Die Tageszeitung (TAZ) bringt einen längeren, von Ralf Leonhard verfassten Beitrag über Juden in Budapest:
http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/die-vorsicht-der-juden-von-budapest/
Der Verfasser zeichnet insgesamt ein überraschend ausgewogenes Bild. Von der TAZ ist man durchaus anderes gewöhnt. An zwei Stellen musste ich jedoch trotz allem aufmerken:
Zum einen wird behauptet,
„Führende Fidesz-Leute hatten vor der Wahl Stimmung gemacht gegen Kapitalisten, Kommunisten und Juden.“
Dass „führende“ Fidesz-Leute Stimmung gegen Juden gemacht hätten, ist mir nicht bekannt. Zwar gab es antisemitische Ausfälle, insbesondere vom diesbezüglich seit Jahren auffallenden Fidesz-Mitglied Zsolt Bayer. Dass man ihn meint, geht aus dem Beitrag aber nicht hervor. Ich habe den Eindruck, es sollen „aktive“ Fidesz-Politiker gemeint sein, und dies halte ich für falsch.
Auch bei folgender Aussage fällt es mir schwer, vorbehaltlos zuzustimmen:
„Während der kommunistischen Herrschaft litten Juden zwar keine Verfolgung, doch die Ausübung ihrer Religion war nicht gern gesehen.“
Selbstverständlich gab es im Kommunismus keine dem Nationalsozialismus auch nur annähernd vergleichbare Verfolgung von Juden. Geht man aber von der Prämisse aus, dass „Verfolgung“ früher beginnt, etwa dort, wo Schauprozesse gegen Juden unter dem Vorwand „zionistischer Verschwörung“ geführt werden, um eventuell vorhandene antisemitische Ressentiments in der Bevölkerung zu bedienen, so war die Situation in Ungarn – über die religiösen Einschränkungen hinaus – keineswegs rosig. Insbesondere im Jahr 1953 gab es politische Säuberungsaktionen gegen unliebige Personen unter dem Vorwand, diese hätten eine „zionistische Verschwörung“ geplant. Im Hinblick auf die Rolle der Juden in der kommunistischen Führungsspitze Ungarns am Ende der 40er / Anfang der 50er Jahre (Rákosi, Révai, Farkas, Gerö) und in der Geheimpolizei, war auch die Zahl von Opfern politischer Säuberungen in der Partei nicht zu unterschätzen. Dass Antisemitismus kein Privileg rechten Gedankengutes ist, ist heute hinreichend bekannt. Silvia Perfler bezeichnet in einem längeren Beitrag Ungarn gleichwohl als „positives Beispiel“ unter den sozialistischen Staaten, was gerade im Vergleich zur Sowjetunion zutrifft.