Verfassung: Kritischer Beitrag von Christian Boulanger und Maximilian Steinbeis in der ZEIT

Der Politikwissenschaftler und Rechtssoziologe Christian Boulanger und der Jurist Maximilian Steinbeis haben einen lesenswerten kritischen Beitrag zu der am 18.04.2011 beschlossenen ungarischen Verfassung in der ZEIT-Online verfasst:

http://www.zeit.de/2011/17/ungarn-verfassung-op-ed?page=1

Boulanger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Humboldt-Universität (und aktiver und geschätzter Kommentator auf Hungarianvoice), Steinbeis Autor und Macher von http://verfassungsblog.de/.

Der „Ungarn-Experte“ Hermann Lamberty kommentiert die ungarische Verfassung

Ein weiterer Zwischenruf zur ungarischen Verfassung ist in der Nordwest-Zeitung zu lesen. Das Thema eignet sich offenbar auch für ehemalige Sportredakteure der Westfälischen Rundschau wie Hermann Lamberty, weltpolitisch Kante zu zeigen:

http://www.nwzonline.de/Aktuelles/Politik/Kommentare/NWZ/Artikel/2586638/Rabiater-Umbau.html

Schon die Ouvertüre könnte nicht besser sein:

Die schwülstige Präambel („Nationales Bekenntnis“) in der neuen ungarischen Verfassung mit all ihrem pompösen Ballast von König und Krone und Stolz mag man als schlichte Geschmacksentgleisung bewerten. Nur eine burleske Posse auf Budapester Operetten-Bühne? Angesichts der alten, neuen magyarischen Großmannsträume beschleicht einen dann doch leichter Schauder.

Neue magyarische Großmannsträume? Burleske Posse auf Budapester Operetten-Bühne? Da spricht ein wahrer Kenner der Materie. Immerhin hat Lamberty bereits einen Bericht über Ungarn, wen wundert es – zum Mediengesetz – verfasst. Umso prägnant-kenntnisreicher das Fazit (las ich nicht gerade etwas von Geschmacksentgleisungen?):

Zu befürchten ist nun, dass Ungarn sich in punkto Demokratie weißrussischen oder nordafrikanischen Standards rasant von oben annähert“.

Bernhard Odehnal im Tagesanzeiger: Orbán als „legitimer Nachfolger“ eines Nazi-Verbündeten?

Einem Beitrag von Bernhard Odehnal im Tagesanzeiger soll Viktor Orbán sich als „legitimer Nachfolger des Nazi-Verbündeten“ Nikolaus von Horthy“ sehen. Man traut seinen Augen nicht:

http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Orban-eifert-NaziVerbuendetem-nach-/story/11612365

Endlich wieder ein Beitrag, der der Leib- und Magenspeise der ewigen Mahner vor der Nazigefahr voll und ganz entspricht. Kritik am Inhalt der Verfassung – etwa an der Beschränkung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts – genügt hier nicht. Als bewährter Co-Autor des Buches „Aufmarsch – Die rechte Gefahr aus Osteuropa“ braucht man das „N“-Wort:

Die Präambel der neuen Verfassung ist voller Symbole und historischer Anspielungen. Die Mitglieder der ungarischen Nation erklären darin ihren Stolz auf den heiligen König Stephan und seine Staatsgründung vor rund 1000 Jahren. Auch Stephans angebliche Krone wird in der Verfassung erwähnt (obwohl gar nicht verbürgt ist, dass sie von ihm getragen wurde). Viktor Orban liess vor zehn Jahren – während seiner ersten Amtszeit – die Krone aus dem Nationalmuseum ins Parlament bringen. Dort steht sie heute in der Mitte des neogotischen Gebäudes, direkt unter der grossen Kuppel, bewacht von Soldaten in historischen Uniformen. Orban sieht sich offenbar nicht nur als legitimer Nachfolger des heiligen Stephan, sondern auch des «Reichsverwesers» Miklós Horthy, der Ungarn als mit Nazi-Deutschland verbündetes Land bis 1944 regierte. In der Präambel der neuen Verfassung wird auf Horthys Staat (ohne den Namen zu nennen) mehrmals Bezug genommen.“

Ist das so? Nicht wirklich. Die einzige Bezugnahme auf „Horthys Staat“ beschränkt sich in dem (historisch durchaus hinterfragenswerten) Hinweis, dass Ungarns staatliches Selbstbestimmungsrecht am 19.03.1944, der Besetzung Ungarns durch Nazi-Deutschland, geendet habe und erst mit der Wahl des ersten frei gewählten Parlaments nach der Wende wieder hergestellt worden sei. Dass man daraus ablesen könnte, Orbán sehe sich (offenbar) as legitimer Nachfolger von Horthy, muss bezweifelt werden. Aber es hört sich doch so gut an…

Die TAZ über jüdisches Leben in Budapest

Die Tageszeitung (TAZ) bringt einen längeren, von Ralf Leonhard verfassten Beitrag über Juden in Budapest:

http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/die-vorsicht-der-juden-von-budapest/

Der Verfasser zeichnet insgesamt ein überraschend ausgewogenes Bild. Von der TAZ ist man durchaus anderes gewöhnt. An zwei Stellen musste ich jedoch trotz allem aufmerken:

Zum einen wird behauptet,

Führende Fidesz-Leute hatten vor der Wahl Stimmung gemacht gegen Kapitalisten, Kommunisten und Juden.“

Dass „führende“ Fidesz-Leute Stimmung gegen Juden gemacht hätten, ist mir nicht bekannt. Zwar gab es antisemitische Ausfälle, insbesondere vom diesbezüglich seit Jahren auffallenden Fidesz-Mitglied Zsolt Bayer. Dass man ihn meint, geht aus dem Beitrag aber nicht hervor. Ich habe den Eindruck, es sollen „aktive“ Fidesz-Politiker gemeint sein, und dies halte ich für falsch.

Auch bei folgender Aussage fällt es mir schwer, vorbehaltlos zuzustimmen:

Während der kommunistischen Herrschaft litten Juden zwar keine Verfolgung, doch die Ausübung ihrer Religion war nicht gern gesehen.“

Selbstverständlich gab es im Kommunismus keine dem Nationalsozialismus auch nur annähernd vergleichbare Verfolgung von Juden. Geht man aber von der Prämisse aus, dass „Verfolgung“ früher beginnt, etwa dort, wo Schauprozesse gegen Juden unter dem Vorwand „zionistischer Verschwörung“ geführt werden, um eventuell vorhandene antisemitische Ressentiments in der Bevölkerung zu bedienen, so war die Situation in Ungarn – über die religiösen Einschränkungen hinaus – keineswegs rosig. Insbesondere im Jahr 1953 gab es politische Säuberungsaktionen gegen unliebige Personen unter dem Vorwand, diese hätten eine „zionistische Verschwörung“ geplant. Im Hinblick auf die Rolle der Juden in der kommunistischen Führungsspitze Ungarns am Ende der 40er / Anfang der 50er Jahre (Rákosi, Révai, Farkas, Gerö) und in der Geheimpolizei, war auch die Zahl von Opfern politischer Säuberungen in der Partei nicht zu unterschätzen. Dass Antisemitismus kein Privileg rechten Gedankengutes ist, ist heute hinreichend bekannt. Silvia Perfler bezeichnet in einem längeren Beitrag Ungarn gleichwohl als „positives Beispiel“ unter den sozialistischen Staaten, was gerade im Vergleich zur Sowjetunion zutrifft.